Ludwig Sprauer

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Ludwig Sprauer (* 19. Oktober 1884 in Heidelberg; † 24. Juni 1962 in Achern) war ein deutscher Mediziner und zur Zeit des Nationalsozialismus höchster Medizinalbeamter in Baden.

Leben

Sprauer, Sohn des Staatsbahn-Güterverwalters Karl August Sprauer, begann seine Schulzeit an einer Volksschule in Heidelberg. Anschließend besuchte er Gymnasien in Durlach sowie Karlsruhe und legte das Abitur 1902 ab. Sprauer absolvierte nach dem Abschluss seiner Schullaufbahn ein Studium der Medizin an den Universitäten Freiburg, Straßburg und Berlin, das er 1907 mit Staatsexamen abschloss.[1] Er promovierte zum Dr. med. Danach war er Assistenzarzt an der Heidelberger Kinderklinik, dem Freiburger Diakonissenhaus und in der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch beschäftigt. Von 1910 bis 1918 war er als Allgemeinmediziner in Staufen im Breisgau tätig. Sprauer trat 1919 in den Staatsdienst ein und war unter der Amtsbezeichnung Medizinalrat bis 1933 als Anstaltsarzt am Landesgefängnis in Mannheim (1919-1920) und als Bezirksarzt in Stockach (1920-1925), Oberkirch (1925-1930) und Konstanz (1930-1934) beschäftigt.

Im Zuge der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wurde Sprauer am 1. Februar 1933 Mitglied der NSDAP und war vorübergehend Stadtrat in Konstanz, bevor er 1934 als Nachfolger Theodor Pakheisers mit der Leitung der Gesundheitsabteilung im Badischen Innenministerium betraut wurde.[2] Bald nach seinem Amtsantritt wurde er zum Obermedizinalrat befördert.[3] Sprauer wurde 1938 zum Regierungsdirektor ernannt und später bis zum Ministerialrat befördert. Er war in dieser Funktion oberster Medizinalbeamter in Baden und hatte seinen Dienstsitz in Karlsruhe.

Beteiligung an der NS-Euthanasie

Sprauer war ein Befürworter des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Im Oktober 1939 wurde Sprauer durch Herbert Linden mit Hinweis auf Geheimhaltung die geplante Aktion T4 sowie die damit einhergehende Erfassung Kranker auf Meldebögen bekannt gegeben und zur Mitarbeit verpflichtet. Sprauer oblag schließlich die administrative Durchführung des „Euthanasie“-Programms in Baden. Mit Vertraulichkeitsvermerk wurde Ende November 1939 vom Badischen Innenministerium ein Erlass an die badischen Anstalten verschickt, der den Einrichtungen die Verlegung einer „größeren Anzahl“ ihrer Insassen ankündigte. Danach wurden die Leiter der staatlichen Anstalten durch Sprauer über die Aktion T4 in Kenntnis gesetzt. Sprauer autorisierte nach Auswertung der Meldebögen im Auftrag des Badischen Innenministeriums die Transportlisten der zur Verlegung in NS-Tötungsanstalten bestimmten Anstaltsinsassen. Auf Sprauers Anregung wurde der Mediziner Arthur Schreck im Februar 1940 zum T4-Gutachter bestellt. Schreck gab während einer Nachkriegsaussage zu, insgesamt 15.000 Meldebögen gesichtet und dabei 8.000 Patienten zur Tötung vorgeschlagen zu haben. Insgesamt wurden von Februar bis Dezember 1940 mindestens 4.500 Badener Anstaltsinsassen in der NS-Tötungsanstalt Grafeneck ermordet.[4] Der Obermedizinalrat Otto Mauthe sagte nach Kriegsende aus, dass er mit Sprauer, Linden und Stähle bei der Vergasung eines Frauentransportes anwesend war und alle dabei zusahen. Sprauer arbeitete auch an dem Entwurf zum nicht in Kraft getretenen Euthanasiegesetz mit.[2] Ab 1943 führte Sprauer den Titel Professor.[5]

Nachkriegszeit

Nach Kriegsende gab Sprauer am 23. April 1946 gegenüber Robert Kempner in Nürnberg eine Eidesstattliche Erklärung ab und äußerte sich dort unter anderem folgendermaßen: „Die unheilbaren Geisteskranken sollten aus wehrpolitischen Gründen, um Platz zu machen[,] beseitigt werden“.[6] Sprauer musste sich schließlich gemeinsam mit dem Euthanasiearzt Arthur Schreck wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Beihilfe zum Mord vor dem Schwurgericht des Landgerichts Freiburg verantworten.[7] Verfahrensgegenstand war die Teilnahme an den NS-Euthanasieverbrechen in Baden aufgrund entsprechender Verwaltungsvorbereitungen, Einweisung der Anstaltsleiter, T4-Gutachtertätigkeiten, Aussonderung von zur Tötung bestimmter behinderter Menschen in der NS-Tötungsanstalt Grafeneck, Leitung einer „Kinderfachabteilung“ und Tötung von Kindern durch Luminal.[8] Am 16. November 1948 wurde Sprauer zu einer lebenslänglichen Haftstrafe und Schreck zu lebenslänglich zuzüglich zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Revision wurde die Haftstrafe von Schreck auf zwölf Jahre und jene von Sprauer auf elf Jahre Zuchthaus reduziert. Beiden wurde zugutegehalten, dass sie „nach ihrer charakterlichen Veranlagung keine Verbrecher“ seien und „in einem geordneten Staat nicht zum Verbrecher geworden wären. Sie sind beide der Rechtsordnung des nationalsozialistischen Staates erlegen“.[9]

Die Strafverbüßung von Sprauer wurde 1951 durch Gnadenerlass ausgesetzt. Er erhielt ab Juli 1954 als monatliche Unterhaltszahlung 450 DM und im Januar 1955 den Bescheid, nicht für die Gerichtskosten aufkommen zu müssen. Bei Schreck wurde ähnlich verfahren. Sprauer nahm seinen Wohnsitz in Konstanz.[2]

Literatur

Einzelnachweise

  1. Fritz Bauer: Justiz und NS-Verbrechen: Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945–1966, Band 6, S. 484.
  2. a b c Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2007, S. 592.
  3. Karlsruher Stadtlexikon, S. 360. (PDF; 419 kB)
  4. monocooltour SchwarzT: Sie leben in ihrem eigenen Zoo: Weisheitstherapie f. Patient Gesellschaft, 2012, S. 22.
  5. Peter Sander: Verwaltung des Krankenmordes - Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus, Gießen 2003, S. 742.
  6. Zitiert bei: Peter Sander: Verwaltung des Krankenmordes - Der Bezirksverband Nassau im Nationalsozialismus, Gießen 2003, S. 512. (PDF; 1,8 MB)
  7. Euthanasie - Listen mit roten Kreuzen. In: Der Spiegel, Ausgabe 20 vom 18. Mai 1950, S. 8f.
  8. Justiz- und NS-Verbrechen
  9. Ernst Klee: Was sie taten – Was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- oder Judenmord. Frankfurt am Main 2004, S. 206 f., S. 90.