Attraktor

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Attraktor (lat. ad trahere „zu sich hin ziehen“) ist ein Begriff aus der Theorie dynamischer Systeme und beschreibt eine Untermenge eines Phasenraums (d. h. eine gewisse Anzahl von Zuständen), auf die sich ein dynamisches System im Laufe der Zeit zubewegt und die unter der Dynamik dieses Systems nicht mehr verlassen wird. Das heißt, eine Menge von Variablen nähert sich im Laufe der Zeit (asymptotisch) einem bestimmten Wert, einer Kurve oder etwas Komplexerem (also einer Region im n-dimensionalen Raum) und bleibt dann im weiteren Zeitverlauf in der Nähe dieses Attraktors.

Ein Attraktor erscheint als klar erkennbare Struktur. Umgangssprachlich könnte man von einer Art „stabilen Zustands“ eines Systems sprechen (wobei auch periodisch, also wellenartig wiederkehrende Zustände oder andere erkennbare Muster gemeint sein können), also ein Zustand, auf den sich ein System hinbewegt.

Bekannte Beispiele sind der Lorenz-Attraktor, der Rössler-Attraktor und die Nullstellen einer differenzierbaren Funktion, welche Attraktoren des zugehörigen Newton-Verfahrens sind.

Das Gegenteil eines Attraktors wird Repellor oder negativer Attraktor genannt. Angewendet werden die Begriffe in der Physik, Mathematik und Biologie.

Beispiel: Lorenz-Attraktor Poisson Saturne

Die Menge aller Punkte des Phasenraums, die unter der Dynamik demselben Attraktor zustreben, heißt Attraktions- oder Einzugsgebiet dieses Attraktors.

Dynamische Systeme

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dynamische Systeme beschreiben Zustandsänderungen in Abhängigkeit von der Zeit t. Für die mathematische Definition wird das reale System oft in der stark vereinfachten Form eines mathematischen Modells betrachtet. Beispiele sind

  • das Strömungsverhalten von Flüssigkeiten und Gasen
  • Bewegungen von Himmelskörpern unter gegenseitiger Beeinflussung durch die Gravitation
  • Populationsgrößen von Lebewesen unter Berücksichtigung der Räuber-Beute-Beziehung oder
  • die Entwicklung wirtschaftlicher Kenngrößen unter Einfluss der Marktgesetze.

Das Langzeitverhalten eines dynamischen Systems lässt sich durch den globalen Attraktor beschreiben, da bei physikalischen oder technischen Systemen oft Dissipation vorliegt, insbesondere Reibung.

Unterschieden werden:

  • kontinuierliche dynamische Systeme; die Zustandsänderung ist definiert als kontinuierlicher Vorgang ()
  • diskrete dynamische Systeme; die Zustandsänderung ist definiert in festen zeitlichen Schritten ().

Jeder Zustand ist ein Punkt im Phasenraum und wird durch beliebig viele Zustandsgrößen dargestellt, welche die Dimensionen des Phasenraums bilden.

  • kontinuierliche Systeme werden durch Linien (Trajektorien) repräsentiert
  • diskrete Systeme werden durch Mengen isolierter Punkte repräsentiert.

Ein gemischtes System aus kontinuierlichen und diskreten Teilsystemen – mit dann kontinuierlich-diskreter Dynamik – wird auch als hybrides dynamisches System bezeichnet. Beispiele solcher strukturvariabler Dynamiken finden sich in der Verfahrenstechnik (bspw. Dosiervorlagesysteme). Hybride dynamische Systeme werden mathematisch beschrieben durch hybride Modelle, z. B. schaltende Differentialgleichungen. Die Trajektorien im Phasenraum sind i.allg. nicht stetig (sie haben „Knicke“ und Sprungstellen).

Bei der Untersuchung dynamischer Systeme interessiert man sich – ausgehend von einem bestimmten Anfangszustand – vor allem für das Verhalten für . Der Grenzwert in diesem Fall wird als Attraktor bezeichnet. Typische und häufige Beispiele von Attraktoren sind:

  • asymptotisch stabile Fixpunkte: Das System nähert sich immer stärker einem bestimmten Endzustand an, in dem die Dynamik erliegt; ein statisches System entsteht. Typisches Beispiel ist ein gedämpftes Pendel, das sich dem Ruhezustand im tiefsten Punkt annähert.
  • (asymptotisch) stabile Grenzzyklen: Der Endzustand ist die Abfolge gleicher Zustände, die periodisch durchlaufen werden (periodische Orbits). Ein Beispiel dafür ist die Simulation der Räuber-Beute-Beziehung, die für bestimmte Parameter der Rückkoppelung auf ein periodisches Ansteigen und Sinken der Populationsgrößen hinausläuft.

Für ein hybrides dynamisches System mit chaotischer Dynamik konnte im die Oberfläche eines n-Simplex als Attraktor identifiziert werden.[1]

  • (asymptotisch stabile) Grenztori: Treten mehrere miteinander inkommensurable Frequenzen auf, so ist die Trajektorie nicht geschlossen, und der Attraktor ist ein Grenztorus, der von der Trajektorie asymptotisch vollständig ausgefüllt wird. Die zu diesem Attraktor korrespondierende Zeitreihe ist quasiperiodisch, d. h., es gibt keine echte Periode, aber das Frequenzspektrum besteht aus scharfen Linien.

Diese Beispiele sind Attraktoren, die im Phasenraum eine ganzzahlige Dimension besitzen.

Die Existenz von Attraktoren mit komplizierterer Struktur war zwar schon länger bekannt, man betrachtete sie aber zunächst als instabile Sonderfälle, deren Auftreten nur bei bestimmter Wahl des Ausgangszustands und der Systemparameter beobachtet wird. Dies änderte sich mit der Definition eines neuen, speziellen Typs von Attraktor:

  • Seltsamer Attraktor: In seinem Endzustand zeigt das System häufig ein chaotisches Verhalten (es gibt jedoch auch Ausnahmen, z. B. quasiperiodisch angetriebene nichtlineare Systeme). Der seltsame Attraktor lässt sich nicht in einer geschlossenen geometrischen Form beschreiben und besitzt keine ganzzahlige Dimension. Attraktoren nichtlinearer dynamischer Systeme weisen dann eine fraktale Struktur auf. Wichtiges Merkmal ist das chaotische Verhalten, d. h., jede noch so geringe Änderung des Anfangszustands führt im weiteren Verlauf zu signifikanten Zustandsänderungen. Prominentestes Beispiel ist der Lorenz-Attraktor, der bei der Modellierung von Luftströmungen in der Atmosphäre entdeckt wurde.

Mathematische Definition

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Formal betrachte man ein dynamisches System bestehend aus einem topologischen Raum und einer Transformation , wobei ein linear geordnetes Monoid ist – wie oder – und normalerweise stetig oder mindestens messbar ist (oder mindestens wird verlangt, dass stetig/messbar ist für jedes ) und erfüllt

für alle »Zeiten«  und Punkte .

Definition 1. Eine Teilmenge heißt dann vorwärts invariant, wenn

Mit anderen Worten: Sobald ein Punkt in die Teilmenge gelangt, entkommt er ihr nicht mehr.

Definition 2. Unter dem Sammelbecken einer Teilmenge versteht man die Menge

wobei die Menge der Umgebungen von ist. Mit Worten: Ist ein Punkt in genau dann, wenn für alle Umgebungen von dieser Punkt ab einem Zeitpunkt sich immer in dieser Umgebung aufhält.

Bemerkung. Im Falle eines kompakten metrisierten Raums ist diese Definition äquivalent zu

Bemerkung. Angenommen, der Raum sei metrisierbar und sei kompakt. Aus der Definition eines Sammelbeckens geht hervor, dass vorwärts invariant ist und . Manche Autoren definieren das Sammelbecken als die (offene) Menge mit diesen beiden Eigenschaften.

Definition 3. Unter einem Attraktor versteht man eine Teilmenge , die den folgenden Bedingungen genügt

1. ist vorwärts invariant;
2. Das Sammelbecken ist eine Umgebung von ;
3. ist eine minimale nicht leere Teilmenge von mit Bedingungen 1 und 2.

Bemerkung. Bedingung 1 erfordert eine gewisse Stabilität des Attraktors. Daraus folgt offensichtlich, dass . Anhand Bedingung 2 wird weiterhin verlangt, dass und bedeutet u. a., jeder Punkt in einer gewissen Nähe von nähere sich dem Attraktor beliebig. Manche Autoren lassen Bedingung 2 weg.[2] Bedingung 3 erfordert, dass der Attraktor nicht in weitere Komponenten zerlegt werden kann (ansonsten wäre bspw. der ganze Raum trivialerweise ein Attraktor).

  • G. Jetschke: Mathematik der Selbstorganisation. Harri-Deutsch-Verlag, Frankfurt/Main, 1989
  • T. Schürmann und I. Hoffmann: The entropy of strange billiards inside n-simplexes. In: J. Phys. Band A28, 1995, S. 5033ff. arxiv:nlin/0208048
Commons: Attractors – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. T. Schürmann und I. Hoffmann: The entropy of strange billiards inside n-simplexes. In: J. Phys. Band A28, 1995, S. 5033ff. arxiv:nlin/0208048
  2. Milnor, J. (1985). „On the Concept of Attractor.“ Comm. Math. Phys 99: 177–195.