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„Gähnen“ – Versionsunterschied

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[[Bild:Ducreuxyawn.jpg|thumb|150px|[[Joseph Ducreux]] Gähnen; [[Selbstportrait]] ca. 1783]]
[[Bild:Ducreuxyawn.jpg|thumb|150px|[[Joseph Ducreux]] Gähnen; [[Selbstportrait]] ca. 1783]]
Das '''Gähnen''' ist ein bei Tieren und Menschen auftretendes [[Reflex|reflexartiges]] Verhalten. Der Vorgang beginnt mit einem tiefen Atemzug, in dessen Verlauf der Mund weit geöffnet wird<ref name=Heusner>{{Literatur|Autor=A. Price Heusner|Titel=Yawning and Associated Phenomena|Sammelwerk=Physiological Review|Band=25|Jahr=1946|Seiten=156–168|Online=[http://bailpelement.com/rechenisrche/heusner.pdf PDF] }}</ref> und endet mit Schließen des Mundes bei gleichzeitiger Ausatmung.
Das '''Gähnen''' ist ein bei Tieren und Menschen auftretendes [[Reflex|reflexartiges]] Verhalten. Der Vorgang beginnt mit einem tiefen Atemzug, in dessen Verlauf der Mund weit geöffnet wird<ref name=Heusner>{{Literatur|Autor=A. Price Heusner|Titel=Yawning and Associated Phenomena|Sammelwerk=Physiological Review|Band=25|Jahr=1946|Seiten=156–168|Online=[http://baillement.com/heusner.html] }}</ref> und endet mit Schließen des Mundes bei gleichzeitiger Ausatmung.
Da Gähnen in der westlichen Kultur als Zeichen von [[Müdigkeit]] und/oder [[Langeweile]] gilt, werden von der gähnenden Person kaschierende Gesten erwartet. So ist es üblich, sich beim Gähnen die linke Hand vor den Mund zu halten oder sich abzuwenden. Teilweise wird sogar die Empfehlung gegeben, es ganz zu unterdrücken<ref name= Sucher>{{Literatur|Autor=C.B. Sucher|Titel=Gähn! Wer gähnen muss, verhalte sich unauffällig.|Verlag=Sueddeutsche Zeitung|Online=[http://stellenmarkt-content.sueddeutsche.de/jobkarriere/erfolggeld/schwerpunkt/856/36820/1/index.html/jobkarriere/erfolggeld/artikel/272/23249/article.html sueddeutsche.de/jobkarriere Süddeutsche Zeitung] }}</ref>.
Da Gähnen in der westlichen Kultur als Zeichen von [[Müdigkeit]] und/oder [[Langeweile]] gilt, werden von der gähnenden Person kaschierende Gesten erwartet. So ist es üblich, sich beim Gähnen die (linke)<ref>{{Literatur|Autor=Uwe Rutzen|Herausgeber=Kieler Nachrichten|Titel=Auf dem neuesten Benimm-Stand|Ort=Kiel|Jahr=2004|Monat=10|Tag=20|Online=http://www.kn-online.de/artikel/1514672 }}</ref> Hand vor den Mund zu halten oder sich abzuwenden. Teilweise wird sogar die Empfehlung gegeben, es ganz zu unterdrücken<ref name= Sucher>{{Literatur|Autor=C.B. Sucher|Titel=Gähn! Wer gähnen muss, verhalte sich unauffällig.|Verlag=Sueddeutsche Zeitung|Online=[http://stellenmarkt-content.sueddeutsche.de/jobkarriere/erfolggeld/schwerpunkt/856/36820/1/index.html/jobkarriere/erfolggeld/artikel/272/23249/article.html sueddeutsche.de/jobkarriere Süddeutsche Zeitung] }}</ref>.
Die genaue Ursache des Gähnens ist noch nicht eindeutig geklärt.
Die genaue Ursache des Gähnens ist noch nicht eindeutig geklärt.


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Gähnen leitet sich vom [[Mittelhochdeutsch]]en ''genen, ginen'' ab; dieses geht wiederum auf das [[althochdeutsch]]e ''ginēn'' „den Mund aufsperren, gähnen“ zurück: ''Am Anfang von allem waren Feuer und Wasser. Licht und Nebel bildeten das Chaos Ginungagap''. In der ältesten überlieferten deutschen Sprache ist Ginungagap das „klaffend Schlingende“ (''gin:'' „Rachen“), noch heute erkennbar in Wörtern wie „gähnen“ und „beginnen“<ref> {{Literatur|Autor=J. Lodemann|Titel=Siegfried und Krimhild. Die Nibelungen|Verlag=Dtv|Jahr=2005|Monat=August|ISBN=10 3423133597, 13 978-3423133593}}</ref>.
Gähnen leitet sich vom [[Mittelhochdeutsch]]en ''genen, ginen'' ab; dieses geht wiederum auf das [[althochdeutsch]]e ''ginēn'' „den Mund aufsperren, gähnen“ zurück: ''Am Anfang von allem waren Feuer und Wasser. Licht und Nebel bildeten das Chaos Ginungagap''. In der ältesten überlieferten deutschen Sprache ist Ginungagap das „klaffend Schlingende“ (''gin:'' „Rachen“), noch heute erkennbar in Wörtern wie „gähnen“ und „beginnen“<ref> {{Literatur|Autor=J. Lodemann|Titel=Siegfried und Krimhild. Die Nibelungen|Verlag=Dtv|Jahr=2005|Monat=August|ISBN=10 3423133597, 13 978-3423133593}}</ref>.
Alle der germanischen Wortgruppe angehörenden Wörter kommen wiederum aus der [[Indogermanische Sprachfamilie|indogermanischen]] Wurzel ''ĝhē-'' „gähnen, klaffen“ und ahmen ursprünglich den Gähnlaut nach.
Alle der germanischen Wortgruppe angehörenden Wörter kommen wiederum aus der [[Indogermanische Sprachfamilie|indogermanischen]] Wurzel ''ĝhē-'' „gähnen, klaffen“ und ahmen ursprünglich den Gähnlaut nach.
Verwandt sind auch das griechische ''cháskein –chásma'' „klaffende Öffnung, cháos leerer Raum, Luftraum, Kluft“ (siehe auch [[Chaos]] und [[Glas]]). Auf diesen Stamm geht auch [[Gier]] zurück.
Verwandt sind auch das griechische ''cháskein –chásma'' „klaffende Öffnung“, ''cháos'' „leerer Raum, Luftraum, Kluft“ (siehe auch [[Chaos]] und [[Glas]]).
Auch im Englischen ‚yawning’, das vom Alt-Englischen ‚ganien’ oder ‚ginian’ kommt, oder Niederländischen ‚gapen’ ist diese Wurzel zu erkennen.
Auch im Englischen „yawning“, das vom Alt-Englischen ''ganien'' oder ''ginian'' kommt, oder Niederländischen „gapen“ ist diese Wurzel zu erkennen.


In der griechischen [[Mythologie]] entsprang aus der gähnenden [[Nyx (Mythologie)|Nyx]] das Chaos und man glaubte, die Seele wolle beim Gähnen aus dem Körper ausbrechen und zu den Göttern im Olymp aufsteigen. Dieser Glaube wurde in ähnlicher Form von den [[Maya]] geteilt.
In der griechischen [[Mythologie]] entsprang aus der gähnenden [[Nyx (Mythologie)|Nyx]] das Chaos und man glaubte, die Seele wolle beim Gähnen aus dem Körper ausbrechen und zu den Göttern im Olymp aufsteigen. Ein ähnlicher Glaube wurde von den [[Maya]] geteilt.


Laut einer keltischen Sage kann der der Held [[Assipattle]] den Lindwurm besiegen indem er mit einer Wasserwoge durch das gähnende Maul in den finsteren Schlund des Scheusals hinunterspült. <ref>{{Literatur|Herausgeber=Hannah Aitken und Ruth Michaelis-Jena|Titel=Schottische Volksmärchen|Verlag=Diederichs|Jahr=1965}}</ref>.
Auch im Mittelalter war mit dem Gähnen der Glaube an Dämonen und Teufel verbunden – man hatte Angst sie könnten durch den geöffneten Mund in den Körper eindringen. Aus dieser Zeit stammt die Gewohnheit sich die Hand vor den Mund zu halten.
[[Giovanni Della Casa|Della Casa]] schrieb schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts in seinem „Erziehungsbuch“ Galateo: ''Gelehrte hörte ich oft sagen, dass 'Gähner' im Lateinischen soviel bedeutet wie 'Faulenzer' oder 'Nichtstuer'. Vermeide also diese Unsitte, die das Ohr, die Augen und den guten Geschmack beleidigt; schließlich zeigt das Gähnen nicht nur, dass wir der anwesenden Gesellschaft wenig gewogen sind, sondern es wirft auch ein schlechtes Licht auf uns selber. Es sieht aus, als wären wir schläfrig und müden Geistes, was uns nicht eben liebenswürdig macht für diejenigen, mit denen wir umgehen.''


Auch im Mittelalter war mit dem Gähnen der Glaube an Dämonen und Teufel verbunden – man hatte Angst sie könnten durch den geöffneten Mund in den Körper eindringen oder die Seele könne aus dem Körper entweichen. Aus dieser Zeit stammt die Gewohnheit sich die Hand vor den Mund zu halten.
1942 publizierte der Amerikaner [[Joseph Moore]] als erster über Experimente zum Thema Gähnen. Er hatte mit seinen [[Versuch (Wissenschaft)|Versuchen]] nach [[Visuelle Wahrnehmung|visuellen]] und [[Auditive Wahrnehmung|auditiven]] [[Reiz|Stimuli]] gesucht, die Gähnen auslösen. Damals war es eine Revolution, unter kontrollierten Bedingungen Versuche durchzuführen. Trainierte Studenten gähnten „kontrolliert“ während der Vorlesungen, des Gottesdienstes und im Lesesaal einer Bibliothek. Am häufigsten wurde bei der Morgenandacht mitgegähnt. Außerdem ließ Moore [[Proband]]en Gähnen sehen oder hören. Methodisch wies seine [[Experiment]]enreihe viele Schwächen auf&nbsp;– so fehlte beispielsweise eine Kontrollgruppe. Ihre Stärke liegt hauptsächlich in der quantitativen Herangehensweise.
Andere Vermutungen zu dem Ursprung dieser Sitte sind profaner. Da in die Zähne in früheren Zeiten häufig in schlechtem Zustand, damit unschön anzusehen und der Grund für starken Mundgeruch waren.


[[Giovanni Della Casa|Della Casa]] schrieb in der Mitte des 16. Jahrhunderts in seinem „Erziehungsbuch“ Galateo: ''Gelehrte hörte ich oft sagen, dass 'Gähner' im Lateinischen soviel bedeutet wie 'Faulenzer' oder 'Nichtstuer'. Vermeide also diese Unsitte, die das Ohr, die Augen und den guten Geschmack beleidigt; schließlich zeigt das Gähnen nicht nur, dass wir der anwesenden Gesellschaft wenig gewogen sind, sondern es wirft auch ein schlechtes Licht auf uns selber. Es sieht aus, als wären wir schläfrig und müden Geistes, was uns nicht eben liebenswürdig macht für diejenigen, mit denen wir umgehen.''
In fast allen Kulturen bestehen Aberglauben in Verbindung mit dem Gähnen.

* Beim Gähnen ist Gefahr in Verzug.
Auch in anderen Kulturen bestehen und bestanden zum Gähnen Verhaltensmaßregeln. So schrieb der Japaner [[Tsunetomo Yamamoto]] um 1715 in seinem Ehrenkodex für [[Samurai]] „In der Gegenwart von anderen zu gähnen ist ungebührlich. Bei einem unerwarteten Gähnen reibe deine Stirn mit der Hand von unten nach oben, was normalerweise genügt, um ein Gähnen zu unterdrücken. Wenn das nicht funktioniert, verberge das Gähnen vor anderen, indem du die dichtgeschlossenen Lippen mit deiner Zungenspitze leckst, dein Gähnen hinter dem Ärmel oder deiner Hand verbirgst. Das gleiche gilt fürs Niesen. Gähnen und Niesen lassen dich meist närrisch aussehen“.<ref>{{Literatur|Autor=Tsunetomo Yamamoto|Titel=Hagakure. Der Weg des Samurai|Verlag=Piper|Ort=München|Jahr=2000 (1710-16)|Seiten=333|ISBN=ISBN-13: 978-3822506448}}</ref>

Nach Auffassung der Yogaphilosophie bewirkt eines der fünf [[Prana|Nebenpranas]], genannt Devadatta, das Gähnen. <ref>http://www.yoga-vidya.de/Yoga--Buch/BuchPranayama/Kapitel_1.html</ref>.

1768 warnte [[Simon-Auguste Tissot]] in seinem Ratgeber „Von der Gesundheit der Gelehrten“ speziell für „Menschen, die viel sitzen und studieren“ vor der „Wirkung der Getränke auf den Gelehrtenkörper“ vor einem zu hohen Konsum von Tee, da er „sehr starke und gesunde Männer gesehen habe, denen etliche Tassen Thee, nüchtern getrunken, Blödigkeiten, Gähnen, Übelfinden verursachten, [...]“<ref>{{Literatur|Autor=S. A. D. Tissot|Titel=Von der Gesundheit der Gelehrten|Verlag=Artemis & Winkler Verlag|Jahr=1982|Seiten=264|ISBN=ISBN-10: 3760803733}}</ref>.

[[Schopenhauer]] äußerte sich zum Gähnen 1850 „Das Gähnen gehört zu den Reflexbewegungen. Ich vermuthe, daß seine entferntere Ursache eine durch Langeweile, Geistesträgheit, oder Schläfrigkeit herbeigeführte momentane Depotenzirung des Gehirns ist, über welches jetzt das Rückenmark das Uebergewicht erhält und nun aus eigenen Mitteln jenen sonderbaren Krampf hervorruft. Hingegen kann das dem Gähnen oft gleichzeitige Recken der Glieder, da es, obwohl unvorsätzlich eintretend, doch der Willkür unterworfen bleibt, nicht mehr den Reflexbewegungen beigezählt werden. Ich glaube, daß, wie das Gähnen in letzter Instanz aus einem Deficit an Sensibilität entsteht, so das Recken aus einem angehäuften, momentanen Ueberschuß an Irritabilität, dessen man sich dadurch zu entledigen sucht. Demgemäß tritt es nur in Perioden der Stärke, nicht in denen der Schwäche ein.“ <ref>{{Literatur|Autor=Arthur Schopenhauer|Titel=Parerga und Paralipomena|Sammelwerk=Zürcher Ausgabe|Verlag=Diogenes|Jahr=1977|ISBN=ISBN-10: 3257203802}}</ref>


In fast allen Kulturen bestanden oder bestehen Aberglauben in Verbindung mit dem Gähnen.
*Das Gähnen während der Geburt ist tödlich, so wie das Niesen nach dem Beischlafe einen Abortus bewirkt. - Gaius Plinius Secundus<ref>{{Literatur|Autor=Gaius Plinius Secundus|Titel=Historia Naturalis|Band=Greno 10/20|Nummer=17|Ort=Nördlingen|Jahr=1987}}</ref>
*„Gähnt man am Jahresende, ist dies nach weitverbreiteter Uberzeugung unbedingt als gutes Vorzeichen für das kommende Jahr zu werten“<ref>{{Literatur|Autor=Ditte und Giovanni Bandini|Titel=Kleines Lexikon des Aberglaubens|Verlag=dtv|Ort=München|Jahr=1998}}</ref>
* Beim Gähnen ist Gefahr in Verzug (England).
* Bedeckt man beim Gähnen seinen Mund nicht, kann einem der Teufel die Seele rauben (Estland).
* Bedeckt man beim Gähnen seinen Mund nicht, kann einem der Teufel die Seele rauben (Estland).
* In einigen Lateinamerikanischen Ländern, Asien und Zentral Afrika glaubt man, andere denken an einen, wenn man gähnen muss.
* In einigen Lateinamerikanischen Ländern, Asien und Zentral Afrika glaubt man, andere denken an einen, wenn man gähnen muss.
* Jemand der gähnen muss ist mit dem [[Böser Blick|bösen Blick]] belegt (Griechenland)
* Jemand der gähnen muss ist mit dem [[Böser Blick|bösen Blick]] belegt (Griechenland)


1942 publizierte der Amerikaner [[Joseph Moore]] als erster über Experimente zum Thema Gähnen<ref>{{Literatur|Autor=Joseph E. Moore|Titel=Some psychological aspects of yawning|Sammelwerk=The Journal of General Psychology|Band=27|Jahr=1942|Seiten=289-294|Online=http://www.baillement.com/yawning-moore.html }}</ref>. Er hatte mit seinen [[Versuch (Wissenschaft)|Versuchen]] nach [[Visuelle Wahrnehmung|visuellen]] und [[Auditive Wahrnehmung|auditiven]] [[Reiz|Stimuli]] gesucht, die Gähnen auslösen. Damals war es eine Revolution, unter kontrollierten Bedingungen Versuche durchzuführen. Trainierte Studenten gähnten „kontrolliert“ während der Vorlesungen, des Gottesdienstes und im Lesesaal einer Bibliothek. Am häufigsten wurde bei der Morgenandacht mitgegähnt. Außerdem ließ Moore [[Proband]]en Gähnen sehen oder hören. Methodisch wies seine [[Experiment]]enreihe viele Schwächen auf&nbsp;– so fehlte beispielsweise eine Kontrollgruppe. Ihre Stärke liegt hauptsächlich in der quantitativen Herangehensweise.


== Vorkommen ==
== Vorkommen ==
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Bei Pferden wird zwischen gähnen und [[Flehmen|flehmen]] unterschieden. Ersteres geschieht mit geöffnetem Kiefer, während beim Flehmen nur die Oberlippe nach oben gestülpt wird.<ref> {{Literatur|Titel=Pferdewissen|Online=[http://www.pferdewissen.ch/verhalten.html] }}</ref>
Bei Pferden wird zwischen gähnen und [[Flehmen|flehmen]] unterschieden. Ersteres geschieht mit geöffnetem Kiefer, während beim Flehmen nur die Oberlippe nach oben gestülpt wird.<ref> {{Literatur|Titel=Pferdewissen|Online=[http://www.pferdewissen.ch/verhalten.html] }}</ref>


Hunde gähnen ausgiebig und aus unterschiedlichen Gründen, beispielsweise um nach einer Ruheperiode „in Gang zu kommen“, in Verbindung mit Strecken und Recken. Eine weitere wichtige Funktion des Gähnens bei Hunden ist die [[Beschwichtigungssignal (Hund)|Beschwichtigungsgeste]].
Hunde gähnen ausgiebig und aus unterschiedlichen Gründen, beispielsweise um nach einer Ruheperiode „in Gang zu kommen“, in Verbindung mit Strecken und Recken. Eine weitere wichtige Funktion des Gähnens bei Hunden ist die der [[Beschwichtigungssignal (Hund)|Beschwichtigung]].


1949 wurde von [[Julian Huxley]] sogar beschrieben, dass [[Ameisen]] nach dem Aufwachen erst ihren Kopf, danach ihre sechs Beine strecken und dann ihre Kiefer auf eine Art und Weise aufsperren, die an Gähnen erinnert.
1949 wurde von [[Julian Huxley]] sogar beschrieben, dass [[Ameisen]] nach dem Aufwachen erst ihren Kopf, danach ihre sechs Beine strecken und dann ihre Kiefer auf eine Art und Weise aufsperren, die an Gähnen erinnert.
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== Theorien (Stand 2007) ==
== Theorien (Stand 2007) ==
Beim Gähnen kann nicht im eigentlichen Sinne von einem Reflex gesprochen werden, da die Reflexen zugeschriebenen Eigenschaften fehlen. Gähnen ist keine schnelle und kurze Antwort auf einen einfachen [[Reiz]]. Einmal begonnen ist der Ablauf genauso wenig zu stoppen wie der des [[Niesen]]s.
Beim Gähnen kann nicht im eigentlichen Sinne von einem Reflex gesprochen werden, da die Reflexen zugeschriebenen Eigenschaften fehlen. Gähnen ist keine schnelle und kurze Antwort auf einen einfachen [[Reiz]]. Einmal begonnen ist der Ablauf genauso wenig zu stoppen wie der des [[Niesen]]s.
Essentiell beim Gähnen sind das Öffnen des [[Unterkiefer]]s, die Dehnungen einer Vielzahl von [[Gesichtsmuskel]]n, das nach hinten Legen des Kopfes und das Zusammenkneifen oder Schließen der Augen, manchmal von [[Träne]]nfluss begleitet. Ohne diese Rückkopplung bleibt ein befriedigtes Gefühl aus.
Essentiell beim Gähnen sind das Öffnen des [[Unterkiefer]]s, die Dehnungen einer Vielzahl von [[Gesichtsmuskel]]n, das nach hinten Legen des Kopfes und das Zusammenkneifen oder Schließen der Augen, manchmal von [[Träne]]nfluss begleitet. Ohne diese Rückkopplungen bleibt ein befriedigtes Gefühl aus (siehe auch ''Selbstversuche nach Provine'').


Die Dauer eines durchschnittlichen Gähnvorgangs beträgt ungefähr sechs Sekunden, zeigt aber eine große Variation. So kann nur dreieinhalb Sekunden oder wesentlich länger als sechs Sekunden gegähnt werden.
Die Dauer eines durchschnittlichen Gähnvorgangs beträgt ungefähr sechs Sekunden, zeigt aber eine große Variation. So kann nur dreieinhalb Sekunden oder wesentlich länger als sechs Sekunden gegähnt werden.
Meist wird mehrere Male hintereinander gegähnt, wobei die Intervalllänge bei circa 68 Sekunden liegt. Zwischen der Häufigkeit und der Dauer des Vorgangs gibt es keinen signifikanten Zusammenhang.<ref name="Provine2005"/>
Meist wird mehrere Male hintereinander gegähnt, wobei die Intervalllänge bei circa 68 Sekunden liegt. Zwischen der Häufigkeit und der Dauer des Vorgangs gibt es keinen signifikanten Zusammenhang.<ref name="Provine2005"/>


Die Kontraktion der Gesichtsmuskeln und die Bewegung der Kiefergelenke ist für die befriedigende Ausführung des Gähnens anscheinend von Bedeutung. So bleibt beim unterdrückten Gähnen ein Gefühl des Unbehagens.
Die Kontraktion der Gesichtsmuskeln und die Bewegung der Kiefergelenke ist für die befriedigende Ausführung des Gähnens anscheinend von Bedeutung. Außerdem steht Gähnen in enger Verwandtschaft zum Strecken. Ebenso wie das Strecken erhöht das Gähnen den [[Blutdruck]] und den Herzschlag. Ferner werden etliche Gelenke und Sehnen gedehnt<ref name="Provine2005"/>.
Studien von deVries et al.<ref> {{Literatur|Autor=J. I. De Vries, G. H. A. Visser and H. F. R. Prechtl|Titel=The emergence of fetal behavior: I. Qualitative aspects.|Sammelwerk=Early Hum. Dev|Band=7|Jahr=1982|Seiten=301-322}}</ref> in den frühen 1980er Jahren zeigen, dass Gähnen und Strecken schon beim [[Fötus]] gekoppelt sind. Von Wissenschaftlern konnte schon ab der 11. Woche der Schwangerschaft Gähnen beobachtet werden<ref>{{Literatur|Autor=R. R. Provine|Herausgeber=W. P. Smotherman and S. R. Robinson|Titel=Behavior of the fetus|Sammelwerk=Ethol. sociobiol|Band=10|Verlag=Telford Press|Ort=Caldwell, New Jersey|Jahr=1988|Seiten=35-46}}</ref>. Es ist sehr wahrscheinlich, dass hier nicht Langeweile die Ursache ist, sondern andere Gründe vorliegen müssen. Gemessen wurde, dass der Druck in der Lunge vermindert und Gewebefetzen und abgesondertes [[Sekret]] ausgeschieden werden. Damit wird einer Erweiterung der Atemwege und der [[Lunge]] entgegengewirkt. Somit dient das Gähnen vor der Geburt wahrscheinlich einer verbesserten Lungenfunktion nach der Geburt. Außerdem müssen Gelenke, sollen sie sich funktionstüchtig entwickeln, schon im Mutterleib bewegt werden. Das gilt natürlich auch für das Kiefergelenk.
Studien von deVries et al.<ref> {{Literatur|Autor=J. I. De Vries, G. H. A. Visser and H. F. R. Prechtl|Titel=The emergence of fetal behavior: I. Qualitative aspects.|Sammelwerk=Early Hum. Dev|Band=7|Jahr=1982|Seiten=301-322}}</ref> in den frühen 1980er Jahren zeigen, dass Gähnen und Strecken schon beim [[Fötus]] gekoppelt sind.
Von Wissenschaftlern konnte schon ab der 11. Woche der Schwangerschaft Gähnen beobachtet werden<ref>{{Literatur|Autor=R. R. Provine|Herausgeber=W. P. Smotherman and S. R. Robinson|Titel=Behavior of the fetus|Sammelwerk=Ethol. sociobiol|Band=10|Verlag=Telford Press|Ort=Caldwell, New Jersey|Jahr=1988|Seiten=35-46}}</ref>. Es ist sehr wahrscheinlich, dass hier nicht Langeweile die Ursache ist, sondern andere Gründe vorliegen müssen. Gemessen wurde, dass der Druck in der Lunge vermindert und Gewebefetzen und abgesondertes [[Sekret]] ausgeschieden werden. Damit wird einer Erweiterung der Atemwege und der [[Lunge]] entgegengewirkt. Somit dient das Gähnen vor der Geburt wahrscheinlich einer verbesserten Lungenfunktion nach der Geburt. Außerdem müssen Gelenke, sollen sie sich funktionstüchtig entwickeln, schon im Mutterleib bewegt werden. Das gilt natürlich auch für das Kiefergelenk.
Vermutet wird, dass Gähnen und Strecken aus dem gleichen „Verhaltenspool“ gespeist werden. Sie treten aber nicht immer gemeinsam auf. So gähnen Menschen in der Regel, wenn sie sich strecken, strecken sich aber nicht zwingend, wenn sie gähnen, besonders nicht beim abendlichen Gähnen<ref name="Provine2005"/>.


Ein Effekt des Gähnens ist sicher der Druckausgleich zwischen [[Mittelohr]] und Umgebung durch die [[Eustachi-Röhre]]. Diese ist nicht immer offen sondern öffnet sich regelmäßig um den Druckausgleich herzustellen. In der Regel geschieht dies bei Kau-oder Schluckbewegungen. Ist man erkältet, die Schleimhäute also etwas geschwollen oder finden Druckschwankungen sehr schnell statt, wie beispielsweise beim fliegen oder tauchen, kann es sein, dass der Druckausgleich forciert werden muss<ref>{{Literatur|Autor=Thomas de Padova|Herausgeber=Der Tagesspiegel|Titel=Warum entsteht beim Fliegen Druck aufs Ohr?|Jahr=2005|Monat=Mai|Tag=25|Online=http://www.tagesspiegel.de/magazin/wissen/gesundheit/;art300,2209893 }}</ref>. Dies kann auch mittels Gähnen geschehen. Die gähnende Person hört einen ‚Plop’, wenn der Druckausgleich hergestellt wird.
Die Richtigkeit der Annahme, dass Gähnen beim Druckausgleich zwischen [[Mittelohr]] und Umgebung durch die [[Eustachi-Röhre]] helfen kann, kann durch einfache Selbstversuche überprüft werden. Die gähnende Person hört einen ‚Plop’, wenn der Druckausgleich hergestellt wird. Ein solcher Druckausgleich ist meist nötig, wenn sich der Umgebungsdruck schnell ändert, wie während Start oder Landung bei Flugreisen, bei Bergfahrten mit dem Auto oder beim Sporttauchen.
Es wird auch von Menschen berichtet, die bei Aufzug von Gewittern besonders ausgiebig gähnen müssen – Ursache könnte auch hier die Änderung des Luftdrucks sein.
Es wird auch von Menschen berichtet, die bei Aufzug von Gewittern besonders ausgiebig gähnen müssen – Ursache könnte auch hier die Änderung des Luftdrucks sein.


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Einige Schulen der [[Psychotherapie]] vertreten die Auffassung, dass Gähnen, neben [[Lachen]] und [[Weinen]], die Verarbeitung von schmerzlichen Emotionen begleitet und daher als Zeichen der Heilung zu werten ist.
Einige Schulen der [[Psychotherapie]] vertreten die Auffassung, dass Gähnen, neben [[Lachen]] und [[Weinen]], die Verarbeitung von schmerzlichen Emotionen begleitet und daher als Zeichen der Heilung zu werten ist.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist hierbei, dass bei Patienten mit [[Schizophrenie]], also einer gestörten Selbstwahrnehmung, das Gähnen signifikant verringert ist.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist hierbei, dass bei Patienten mit [[Schizophrenie]], also einer gestörten Selbstwahrnehmung, das Gähnen signifikant verringert ist.

Gähnen steht in enger Verwandtschaft zum Strecken. Ebenso wie das Strecken erhöht das Gähnen den [[Blutdruck]] und den Herzschlag. Ferner werden etliche Gelenke und Sehnen gedehnt. Was beispielsweise zur Vorbereitung auf eine Aktion gesehen werden kann. Vermutet wird, dass beide möglicherweise aus dem gleichen „Verhaltenspool“ gespeist werden. Sie treten nicht immer gemeinsam auf. So gähnen Menschen in der Regel, wenn sie sich strecken, strecken sich aber nicht zwingend, wenn sie gähnen, besonders nicht beim abendlichen Gähnen<ref name="Provine2005"/>.


[[Gordon G. Gallup|Gordon Gallup]] vertritt die Auffassung, Gähnen könnte der Kühlung des Gehirns dienen. Da Säugetiergehirne am besten arbeiten, wenn sie kühl sind, schien es ihm plausibel, dass sich in ihrer Entwicklung Mechanismen zur Kühlung herausbildeten.
[[Gordon G. Gallup|Gordon Gallup]] vertritt die Auffassung, Gähnen könnte der Kühlung des Gehirns dienen. Da Säugetiergehirne am besten arbeiten, wenn sie kühl sind, schien es ihm plausibel, dass sich in ihrer Entwicklung Mechanismen zur Kühlung herausbildeten.
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Dazu passen Überlegungen, dass Gähnen allgemein ein Mittel zur [[Thermoregulation]] des Körpers sein könnte.
Dazu passen Überlegungen, dass Gähnen allgemein ein Mittel zur [[Thermoregulation]] des Körpers sein könnte.


All diese Effekte des Gähnens können als eine Art ''synchronisierende Gruppen-Aktivität'' gesehen werden, vergleichbar mit dem Heulen der Wölfe. Dafür sprechen Beobachtungen bei anderen Primaten, die beispielsweise ihren Schlaf/Wachrhythmus aufeinander abstimmen.<ref name="Schürmann">Schürmann et al.; Yearning to yawn: the neural basis of contagious yawning; NeuroImage; 24;4; 1260–1264; 2005 </ref><ref name="Platek">Platek et al.; Contagious Yawning and The Brain; Cognitive Brain Research; 23; 2-3; 448-52; 2005.</ref>
All diese Effekte des Gähnens können als eine Art „synchronisierende Gruppen-Aktivität“ gesehen werden, vergleichbar mit dem Heulen der Wölfe, um sich beispielsweise auf eine Aktion vorzubereiten. Dafür sprechen Beobachtungen bei anderen Primaten, die beispielsweise ihren Schlaf/Wachrhythmus aufeinander abstimmen.<ref name="Schürmann">Schürmann et al.; Yearning to yawn: the neural basis of contagious yawning; NeuroImage; 24;4; 1260–1264; 2005 </ref><ref name="Platek">Platek et al.; Contagious Yawning and The Brain; Cognitive Brain Research; 23; 2-3; 448-52; 2005.</ref>
Die Auffassung von Gallup, durch Gähnen eine Gehirnkühlung zu bewirken, könnte demnach ein Überbleibsel aus unserer evolutionären Vergangenheit sein, wobei die ganze Gruppe beim gemeinsamen Gähnen in einen erhöhten Aufmerksamkeitsstatus kommt und damit besser in der Lage ist, Gefahren zu erkennen<ref>{{Literatur|Autor=Gordon G. Gallup|Titel=The Science of Yawning|Media=Good Morning America|Band=5|Nummer=1|Jahr=2007|Tag=30|Monat=July|[http://abcnews.go.com/GMA/Story?id=3425960&page=1 Good Morning America – The Science of Yawning (July 30, 2007)]}}</ref>.
Die Auffassung von Gallup, durch Gähnen eine Gehirnkühlung zu bewirken, könnte demnach ein Überbleibsel aus unserer evolutionären Vergangenheit sein, wobei die ganze Gruppe beim gemeinsamen Gähnen in einen erhöhten Aufmerksamkeitsstatus kommt und damit besser in der Lage ist, Gefahren zu erkennen<ref>{{Literatur|Autor=Gordon G. Gallup|Titel=The Science of Yawning|Media=Good Morning America|Band=5|Nummer=1|Jahr=2007|Tag=30|Monat=July|[http://abcnews.go.com/GMA/Story?id=3425960&page=1 Good Morning America – The Science of Yawning (July 30, 2007)]}}</ref>.
Auch die Theorie, dass Gähnen dabei hilft, die als [[Surfactant]] bezeichnete Substanz, welche das Lungengewebe „beschichtet“ und beim Sauerstoffaustausch hilft, gleichmäßig zu verteilen widerspricht dieser evolutionären Deutung nicht.
Auch die Theorie, dass Gähnen dabei hilft, die als [[Surfactant]] bezeichnete Substanz, welche das Lungengewebe „beschichtet“ und beim Sauerstoffaustausch hilft, gleichmäßig zu verteilen widerspricht dieser evolutionären Deutung nicht.
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Eine besondere Demonstration für die Verbindung zwischen Gähnen und Strecken sind Beobachtungen bei [[Schlaganfall]]patienten, die halbseitig gelähmt sind. Der englische Neurologe [[Sir Francis Walshe|Walshe]] berichtete schon 1923 von halbseitig gelähmten Patienten, die ihre gelähmten Arme beim Gähnen automatisch mit streckten. Gähnen aktivierte anscheinend intakte, unbewusst kontrollierte Verbindungen zwischen Hirn und motorischem System.
Eine besondere Demonstration für die Verbindung zwischen Gähnen und Strecken sind Beobachtungen bei [[Schlaganfall]]patienten, die halbseitig gelähmt sind. Der englische Neurologe [[Sir Francis Walshe|Walshe]] berichtete schon 1923 von halbseitig gelähmten Patienten, die ihre gelähmten Arme beim Gähnen automatisch mit streckten. Gähnen aktivierte anscheinend intakte, unbewusst kontrollierte Verbindungen zwischen Hirn und motorischem System.


Klinische Neurologen berichten noch von anderen Besonderheiten. So können einige Patienten mit dem sogenannten [[Locked-in-Syndrom]] normal gähnen. Daraus kann man schließen, dass neben den [[Atmung|respiratorischen]] und [[Vasomotorik|vasomotorischen]] Zentren noch andere neuronale Schaltungen für spontanes Gähnen bestehen müssen.
Klinische Neurologen berichten noch von anderen Besonderheiten. So können einige Patienten mit dem sogenannten [[Locked-in-Syndrom]] normal gähnen. Dieses Verhalten muss von alten Gehirnanteilen, wie beispielsweise den [[Atmung|respiratorischen]] und [[Vasomotorik|vasomotorischen]] Zentren gesteuert werden. Daher kann man davon ausgehen, dass beim ansteckenden Gähnen, das durch vielfältige Stimuli ausgelöst wird, zumindest noch eine zweiten, übergeordnet Hirnregion beteiligt ist.
Dies widerspricht allerdings der Vielfalt der Stimuli beim ansteckenden Gähnen. Daher kann von einer zweiten, übergeordnet beteiligten Hirnregion ausgegangen werden.


Häufiges Gähnen gilt als Symptom einiger Krankheiten<ref>{{Literatur|Autor=R. H. Shmerling|Titel=Medical Myths: What Are You Yawning About?|Verlag=Aetna InteliHealth|Jahr=2006|Monat=January|Tag=9|Online=[http://www.intelihealth.com/IH/ihtIH/EMIC000/35320/35323/373860.html] }}</ref>.
Häufiges Gähnen gilt als Symptom einiger Krankheiten<ref>{{Literatur|Autor=R. H. Shmerling|Titel=Medical Myths: What Are You Yawning About?|Verlag=Aetna InteliHealth|Jahr=2006|Monat=January|Tag=9|Online=[http://www.intelihealth.com/IH/ihtIH/EMIC000/35320/35323/373860.html] }}</ref>.
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* [[Amyotrophe Lateralsklerose]] (ALS)
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* [[Migräne]] (selten)
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* [[SUNCT-Syndrom]]
* [[Strahlenkrankheit]], inklusive [[Strahlentherapie]]
* [[Strahlenkrankheit]], inklusive [[Strahlentherapie]]
* [[Entzugssyndrom|Drogenentzug]]<ref>{{Literatur|Herausgeber=Universitätsklinik Frankfurt.|Titel=Drogen und Sucht|Online=http://www.klinik.uni-frankfurt.de/zpharm/klin/texte/kursskripte/DrogenUndSucht.pdf }}</ref>
* [[Entzugssyndrom|Drogenentzug]]<ref>{{Literatur|Herausgeber=Universitätsklinik Frankfurt.|Titel=Drogen und Sucht|Online=http://www.klinik.uni-frankfurt.de/zpharm/klin/texte/kursskripte/DrogenUndSucht.pdf }}</ref>

* [[SUNCT-Syndrom]]


Bei Personen, die an [[Schizophrenie]] leiden, wird von einer verminderten Neigung zum Gähnen berichtet.
Bei Personen, die an [[Schizophrenie]] leiden, wird von einer verminderten Neigung zum Gähnen berichtet.
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* [[Flecainid]] (Anitarrhythmikum)
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Nach Auffassung der Yogaphilosophie bewirkt eines der fünf [[Prana|Nebenpranas]], genannt Devadatta, das Gähnen. <ref>http://www.yoga-vidya.de/Yoga--Buch/BuchPranayama/Kapitel_1.html</ref>.


== Gängige Behauptungen über das Gähnen ==
== Gängige Behauptungen über das Gähnen ==

Version vom 14. September 2007, 17:34 Uhr

Joseph Ducreux Gähnen; Selbstportrait ca. 1783

Das Gähnen ist ein bei Tieren und Menschen auftretendes reflexartiges Verhalten. Der Vorgang beginnt mit einem tiefen Atemzug, in dessen Verlauf der Mund weit geöffnet wird[1] und endet mit Schließen des Mundes bei gleichzeitiger Ausatmung. Da Gähnen in der westlichen Kultur als Zeichen von Müdigkeit und/oder Langeweile gilt, werden von der gähnenden Person kaschierende Gesten erwartet. So ist es üblich, sich beim Gähnen die (linke)[2] Hand vor den Mund zu halten oder sich abzuwenden. Teilweise wird sogar die Empfehlung gegeben, es ganz zu unterdrücken[3]. Die genaue Ursache des Gähnens ist noch nicht eindeutig geklärt.

Geschichte

Gähnen leitet sich vom Mittelhochdeutschen genen, ginen ab; dieses geht wiederum auf das althochdeutsche ginēn „den Mund aufsperren, gähnen“ zurück: Am Anfang von allem waren Feuer und Wasser. Licht und Nebel bildeten das Chaos Ginungagap. In der ältesten überlieferten deutschen Sprache ist Ginungagap das „klaffend Schlingende“ (gin: „Rachen“), noch heute erkennbar in Wörtern wie „gähnen“ und „beginnen“[4]. Alle der germanischen Wortgruppe angehörenden Wörter kommen wiederum aus der indogermanischen Wurzel ĝhē- „gähnen, klaffen“ und ahmen ursprünglich den Gähnlaut nach. Verwandt sind auch das griechische cháskein –chásma „klaffende Öffnung“, cháos „leerer Raum, Luftraum, Kluft“ (siehe auch Chaos und Glas). Auch im Englischen „yawning“, das vom Alt-Englischen ganien oder ginian kommt, oder Niederländischen „gapen“ ist diese Wurzel zu erkennen.

In der griechischen Mythologie entsprang aus der gähnenden Nyx das Chaos und man glaubte, die Seele wolle beim Gähnen aus dem Körper ausbrechen und zu den Göttern im Olymp aufsteigen. Ein ähnlicher Glaube wurde von den Maya geteilt.

Laut einer keltischen Sage kann der der Held Assipattle den Lindwurm besiegen indem er mit einer Wasserwoge durch das gähnende Maul in den finsteren Schlund des Scheusals hinunterspült. [5].

Auch im Mittelalter war mit dem Gähnen der Glaube an Dämonen und Teufel verbunden – man hatte Angst sie könnten durch den geöffneten Mund in den Körper eindringen oder die Seele könne aus dem Körper entweichen. Aus dieser Zeit stammt die Gewohnheit sich die Hand vor den Mund zu halten. Andere Vermutungen zu dem Ursprung dieser Sitte sind profaner. Da in die Zähne in früheren Zeiten häufig in schlechtem Zustand, damit unschön anzusehen und der Grund für starken Mundgeruch waren.

Della Casa schrieb in der Mitte des 16. Jahrhunderts in seinem „Erziehungsbuch“ Galateo: Gelehrte hörte ich oft sagen, dass 'Gähner' im Lateinischen soviel bedeutet wie 'Faulenzer' oder 'Nichtstuer'. Vermeide also diese Unsitte, die das Ohr, die Augen und den guten Geschmack beleidigt; schließlich zeigt das Gähnen nicht nur, dass wir der anwesenden Gesellschaft wenig gewogen sind, sondern es wirft auch ein schlechtes Licht auf uns selber. Es sieht aus, als wären wir schläfrig und müden Geistes, was uns nicht eben liebenswürdig macht für diejenigen, mit denen wir umgehen.

Auch in anderen Kulturen bestehen und bestanden zum Gähnen Verhaltensmaßregeln. So schrieb der Japaner Tsunetomo Yamamoto um 1715 in seinem Ehrenkodex für Samurai „In der Gegenwart von anderen zu gähnen ist ungebührlich. Bei einem unerwarteten Gähnen reibe deine Stirn mit der Hand von unten nach oben, was normalerweise genügt, um ein Gähnen zu unterdrücken. Wenn das nicht funktioniert, verberge das Gähnen vor anderen, indem du die dichtgeschlossenen Lippen mit deiner Zungenspitze leckst, dein Gähnen hinter dem Ärmel oder deiner Hand verbirgst. Das gleiche gilt fürs Niesen. Gähnen und Niesen lassen dich meist närrisch aussehen“.[6]

Nach Auffassung der Yogaphilosophie bewirkt eines der fünf Nebenpranas, genannt Devadatta, das Gähnen. [7].

1768 warnte Simon-Auguste Tissot in seinem Ratgeber „Von der Gesundheit der Gelehrten“ speziell für „Menschen, die viel sitzen und studieren“ vor der „Wirkung der Getränke auf den Gelehrtenkörper“ vor einem zu hohen Konsum von Tee, da er „sehr starke und gesunde Männer gesehen habe, denen etliche Tassen Thee, nüchtern getrunken, Blödigkeiten, Gähnen, Übelfinden verursachten, [...]“[8].

Schopenhauer äußerte sich zum Gähnen 1850 „Das Gähnen gehört zu den Reflexbewegungen. Ich vermuthe, daß seine entferntere Ursache eine durch Langeweile, Geistesträgheit, oder Schläfrigkeit herbeigeführte momentane Depotenzirung des Gehirns ist, über welches jetzt das Rückenmark das Uebergewicht erhält und nun aus eigenen Mitteln jenen sonderbaren Krampf hervorruft. Hingegen kann das dem Gähnen oft gleichzeitige Recken der Glieder, da es, obwohl unvorsätzlich eintretend, doch der Willkür unterworfen bleibt, nicht mehr den Reflexbewegungen beigezählt werden. Ich glaube, daß, wie das Gähnen in letzter Instanz aus einem Deficit an Sensibilität entsteht, so das Recken aus einem angehäuften, momentanen Ueberschuß an Irritabilität, dessen man sich dadurch zu entledigen sucht. Demgemäß tritt es nur in Perioden der Stärke, nicht in denen der Schwäche ein.“ [9]


In fast allen Kulturen bestanden oder bestehen Aberglauben in Verbindung mit dem Gähnen.

  • Das Gähnen während der Geburt ist tödlich, so wie das Niesen nach dem Beischlafe einen Abortus bewirkt. - Gaius Plinius Secundus[10]
  • „Gähnt man am Jahresende, ist dies nach weitverbreiteter Uberzeugung unbedingt als gutes Vorzeichen für das kommende Jahr zu werten“[11]
  • Beim Gähnen ist Gefahr in Verzug (England).
  • Bedeckt man beim Gähnen seinen Mund nicht, kann einem der Teufel die Seele rauben (Estland).
  • In einigen Lateinamerikanischen Ländern, Asien und Zentral Afrika glaubt man, andere denken an einen, wenn man gähnen muss.
  • Jemand der gähnen muss ist mit dem bösen Blick belegt (Griechenland)


1942 publizierte der Amerikaner Joseph Moore als erster über Experimente zum Thema Gähnen[12]. Er hatte mit seinen Versuchen nach visuellen und auditiven Stimuli gesucht, die Gähnen auslösen. Damals war es eine Revolution, unter kontrollierten Bedingungen Versuche durchzuführen. Trainierte Studenten gähnten „kontrolliert“ während der Vorlesungen, des Gottesdienstes und im Lesesaal einer Bibliothek. Am häufigsten wurde bei der Morgenandacht mitgegähnt. Außerdem ließ Moore Probanden Gähnen sehen oder hören. Methodisch wies seine Experimentenreihe viele Schwächen auf – so fehlte beispielsweise eine Kontrollgruppe. Ihre Stärke liegt hauptsächlich in der quantitativen Herangehensweise.

Vorkommen

Gähnender Löwe

Als wahrscheinlich gilt, dass die meisten Säugetiere, aber wahrscheinlich sogar alle Wirbeltiere gähnen[13]. Charles Darwin erwähnt in seinem Buch Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren[14], dass Paviane gähnen, um ihren Feinden zu drohen. Ähnlich wird von Baenninger das Verhalten der Siamesischen Kampffische gedeutet, wenn sie einen Kontrahenten oder ihr Spiegelbild sehen[15].

Konrad Lorenz behauptete noch 1963, dass Vögel und Reptilien nicht gähnen. Diese Meinung kann als widerlegt gelten, da schon ab 1967 südafrikanische Strauße beim Gähnen beobachtet wurden und seitdem noch des öfteren[16] auch andere Vögel wie beispielsweise die Adeliepinguine. Bei ihnen ist gähnen ein Teil ihrer Begrüßungszeremonie. Auch bei Schlangen ist ein gähnähnliches Verhalten zu beobachten. Nach dem die Beute vollständig verschlungen ist, sortiert die Schlange ihre Schädelknochen durch mehrmaliges Gähnen.[17] Bei Säugetieren gähnen Raubtiere mehr als Pflanzenfresser. Giraffen, Wale und Delfine wurden noch nicht beim Gähnen beobachtet, Affen dafür umso mehr. Bei Pavianen und Makaken unterscheidet man zwischen echtem Gähnen (mit geschlossenen Augen) und einem Gähnen aus Affekt oder emotionaler Spannung (mit offenen Augen). Letzteres kann drohend sein oder eine sexuelle Komponente beinhalten. Ältere Affen, vor allem dominante, gähnen mehr als jüngere.[18]

Gähnendes Pferd

Bei Pferden wird zwischen gähnen und flehmen unterschieden. Ersteres geschieht mit geöffnetem Kiefer, während beim Flehmen nur die Oberlippe nach oben gestülpt wird.[19]

Hunde gähnen ausgiebig und aus unterschiedlichen Gründen, beispielsweise um nach einer Ruheperiode „in Gang zu kommen“, in Verbindung mit Strecken und Recken. Eine weitere wichtige Funktion des Gähnens bei Hunden ist die der Beschwichtigung.

1949 wurde von Julian Huxley sogar beschrieben, dass Ameisen nach dem Aufwachen erst ihren Kopf, danach ihre sechs Beine strecken und dann ihre Kiefer auf eine Art und Weise aufsperren, die an Gähnen erinnert. Viele Geschichten dieser Art leiden an ihrem eher beiläufigen Anekdotencharakter und sind nur wenig bis nicht wissenschaftlich untermauert.

Beim Menschen ist Gähnen wie das Lachen ein universell vorkommendes Verhalten. Bis jetzt wurde keine Volksgruppe beschrieben, die nicht gähnen würde. Anders als bei Affen und vielen anderen Säugetieren kann beim Menschen kein geschlechtsspezifischer Unterschied bei der Frequenz gefunden werden.[20]

Theorien (Stand 2007)

Beim Gähnen kann nicht im eigentlichen Sinne von einem Reflex gesprochen werden, da die Reflexen zugeschriebenen Eigenschaften fehlen. Gähnen ist keine schnelle und kurze Antwort auf einen einfachen Reiz. Einmal begonnen ist der Ablauf genauso wenig zu stoppen wie der des Niesens. Essentiell beim Gähnen sind das Öffnen des Unterkiefers, die Dehnungen einer Vielzahl von Gesichtsmuskeln, das nach hinten Legen des Kopfes und das Zusammenkneifen oder Schließen der Augen, manchmal von Tränenfluss begleitet. Ohne diese Rückkopplungen bleibt ein befriedigtes Gefühl aus (siehe auch Selbstversuche nach Provine).

Die Dauer eines durchschnittlichen Gähnvorgangs beträgt ungefähr sechs Sekunden, zeigt aber eine große Variation. So kann nur dreieinhalb Sekunden oder wesentlich länger als sechs Sekunden gegähnt werden. Meist wird mehrere Male hintereinander gegähnt, wobei die Intervalllänge bei circa 68 Sekunden liegt. Zwischen der Häufigkeit und der Dauer des Vorgangs gibt es keinen signifikanten Zusammenhang.[13]

Die Kontraktion der Gesichtsmuskeln und die Bewegung der Kiefergelenke ist für die befriedigende Ausführung des Gähnens anscheinend von Bedeutung. Außerdem steht Gähnen in enger Verwandtschaft zum Strecken. Ebenso wie das Strecken erhöht das Gähnen den Blutdruck und den Herzschlag. Ferner werden etliche Gelenke und Sehnen gedehnt[13]. Studien von deVries et al.[21] in den frühen 1980er Jahren zeigen, dass Gähnen und Strecken schon beim Fötus gekoppelt sind. Von Wissenschaftlern konnte schon ab der 11. Woche der Schwangerschaft Gähnen beobachtet werden[22]. Es ist sehr wahrscheinlich, dass hier nicht Langeweile die Ursache ist, sondern andere Gründe vorliegen müssen. Gemessen wurde, dass der Druck in der Lunge vermindert und Gewebefetzen und abgesondertes Sekret ausgeschieden werden. Damit wird einer Erweiterung der Atemwege und der Lunge entgegengewirkt. Somit dient das Gähnen vor der Geburt wahrscheinlich einer verbesserten Lungenfunktion nach der Geburt. Außerdem müssen Gelenke, sollen sie sich funktionstüchtig entwickeln, schon im Mutterleib bewegt werden. Das gilt natürlich auch für das Kiefergelenk. Vermutet wird, dass Gähnen und Strecken aus dem gleichen „Verhaltenspool“ gespeist werden. Sie treten aber nicht immer gemeinsam auf. So gähnen Menschen in der Regel, wenn sie sich strecken, strecken sich aber nicht zwingend, wenn sie gähnen, besonders nicht beim abendlichen Gähnen[13].

Ein Effekt des Gähnens ist sicher der Druckausgleich zwischen Mittelohr und Umgebung durch die Eustachi-Röhre. Diese ist nicht immer offen sondern öffnet sich regelmäßig um den Druckausgleich herzustellen. In der Regel geschieht dies bei Kau-oder Schluckbewegungen. Ist man erkältet, die Schleimhäute also etwas geschwollen oder finden Druckschwankungen sehr schnell statt, wie beispielsweise beim fliegen oder tauchen, kann es sein, dass der Druckausgleich forciert werden muss[23]. Dies kann auch mittels Gähnen geschehen. Die gähnende Person hört einen ‚Plop’, wenn der Druckausgleich hergestellt wird. Es wird auch von Menschen berichtet, die bei Aufzug von Gewittern besonders ausgiebig gähnen müssen – Ursache könnte auch hier die Änderung des Luftdrucks sein.

Nr. 23 Pars posterior cinguli

Bei Untersuchungen des Gähnens mit den neuen bildgebenden Verfahren wie dem Magnetresonanztomographen (MRT) konnte von Platek et al. gezeigt werden, dass während des Gähnens die gleichen Bereiche im Gehirn aktiv sind wie beispielsweise bei der Selbsteinschätzung oder dem autobiografischen Gedächtnis (Pars posterior des Cingulums, Precuneus) [24]. Diese Erkenntnis stützt die Theorie, die Ansteckung beim Gähnen stünde in Verbindung mit der Empathie.

Als gesichert gilt, dass beim Gähnen die gleichen Neurotransmitter beteiligt sind, die auch Emotionen, Stimmungen und den Appetit beeinflussen. Daher kann vermutet werden, dass die Ursache und Wirkung auch im selben Bereich zu suchen ist. Serotonin-, Dopamin- oder Glutaminsäure-Erhöhung im Gehirn steigert die Gähnfrequenz. Dahingegen lässt beispielsweise eine Erhöhung der Endorphine die Gähnfrequenz sinken. Einige Schulen der Psychotherapie vertreten die Auffassung, dass Gähnen, neben Lachen und Weinen, die Verarbeitung von schmerzlichen Emotionen begleitet und daher als Zeichen der Heilung zu werten ist. Ein weiterer interessanter Aspekt ist hierbei, dass bei Patienten mit Schizophrenie, also einer gestörten Selbstwahrnehmung, das Gähnen signifikant verringert ist.

Gordon Gallup vertritt die Auffassung, Gähnen könnte der Kühlung des Gehirns dienen. Da Säugetiergehirne am besten arbeiten, wenn sie kühl sind, schien es ihm plausibel, dass sich in ihrer Entwicklung Mechanismen zur Kühlung herausbildeten. Bei seinen Versuchen zeigte er mehreren Gruppen Videos gähnender Menschen. Wenn die Versuchspersonen währenddessen Eisbeutel an die Stirn hielten oder durch die Nase atmeten (eine weitere Art das Gehirn zu kühlen), gähnten sie nicht mit[25]. Dazu passen Überlegungen, dass Gähnen allgemein ein Mittel zur Thermoregulation des Körpers sein könnte.

All diese Effekte des Gähnens können als eine Art „synchronisierende Gruppen-Aktivität“ gesehen werden, vergleichbar mit dem Heulen der Wölfe, um sich beispielsweise auf eine Aktion vorzubereiten. Dafür sprechen Beobachtungen bei anderen Primaten, die beispielsweise ihren Schlaf/Wachrhythmus aufeinander abstimmen.[26][27] Die Auffassung von Gallup, durch Gähnen eine Gehirnkühlung zu bewirken, könnte demnach ein Überbleibsel aus unserer evolutionären Vergangenheit sein, wobei die ganze Gruppe beim gemeinsamen Gähnen in einen erhöhten Aufmerksamkeitsstatus kommt und damit besser in der Lage ist, Gefahren zu erkennen[28]. Auch die Theorie, dass Gähnen dabei hilft, die als Surfactant bezeichnete Substanz, welche das Lungengewebe „beschichtet“ und beim Sauerstoffaustausch hilft, gleichmäßig zu verteilen widerspricht dieser evolutionären Deutung nicht.

Drohgesten, wie das Zeigen der Zähne während des Gähnens, können als ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Sozialstruktur von Primatengesellschaften dienen. Studien hierzu wurden bei Schimpansen[29] und Stummelschwanz-Makakken [30] durchgeführt.

Eine Literaturstudie von Wolter Seuntjens an der Universität Amsterdam zufolge, wird Gähnen auch von Androgenen und Oxytocin [31] ausgelöst. Daher liegt die Vermutung nahe, dass beim Gähnen auch eine sexuelle Komponente mitspielt. Bei den meisten Säugetieren gähnen die Männchen mehr, wohingegen beim Menschen beide Geschlechter gleich viel gähnen. [20] Bei Ratten verursachen die gleichen chemischen Substanzen, die Gähnen und Strecken hervorrufen, auch eine Erektion. Von einigen Antidepressiva wird als Nebenwirkung der Verlust der Libido angegeben (Clomipramin (Anafranil) und Fluoxetin (Prozac)). Bei wenigen Patienten wird von einer genau gegensätzlichen Nebenwirkung berichtet, nämlich verstärktem Gähnen, das Orgasmen hervorruft. [13]

Möglicherweise beinhaltet das Gähnen Komponenten all dieser Verhaltensweisen und ist in seiner jetzigen Form ein zusammengesetztes neurologisches Programm aus unserem überlieferten Fundus. Bis jetzt konnte keine monokausale Ursache für das Gähnen gefunden werden. Auch der genaue neuronale Ablauf und alle beteiligten Neurotransmitter sind noch unbekannt.

Gähnen und Krankheiten

Aus einer Studie von 2007 geht hervor, dass autistische Kinder, anders als normale Kinder, beim Betrachten von Videos mit gähnenden Menschen nicht mitgähnen. Dies stützt die Theorie, die ansteckende Eigenschaft des Gähnens hätte etwas mit Empathie zu tun[32].

Eine besondere Demonstration für die Verbindung zwischen Gähnen und Strecken sind Beobachtungen bei Schlaganfallpatienten, die halbseitig gelähmt sind. Der englische Neurologe Walshe berichtete schon 1923 von halbseitig gelähmten Patienten, die ihre gelähmten Arme beim Gähnen automatisch mit streckten. Gähnen aktivierte anscheinend intakte, unbewusst kontrollierte Verbindungen zwischen Hirn und motorischem System.

Klinische Neurologen berichten noch von anderen Besonderheiten. So können einige Patienten mit dem sogenannten Locked-in-Syndrom normal gähnen. Dieses Verhalten muss von alten Gehirnanteilen, wie beispielsweise den respiratorischen und vasomotorischen Zentren gesteuert werden. Daher kann man davon ausgehen, dass beim ansteckenden Gähnen, das durch vielfältige Stimuli ausgelöst wird, zumindest noch eine zweiten, übergeordnet Hirnregion beteiligt ist.

Häufiges Gähnen gilt als Symptom einiger Krankheiten[33].


Bei Personen, die an Schizophrenie leiden, wird von einer verminderten Neigung zum Gähnen berichtet.

Medikamente und verschiedene Substanzen können ebenfalls eine erhöhte Gähnfrequenz hervorrufen[35]:


Gängige Behauptungen über das Gähnen

Gähnen verbessert die Sauerstoffsättigung des Blutes

Provine[13]konnte die Hypothese entkräften, dass Gähnen etwas mit einem erhöhten Kohlendioxid- bzw. verringerten Sauerstoffgehalt im Blut zu tun hat. Studenten, die reinen Sauerstoff oder Luft mit 3 bis 5 % erhöhtem Kohlendioxidgehalt zum Atmen erhielten, gähnten nicht signifikant öfter oder anders.

Gähnen ist ein Zeichen für Müdigkeit

Diese Behauptung stimmt teilweise. Wir gähnen, wenn wir schläfrig sind, aber auch verstärkt nach dem Aufstehen. Bei Versuchen, bei denen die Probanden eine Woche ein ‚Gähntagebuch’ führten, gähnten die Probanden in der Stunde nach dem Aufstehen und am Abend vor dem Zubettgehen signifikant häufiger. Überraschend war, dass am Morgen das Gähnen häufig von Strecken begleitet wurde, während es das am Abend kaum war [13]. Diese Beobachtung lässt sich ebenfalls bei Haustieren wie Hunden und Katzen machen.

Gähnen ist ein Zeichen für Langeweile

Provine kann diese Behauptung bestätigen. Gelangweilte Menschen gähnen signifikant häufiger. Gähnen kann außerdem eine starke Äußerung von Emotionen sein. Will jemand seine Langeweile anderen unmissverständlich deutlich machen, wird Gähnen auch dazu instrumentalisiert.

Gähnen ist ein Zeichen für Stress

Es gibt etliche anekdotische Geschichten von verstärktem Gähnen vor aufregenden Ereignissen. So wird von ‘Gähnanfällen’ vor dem ersten Fallschirmsprung, sportlichen Wettkämpfen oder öffentlichen Auftritten berichtet. Dies würde eventuell zu der Theorie passen, dass Gähnen das Verhalten und den physiologischen Zustand einer Gruppe synchronisieren kann. Von Hunden ist bekannt, dass sie bei Konflikten mit Artgenossen Gähnen als Beschwichtigungsgeste einsetzen. Dies ist nicht scharf gegen eine Übersprunghandlung bei psychisch angespannten Aktion abzugrenzen

Gähnen ist ansteckend

Gähnen wird häufig als ansteckend beschrieben. Gähnt eine Person, gähnen alle anderen mit.[13] Eine andere Person gähnen zu sehen und dabei besonders die Augen, sogar wenn es nur ein Video ist, regt schon zum Mitgähnen an. Bei ähnlichen Versuchen, bei denen Probanden zum Mitlächeln animiert werden sollten, war der Response bei weitem geringer. Sogar schon über das Gähnen zu lesen, kann zum Gähnen anregen. Versuche von Provine, eine ähnliche Resonanz auf schriftlich beschriebenen Schluckauf zu erhalten, misslangen. [36]

Über die genauen Ursachen dieses Phänomens ist noch nicht sehr viel bekannt. Vermutungen weisen jedoch auf eine Beteiligung der Spiegelneuronen [37] hin. Da Spiegelneuronen als treibende Kraft hinter der Nachahmung und damit als Grundlage menschlichen Lernens gesehen werden, liegt diese Vermutung nahe. Anderson & Meno fanden bei Experimenten allerdings kein ansteckendes Gähnen bei Kindern bis zu einigen Jahren.[38]. Daraus kann man schließen, dass dem ansteckenden Gähnen zumindest noch eine andere Komponente zugrunde liegt und es relativ jungen evolutionären Ursprungs ist.

Eine weitere Vermutung zu den Ursachen der Ansteckung besteht in der Notwendigkeit einer in Gruppen lebenden Spezies, diese Gruppe zu synchronisieren. Bereits 1894 schrieb der Mülheimer Völkerkundler Karl von den Steinen (1855–1929), der als erster Europäer in Zentralaustralien den Kontakt mit den Bakiri aufnahm: Wurde es ihnen mit dem Geplauder zuviel, so gähnte alles aufrichtig und ohne die Hand vor den Mund zu halten. Dass der wohltuende Reflex auch hier ansteckte, ließ sich nicht verkennen. Dann stand einer nach dem anderen auf, und ich blieb allein mit meinem Dijour. Die Ansteckung führt dazu, dass alle Personen etwa gleichzeitig müde werden und schlafen gehen. Eine solche Synchronisation des Alltags ist durchaus wichtig. Denn würden nur einzelne schläfrig, um schließlich vor Müdigkeit umzufallen, andere dagegen zum Beispiel weiterziehen, wäre der Zusammenhalt der Gruppe gefährdet.

Platek konnte einen Zusammenhang zwischen Empathie und Nachahmungsverhalten herstellen. Personen, die sich nicht oder nur schwer vom Gähnen anderer anstecken lassen, haben danach eine geringere Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Diese These konnte von Iacaboni insofern bestätigt werden, als dass Beobachten und Nachahmen von Emotionen von anderen fast dieselben Erregungsmuster im Gehirn wachrufen [39]. Bei Schimpansen konnte beobachtet werden, dass sie sich ebenso vom Gähnen ihrer Artgenossen anstecken lassen. Britische und japanische Wissenschaftler sehen darin einen Beleg, dass Schimpansen ebenfalls über Einfühlungsvermögen verfügen.

Die genauen neuronalen Abläufe bei der Ansteckung des Gähnens sind noch unklar [24]

Selbstversuche nach Provine

In einer Veröffentlichung von Provine und Roberts werden dem Leser drei kleine Selbstversuche angeboten, die es ermöglichen, einen Einblick in die Natur des Gähnens zu nehmen[13].

  • Der geschlossene-Nase-Gähner: Bemerkt man eine aufkommende Gähnneigung, soll man die Nase zukneifen. Die meisten Probanden können trotzdem den Gähnvorgang problemlos ausführen. Das heißt, meist ist für das Ein- und Ausatmen während des Gähnens keine Nasenatmung nötig.
  • Der zusammengebissene-Zähne-Gähner: Wenn man ein beginnendes Gähnen verspürt, soll man die Zähne zusammenbeißen, aber weiter durch die geöffneten Lippen atmen. Diese Variante gibt den meisten Versuchspersonen das Gefühl, mitten im Gähnen ‚hängen’ zu bleiben. Damit zeigt sich, dass das Öffnen des Kiefers eine essentielle Komponente eines komplexen motorischen Programms ist. Wird dem ‚entgegengearbeitet’, bleibt das befriedigende Gefühl aus und das Programm kann nicht vollendet werden. Es ist ebenfalls zu erkennen, dass das Gähnen mehr als nur ein tiefer Atemzug ist.
  • Der Nasen-Gähner: Gähnen durch die Nase mit geschlossenem Kiefer ist unmöglich. Ebenso wie beim ‚zusammen-gebissene-Zähne-Gähner’ entsteht das Gefühl, ‚stecken’ zu bleiben, und der Proband wird nicht vermeiden können, seinen Kiefer anzuspannen. Einatmen durch den Mund und Öffnen des Kiefers ist für das befriedigende Gähnen essentiell. Die Ausatmung kann durch Nase oder Mund erfolgen.

Untersuchungen zum Gähnen

  • Lehmann (1979): YAWNING A homeostatic reflex and its psychological significance
  • Baenninger (1987): Some comparative aspects of yawning in Betta sleepnes, Homo Sapiens, Pantera leo and Papio sphinx
  • Smith (1999): Yawning: an evolutionary perspective
  • Anderson and Meno (2004): Psychological influences on yawning in children
  • Platek et al. (2003): Contagious yawning: the role of self-awareness and mental state attribution
  • Seuntjens (2004): On Yawning or The Hidden Sexuality of the Human Yawn

Weblinks

Commons: Gähnen – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Referenzen

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  2. Uwe Rutzen: Auf dem neuesten Benimm-Stand. Hrsg.: Kieler Nachrichten. Kiel 20. Oktober 2004 (kn-online.de).
  3. C.B. Sucher: Gähn! Wer gähnen muss, verhalte sich unauffällig. Sueddeutsche Zeitung (sueddeutsche.de/jobkarriere Süddeutsche Zeitung).
  4. J. Lodemann: Siegfried und Krimhild. Die Nibelungen. Dtv, 2005, ISBN 10 3423133597, 13 978-3423133593(?!).
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  6. Tsunetomo Yamamoto: Hagakure. Der Weg des Samurai. Piper, München 2000 (1710-16), ISBN ISBN-13: 978-3822506448(?!), S. 333.
  7. http://www.yoga-vidya.de/Yoga--Buch/BuchPranayama/Kapitel_1.html
  8. S. A. D. Tissot: Von der Gesundheit der Gelehrten. Artemis & Winkler Verlag, 1982, ISBN ISBN-10: 3760803733(?!), S. 264.
  9. Arthur Schopenhauer: Parerga und Paralipomena. In: Zürcher Ausgabe. Diogenes, 1977, ISBN ISBN-10: 3257203802(?!).
  10. Gaius Plinius Secundus: Historia Naturalis. Greno 10/20, Nr. 17. Nördlingen 1987.
  11. Ditte und Giovanni Bandini: Kleines Lexikon des Aberglaubens. dtv, München 1998.
  12. Joseph E. Moore: Some psychological aspects of yawning. In: The Journal of General Psychology. Band 27, 1942, S. 289–294 (baillement.com).
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  14. Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren. Eichborn, Frankfurt 2000, ISBN 3-8218-4188-5 (orginal 1872: „The expression of the emotions in man and animals“).
  15. R. Baenninger: Some comparative aspects of yawning in Betta sleepnes, Homo Sapiens, Pantera leo and Papio sphinx. In: Journal of Comparative Psychology. Band 101, Nr. 4, 1987, S. 349–354.
  16. K. Immelmann (Hrsg.): Wörterbuch der Verhaltensforschung. Paul Parey Verlag, Berlin und Hamburg 1982, S. 136–137.
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