Nikolaiviertel

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Blick von Westen auf den Straßenzug Spreeufer des Nikolaiviertels. Im Hintergrund die Nikolaikirche und der Fernsehturm

Das Nikolaiviertel in Berlin ist zusammen mit Cölln das älteste Siedlungsgebiet der Stadt und war die Keimzelle der späteren Doppelstadt Berlin-Cölln. Es entstand am östlichen Ufer der Spree rund um die Nikolaikirche in dem Karree SpreeuferRathausstraßeSpandauer StraßeMühlendamm im heutigen Ortsteil Mitte.

Geschichte

Die Nikolaikirche, 1827

Ursache für die Gründung der beiden Orte Berlin und Cölln war der zwischen 1220 und 1230 gebaute Mühlendamm.[1] Im Zentrum der Siedlung Berlin am östlichen Spreeufer wurde um das Jahr 1230 die Kirche St. Nikolai fertiggestellt, eine spätromanische Feldsteinbasilika. Zur gleichen Zeit entstand direkt gegenüber am westlichen Ufer auf der Spreeinsel die Petrikirche als Mittelpunkt für das etwas kleinere Cölln, das im Jahr 1237 erstmals urkundlich erwähnt wird. Das Jahr galt als Grundlage für die Stadtjubiläen 1937 (700 Jahre) und 1987 (750 Jahre), obwohl die einzig erhaltene Bestätigungsurkunde erst von 1238 datiert und in ihr nur Cölln, nicht aber Berlin erwähnt wird. Genaueres ist über die Anfänge der beiden Städte nicht bekannt, eventuelle schriftliche Zeugnisse – Gründungsurkunden oder dergleichen – sind vermutlich beim Stadtbrand von 1380 vernichtet worden.

Die erste erhaltene Urkunde mit der Erwähnung Cöllns stammt vom 28. Oktober 1237. Berlin wird erst am 26. Januar 1244 in einem Schriftstück genannt. Weil beide Städte bald zusammenwuchsen, gilt 1237 als Geburtsjahr Berlins, die großen Stadtjubiläen orientieren sich an diesem Datum, was jedoch den Werbespruch „Nikolaiviertel – im Mittelpunkt seit 1237“ [2] nicht richtiger macht. Am 20. März 1307 wurden die beiden Orte zur Doppelstadt Berlin-Cölln vereinigt, 1486 machte der Kurfürst Johann Cicero sie zu seiner ständigen Residenz. Zu dieser Zeit war die Siedlung zu einem bedeutenden Handelsplatz herangewachsen, der sich im 14. Jahrhundert auch der Hanse angeschlossen hatte.

Wachsende Wirtschaftskraft und relativer Wohlstand erlaubten es der Bürgerschaft, ihr zentrales Bauwerk, die Nikolaikirche, schon um 1264 wesentlich umzubauen. Es entstand eine gotische Hallenkirche, die auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder verändert wurde. Wesentliches Merkmal der Kirche und des alten Berliner Stadtzentrums blieb aber bis zum Ende des 19. Jahrhunderts die asymmetrische mittelalterliche Fassade mit dem einen, schlanken Turm, der erst in den 1870er Jahren durch einen neogotischen Doppelturm ersetzt wurde. Während Berlin sich ringsherum ständig ausdehnte und neue städtische Zentren sich bildeten, veränderte sich das Nikolaiviertel kaum; hauptsächlich Handwerker wohnten und arbeiteten in den engen, winkligen Gassen.

Besondere Gebäude

Stadtviertel in Berlin-Mitte:
1 Altkölln (Spreeinsel) mit 1a Museumsinsel, 1b Fischerinsel
2 Alt-Berlin mit 2a Nikolaiviertel
3 Friedrichswerder
4 Neucölln am Wasser
5 Dorotheenstadt
6 Friedrichstadt
7 Luisenstadt
8 Stralauer Vorstadt (mit Königsstadt)
9 Gebiet Alexanderplatz (Königsstadt und Altberlin)
10 Spandauer Vorstadt mit 10a Scheunenviertel
11 Friedrich-Wilhelm-Stadt
12 Oranienburger Vorstadt
13 Rosenthaler Vorstadt

Einige herausragende Bauwerke unterbrachen die weitgehend erhaltenen mittelalterlichen Strukturen. Am südlichen Rand des Viertels wurde 1766 auf dem Grundstück Mühlendamm Ecke Poststraße das Ephraim-Palais fertiggestellt, ein außerordentlich gelungenes Beispiel Berliner Rokokoarchitektur, im Volksmund bald „die schönste Ecke Berlins“ genannt. Der Hofjuwelier und Finanzier Friedrichs des Großen, Veitel Heine Ephraim, hatte sich hier einen repräsentativen Wohnsitz bauen lassen, geschmückt mit Putten, steinernen Vasen und mit filigranen, vergoldeten Balkongittern. Ganz in der Nähe steht das Knoblauchhaus, ebenfalls um 1760 im Stil des Spätbarock erbaut, seit einem Umbau zu Beginn des 19. Jahrhunderts aber außen von eher frühklassizistischer Anmutung; innen verweist noch manches Detail auf den Ursprung im Rokoko. Es war der Wohnsitz einer Einwandererfamilie aus Ungarn, die über mehrere Generationen hinweg betriebsame, wohlhabende und einflussreiche Bürger Berlins hervorbrachte. Schließlich ist das Kurfürstenhaus erwähnenswert. Es war ursprünglich ein Renaissancebau aus rotem Sandstein, im 18. Jahrhundert im Barockstil umgebaut. Seinen Namen erhielt es nach dem Kurfürsten Johann Sigismund (1572–1619), der hierher floh, weil er davon überzeugt war, dass in seinem Schloss die Weiße Frau spuke.

Planung eines Altstadtforums, Zerstörung und Wiederaufbau

Kirchhof der Nikolaikirche um 1880, rechts die Eiergasse

Im Zusammenhang mit der 700-Jahr-Feier Berlins im Jahr 1937 begannen Planungen, das Nikolaiviertel grundlegend umzugestalten. Dazu war vorgesehen, die als minderwertig empfundene Bebauung um die Nikolaikirche, die sich in äußerst baufälligem, marodem und für die Bewohner teils unerträglichem Zustand befand, größtenteils abzutragen. An ihre Stelle sollte ein Altstadtforum treten. In diesem Forum wären Fassaden wertvoller historischer Bürgerhäuser aufgestellt worden, die an anderen Stellen der Stadt in Umsetzung der Planungen Welthauptstadt Germania abgetragen worden wären. In diesem Zusammenhang wurde 1938 die Nikolaikirche profaniert; die öffentliche Begründung lautete „Umnutzung als Musikdom“.

Im Zweiten Weltkrieg, zwischen 1943 und 1945, ging das Nikolaiviertel im Bombenhagel und bei Straßenkämpfen zugrunde. Nach Kriegsende wurden die Überreste beseitigt, auch einige weniger zerstörte Gebäude abgerissen. In der Berliner Stadtplanung spielte das Gebiet jahrzehntelang keine Rolle. Die Verwaltung Ost-Berlins konzentrierte sich auf möglichst effektive Wohnraumbeschaffung und auf großräumig-repräsentative Bauvorhaben wie die ehemalige Stalinallee. Die Vernachlässigung des historischen Stadtzentrums wird aus einem Planungsbeitrag von 1959 deutlich: An Stelle des Nikolaiviertels sollte die Spree zu einem Hafenbecken für Ausflugsdampfer erweitert werden.

Das Nikolaiviertel von der Fischerinsel aus gesehen, 2002

Die Situation änderte sich erst, als für 1987 die 750-Jahr-Feier Berlins bevorstand. Die Stadtverwaltung zeigte eine neue Wertschätzung für die historischen Wurzeln und plante, auf dem Brachland ein attraktives und auch touristisch anziehendes Stadtviertel zu entwickeln. Ein programmatisches Papier verlangte, der alte Stadtkern solle „seiner historischen Bedeutung gemäß mit neuen, rekonstruierten und wiederaufgebauten Gebäuden, Straßen und Plätzen […] so zu einer harmonischen Einheit geformt werden, daß der lebendige Bezug zum Ursprünglichen […] erlebbar ist“. Das Bauvorhaben wurde im Jubiläumsjahr 1987 fertiggestellt. Wie die meisten Rekonstruktionen zerstörter Gebäude und Abschnitte, wird auch das Nikolaiviertel seitdem unterschiedlich beurteilt.

Das neue Nikolaiviertel

Gerichtslaube

Im Verlauf des Wiederaufbaus des Viertels wurden die wenigen vorhandenen Gebäude restauriert und ansonsten zahlreiche Neubauten, teils mit historisierenden Fassaden, teils in angepasster industrieller Plattenbauweise besonderer Art – mit Giebeln, Ornamenten und schmiedeeisernem Zierrat, aber auch mit Kippfenstern und modern zugeschnittenen Wohnungen – errichtet. Von den Rekonstruktionen sind die Bürgerhäuser hinter der Nikolaikirche wohl am originalgetreuesten. Dies trifft auch für die Bürgerhäuser am Molkenmarkt zu, obwohl die Zusammenstellung der Häuser eine freie Collage darstellt.

Die im Zweiten Weltkrieg bis auf die Außenmauern zerstörte Nikolaikirche wurde, bis auf die Turmhelme, in ihrer bis zur Zerstörung bestehenden Form wiederhergestellt. Eine Reihe von kleinen Bürgerhäusern, vor allem im Umkreis der Kirche, entstand in historischen Formen vollständig neu. Das 1936 am Mühlendamm abgetragene Ephraim-Palais wurde unter Verwendung von Originalteilen der Fassade um zwölf Meter versetzt von seinem ursprünglichen Standort neu aufgebaut. Das Gasthaus Zum Nußbaum, einst Stammlokal prominenter Künstler wie Heinrich Zille, Otto Nagel und Claire Waldoff, entstand als Kopie am Nikolaikirchplatz; das vermutlich 1571 erbaute Original befand sich bis zu seiner Zerstörung 1943 auf der Fischerinsel. Als weiteres historisches Gasthaus wurde 1986 das Restaurant Zur Rippe nachempfunden.

Weitere markante Gebäude sind:

  • Gerichtslaube des alten Berliner Rathauses als Kopie und zur Nutzung als Restaurant errichtet
  • Kurfürstliche Münze in der Poststraße 6 (von 1540 bis 1565) und in der Poststraße 5 (von 1565 bis 1585)[3]

Die Bronzeskulptur St. Georg im Kampf mit dem Drachen (1853) von August Kiss, von der Gießerei Lauchhammer hergestellt, wurde auf einem kleinen Platz am Spreeufer wieder aufgestellt. Sie stand zuvor im Volkspark Friedrichshain und ursprünglich im Hof des Berliner Stadtschlosses.

Die Straßen und Gassen des Viertels folgen den überlieferten Grundrissen und sind bis auf die neuzeitlich gehaltene Straße Am Nußbaum nach historischen Vorbildern gepflastert. Auf einer Fläche von annähernd 50.000 m² leben etwa 2000 Einwohner in rund 800 Wohnungen. 33 Ladengeschäfte, 22 Gaststätten und verschiedene museale Einrichtungen, wie die Nikolaikirche, das Knoblauchhaus und das Ephraim-Palais stehen den Besuchern zur Verfügung (Stand: 2010).

Kritikern gilt das Nikolaiviertel als eine schwer erträgliche Mischung unterschiedlichster Versatzstücke. Befürworter der Konzeption halten dagegen, dass die Alternative, moderne Gebäude mit traditionellen Fassaden zu versehen, nicht authentischer sei.

Der Gründungsbrunnen

Gründungsbrunnen, im Hintergrund das Knoblauchhaus

Der Gründungsbrunnen (auch Wappenbrunnen genannt) befindet sich neben dem Eingang zur Nikolaikirche und wurde 1987 nach einem Entwurf von Gerhard Thieme aus dem Jahr 1928 errichtet. Der Brunnen besteht aus Sandstein und Stahl. Die schmiedeeiserne Bekrönung schuf der Kunstschmied Hans-Joachim Kunsch und die Bronzekette fertigte Stefan Kuschel an. Drei Stufen führen zu einem achteckigen Brunnenbecken von vier Metern Durchmesser. An den Seiten sind Wappen angebracht. In der Mitte steht eine sechs Meter hohe Säule, die von einem Bären bekrönt wird und der ein Wappen mit einem Adler hält. Der im ältesten Siedlungsgebiet Berlins aufgestellte Brunnen soll an die Gründung der Stadt erinnern.

Literatur

  • Nikolaus Bernau: Architekturführer Nikolaiviertel Berlin. Stadtwandelverlag, Berlin 2009; ISBN 978-3-86711-069-3.
  • Uwe Kieling: Historische Adressen im Nikolaiviertel. VEB Tourist Verlag, Berlin, Leipzig 1989, ISBN 3-350-00311-7. (Plan von 1812 und 1987, u. a. Rotes Rathaus, Gerichtslaube und kurfürstliche Münze).
  • Uwe Kieling, Johannes Althoff: Das Nikolaiviertel. Spuren der Geschichte im ältesten Berlin. Berlin-Edition, 2001, ISBN 3-8148-0080-X.
  • Benedikt Goebel: Der Umbau Alt-Berlins zum modernen Stadtzentrum. Verlagshaus Braun, Berlin 2003, ISBN 3-935455-31-3.

Weblinks

Commons: Nikolaiviertel – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Ribbe (Hrsg.): Geschichte Berlins, Bd. 1, München 1987, S. 152 f.
  2. www.nikolaiviertel-berlin.de (Memento vom 4. September 2012 im Internet Archive)
  3. Uwe Kieling: Historische Adressen im Nikolaiviertel. VEB Tourist Verlag, Berlin, Leipzig 1989, ISBN 3-350-00311-7, S. 49–61. (Plan von 1812 und 1987, u. a. Gerichtslaube und kurfürstliche Münze).

Koordinaten: 52° 31′ 0″ N, 13° 24′ 26″ O