St. Georg (Reichenau-Oberzell)

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Georgskirche in Reichenau-Oberzell

St. Georg ist ein spätkarolingisches und ottonisches Kirchengebäude in Oberzell auf der Insel Reichenau. Die Kirche gehört mit der ganzen Klosterinsel zum Weltkulturerbe der UNESCO.

Geschichte

Die Basilika St. Georg
Grundriss der Georgskirche
St. Georg auf der Südostseite der Insel Reichenau

In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters waren Verehrung und Reliquien Georgs auch nach Italien und ins merowingische Frankenreich gelangt. Der Mainzer Erzbischof und Reichenauer Abt Hatto III. (Amtszeit 891–913) erhielt 896 in Rom von Papst Formosus Reliquien – die stadtrömische Kirche San Giorgio in Velabro spielte hier eine bedeutsame Rolle – und kehrte mit den Reliquien über die Alpen nach Ostfranken zurück. Dort verteilte er das Erworbene, so dass das Bodenseekloster Reichenau, dessen Leitung Hatto besaß, in den Besitz von einigen Georgsreliquien gelangte, darunter ein Stück vom Haupt des Märtyrers. Das „Georgshaupt“ auf der Reichenau, genauer im von Hatto gegründeten Oberzell, muss die Verehrung des kappadokischen Erzmärtyrers im mittelalterlichen Schwaben befördert haben.

Die Georgskirche in Oberzell soll – einer Reichenauer Bearbeitung des Martyrologs des Wandalbert von Prüm (* 813; † nach 848) zufolge – an einem 18. November geweiht worden sein. Nach der Überlieferung von Gallus Öhem habe St. Georg bereits zur Zeit von Abt Ruadhelm (838–842) bestanden, wonach Haito (806–823) der Gründer gewesen wäre. Die heutige Forschung spricht die Kirche jedoch einhellig Hatto III. zu.

Die Georgskirche ist ein spätkarolingisches Kirchengebäude, das um das Jahr 900 errichtet und mehrfach erweitert wurde. Sie ist dem Heiligen Georg geweiht und gehört zu den ältesten Georgskirchen in Europa. Ihre bedeutenden Wandmalereien die teils in das 10./11. Jahrhundert, teils in das ausgehende 9. Jahrhundert datiert werden, gelten als Hauptzeugnisse der Malerei des Klosters Reichenau.

An der Restaurierung der Wandmalereien um 1880 unter Bauinspektor Franz Bär nahm der Bauinspektor Ludwig Maier teil, der 1883 für den Neubau einer katholischen Kirche in Rittersbach vorschlug, eine Kopie der Georgskirche zu errichten. Nach seinen Plänen wurde die Rittersbacher Kirche St. Georg von 1886 bis 1888 als Kopie der Kirche auf der Reichenau errichtet. Die Ausmalung besorgte der Freiburger Kopist Fritz Kohlund. Seit November 2008 gibt es von der Kirche zudem einen virtuellen Nachbau in der Computerwelt Second Life.

Architektur

Die von Hatto gegründete vorromanische Georgskirche steht auf einem kleinen Hügel nahe der Ostspitze der Bodenseeinsel. Die dreischiffige Basilika besitzt niedrige Seitenschiffe, einen Vierungsturm und einen rechteckigen, am Turm hochgezogenen Ostchor. Die Krypta unterhalb des Chors ist eine quadratische Halle; vier Säulen umrahmen hier einen Altar. Vielleicht war die Krypta zur Aufbewahrung der Georgsreliquien vorgesehen; dann muss sie in der Anfangsphase des Kirchenbaus entstanden sein.

Der erste, um das Jahr 900 unter Hatto III. angelegte Kirchenbau umfasste das heutige Langhaus mit seinen Säulenreihen und die Krypta. Für diese Zeit war das Kirchenschiff ein sehr großzügig angelegter Bau, dessen Größe auf die zu erwartende Heiligenverehrung hin gewählt war. Er besaß statt des heutigen rechteckigen Querhausflügels wahrscheinlich einen Chor mit drei Konchen, die die Funktion der Kirche als Reliquien- und Grabkirche sinnfällig machten.

Um 1000 wurde an der Westseite des Langhauses eine gerundete Apsis angefügt, möglicherweise, weil man die Georgs-Reliquien aus der Krypta in den Westbau verlagert hatte, um sie oberirdisch verehren zu können. Um diese Zeit könnten auch die Fresken des Langhauses entstanden sein. Im Anfang des 11. Jahrhunderts schließlich entstand die niedrige, langgezogene Vorhalle und darüber die Michaelskapelle. Ebenfalls zu dieser Zeit wurden die runden Konchen des Querhauses in rechteckige Querhausflügel umgebaut.

Wandgemälde

Wundertätigkeit Jesu

Südseite des Langhauses
Malereien auf der Nordseite des Langhauses

Die Bilder im Langhaus der Georgskirche an den Längsseiten sowie an der Nord- und der Südwand überstanden gut erhalten die Jahrhunderte. Im Zentrum dieser Wandmalerei um das Jahr 1000 stehen betitelte Szenen aus dem Leben Jesu, die den Evangelien entnommen sind. Jesus wird dargestellt als der heilbringende Christus, übernatürlich und doch in nächster Nähe zu den Menschen.

Die dargestellten Szenen aus dem Leben Christi auf der Nord- und Südwand beziehen sich auf seine Wundertätigkeit. Folgende Szenen sind dargestellt (1.–4.: Nordwand von Westen nach Osten; 5.–8.: Südwand von Osten nach Westen, also im Uhrzeigersinn):

  1. Heilung des Besessenen von Gerasa
  2. Heilung des Wassersüchtigen
  3. Beruhigung des Sturms auf dem See Genezareth
  4. Heilung des Blindgeborenen
  5. Heilung des Aussätzigen
  6. Auferweckung des Jünglings von Naim
  7. Auferweckung von Jairi Töchterlein
  8. Auferweckung des Lazarus

Jedes Bild besitzt einen lateinischen Titulus, dessen Text die dargestellte Szene zusammenfasst. Die Bildszenen werden von perspektivischen Mäandern und reich gestalteten Ornamentfriesen gerahmt.

Die Wunderszenen sind linear in einer geschlossenen Folge zu betrachten. Diese beginnt links beim Eingang, führt zum Altar, und rechts vom Altar zurück zum Eingang. Christus ist mit seinem in Erzählrichtung deutenden Segensgestus in Übergröße links im Bildfeld mit Orientierung nach rechts dargestellt (Ausnahmen sind die Bilder 3. und 7., in denen Christus doppelt dargestellt ist). Wenn man dieser Sequenz folgt, so ergibt sich eine deutliche Steigerung, die mit der Totenerweckung des Lazarus endet. Diese Leserichtung wird außerdem durch die Mäander unterstützt. Bei den Szenen, die sich im Kirchenschiff gegenüberstehen, sind deutliche Analogien zu erkennen, was die Gestaltung des architektonischen Hintergrunds betrifft.

Es wird bei den Wunderinhalten auch ein geografischer Bezug vermutet: Die Wunder an der Nordwand, also der Wasserseite, haben auch inhaltlich Bezug zu Wasser, während die Wunder an der Südwand, der vermuteten Friedhofsseite, mit Auferweckung zu tun haben. Außerdem bestehen Parallelen bei der Darstellung des 1. Bildes zur Darstellung des Gründungsmythos des Klosters Reichenau, das den Wanderbischof Pirmin in einem Boot darstellt, der bei seiner Ankunft Schlangen/Dämonen von der Insel vertreibt. Dieses Motiv ist auf einem Bild aus dem 17. Jahrhundert im Münster Mittelzell zu sehen.

Im Obergaden sind die zwölf Apostel als stehende Figuren dargestellt. Zwischen den Arkadenbögen finden sich Tondi mit Brustbildern von Äbten.

Um den Chorbogen ist der Spruch geschrieben: „CHRISTUS VINCIT CHRISTUS REGNAT CHRISTUS IMPERAT CHRISTUS AB OMNI MALO PLEBEM SUAM DEFENDAT“ („Christus siegt, Christus herrscht, Christus befiehlt; Christus verteidige sein Volk vor allem Bösen.“).

Eng verwandt mit dem Bilderzyklus in Oberzell sind die Malereien in der Sylvesterkapelle bei Überlingen, die dort jedoch schlechter erhalten sind. Die neuromanische Kirche St. Georg (erbaut 1886) in Rittersbach bei Mosbach enthält Kopien der Reichenauer Fresken.

Datierung der Fresken

Im Jahre 1880 wurde unter einer später angebrachten Putzschicht der überraschend gut erhaltene frühmittelalterliche Freskenzyklus entdeckt, der stilistisch mit der bereits bekannten Buchmalerei des Klosters Reichenau in Verbindung gebracht wurde, die als ottonisch eingeordnet werden. In einem Zirkelschluss wurden sowohl den Fresken wie auch den Buchmalereien demselben Ort und Datum zugeschrieben (etwa um das Jahr 1000). Es kann heute jedoch als erwiesen gelten, dass die Fresken früher entstanden, nämlich in etwa kurz nach der Gründung der Basilika (Ende des 9. Jahrhunderts), und somit spätkarolingisch und nicht ottonisch sind. Der wichtigste Hinweis hierzu ist, dass die Fresken in der ersten Putzschicht aufgetragen wurden, wie der japanische Gelehrte Koichi Koshi herausfand.

Spottbild

Spottbild über das Frauengeschwätz

An der Nordwand des Langhauses ist neben den Altarstufen ein seltenes Spottbild aus dem 14. Jh. erhalten, das das Geschwätz der „tumben wibun“, der törichten Frauen kritisiert. Dort heißt es:

Ich wil hie schribvn
von diesen tvmben wibvn
was hie wirt plapla gvsprochvn
vppigs in der wochvn
was wirt allvs wol gvdaht
so es wirt für den richtvr braht
(Ich will hier von den dummen Weibern schreiben; was hier an Blabla die ganze Woche geredet wird, dessen wird gedacht werden, wenn es einmal vor dem Richter steht.)

Das Gedicht ist auf eine Kuhhaut geschrieben, die von vier Teufeln im Kreis gedreht wird, und illustriert so wörtlich die Redensart vom Geschwätz, das auf keine Kuhhaut geht. Das Bild, in Sichtweite des Altars angebracht, mag den Priester ermahnt haben, in seiner Rede auf „weibisches Geplapper“ zu verzichten.

Orgel

Orgel der Georgskirche

Die Orgel wurde 1985 von dem Orgelbauer Mönch (Überlingen) erbaut. Das Instrument hat 19 klingende Register (und zwei Pedaltransmissionen) auf zwei Manualen und Pedal. Die Spieltrakturen und Registertrakturen sind mechanisch.[1]

I Hauptwerk C–g3
1. Principal 8′
2. Gemshorn 8′
3. Octave 4′
4. Quinte 22/3
5. Waldflöte 2′
6. Mixtur IV 11/3
7. Trompete 8′
II Brustwerk

(schwellbar) C–g3


8. Gedackt 8′
9. Flöte 4′
10. Nazard 22/3
11. Doublette 2′
12. Terz 13/5
13. Larigot 11/3
14. Sifflet 1′
15. Krummhorn 8′
Tremulant
Pedal C–f1
16. Subbaß 16′
17. Principal (Nr.1) 8′
18. Gedacktbaß 8′
19. Tenoroctave 4′
20. Posaune 16′
21. Trompete (Nr.7) 8′

Glocken

Die Reichenau ist bekannt als eine der Urzellen der Glockengießkunst in Deutschland. Davon zeugt auch noch heute das historisch und musikalisch bedeutsame Geläut. Die drei kleineren Glocken sind vermutlich aus einem Guss.[2] An Sonn- und Feiertagen läutet eine halbe Stunde vor Beginn des Gottesdienstes und während der Wandlung die große Glocke, zehn Minuten vorher erklingt das Vollgeläut. Vor Werktagsmessen läuten alle außer der großen Glocke.[3] Die Glocken hängen im hölzernen Glockenstuhl an Holzjochen.

Nr.
 
Name
 
Gussjahr
 
Gießer, Gussort
 
Durchmesser
(mm)
Masse
(kg)
Schlagton
(HT-1/16)
1 St. Georg 1436 Hans Schnabelburg, St. Gallen 1.250 1.225 fis1 +8
2 Maria 13. Jh. unbekannt (gleiche Werkstatt), Reichenau 850 380 c2 +6
3 770 247 d2 +8
4 Evangelisten 500 85 cis3 +1

Literatur

  • Josef und Konrad Hecht: Die frühmittelalterliche Wandmalerei des Bodenseegebiets. 2 Bde. Thorbecke, Sigmaringen 1979, ISBN 3-7995-7008-X.
  • Dörthe Jakobs: Sankt Georg in Reichenau-Oberzell. Der Bau und seine Ausstattung: Bestand, Veränderungen, Restaurierungsgeschichte. Mit Beiträgen von Martin Dendler, Harald Drös und Markus Maisel. 3 Bde. Theiss, Stuttgart 1999, ISBN 3-8062-1462-X. (Neu erarbeitetes Standardwerk)
  • Dörthe Jakobs, Ulrike Piper, Günther Dürr, Georg Schmid: Zwei Meisterwerke in Baden? Die Georgskirchen in Reichenau-Oberzell und in Rittersbach. Nachrichtenblatt des Landesdenkmalamts Baden-Württemberg 3/2003. ((PDF-Datei, 2.2 MB) und HTML-Version) (Gründlicher Vergleich mit zahlreichen Fotos)
  • Albert Knoepfli: Kunstgeschichte des Bodenseeraums: 1. Von der Karolingerzeit bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts. Thorbecke, Konstanz/Lindau 1961.
  • Heinfried Wischermann: Romanik in Baden-Württemberg. Theiss, Stuttgart 1987, ISBN 3-8062-0331-8.
  • Karl Hublow / Joachim Krumbholz: Heilung und Auferweckung – Die Bildersprache der Wandmalereien von St. Georg auf der Reichenau. Urachhaus, 1997, ISBN 3-8251-7071-3.
  • Koichi Koshi: Die frühmittelalterlichen Wandmalereien der St. Georgskirche zu Oberzell auf der Bodenseeinsel Reichenau. München 1999, 2 Bde.
  • Beat Brenk, Rezension von Koichi Koshi: Die frühmittelalterlichen Wandmalereien der St. Georgskirche zu Oberzell auf der Bodenseeinsel Reichenau.
  • Wolfgang Stopfel: Reichenau-Forschung der Universität Tokio. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 8. Jg. 1979, Heft 4, S. 148. (PDF)
  • Alfons Zettler: Die spätkarolingische Krypta von St. Georg in Reichenau-Oberzell. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 18. Jg. 1989, Heft 2, S. 97-105. (PDF)
  • Erik Roth: Inmitten der Felder, inmitten des Sees - Die Kirche St. Georg auf der Reichenau und der Schutz ihrer Umgebung. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg, 33. Jg. 2004, Heft 4, S. 233-236. (PDF)

Einzelnachweise

  1. Siehe Porträt des Instrumentes auf der Website des Orgelbauers, abgerufen am 17. Dezember 2011.
  2. Kurt Kramer (Hrsg.): Die deutschen Glockenlandschaften. Baden–Hohenzollern. DKV, München 1990, S. 47.
  3. Nach Auskunft der Mesnerin

Weblinks

Commons: St. Georg (Reichenau) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Koordinaten: 47° 41′ 21″ N, 9° 4′ 56″ O