Große Chinesische Hungersnot

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Große Chinesische Hungersnot
三年大饑荒, Sānnián dà jīhuāng
Land Volksrepublik China
Örtlichkeit Festlandchina
Tote insgesamt 15 Millionen zusätzliche Tote (Regierungsstatistiken)
20 und 43 Millionen (wissenschaftliche Schätzungen)
mindestens 45 Millionen (Dikötter)
Anmerkungen Wird von Frank Dikötter als Chinas verheerendste Katastrophe angesehen. Teil der Großer Sprung nach vorn-Kampagne.
Hilfsmaßnahmen Ausrottung der vier Plagen-Kampagne (verschlimmerte die Hungersnot). Anstieg des Nahrungsmittelexports in andere Sozialistische Bruderländer.
Folgen Beendigung der Großer Sprung nach vorn-Kampagne

Die Große Chinesische Hungersnot (chinesisch 三年大饑荒 / 三年大饥荒, Pinyin Sānnián dà jīhuāng – „Die dreijährige große chinesische Hungersnot“, seitens der Kommunistischen Partei Chinas die „Dreijährige Naturkatastrophe“ oder „Dreijährige Schwierigkeitsperiode“ (三年自然災害 / 三年自然灾害, Sānnián zìrán zāihài bzw. 三年困難時期 / 三年困难时期, Sānnián kùnnán shíqī)) war der Zeitraum in der Volksrepublik China zwischen den Jahren 1958 und 1961, der durch eine weit verbreitete Hungersnot gekennzeichnet war. Trockenheit, schlechte Witterung sowie die politischen Maßnahmen der Kommunistischen Partei trugen zur Hungersnot bei, obschon die relativen Beiträge wegen des Großen Sprungs nach vorn umstritten sind.

Datenlage

Gemäß den Regierungsstatistiken starben 15 Millionen Menschen während der Hungersnot.[1] Inoffizielle Schätzungen variieren, Forscher schätzen die Anzahl von Hungertoten jedoch auf zwischen 20 und 43 Millionen.[2] Der Geschichtsforscher Frank Dikötter, dem besonderer Zugang zu chinesischem Archivmaterial gewährt wurde, schätzt, dass es mindestens 45 Millionen vorzeitige Todesfälle zwischen den Jahren 1958 und 1962 gab.[3][4] Der chinesische Journalist Yang Jisheng folgerte, dass es 36 Millionen Tote durch Verhungern gab, während weitere 40 Millionen nicht geboren wurden, sodass "China’s total population loss during the Great Famine then comes to 76 million." (Deutsch: Chinas gesamter Bevölkerungsverlust während der Großen Hungersnot beläuft sich auf 76 Millionen).[5] Die Bezeichnung "Three Bitter Years" (Deutsch: Drei bittere Jahre) wird oft von chinesischen Bauern verwendet, um diese Periode zu beschreiben.[6]

Ursachen

Die Große Chinesische Hungersnot wurde durch sozialen Druck, wirtschaftliches Missmanagement und einen radikalen Umbau der Landwirtschaft verursacht. Mao Zedong, Vorsitzender der Kommunistischen Partei Chinas, führte drastische Veränderungen im Landbau ein, die Privateigentum untersagte. Verstöße hiergegen führten zur Verfolgung. Der soziale Druck, der den Bürgern hinsichtlich Landwirtschaft und Gewerbe auferlegt wurde, die seitens der Regierung kontrolliert wurde, führte zu staatlicher Instabilität. Den während des Großen Sprungs nach vorn zwischen den Jahren 1958 und 1962 verabschiedeten Gesetzen geschuldet, starben Regierungsstatistiken zufolge ungefähr 36 Millionen Menschen in diesem Zeitraum.[7] Bis in die frühen 1980er Jahre war die Einstellung der chinesischen Regierung, die sich in der Bezeichnung „Dreijährige Naturkatastrophe“ widerspiegelt, dass die Hungersnot überwiegend das Resultat einer Serie von natürlichen Ereignissen war, die durch mehrere Planungsfehler verschlimmert wurden. Forscher außerhalb Chinas vertraten die Auffassung, dass massive institutionelle und politische Veränderungen, die den Großen Sprung nach vorn begleiteten, die Schlüsselfaktoren zur Hungersnot waren, oder mindestens die durch die Natur verursachten Katastrophen verschlimmerten.[8][9] Seit den 1980er Jahren gab es eine größere offizielle Einsicht seitens der Chinesen hinsichtlich der Bedeutung politischer Fehler bei der Verursachung von Katastrophen, indem man zugab, dass 30 % durch die Natur und 70 % durch Missmanagement verursacht wurden.

Während des Großen Sprunges nach vorn wurde Landwirtschaft in Volkskommunen organisiert und der private Anbau verboten. Die Eisen- und Stahlproduktion wurde als Schlüsselindustrie für wirtschaftlichen Fortschritt ausgemacht. Millionen Bauern wurden aus der Landwirtschaft abgezogen, um die Eisen- und Stahlbelegschaft zu verstärken.

Yang Jisheng fasste die Auswirkung des Fokus auf Produktionsziele im Jahr 2008 wie folgt zusammen:

In Xinyang, people starved at the doors of the grain warehouses. As they died, they shouted, "Communist Party, Chairman Mao, save us". If the granaries of Henan and Hebei had been opened, no one need have died. As people were dying in large numbers around them, officials did not think to save them. Their only concern was how to fulfill the delivery of grain.[10]

(Deutsch: In Xinyang verhungerten die Menschen vor den Türen der Getreidespeicher. Während sie starben riefen sie „Kommunistische Partei, Vorsitzender Mao, rettet uns“. Wenn die Kornspeicher von Henan und Hebei geöffnet worden wären, hätte niemand sterben müssen. Die Funktionäre dachten gar nicht daran die um sie herum Sterbenden zu retten. Ihre einzige Sorge galt der Ablieferung des Getreides.)

Zeitgleich mit der Kollektivierung verfügte die Zentralregierung mehrere Änderungen bei den Landwirtschaftstechniken basierend auf den Ideen des sowjetischen Pseudo-Wissenschaftlers Trofim Denissowitsch Lyssenko.[11] Eine dieser Ideen war es, die zu bewirtschaftenden Felder enger zu bepflanzen, wobei die Dichte der Setzlinge zuerst verdreifacht und dann noch einmal verdoppelt wurde, was dazu führte, dass das Saatgut quasi übereinander gepflanzt wurde. Der Lyssenkoismus behauptete, indem er sich an die stalinistische politische Doktrin hielt, die jegliches gesellschaftliches Versagen (einschließlich des Ernteertrages) mit dem sozialistischen Klassenkampf verknüpfte, dass Pflanzen der gleichen Art (also der gleichen „Klasse“) nicht gegeneinander kämpfen würden und im Gegenteil harmonisch gemeinsam wachsen würden und Felder hoher Dichte produzieren würden. In der Praxis führte dies dazu, dass die Setzlinge um Nährstoffe und Raum konkurrierten und alle Felder, die die Pflanztheorien von Lysenko anwendeten, kümmerliche Erträge oder vollständige Ernteausfälle zeigten. Eine weitere Politik (bekannt als „Tiefpflügen“) gründete sich auf den Ideen von Lysenkos Kollegen Tewenty Malzew, der Bauern in ganz China dazu ermutigte, die normale Pflugtiefe von 15 bis 20 cm zu meiden und stattdessen den Boden in einer Tiefe von ein bis zwei Metern zu pflügen. Nach der Tiefpflug-Theorie sei der fruchtbarste Boden tief in der Erde, wodurch ein außergewöhnlich tiefes Pflügen somit ein besonders starkes Wurzelwachstum ermöglichen würde. In seichtem Boden wurden jedoch nutzlose Steine, nutzloser Boden und Sand nach oben befördert und die fruchtbare oberste Bodenschicht begraben, was wiederum zu kümmerlichem Saatwachstum führte.

Diese fundamental schädlichen Veränderungen bei der Organisation landwirtschaftlicher Betriebe fielen mit widrigen Wettermustern einschließlich Dürren und Überschwemmungen zusammen. Im Juli 1959 trat der Gelbe Fluss in Ostchina über die Ufer. Der Katastrophenzentrale zufolge tötete die Flut unmittelbar (entweder durch Verhungern wegen Missernten oder Ertrinken) geschätzt zwei Millionen Menschen, während andere Gebiete auf andere Art ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden.[12] Man kann dies als eine der todbringendsten Naturkatastrophen des 20. Jahrhunderts einstufen.[13]

Im Jahr 1960 fielen auf schätzungsweise 60 % der landwirtschaftlichen Flächen in Nordchina keinerlei Niederschläge.[14] Die Jahrbücher der Encyclopædia Britannica von 1958 bis 1962 berichten ebenfalls über ungewöhnliches Wetter, gefolgt von Dürren und Überschwemmungen. Dies schloss 760 mm Niederschlag bei einem fünftägigen Dauerregen in Hongkong im Juni 1959 ein, Teil eines Musters, welches das gesamte Südchina traf.

Als ein Resultat dieser Faktoren sank die Getreideproduktion in China Jahr für Jahr. Die Ernte ging im Jahr 1959 um 15 % zurück. Bis 1960 lag sie bei 70 % des Niveaus von 1958. Es gab keine Erholung bis im Jahr 1962 der „Große Sprung nach vorn“ endete.[15]

Der Arbeit des Wirtschaftswissenschaftlers und Experten für Hungersnöte, Amartya Sen zufolge, entstehen die meisten Hungersnöte nicht einfach durch niedrigere Nahrungsmittelproduktion, sondern auch aufgrund unpassender oder ineffizienter Nahrungsmittelverteilung, oft gepaart mit fehlender Information oder sogar Desinformation hinsichtlich des Ausmaßes des Problems. Im Fall dieser chinesischen Hungersnöte besaß die städtische Bevölkerung (unter den Diktaten des Maoismus) geschützte legale Anrechte auf eine gewisse Menge an Getreideverbrauch, während der ländlichen Bauernschaft keine derartigen Rechte gewährt worden und sie nicht-verhandelbaren Produktionsquoten unterworfen waren, von deren Überschuss sie überleben mussten. Da die örtlichen Beamten auf dem Lande darin miteinander wetteiferten, die Produktionsniveaus zu übertreiben, die ihre eigenen Gemeinden bei der Umsetzung der neuen ökonomischen Organisation erzielt hatten, verblieb den Bauern vor Ort immer weniger an Überschuss, wenn sie die Quoten erfüllen wollten, und schließlich gab es gar keinen Überschuss mehr. Als sie schließlich noch nicht einmal die erforderlichen Quoten zur Ernährung der Städte erzielten, wurden die bäuerlichen Landwirte zu Unrecht der Hortung, Geschäftemacherei und anderer konterrevolutionärer Aktivitäten seitens der Kommunistischen Partei Chinas beschuldigt, die die massiv aufgeblähten Produktionsschätzungen der örtlichen Parteiführer als Beweis anführte.

Als sich die Hungersnot verschlimmerte, verursachten diese Anschuldigungen ausgedehnte Gräueltaten seitens maoistischer Parteibeamter (einschließlich massiver Getreidekonfiszierungen, die Millionen von Bauern dem Verhungern preisgab), die versuchten, von ihrer Schuld an den schädlichen Veränderungen in der landwirtschaftlichen Politik und den massiven Überschätzungen der Getreideerträge abzulenken. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Hungersnot fast ausschließlich der Verschwörung von „Klassenfeinden“ und „unreformierten Kulak-Elementen“ unter den bäuerlichen Landwirten angelastet, von denen dreimal mehr am Verhungern waren als die städtische chinesische Bevölkerung.

Die örtlichen Parteiführer ihrerseits konspirierten, um Versäumnisse zu vertuschen und die Schuld auf andere zu schieben, um ihr eigenes Leben und Positionen zu schützen. Bei einem berühmten Beispiel wurde angekündigt, dass Mao Zedong eine örtliche landwirtschaftliche Kommune in der Provinz Shaanxi mitten in der größten Hungersnot besichtigten wollte, um die Bedingungen persönlich zu bewerten. In Vorbereitung seines Besuchs beorderten örtliche Parteibeamte hunderte von verhungernden Bauern, vorsichtig hunderttausende von Getreidehalme von Hand zu entwurzeln und dann von nahegelegenen Betrieben in ein „Musterfeld“ zu verpflanzen, welches anschließend Mao gezeigt wurde, als Beweis, dass die Ernte nicht misslungen war. Ähnlich der massiven sowjetisch-verursachten Hungersnot in der Ukraine (das Holodomor) wurde Ärzten verboten, „Verhungern“ als Todesursache auf den Totenscheinen anzuführen. Ein berühmtes Propaganda-Bild von der Hungersnot zeigt chinesische Kinder aus der Provinz Shandong, die scheinbar auf einem Weizenfeld stehen, das so dicht gewachsen ist, das es ihr Gewicht tragen kann. Tatsächlich standen sie auf einer Bank versteckt unterhalb der Pflanzen und das „Feld“ bestand vollständig aus einzeln transplantierten Halmen.

Ergebnis

Laut dem China Statistical Yearbook fiel die Getreideproduktion von 200 Millionen Tonnen (1958) auf 143,5 Millionen Tonnen (1960). Aufgrund des Nahrungsmittelmangels und dem damaligen Anreizsystem zum Heiraten, war die Bevölkerungszahl bei ca. 658.590.000 (1961) und damit ca. 13.480.000 weniger als 1959. Die Geburtenrate fiel von 2,922 % (1958) auf 2,086 % (1960) und die Sterberate stieg von 1,198 % (1958) auf 2,543 % (1960), während die durchschnittlichen Werte für 1962–1965 bei ca. 4 % bzw. 1 % lagen.

Die offiziell berichtete Sterberate wies in einigen Provinzen und Bezirken eine viel dramatischere Steigerung auf. So berichtete die Regierung beispielsweise für die Provinz Sichuan, der bevölkerungsreichsten Provinz Chinas, 11 Millionen Tote bei einer durchschnittlichen Bevölkerung von ca. 70 Millionen zwischen 1958 und 1961. Im Verwaltungsbezirk Huaibin berichtet die Regierung 102.000 Tote bei einer Bevölkerung von 378.000 (1960). Auf nationaler Ebene enthalten die offiziellen Statistiken ca. 15 Millionen sogenannte „excess deaths“ (deutsch: Übermäßige Tote) oder „abnormal deaths“ (deutsch: Ungewöhnliche Tote), die meisten aufgrund von Hungertod.

Yu Dehong, Sekretär eines Parteifunktionärs in Xinyang (1959 und 1960), behauptete,

I went to one village and saw 100 corpses, then another village and another 100 corpses. No one paid attention to them. People said that dogs were eating the bodies. Not true, I said. The dogs had long ago been eaten by the people.[10]
(Deutsch: Ich ging in ein Dorf und sah 100 Leichen, dann im nächsten Dorf weitere 100 Leichen. Niemand nahm Notiz von ihnen. Man sagte, dass die Hunde die Leichen fräßen. Das kann nicht sein, sagte ich, denn die Hunde sind längst von den Menschen gefressen worden).

Überwiegend wird die Auffassung vertreten, dass die Regierung den Todeszoll stark untertrieb: Lu Baoguo, ein Reporter in Xinyang der Zeitung Xinhua, erzählte Yang Jisheng darüber, warum er nie über seine Erfahrung berichtete:

In the second half of 1959, I took a long-distance bus from Xinyang to Luoshan and Gushi. Out of the window, I saw one corpse after another in the ditches. On the bus, no one dared to mention the dead. In one county, Guangshan, one-third of the people had died. Although there were dead people everywhere, the local leaders enjoyed good meals and fine liquor. … I had seen people who had told the truth being destroyed. Did I dare to write it?[10]
(Deutsch: In der zweiten Hälfte 1959 nahm ich einen Fernbus von Xinyang nach Luoshan und Gushi. Vom Fenster aus sah ich eine Leiche nach der anderen in den Straßengräben. Im Bus wagte keiner die Toten zu erwähnen. In einem Bezirk nämlich Guangshan waren ein Drittel der Bevölkerung gestorben. Obwohl überall tote Menschen waren, erfreuten sich die örtlichen Führer reichhaltiger Mahlzeiten und feinen Likörs. … Ich hatte Leute gesehen, die die Wahrheit aussprachen und vernichtet wurden. Durfte ich es wagen, dies zu schreiben?

Einige westliche Analysten wie beispielsweise Patricia Buckley Ebrey schätzen, dass ca. 20–40 Millionen Menschen den Hungertod gestorben sind, der durch schlechte Regierungspolitik und Naturkatastrophen verursacht war. J. Banister schätzt diese Zahl auf ca. 23 Millionen. Li Chengrui, ein ehemaliger Minister des National Bureau of Statistics of China (Nationalbüro für Statistik Chinas), schätzt 22 Millionen (1998). Seine Schätzung stützte sich auf Ansley J. Coale und Jiang Zhenghuas Schätzung von 27 Millionen. Cao Shuji schätzt 32,5 Millionen. Der soeben erwähnte Yang Jisheng (2008) schätzt den Todeszoll auf 36 Millionen.[16]

Der Historiker Frank Dikötter schätzt, dass mindestens 45 Millionen Menschen an Hunger, Überarbeitung und staatlicher Gewalt während des Großen Sprungs nach vorn starben.[4] Sowohl seine Annäherung an die Dokumente als auch sein Anspruch, der erste Autor zu sein, der diese nutzt, wurde jedoch von anderen Gelehrten in Frage gestellt.[17] Dikötters Studie betont ebenfalls, dass die staatliche Gewalt den Todeszoll verschärft hat. Er ist der Auffassung, dass mindestens 2,5 Millionen Opfer zu Tode geprügelt oder zu Tode gefoltert wurden.[18] Er gibt ein bildhaftes Beispiel davon, was mit einer Familie geschah, nachdem ein Familienmitglied wegen Diebstahls gefangen worden war:

Liu Desheng, guilty of poaching a sweet potato, was covered in urine … He, his wife, and his son were also forced into a heap of excrement. Then tongs were used to prise his mouth open after he refused to swallow excrement. He died three weeks later.[19]
(Deutsch: Liu Desheng, schuldig des Diebstahl einer Süßkartoffel, wurde mit Urin bedeckt … Er, seine Frau und sein Sohn wurden außerdem in einen Fäkalienhaufen gezwungen. Sodann wurden Zangen eingesetzt, um den Mund aufzubrechen, nachdem er sich geweigert hatte, Exkremente zu schlucken. Er starb drei Wochen später.)

Es gibt umfassende mündliche Berichte sowie einige offizielle Dokumentationen über Kannibalismus, der in verschiedenen Formen als Resultat der Hungersnot vorkam.[20][21][22] Aufgrund des Umfangs der Hungersnot wurde der daraus resultierende Kannibalismus als so noch nie in der Geschichte des 20. Jahrhunderts dagewesen beschrieben.[20][21]

Weitere Ansichten

Einige behaupten, dass die Hungersnöte in der Republikanischen Ära eine Sterberate von ca. fünf Millionen/Jahr verursachten, also die gleiche Rate wie bei der Großen Hungersnot. Die Hungersnot in Nordchina 1920–1921 beispielsweise verursachte 10 Millionen Tote.[23]

Der Hungersnot-Forscher Cormac Ó Gráda bemerkte, dass bereits vor der Großen Chinesischen Hungersnot Hungersnöte „wiederkehrende Charakteristika der chinesischen Geschichte während des vorausgehenden Jahrhunderts“ waren. Er stellte die „apokalyptische“ Natur solcher Hungersnöte fest, welche, die 'Große nordchinesische Hungersnot’ (1876–1879) eingeschlossen, schätzungsweise zwischen 9,5 und 13 Millionen Tote gefordert hatten. Indem er Yang Jisheng zitiert, hält Ó Gráda auch fest, dass zwischen 1920 und 1936 18,36 Millionen Menschen wegen Hungersnöten verursacht durch Missernten starben, während die 'Hungersnot von Henan' (1942) „ihren eigenen Katalog von Widerwärtigkeiten erzeugte“.[24]

Der frühere chinesische Dissident und politische Gefangene Minqi Li, Wirtschaftsprofessor an der University of Utah und Unterstützer maoistischer Politik[25][26] hat Daten erfasst, die zeigen, dass selbst die Spitzenwerte der Sterberaten während des Großen Sprungs nach vorn tatsächlich ziemlich typisch im vorkommunistischen China waren. Li argumentiert, dass auf Basis der Durchschnittssterberate über die drei Jahre des 'Großen Sprungs nach vorn' hinweg einige Millionen Leben weniger während dieser Periode starben als unter den normalen Mortalitätsbedingungen vor 1949.[27]

Amartya Sen stellt diese Hungersnot in einen globalen Kontext. Sein Buch Development as Freedom behauptet, dass der Hauptschuldige der Mangel an Demokratie ist. Er fügt hinzu, dass es „schwer vorstelltbar [ist], dass irgendetwas ähnliches in einem Lande geschehen könnte, wo an die Wahlurnen gegangen wird und wo es eine unabhängige Presse gibt. Während dieser fürchterlichen Katastrophe unterlag die Regierung keinerlei Druck durch Nachrichtenblätter, die kontrolliert wurden, und auch nicht von oppositionellen Parteien, die es nicht gab“.[28] Gleichwohl merkt Sen in seiner Arbeit Hunger and Public Action an, dass „trotz des gigantischen Ausmaßes übermäßiger Mortalität bei der chinesischen Hungersnot die außerordentliche Mortalität in Indien durch regulären Mangel bereits zu normalen Zeiten jene erheblich [übertrifft].“[29] Diese Auffassung spiegelt sich auch bei Noam Chomsky in Rogue States: The Rule of Force in World Affairs wider.[30]

Literatur

  • Ashton, Basil, Kenneth Hill, Alan Piazza, Robin Zeitz, "Famine in China, 1958-61", Population and Development Review, Vol. 10, No. 4. (Dec., 1984), pp. 613–645.
  • Banister, J. "Analysis of Recent Data on the Population of China", Population and Development, Vol. 10, No. 2, 1984.
  • Becker, Jasper (1998). Hungry Ghosts: Mao’s Secret Famine. Holt Paperbacks. ISBN 0-8050-5668-8
  • Cao Shuji, "The Deaths of China’s Population and Its Contributing Factors during 1959–1961". China’s Population Science (Jan. 2005) (In Chinese).
  • China Statistical Yearbook (1984), edited by State Statistical Bureau. China Statistical Publishing House, 1984. Pages 83, 141, 190.
  • China Statistical Yearbook (1991), edited by State Statistical Bureau. China Statistical Publishing House, 1991.
  • China Population Statistical Yearbook (1985), edited by State Statistical Bureau. China Statistical Bureau Publishing House, 1985.
  • Coale, Ansley J., Rapid Population Change in China, 1952–1982, National Academy Press, Washington, D.C., 1984.
  • Dikötter, Frank. Mao’s Great Famine: The History of China's Most Devastating Catastrophe, 1958–62. Walker & Company, 2010. ISBN 0-8027-7768-6.
  • Gao. Mobo (2007). Gao Village: Rural Life in Modern China. University of Hawaii Press. ISBN 978-0-8248-3192-9.
  • Gao. Mobo (2008). The Battle for China’s Past. Pluto Press. ISBN 978-0-7453-2780-8.
  • Jiang Zhenghua (蒋正华), "Method and Result of China Population Dynamic Estimation", Academic Report of Xi’a University, 1986(3). pp. 46, 84.
  • Li Chengrui(李成瑞): Population Change Caused by The Great Leap Movement, Demographic Study, No.1, 1998 pp. 97–111
  • Li. Minqi (2008). The Rise of China and the Demise of the Capitalist World Economy. Monthly Review Press. ISBN 978-1-58367-182-5
  • Peng Xizhe, "Demographic Consequences of the Great Leap Forward in China’s Provinces", Population and Development Review, Vol. 13, No.4. (Dec., 1987), pp. 639–670
  • Thaxton. Ralph A. Jr (2008). Catastrophe and Contention in Rural China: Mao’s Great Leap Forward Famine and the Origins of Righteous Resistance in Da Fo Village. Cambridge University Press. ISBN 0-521-72230-6
  • Yang, Dali. Calamity and Reform in China: State, Rural Society and Institutional Change since the Great Leap Famine. Stanford University Press, 1996.
  • Yang Jisheng. Tombstone (Mu Bei – Zhong Guo Liu Shi Nian Dai Da Ji Huang Ji Shi). Cosmos Books (Tian Di Tu Shu), Hongkong 2008.
  • Yang Jisheng. "Tombstone: An Account of Chinese Famine in the 1960s" (墓碑 - 中國六十年代大饑荒紀實 (Mubei – Zhongguo Liushi Niandai Da Jihuang Jishi)), Hong Kong: Cosmos Books (Tiandi Tushu), 2008, ISBN 978-988-211-909-3 (chinesisch). By 2010, it was appearing under the title: 墓碑: 一九五八-一九六二年中國大饑荒紀實 (Mubei: Yi Jiu Wu Ba – Yi Jiu Liu Er Nian Zhongguo Da Jihuang Shiji) ("Tombstone: An Account of Chinese Famine From 1958–1962").
  • Yang Jisheng. Tombstone: The Untold Story of Mao’s Great Famine, Yang Jisheng, Translators: Stacy Mosher, Guo Jian, Publisher: Allen Lane (30 Oct 2012), ISBN 978-1-84614-518-6 (English Translation of the above work)
    • Translated into English and abridged. Yang Jisheng, Tombstone: The Great Chinese Famine, 1958–1962, Farrar, Straus and Giroux (October 30, 2012), hardcover, 656 pages, ISBN 0-374-27793-1, ISBN 978-0-374-27793-2
  • Official Chinese statistics, shown as a graph.

Einzelnachweise

  1. Ó Gráda, Famine: A Short History, p.95
  2. Peng Xizhe (彭希哲), "Demographic Consequences of the Great Leap Forward in China’s Provinces," Population and Development Review 13, no. 4 (1987), 639–70.
    For a summary of other estimates, please refer to Necrometrics
  3. Arifa Akbar: Mao’s Great Leap Forward 'killed 45 million in four years' In: The Independent, 17. September 2010. Abgerufen am 20. September 2010 
  4. a b Dikötter, Frank. Mao’s Great Famine: The History of China’s Most Devastating Catastrophe, 1958–62. Walker & Company, 2010. p. 333. ISBN 0-8027-7768-6
  5. Jonathan Mirsky: Unnatural Disaster: 'Tombstone: The Great Chinese Famine, 1958–1962,' by Yang Jisheng In: The New York Times Sunday Book Review, 9. Dezember 2012, S. BR22. Abgerufen am 7. Dezember 2012 
  6. Different Life of Scientist Yuan Longping. Guangming Daily, 22. Mai 2007, abgerufen am 16. März 2012 (chinesisch).
  7. Jisheng, Yang "Tombstone: The Great Chinese Famine, 1958–1962". Book Review. New York Times. Dec, 2012. March 3, 2013. http://www.nytimes.com/2012/12/09/books/review/tombstone-the-great-chinese-famine-1958-1962-by-yang-jisheng.html
  8. Sue Williams (director), Howard Sharp (editor), Will Lyman (narrator): China: A Century of Revolution. Hrsg.: WinStar Home Entertainment. 1997.
  9. Famine in China. In: Demeny, Paul; McNicoll, Geoffrey (Hrsg.): Encyclopedia of Population. 1. Auflage. Macmillan Reference USA, New York 2003, ISBN 978-0-02-865677-9, S. 388–390.
  10. a b c Translation from "A hunger for the truth: A new book, banned on the mainland, is becoming the definitive account of the Great Famine.", chinaelections.org, 7 July 2008 of content from Yang Jisheng, 墓碑 --中國六十年代大饑荒紀實 (Mu Bei – - Zhong Guo Liu Shi Nian Dai Da Ji Huang Ji Shi), Hong Kong: Cosmos Books (Tian Di Tu Shu), 2008, ISBN 978-988-211-909-3 (chinesisch)
  11. Michael Lynch: The People’s Republic of China, 1949–76. second Auflage. Hodder Education, London 2008, S. 57.
  12. The Most Deadly 100 Natural Disasters of the 20th Century. Abgerufen am 8. Dezember 2013.
  13. Top 10 Deadliest Natural Disasters. 7. September 2007, abgerufen am 8. Dezember 2013.
  14. Henry C K Liu: Part 2: The Great Leap Forward not all bad, Asia Times online, 1. April 2004 
  15. Justin Yifu Lin, Dennis Tao Yang: Food Availability, Entitlements and the Chinese Famine of 1959–1961. In: The Economic Journal. 110. Jahrgang, Nr. 460. Royal Economic Society, 2000, S. 136–158, doi:10.1111/1468-0297.00494.
  16. "A hunger for the truth: A new book, banned on the mainland, is becoming the definitive account of the Great Famine.", chinaelections.org, 7 July 2008
  17. Dillon, Michael. "Collective Responsibility" The Times Literary Supplement January 7 (2011), p. 13.
  18. Dikötter, Frank. Mao’s Great Famine: The History of China’s Most Devastating Catastrophe, 1958–62. Walker & Company, 2010. p. 298. ISBN 0-8027-7768-6
  19. Issac Stone Fish. Greeting Misery With Violence. Newsweek. 26. September 2010.
  20. a b Richard Bernstein: Horror of a Hidden Chinese Famine, New York Times, 5. Februar 1997 
  21. a b Jasper Becker: Hungry Ghosts: Mao’s Secret Famine. Free Press, 1997, ISBN 978-0-684-83457-3, S. 352.
  22. Frank Dikötter: Mao’s Great Famine: The History of China’s Most Devastating Catastrophe, 1958–62. 2010, ISBN 978-0-8027-7768-3, 36. Cannibalism, S. 320–323.
  23. Ren Bumei, Reconsideration before a Disaster: Restate the Catastrophism («在一场大灾变前的反思——重申“灾变论”»)
  24. Ó Gráda, Cormac: Great Leap into Famine? – Ó Gráda’s review of Dikötter book, China Study Group, 15. März 2011 
  25. The New Left in China – Interview with Minqi Li 
  26. The Rise of the Working Class and the Future of the Chinese Revolution 
  27. Li. Minqi: The Rise of China and the Demise of the Capitalist World Economy. Monthly Review Press, 2008, ISBN 978-1-58367-182-5.
  28. Amartya Kumar Sen: Development as freedom. Oxford University Press, 1999, ISBN 978-0-19-289330-7 (google.com [abgerufen am 14. April 2011]).
  29. Jean Dreze and Amartya Sen: Hunger and public action. Clarendon Press, 1989, S. 215 (ucsb.edu [PDF; abgerufen am 14. Januar 2013]).
  30. Chomsky, Noam (2000): Rogue States: The Rule of Force in World Affairs, pp. 177–78, Pluto Press, ISBN 978-0-7453-1708-3.