Udo Di Fabio

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Udo Di Fabio (2016)

Udo Di Fabio (* 26. März 1954 in Walsum, gehört heute zu Duisburg) ist ein deutscher Jurist und war von 1999 bis Dezember 2011 Richter des Bundesverfassungsgerichts.

Leben

Di Fabio wurde 1954 als Nachkomme italienischer Einwanderer geboren, sein Großvater war Stahlarbeiter bei Thyssen.[1] Di Fabio war 1970 bis 1980 als Verwaltungsbeamter im mittleren Dienst in Dinslaken tätig. 1985 absolvierte er das zweite juristische Staatsexamen. Von 1985 bis 1986 war er Richter am Sozialgericht Duisburg. 1987 wurde er an der Universität Bonn mit einer Arbeit über Rechtsschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren zum Doktor der Rechte und 1990 in Duisburg mit einer Arbeit zum Thema Offener Diskurs und geschlossene Systeme im Fach Sozialwissenschaften promoviert.

Von 1986 bis 1990 war Di Fabio Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn, von 1990 bis 1993 am gleichen Institut Wissenschaftlicher Assistent. Im Jahr 1993 habilitierte sich Di Fabio in Bonn mit einer Arbeit über Risikoentscheidungen im Rechtsstaat. Im Mai 1993 nahm er einen Ruf auf eine Professur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, im November des gleichen Jahres einen weiteren Ruf auf eine Professur an der Universität Trier an. Im Jahr 1997 übernahm er eine Professur an der Ludwig-Maximilians-Universität München, im Jahr 2003 eine solche an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo er seitdem am Institut für Öffentliches Recht (Abteilung Staatsrecht) lehrt.

Im Jahr 1999 wurde Di Fabio auf Vorschlag der CDU vom Bundesrat in den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt und gehörte dem Gericht vom 16. Dezember 1999 bis zum 19. Dezember 2011 an. Er war der Nachfolger Paul Kirchhofs, ihm folgte Peter Müller. Sein Dezernat umfasste vor allem das Völkerrecht, das Europarecht und das Parlamentsrecht. In diesen Bereichen bereitete er als Berichterstatter wichtige Urteile seines Senats vor[2], darunter die Entscheidungen zur Bundestagsauflösung 2005 und zum Lissabon-Vertrag 2009.

Di Fabio ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift Archiv des öffentlichen Rechts. Seit 2007 ist er Kuratoriumsmitglied der Bürgerstiftung Rheinviertel sowie des Bonner Rechtsjournals[3]. 2014 wurde er zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates der EKD für das 500-jährige Reformationsjubiläum „Luther 2017“ gewählt.[4]

Di Fabio ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt mit seiner Familie in Bonn.

Werk und Wirken

In seiner weit über Fragen der Rechtsordnung ausgreifenden Publikation „Die Kultur der Freiheit“ reflektiert Di Fabio den Status quo und die künftigen Entwicklungsperspektiven der bundesdeutschen Gesellschaft mit Blick auf die Leitwerte des Grundgesetzes einerseits und auf die Implikationen des Globalisierungsprozesses andererseits. Dabei setzt er auf das Fortbestehen unterschiedlicher Kulturen und die Pluralität der Nationalstaaten als identitätsstiftende Gemeinschaften. Der westliche Wertekanon, der im Aufklärungszeitalter aus seinen spezifischen antiken und jüdisch-christlichen Wurzeln erwachsen sei, rechtfertige keinen Absolutheitsanspruch und sei mit Behutsamkeit und Reflexionsbereitschaft an andere gewachsene Kulturen heranzutragen.

Aufgabe der an Selbsterhaltung und am Fortbestehen ihrer Leitwerte interessierten Nationalstaaten aber sei es, die Quellen ihrer Kultur nicht versiegen zu lassen. Zweierlei hält Di Fabio dazu für notwendig: zum einen die Neubelebung Bindung stiftender Kulturgüter und Institutionen, zum anderen und in Verbindung damit die Vorsorge für ausreichende Nachkommenschaft. Denn wo die künftigen Träger fehlen, können kulturbezogene Werte nicht überdauern. In der Konsequenz fordert Di Fabio eine gesellschaftliche Umorientierung weg von flachen, oft kurzatmigen Selbstverwirklichungsideen und -praktiken hin zu nachhaltigem Wirken und Aufgehobensein in sozialen, vor allem familiären Bindungen. In diesem Sinne finden auch Religionsgemeinschaften als Mittler von gewachsener Kultur und Bindung bei ihm positive Berücksichtigung.

Den kulturalen Hauptaspekten fügt Di Fabio einen gängigen Freiheitsbegriff (Gewährleistung körperlicher und persönlicher Integrität, Meinungs- und Bekenntnisfreiheit, Eigentum als Grundrecht und Institution, Marktwirtschaft) hinzu. Ergänzt wird das Leitbild durch Leistungsgerechtigkeit im Sinne des klassischen bürgerlichen Leistungsgedankens: „Jeder soll in den Bahnen des sittlichen Anstands und des Rechts selbst dafür sorgen, dass er das erreicht, was ihm zusteht, und es steht ihm zu, was er so rechtmäßig erreicht.“

Umstritten war das Buch vor allem wegen der Stellungnahme zugunsten der Familie mit Kindern als gesellschaftliches Leitbild. Während ein Teil der Kritiker darin einen konservativen Rückschritt in die Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland erblickte oder Di Fabios Etikettierung der deutschen Kultur des 19. Jahrhunderts als eine nicht-atlantische bzw. „nichtwestliche Kultur“[5] kritisierten, sahen andere Rezensenten in der Stellungnahme Di Fabios ein auf dem Autonomieverständnis der Moderne beruhendes Konzept, welches Kinder und Familie als Freiheitsgewinn auffasse.

2009 erregte Di Fabio durch einen Beitrag für den Festakt anlässlich des zweihundertjährigen Bestehens des Solinger Tageblatt Aufmerksamkeit, in dem er forderte, die zu weitreichende Anonymisierung im Netz zu beenden und dass insbesondere Urheber von öffentlichen Informationsquellen im Internet für deren Konsumenten identifizierbar sein müssten.[6]

Nach dem Ende der maximal zwölfjährigen Zeit als Verfassungsrichter im Dezember 2011 übernahm er den Mercator-Lehrstuhl an der Universität Duisburg-Essen.[7] Außerdem ist er Professor im Institut für Öffentliches Recht (Abteilung Staatsrecht) an der Universität Bonn.

Di Fabio hat im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen die juristischen Grenzen einer Wirtschafts- und Währungsunion untersucht.[8] Am 2. Juni 2013 schrieb die FAZ:[9]

„Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) das Verbot der Staatsfinanzierung verletzt, muss das Bundesverfassungsgericht im äußersten Fall Bundesregierung und Bundestag zum Austritt aus der Währungsunion verpflichten. [...] Das Karlsruher Gericht besitze zwar „keinen prozessualen Hebel“, um der EZB Vorgaben zu machen [...]. Daher müsse es den Fall aber auch nicht dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, sondern dürfe bei ersichtlichen Kompetenzüberschreitungen selbst entscheiden. Dann könnten die Karlsruher Richter den Verstoß immerhin „deklaratorisch feststellen“.“

Di Fabio schrieb das Vorwort zu einem Mitte 2013 erschienenen Buch des Historikers Dominik Geppert mit dem Titel Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro.[10]

Im September 2015 veröffentlichte Di Fabio ein Buch mit dem Titel Schwankender Westen: Wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss.[11]

Gutachten zur Migrationskrise

Im Januar 2016 wurde das Rechtsgutachten Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem veröffentlicht, das Di Fabio im Auftrag der CSU-geführten bayerischen Staatsregierung erstellte.[12] Mit Bezug auf die Flüchtlingskrise in Deutschland ab 2015 schrieb er darin unter anderem:[13][14]

„Der Bund ist aus verfassungsrechtlichen Gründen (...) verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder aufzunehmen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist (...) Das Grundgesetz garantiert nicht den Schutz aller Menschen weltweit durch faktische oder rechtliche Einreiseerlaubnis. Eine solche unbegrenzte Rechtspflicht besteht auch weder europarechtlich noch völkerrechtlich.“

Das Gutachten fand politische und mediale Beachtung, da es die Grenzöffnung der deutschen Bundesregierung während der Flüchtlingskrise in Deutschland ab 2015 als Verstoß gegen geltendes Recht einordnete. Damit räumt Di Fabios Gutachten dem Freistaat Erfolgsaussichten bei einem möglichen Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesregierung ein, der erreichen will, dass an den bayerischen Außengrenzen „wieder rechtlich geordnete Verhältnisse herzustellen“ seien.[15]

Auszeichnungen/Ehrungen

Literatur

Weblinks

Commons: Udo Di Fabio – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. ftd.de (Memento vom 2. August 2012 im Webarchiv archive.today)Vorlage:Webarchiv/Wartung/Linktext_fehlt
  2. BVerfG, Pressemitteilung Nr. 81/2011 vom 16. Dezember 2011: Richterwechsel am Bundesverfassungsgericht – Bundesverfassungsrichter Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio scheidet aus dem Amt (darin: Auflistung wichtiger Urteile, die von Di Fabio als Berichterstatter vorbereitet wurden)
  3. Universität Bonn, Bonner Rechtsjournal: Kuratorium.
  4. Ehemaliger Verfassungsrichter Udo Di Fabio wird neuer Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates „Luther 2017“, ekd.de, Meldung vom 20. Februar 2014.
  5. Seid fruchtbar und belehret euch. In: FAZ.net. 25. Juli 2005, abgerufen am 12. Dezember 2014.
  6. Leuchtturm im offenen Meer der Information, Solinger Tageblatt am 25. August 2009.
  7. Verfassungsrichter als Professor, RP Online, 27. Oktober 2011, abgerufen am 17. November 2011.
  8. Download (PDF, 1,1 MB) (ISBN 978-3-942467-22-3)
  9. Joachim Jahn: „Notfalls ist Deutschland zum Euro-Austritt verpflichtet“. In: FAZ.net vom 2. Juni 2013, abgerufen am 10. Juli 2016
  10. Europa Verlag, Berlin (August 2013), ISBN 978-3-944305-18-9, Volltext des Vorworts
  11. Hans-Peter Schwarz: Alles auch eine Frage der Grenzen. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 30. November 2015, abgerufen am 1. Dezember 2015.
  12. Udo Di Fabio: Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem. (PDF; 813kb) Bayerische Staatsregierung, 8. Januar 2016, abgerufen am 21. Januar 2016.
  13. Wolfram Weimer: Person der Woche: Udo di Fabio - Der Richter der Kanzlerin, n-tv, 12. Januar 2016.
  14. Pflicht vernachlässigt: Gutachter wirft Regierung Verfassungsbruch bei Grenzsicherung vor, Focus online, 11. Januar 2016.
  15. Reinhard Müller: Gutachten Udo Di Fabios zur Grenzsicherung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 13. Januar 2016, S. 2, abgerufen am 16. Januar 2016.
  16. Bekanntgabe von Verleihungen des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. In: Bundesanzeiger. Jg. 64, Nr. 9, 17. Januar 2012.
  17. 4. Gastprofessur an Prof. Dr. Dr. Udo di Fabio, Website der Universität Koblenz-Landau, zuletzt verändert am 18. Juli 2012, abgerufen am 11. Februar 2015.