Hugo Helbing

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Im Gebäude Liebigstr. 21/Ecke Wagmüllerstr. 15 in München befanden sich die Räume des Auktionshauses Helbing.
Eines der Gemälde, das vom Auktionshaus Hugo Helbing verkauft wurde: Carl Schuchs Wald mit gefällten Bäumen aus dem Jahre 1868.

Hugo Helbing (* 23. April 1863 in München; † 30. November 1938 ebenda)[1] war ein deutscher Kunsthändler und Auktionator.

Die Kunsthandlung Helbing

Helbing war ein Sohn von Sigmund Helbing, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts in München ein Antiquitätengeschäft führte. Auch dessen Söhne wurden in diesem Bereich tätig: Otto Helbing hatte eine angesehene Münzhandlung in München, sein Bruder Ludwig eröffnete ein Antiquitätengeschäft in Nürnberg, und Hugo Helbing gründete 1885 in München die Kunsthandlung Hugo Helbing.[2]

Ab 1906 führte Helbing das Unternehmen gemeinsam mit weiteren Mitinhabern, darunter sein Sohn Fritz aus erster Ehe.[1] Das international renommierte Haus hatte Filialen in Berlin und Frankfurt, und Helbing wurde zum Kommerzienrat ernannt.[3] Die mehrtägigen Auktionen Helbings in Zusammenarbeit mit Paul Cassirer ab 1916 bis in die 1920er Jahre hinein galten als gesellschaftliche Ereignisse und waren „ein Stück Kulturgeschichte unseres Jahrhunderts“.[4][5] Allein zwischen 1930 und 1935 gab das Auktionshaus Helbing 123 Versteigerungskataloge heraus und zählte damit zu den größten Auktionshäusern jener Zeit.[3]

Der Antiquar Max Ziegert porträtierte Helbing in seinen Erinnerungen:

„Der Mann ist ein Faktor im Kunstleben Münchens und weiß das auch. Wenn ich geschäftlich mit ihm zu tun hatte, kam ich mir immer wehrlos vor. Er war mir so über, daß ich einfach ja sagen mußte, wenn er etwas haben wollte. Er vergewaltigte einen mit der größten Liebenswürdigkeit und Urbanität […]“

Max Ziegert: Schattenrisse deutscher Antiquare – Persönliche Erinnerungen aus den Jahren 1870 bis 1915[6]

Familie

Helbing heiratete in erster Ehe Sophie, geborene Liebermann, und hatte mit ihr zwei Söhne, Rudolf und Friedrich David (Fritz). Rudolf verstarb als Säugling; Sohn Fritz, der am 16. Dezember 1888 in München geboren wurde, war drei Mal verheiratet, blieb aber kinderlos. 1926 heiratete Hugo Helbing seine zweite Frau Lydia Ludwina, geborene Vorndran, geboren am 10. April 1884 in Würzburg.[1]

Ab 1908 fungierte Helbing als Vormund seines Neffen Fritz Nathan, Sohn seiner Schwester Irene, der mit 13 Jahren Vollwaise geworden war.[2]

Während der Zeit des Nationalsozialismus

Im März 1933, kurz nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten, wurde die Auktion „Gemälde alter und neuer Meister“ im Düsseldorfer Palast-Hotel[7], die von Helbing gemeinsam mit dem Kunsthändler Alfred Flechtheim und der Galerie Paffrath organisiert worden war, von der SA abgebrochen. Der Galeriebesitzer wurde wegen der jüdischen Herkunft von Helbing und Flechtheim zu diesem Abbruch gezwungen, und die Werke „entarteter Kunst“ wurden beschlagnahmt. Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen schreibt dazu: „Derartige Störungen gegenüber Kunsthändlern waren nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten üblich. Aktionen wie die in der Galerie Paffrath wurden vom ‚Kampfbund für deutsche Kultur‘ unter der Leitung Alfred Rosenbergs durchgeführt.“[8] Flechtheim war selbst nicht anwesend, als die Auktion abgebrochen wurde; er sei „regelrecht zusammengebrochen“, als er davon erfuhr. Er verließ Deutschland im Oktober 1933 und starb vier Jahre später in London.[9]

1935 wurde Helbing, weil er Jude war, die Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste entzogen und damit erlosch auch seine Versteigerungserlaubnis. Helbing hatte versucht, die große wirtschaftliche Bedeutung seines Unternehmens anhand der Auflistung seiner Umsätze beim Bayerischen Staatsministerium, Abteilung für Handel, Industrie und Gewerbe, nachzuweisen, doch die Reichskammer lehnte eine weitere Erteilung der Versteigerungserlaubnis „im Hinblick auf Versteigerungsvorschriften“ ab.[3] Seine Geschäfte musste er fortan von einem „arischen“ Mitarbeiter führen lassen; die weiteren jüdischen Miteigentümer mussten ausscheiden.[3]

Am 9. November 1938 wurde die Kunsthandlung Helbing geschlossen und der Mitarbeiter der Reichskammer der bildenden Künste Max Heiss als „Treuhänder“ eingesetzt.[1][10] Helbing selbst wurde am gleichen Tag bei den Ausschreitungen der „Reichspogromnacht“ in seiner Wohnung vor den Augen seiner Frau zusammengeschlagen.[11] Er wurde mit einer Schubkarre in das Israelitische Krankenheim gebracht, jede ärztliche Hilfe kam jedoch zu spät. Am 30. November 1938 erlag der 75-jährige zuhause seinen schweren Verletzungen.[3][12] Sein Sohn Fritz und dessen dritte Ehefrau Doris, geborene Goldstein, wurden 1942 oder 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet.[13]

Nach Helbings Tod

Der Kunstmarkt in München wurde ab 1936 von dem NSDAP-Mitglied Adolf Weinmüller beherrscht, der als Vorsitzender des Bundes deutscher Kunst- und Antiquitätenhändler mit dafür verantwortlich war, dass Helbing nicht mehr im Kunsthandel und als Auktionator tätig sein konnte. Er hatte zuvor aktiv an dem „Gesetz über das Versteigerungsgewerbe“ mitgearbeitet, das die systematische Ausschaltung jüdischer Kunsthändler und Antiquare zum Ziel hatte.[14]

Helbings Witwe Lydia gab 1956 im Wiedergutmachungsverfahren an, der „Treuhänder“ Heiss habe auch Kunstobjekte, die im Familienbesitz gewesen seien, aus der Privatwohnung in die Kunsthandlung überstellen lassen. Bei der Testamentseröffnung habe Heiss erklärt, dass die Firma im Auftrag der NSDAP binnen weniger Stunden geschlossen werde, falls Lydia Helbing und Sohn Fritz das Erbe antreten würden; beide schlugen es daraufhin aus.[1] Heiss „arisierte“ die Firma Helbing durch den Verkauf an Jakob Scheidwimmer, NSDAP-Mitglied seit 1929,[15] für 30.000 Reichsmark. 1939/40 verkaufte er die Grundstücke Helbings in München.[1]

Scheidwimmer erhielt allerdings keine Versteigerungserlaubnis und führte das Geschäft als reine Kunstgalerie weiter.[16] Er veräußerte Kunstgegenstände, auch aus Helbings Privatbesitz, unter anderem an Martin Bormann, so etwa das Gemälde Straße am Golf von Neapel von Oswald Achenbach für das als „Führerresidenz“ vorgesehene Residenzschloss Posen.[17] 1957 wurde den Erben Helbings aufgrund eines Vergleichs für die aus dem Privatbesitz entnommenen Gemälde ein Schadenersatz von 5000 Mark zugesprochen.[1]

Helbings Neffen Fritz Nathan gelang es 1936, mit seiner Familie in die Schweiz zu emigrieren und sich dort eine neue Existenz als angesehener Kunsthändler aufzubauen.[2]

Literatur

Weblinks

Commons: Hugo Helbing – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. a b c d e f g Provenienzrecherche – Oswald Achenbach. Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, abgerufen am 28. Dezember 2013.
  2. a b c Götz Adriani: Die Kunst des Handelns. Meisterwerke des 14. bis 20. Jahrhunderts bei Peter und Fritz Nathan. Hatje Cantz Verlag, 2005, ISBN 3-7757-1658-0, S. 269 (online [abgerufen am 28. Dezember 2013]).
  3. a b c d e Auktionshäuser in München. arthistoricum.net, abgerufen am 28. Dezember 2013.
  4. Georg Brühl: Die Cassirers, Streiter für den Impressionismus. Leipzig 1991, S. 162., zitiert nach: Anja-Walter Ries: Die Geschichte der Galerie Nierendorf. Kunstleidenschaft im Dienst der Moderne Berlin/New York 1920–1995. Phil. Diss. FU Berlin, 2003, abgerufen am 29. Dezember 2013.
  5. Julia Voss: Die Pogrome und der Kunstbetrieb. 9. November. Frankfurter Allgemeine, 9. November 2013, abgerufen am 28. Dezember 2013.
  6. Max Ziegert: Schattenrisse deutscher Antiquare – Persönliche Erinnerungen aus den Jahren 1870 bis 1915. Verband Deutscher Antiquare e. V., Elbingen 2009, ISBN 978-3-9812223-3-3. Zitiert nach: „Wo man hintappt, trifft man auf Gestalten“ - 19th century antiquarian book dealers seen through the eyes of a colleague. International League of Antiquarian Booksellers, abgerufen am 29. Dezember 2013.
  7. Gemälde alter und neuer Meister und Skulpturen : aus rheinischem, Berliner und ausländischem Museums- und Privatbesitz - darunter Bildnisse u. a. aus dem ehemaligen Palais Radziwill in Berlin. OCLC World Cat, abgerufen am 2. Januar 2014.
  8. Provenienzrecherche - Franz Stuck von. Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, abgerufen am 1. Januar 2014.
  9. Auktionen. Alfred Flechtheim.com, abgerufen am 2. Januar 2014.
  10. Max Heiss (1904–1971) war von 1954 bis 1969 Leiter des Münchner Stadtmuseums. Siehe: Komplizen des Systems. In: Die Welt. 20. Mai 2012, abgerufen am 29. Dezember 2013. Laut Hopp handelt es sich dabei jedoch um zwei verschiedene Personen, den Kunstmaler und Nationalsozialisten Max Heiss (1904–1971), der später Leiter des Stadtmuseums wurde, und den Kunsthändler, Nationalsozialisten und Freund des Gauleiters Adolf Wagner, Max Heiss (1891–1962), der im Mai 1939 offiziell zum Abwickler der Kunsthandlung Helbing bestellt wurde. Meike Hopp: Kunsthandel im Nationalsozialismus: Adolf Weinmüller in München und Wien, 2012, S. 84, Fn. 254, S. 85–95 passim
  11. Michael Mertes: „Es kam von Innen“. Konrad-Adenauer-Stiftung, 8. November 2013, abgerufen am 28. Dezember 2013.
  12. Laut Sterbeurkunde verstarb Helbing (nach dem Krankenhausaufenthalt, da man im Krankenhaus nichts mehr für ihn tun konnte) in seiner Wohnung in der Wagmüllerstraße 15. Meike Hopp: Kunsthandel im Nationalsozialismus: Adolf Weinmüller in München und Wien, 2012, S. 84, Fn. 253
  13. Provenienzrecherche - Lukas d.Ä. Cranach. Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, abgerufen am 28. Dezember 2013.
  14. Die heutige Inhaberin des früheren Kunstauktionshauses Weinmüller (heute Neumeister Münchner Kunstauktionshaus), Katrin Stoll, gab eine Studie zur Geschichte ihres Unternehmens in der NS-Zeit in Auftrag, die 2012 von Meike Hopp veröffentlicht wurde.
  15. Cassirer and Cohen - draft family genealogy - Person Sheet. genealogy.metastudies.net, abgerufen am 28. Dezember 2013 (englisch).
  16. Meike Hopp: Kunsthandel im Nationalsozialismus: Adolf Weinmüller in München und Wien. 2012, S. 95–98.
  17. Scheidwimmer spielte auch bei weiteren Verkäufen von Kunst aus jüdischem Besitz eine unrühmliche Rolle. Besonders bekannt wurde der Fall eines Bild von Camille Pissarro, Rue Saint-Honoré am Nachmittag bei Regen, das ihm 1939 Lilly Cassirer-Neubauer gezwungenermaßen für 900 Reichsmark überlassen musste, um ein Ausreise-Visum zu erhalten. Das Gemälde hängt heute im Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid, sein Wert wird auf 20 Millionen Dollar geschätzt. Siehe: Spain stands off grandson, who fled Nazis to Casablanca and Cleveland, over Pissarro painting sold by Thyssen heir. In: The Los Angeles Times. 12. April 2010, abgerufen am 29. Dezember 2013 (englisch). Weitere Fälle, an denen Scheidwimmer beteiligt war: Sozietät Scheidwimmer. Deutsches Historisches Museum, abgerufen am 31. Dezember 2013.