St. Nicolai (Aue)

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Nicolaikirche: Westturm mit Hauptportal

Die evangelisch-lutherische Pfarrkirche St. Nicolai in Aue ist eine neugotische Hallenkirche im sächsischen Erzgebirge und das höchste Gebäude der Stadt.

Geschichte

Vorgängerbauten

Aue, dessen Ursprung in engem Zusammenhang mit dem 1173 gegründeten Klösterlein Zelle steht, wurde erstmals 1286 als eigenes Kirchspiel genannt und bis zur Reformation von dessen Augustiner-Chorherren-Mönchen versorgt. Das erste Kirchengebäude befand sich am früheren Kirchplatz (dem heutigen Neumarkt). Das Aussehen oder Urkunden sind nicht überliefert. In einem Visitationsprotokoll des Jahres 1544 werden zwei silberne und vergoldete Abendmahlskelche, zwei silberne Hostienteller, drei Messgewänder und zwei zinnerne Kannen als Ausstattungsstücke angegeben. Von 1625 bis 1628 ersetzte die Kirchengemeinde das Gotteshaus durch einen Neubau, den auch der sächsische Kurfürst Johann Georg I. finanziell unterstützt hatte. Der umgebende Kirchhof wurde an die Schwarzenberger Straße verlegt.

Alte Nicolaikirche (1895 abgerissen)

Die neue Kirche wurde jedoch bereits am 9. August 1633 durch einfallende kaiserliche Soldaten zusammen mit großen Teilen der Stadt zerstört.[1] Bis 1636 erfolgte ein notdürftiger Wiederaufbau der Kirche, 1639 konnten eine neue Kanzel, wahrscheinlich vom Schneeberger Bildhauer Johann Heinrich Böhme gefertigt, und 1643 neue in Zwickau gegossene Glocken eingeweiht werden. 1648 erhielt die Kirche einen neuen Taufstein aus Sandstein als Geschenk des Ehepaares Schöppel aus Auerhammer. Im Jahr darauf stifteten Auer Bürger eine neue Altartafel, die der Annaberger Kunstmaler Georg Ohm angefertigt hatte. Eine erste Orgel wurde um 1654 eingebaut. Bereits die Vorgängerbauten der heutigen Roten Kirche, wie sie wegen ihrer roten Backsteine auch genannt wird, waren dem Heiligen Nikolaus geweiht. Er gilt als Beschützer der Kaufleute, Schiffer und „allen vom Wasser bedrohten Menschen“.[1]

Vorbereitung und Bau des heutigen Kirchengebäudes

Die mehr als zweihundertjährige Nicolaikirche war Ende des 19. Jahrhunderts baufällig und für die schnell wachsende Bevölkerung zu klein geworden. Der Gemeindevorstand beschloss einen Neubau und sammelte ab 1883 Spenden. Die Bereitstellung von 300 Mark durch den Auer Lohgerbermeister Johann Christian Becher bildete den Anfang. Gleichzeitig musste ein geeignetes Baugelände gefunden werden. Nach langwierigen Verhandlungen einigte sich die Kirchengemeinde mit der Stadtverwaltung und dem Besitzer Pfefferküchler Fischer 1889 auf den heutigen Standort.[2] Hier mussten zwei Wohnhäuser abgetragen und ein Rest des alten Kirchhofs verlegt werden. Der felsige und teilweise sandige Boden sowie alte Schächte und ein Stollen vom Altbergbau ergaben komplizierte Vorbereitungsarbeiten.

Nachdem 1885 insgesamt 27.500 Mark zusammengekommen waren, begann die Abtragung des Gemäuers der alten Nicolaikirche. Die Fläche wurde begrünt und mit Kastanien bepflanzt. Eine steinerne Kugel, die den Eingang des abgetragenen Gebäudes schmückte, wurde später auf eine Stele gestellt und erhielt einen Platz im Lutherpark, dem ehemaligen Kirchhof hinter dem Neubau.

Ostseite: Chor mit Dachreiter

Der Dresdner Architekt Christian Gottfried Schramm (1857–1922), bereits 1886 durch den Kirchenvorstand und den Auer Bürgermeister Dr. Finck kontaktiert, erhielt nach einem Architektenwettbewerb und einer öffentlichen Ausstellung seines Modells den Auftrag für den Kirchenneubau.[2] Die Bauaufträge gingen an einen Baumeister aus Chemnitz sowie einen Steinmetz und einen Baumeister aus Aue. Am 27. Juli 1891 erfolgte unter großer Beteiligung der Bevölkerung die feierliche Grundsteinlegung für den Kirchenneubau. Die Gründungsurkunde, ein aktuelles Adressbuch aus Aue, der Grundriss der neuen Kirche, je eine Ausgabe der Auerthal-Zeitung und des Erzgebirgischen Volksfreundes, einige Münzen und das Festprogramm der Grundsteinlegung kamen in die Kassette. Das gesamte Fundament wurde aus statischen Gründen aus Granit gefertigt. Bereits am 15. Januar 1892 fand die Hebefeier (das Richtfest) statt. Am 4. Dezember 1892 wurden die von G. A. Jauck in Leipzig gegossenen drei As-Dur-Glocken geweiht, die zusammen 5055 kg wogen (10, 5 und 3 Zentner).[3] Die Glocken der alten Nicolaikirche sollen dafür in Zahlung gegeben worden sein. Zwei andere Quellen (Die Festschrift 1993 und Dr. R. Steche[4]) berichten dagegen, dass bei der Einweihung die Glocken beider Nicolaikirchen nach dem Abschiedsgottesdienst beim Umzug der Gemeinde zum Neubau läuteten.[5] Eine der 1643 gegossenen Glocken soll nach dem Abbruch des alten Gebäudes auf den Rathausturm gebracht worden sein.[3] Nachdem auch der Innenraum fertiggestellt worden war, wurde die Nicolaikirche am 3. September 1893 eingeweiht.[5]

Renovierungen

1951, im Zusammenhang mit der Anfertigung und der Installation neu gegossener Glocken, erfolgte unter Leitung von Johannes Höra eine erste umfassende Renovierung. Ein großer Teil der Wandmalereien wurde dabei weiß übermalt. Die Kuppel des Hauptraumes, ursprünglich als Sternenhimmel gestaltet,[6] erhielt zwischen den Rippenbögen ebenfalls einen weißen Anstrich.

Im Jahr 1978 beschädigte ein Dachstuhlbrand, der von der Feuerwehr noch rechtzeitig unter Kontrolle genommen werden konnte, die Spitze des Kirchturms. Der ausgetauschte und angebrannte Kaiserstiel befindet sich im Eingangsbereich der Kirche und wirbt um Zuwendungen für den weiteren Erhalt des Kirchengebäudes. Zwischen 1978 und 1983 ließ die Kirchengemeinde eine malerische Instandsetzung des Innenraumes vornehmen.[7]

Pfarrhaus

Das Pfarrhaus (November 2008)

Das zur alten Nicolaikirche gehörende Fachwerk-Pfarrhaus aus dem Jahr 1655 wurde erst beim Bau der Eisenbahnlinie Aue–Adorf abgerissen.[8] Hangaufwärts, oberhalb des Kirchengebäudes, wurde 1899/1900 ein neues Pfarrhaus für die Gemeinde nach den Entwürfen des Leipziger Architekten Paul Lange errichtet. Es hat einen größeren Gemeindesaal.

Architektur

Hauptportal
Bogenfeld des nördlichen Seitenportals

Der rote Backsteinbau auf einem Granitsockel über einem angedeuteten griechischen Kreuz hat einen dreiseitig geschlossenen Chor, der von übereck gestellten Seitenchören begleitet und durch einen Dachreiter betont wird. Die Backsteine sind besonders hart gebrannt und damit äußerst widerstandsfähig gegen Klima- und Umwelteinflüsse. Gewände, Gesims und das Maßwerk der Fenster bestehen aus Sandstein.

Treppenhäuser flankieren den markanten, 75 Meter hohen Westturm, der einen quadratischen Grundriss, Dreiecksgiebel und eine hohe, spitze kupfergedeckte Haube aufweist. Der Dachreiterturm über dem Chor erhielt 1978 ein Kupferdach. Am Hauptportal befindet sich eine vorgelegte Freitreppe. Der Giebel ist mit überlebensgroßen Kalksteinfiguren der Apostel Petrus und Paulus geschmückt. Das Sandsteinrelief im Bogenfeld stellt Christus, der gute Hirte dar.

Die Fenster sind spitzbogig ausgeführt in zwei verschiedenen Höhen und unterschiedlich mit Maßwerk gestaltet. Die Turmfassade über der Freitreppe ist mit einer Fensterrosette geschmückt.

Geläut

Zwei der ursprünglich drei Bronzeglocken wurden 1942 für Kriegszwecke eingeschmolzen. Weil sie nicht im Ganzen aus dem Turm gebracht werden konnten, mussten sie dort zerschlagen werden, die Scherben wurden dann einfach auf die Straße geworfen. Während einer Restaurierung der Kirche zwischen 1951 und 1955 erhielt die Gemeinde drei neue Eisenhartgussglocken, die in der Gießerei Schilling & Lattermann in Morgenröthe-Rautenkranz hergestellt worden waren.[9] Der Schlagring der Glocken war jedoch größer, als die Breite der Schallöffnungen – auf beiden Seiten mussten deshalb vorsichtig einige Mauersteine herausgebrochen werden. Das Geläut, passend auf die verbliebene kleine Bronzeglocke abgestimmt, wurde dann per Schrägaufzug in den Turm gebracht. Die größte der drei Glocken bekam beim Neujahrsläuten 1964/65 einen Sprung, wurde abgenommen und auf dem Turmboden abgestellt. An ihrer Stelle konnte 1967 eine neue Bronzeglocke aus der Gießerei der Gebrüder Schilling in Apolda installiert werden. Seit 1986 steuert eine elektronische Schaltanlage das regelmäßige Läuten.[10]

Inschriften auf den Glockenkörpern

  • Die gesprungene Glocke (1951): „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort“
  • Große Bronzeglocke (1967): „Ehre sei Gott in der Höhe“, „Dona nobis Pacem“
  • Mittlere Glocke (1951): „Und Friede auf Erden“, „Verleih und Frieden gnädiglich Herr Gott zu unsern Zeiten“
  • Kleine Glocke (1892): „Und den Menschen ein Wohlgefallen“, „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder“
  • Kleinste oder Taufglocke (1951): „Wer da glaubet und getaufet wird, der wird selig werden“

Innenarchitektur

Innenraum um 1900

In den drei Seitenschiffen der dreijochigen Halle mit Kreuzrippengewölbe sind zwischen Granitpfeilern Emporen eingespannt, mittig unterstützt von schmaleren Rundsäulen. Die granitenen Pfeiler sind schwach kanneliert und mit Sandstein-Kapitellen geschmückt. Das Mittelschiff ist 21 Meter lang und 11 Meter breit. Die Taufkapelle im nördlichen Seitenchor hat eine flache Holzdecke und ist durch doppelte Spitzbogenarkaden zum Chor und zum Seitenschiff geöffnet. Die Sakristei befindet sich im südlichen Schiff.

Alle Kirchenwände waren anfangs mit Ornamenten ausgemalt, nach den mehrmaligen Restaurierungen ist nur noch eine Fläche hinter dem Altar im Original erhalten. Der Altarraum bildet mit den benachbarten Seitenchören einen 10-eckigen Grundriss. Er erhält durch Altarfenster in farbiger Gestaltung Tageslicht.

Ausstattung

Altar, Kanzel, Taufbecken und Leuchter

Die Kirche ist einheitlich im neugotischen Stil gestaltet. Der Altaraufsatz wird Julius Schneider aus Auerhammer zugeschrieben. Schnitzfiguren zeigen Abel, Melchisedek, Aaron und Isaak, Musikantenengel und eine Kreuzigungsgruppe bekrönen das Werk. Die drei Porzellangemälde im Mittelteil wurden von der Porzellanmanufaktur Meißen gestiftet, die sich damit für die langjährige Belieferung mit Kaolin aus Aue bedankte. Sie zeigen den segnenden Christus und Symbolisierungen von Brot und Wein.

Die Brüstungsfelder der hölzernen Kanzel sind mit geschnitzten Evangelistenfiguren versehen. Das Taufbecken ist aus Sandstein geformt. Im Chor befindet sich seit 1925 ein zwölfarmiger Messing­kronleuchter, der aus der Vorgängerkirche übernommen wurde und auf 1653 datiert ist. Die Wandleuchter kamen 1951, die großen Kronleuchter im Mittelschiff 1984 in die Kirche.[11]

Fenster, Bänke, Orgel

Die drei großen Buntglasfenster im Chor stammen aus der Bauzeit Ende des 19. Jahrhunderts. Sie stellen das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen in der Mitte, die Anbetung des Jesuskindes durch die Heiligen Drei Könige auf der linken Seite und die Ostergeschichte im rechten Fenster dar. Die übrigen 14 Fenster in unterschiedlicher Größe sind mit Ornamenten und Teppichmustern gestaltet. Alle Fensterbilder wurden in der Kunstglaserei Schilling in Aue hergestellt.[11]

Die Kirchenbänke sind weitestgehend im Original erhalten, ihre Anordnung wurde jedoch im Laufe der Jahre verändert. Insgesamt bieten sie 1150 Sitzplätze.[7]

Die erste Orgel mit 37 klingenden Stimmen wurde von den Brüdern Otto und Rudolf Jehmlich gebaut. Sie hatte einen neugotischen Orgelprospekt und passte damit zum Ausstattungsstil der Kirche. Die gleiche Orgelbaufirma lieferte 1961 ein neueres Werk in einem modernen Gehäuse, das am 10. Dezember 1961 in der Sankt Nicolaikirche geweiht wurde. 2680 Orgelpfeifen in 36 Registern (9-11-7-9) werden auf drei Manualen und mit einem Pedal gespielt.[9]

Geschichte der Gemeinde

In früheren Jahrhunderten bildeten zunächst Bauern, Waldarbeiter, Handwerker und Bergleute die Kirchengemeinde. Nach der Reformation bis zum 19. Jahrhundert war die Kirche ein verlängerter Arm des Staates und unterstützte die kriegerischen Absichten der Herrscher. Die Zuwanderung von Industriearbeitern nach Aue brachte ab dem 19. Jahrhundert viele neue Gläubige in die Stadt, zahlreiche kirchliche Vereine wie die Jünglings- und Jungfrauenvereine, die Gemeindediakonie sowie ein Gesangs- und ein Posaunenchor wurden gegründet. Um das Jahr 1900 gab es 16.220 Mitglieder der St. Nicolaigemeinde. Andererseits wandten sich die Arbeiter bald von der Christenlehre ab, weil sie im Glauben an Gott keine Hilfe für ihre elende Situation fanden. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Kirchenvereine aufgelöst. Der seit 1917 amtierende Pfarrer Fritz Walter Leßmüller wurde Mitglied der NSDAP, ernannte sich 1935 selbst zum Superintendenten und sorgte für eine weitestgehende Gleichschaltung des kirchlichen Gemeindelebens mit den Staatsansichten.[12]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ab 1946 übernahm Ferdinand Ringulf Siegmund das Pfarramt. Die neue sozialistische Gesellschaftsordnung vollzog eine Trennung von Kirche und Staat und die Gemeinde verlor in der DDR-Zeit weitere Anhänger und Einflusssphären. Im Wendejahr 1989 diente die Nicolaikirche als Versammlungsort für Andersdenkende und war gleichzeitig Ausgangspunkt für Montagsdemonstrationen. 1991 wurde die sächsische Landeskirche, zu der die St. Nicolaigemeinde gehörte, wieder Mitglied in der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands.

Die gegenwärtig mehr als 2000 Gemeindemitglieder (Stand Herbst 2012) kommen aus dem Einzugsbereich von Aue mit den Filialgemeinden Bockau und Lauter.

Literatur

  • Festschrift 1893–1993: 100 Jahre St. Nicolaikirche in Aue (erhältlich im Pfarramt)
  • Gedenkbüchlein zur Erinnerung an die Feier der Grundsteinlegung der neuen Kirche St. Nicolai zu Aue am 27. Juli 1891, Aue 1892 (Digitalisat)
  • Georg Dehio: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Sachsen: II. Regierungsbezirke Leipzig und Chemnitz. Deutscher Kunstverlag, München 1998, S. 28–29.
  • Flyer: Evangelisch-lutherische Kirche Sankt Nicolai Aue (Stand 2012)

Weblinks

Commons: Nikolaikirche (Aue) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b Festschrift, S. 13
  2. a b Festschrift, S. 17
  3. a b Festschrift, S. 15
  4. Steche: Beschreibende Darstellung der älteren Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen. Band VIII. Kreishauptmannschaft Schwarzenberg, 1887. Angegeben in der Festschrift, S. 39
  5. a b Festschrift S. 18
  6. Festschrift, Abbildung auf S. 32
  7. a b Festschrift, S. 19
  8. Festschrift, S. 16
  9. a b Festschrift, S. 21
  10. Festschrift, S. 21/22
  11. a b Festschrift, S. 20
  12. Festschrift, S. 25

Koordinaten: 50° 35′ 7,24″ N, 12° 42′ 18,75″ O