Kanzel

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 7. Oktober 2016 um 19:26 Uhr durch Sokkok (Diskussion | Beiträge) (→‎Literatur: + wikilink). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Ambo Heinrichs II., „Heinrichskanzel“ genannt, im Aachener Dom

Die Kanzel ist ein erhöhter Ort in Kirchen, Synagogen und Moscheen, von dem aus der Geistliche das Wort Gottes verkündigt und die Predigt hält.

Die Kanzel in christlichen Kirchen

Wendalinusbasilika in St. Wendel, Steinkanzel von (1462)

Das Wort stammt von lat. cancelli „Gitter, Schranken“. In der Frühzeit des Christentums war nämlich als Predigtort der Ambo in der Nähe der Schranken zwischen Chorraum und Kirchenschiff aufgestellt.

Kanzel des Stephansdoms in Wien, 1510/15

Die Kanzel als Empore im Dienst der Homilie ist eine Erfindung der Prediger-(Bettel-)Orden des 13. Jahrhunderts. Je größer die Kirchen wurden und je mehr Bedeutung man der Predigt zumaß, desto höher wurden die Kanzeln und desto kunstvoller wurden sie figürlich und ornamental ausgestaltet. Grundbestandteile sind der mitunter mit einem Lesepult versehene, dekorativ gestaltete Kanzel-Korpus von polygonalem, meist oktogonalem Grundriss, der auf einem Fuß oder Träger ruht und zu dem entweder im Kircheninnern selbst oder an der Außenwand eine Treppe hinaufführt, und der ebenfalls oftmals dekorativ gestaltete Schalldeckel, der optisch mit einer Rückwand mit dem Kanzel-Korpus verbunden sein kann. Treppe und Kanzel-Korpus sind in der Regel durch eine Tür getrennt.

Die Stellung der Kanzel im Raum wurde unterschiedlich gehandhabt; akustische Gründe können den Ausschlag gegeben haben, aber auch gegebenenfalls das künstlerische Gesamtkonzept. Oft ist die Kanzel im vorderen Drittel oder in der Mitte des Hauptschiffs angebracht, angebaut an eine Säule oder zwischen zwei Säulen oder – bei kleineren Kirchen – an der Längswand errichtet, zumeist auf der Epistelseite, also im Süden des Kirchenbaus. Gegenüber der Kanzel findet man auf der anderen Seite des Kirchenschiffes häufig ein (größeres) Kruzifix.

Kanzel des Bremer Doms, Einbau nach der Wieder- eröffnung als lutherische Predigtkirche 1638
Rokoko-Kanzel, Klosterkirche Gutenzell
Kloster- und Dorfkirche Neuenwalde, evangelisch seit 1571: Altar, Lesepult, Kanzel

Durch die Reformation wuchs die Bedeutung der Predigt, in vielen Kirchen wurden daraufhin aufwendige Kanzeln angeschafft. In evangelischen Kirchen die in der Barockzeit errichtet wurden, fand vielfach ein Kanzelaltar Einzug: Die Kanzel ist über dem Altar an der inneren Stirnwand der Kirche angebracht und mit ihm in eine einzige Konstruktion eines ein- oder mehrgeschossigen Altarretabels integriert. Dies symbolisiert die Gleichwertigkeit von Wort und Sakrament.

Auch in katholischen Kirchen gewann der Predigtort nach dem Trienter Konzil an plastischer und räumlicher Prominenz, besonders im 17. Jahrhundert.[1]

Außenkanzel mit Schalldeckel am Dom von Prato in Italien

Häufigstes Baumaterial der Kanzel ist Holz oder Stein. Die in der Regel gefassten Dekorelemente sind zumeist ebenfalls aus Holz geschnitzt oder Stein gehauen, aber auch aus Stuck geformt. Das figürliche Programm des Kanzel-Korpus weist zumeist die vier Evangelisten oder die vier westlichen Kirchenlehrer (Gregor der Große, Ambrosius von Mailand, Augustinus von Hippo und Hieronymus) auf. Der Schalldeckel wird oft von einer Christusfigur oder von Symbolen für Christus bekrönt, umgeben von Putten mit den Leidenswerkzeugen; in der Gegenreformation und Barockzeit ersetzt der drachenbesiegende Engel die Christusfigur. An der Unterseite des Schalldeckels, also unmittelbar über dem Prediger, ist fast immer eine Taube als Symbol für den Heiligen Geist angebracht.

Eine kunsthistorische Sonderform bildet die sogenannte Schiffsbrückenkanzel. Der Korpus in Form eines Schiffsrumpfes ist zumeist ohne Träger an der Wand befestigt. Dekor sind Fischernetze am Korpus und Takelage an oder als Schalldeckel.

In katholischen Kirchen werden Kanzeln, soweit noch vorhanden, heute nur noch selten gebraucht, weil die Liturgiereform des II. Vatikanischen Konzils die Messliturgie neu gestaltete. Größere Bedeutung erhielt wieder der Ambo, ein erhöhter Ort, von dem aus das Wort Gottes sowohl verlesen als auch in der Predigt ausgelegt wird. Waren mittelalterliche Ambonen eher Kanzeln ohne Schalldeckel, so steht ein heutiger Ambo meist am vorderen Rand der erhöhten Altarinsel als ein oft einfach zweckentsprechendes, manchmal allerdings auch künstlerisch gestaltetes Pult.

Bei Messen im tridentinischen Ritus wird jedoch oft noch von der Kanzel gepredigt.

Insbesondere an Wallfahrtskirchen entstanden Außenkanzeln, um bei großem Andrang von Wallfahrern von dort aus predigen und die Reliquien zeigen zu können. Die Außenkanzel kann sowohl vom Kircheninneren über eine Tür als auch über eine eigene Außentreppe zugänglich sein. Anstelle einer Kanzel kann auch ein offener Altan oder ein Balkon über einem Portal dem gleichen Zweck dienen und wird dann ebenso Außenkanzel genannt.

Die Kanzel in Moscheen

Literatur

  • Peter Poscharsky: Die Kanzel. Erscheinungsform im Protestantismus bis zum Ende des Barocks, Gütersloh 1963.
  • Agnes Huck: Die Kanzel in der Kirche von Reichenbach. Daten zur Altersbestimmung. In: Reichenbacher Blätter (1987), H. 5, S. 82–83. (Datierung der Kanzel in der ev. Kirche zu Reichenbach auf etwa 1650).
  • Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. 17, de Gruyter 1988, ISBN 3-11-011506-9 oder ISBN 978-3-11-011506-2.
  • Gerhard Seib: Zwei Holzkanzeln aus dem Reformationszeitalter in Nordhessen. In: Denkmalpflege & Kulturgeschichte (2002), H. 2, S. 60–61. (Die besprochenen Kanzeln befinden sich in der evangelischen Totenkirche von Burghaun-Rothenkirchen und in der evangelischen Pfarrkirche von Sontra-Ulfen).
  • Ralf van Bühren Kirchenbau in Renaissance und Barock. Liturgiereformen und ihre Folgen für Raumordnung, liturgische Disposition und Bildausstattung nach dem Trienter Konzil. In: Operation am lebenden Objekt. Roms Liturgiereformen von Trient bis zum Vaticanum II, hrsg. von Stefan Heid, Berlin 2014, S. 93–119 – Volltext online.
  • Lexikon für Theologie und Kirche (LThK), Bd 5, Albert Damblon 2009, ISBN 978-3-451-22100-2.
  • Gerhard Seib: Die Kanzel in Altenlotheim. Ein unbekanntes Werk des waldeckischen Bildhauers und Formschneiders Jost Schilling. In: Hessische Heimat, Bd. 58 (2008), H. 1, S. 18–21.
  • Gerhard Seib: Die untergegangene barocke Kanzel der Kirche des ehemaligen Minoritenklosters in Fritzlar. In: Hessische Heimat, Bd. 60 (2010), H. 1, S. 23–27.
  • Götz J. Pfeiffer: „Zur Ehre Christi und der Kirche“. Die Kanzel von 1600 in der ev. Marienkirche zu Gelnhausen. In: Gelnhäuser Heimat-Jahrbuch, Bd. 2011 (2010), S. 61–63.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Bühren 2014, S. 114 f.

Siehe auch

Weblinks

Commons: Kanzel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Kanzel – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen