Adolph Diesterweg

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Adolph Diesterweg

Friedrich Adolph Wilhelm Diesterweg (* 29. Oktober 1790 in Siegen; † 7. Juli 1866 in Berlin) war ein deutscher Pädagoge.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit Mai 1808 studierte Diesterweg an der Hohen Schule Herborn „philosophische Disziplinen“ – außer den gewöhnlich vorbereitenden philosophischen und philologischen Studien waren das Pädagogik, Mathematik und Naturkunde. Als sein Bruder Wilhelm in Mannheim war, kam Adolph Diesterweg am 26. April 1809 nach Heidelberg. Studiert hat er dort wohl nicht. Am 26. Oktober 1809 immatrikulierte er sich an der Eberhard Karls Universität Tübingen für Mathematik. Er schloss sich sogleich der im Januar 1807 gestifteten (Nieder) Schwäbischen Landsmannschaft – Corps Suevia I (Inferior) an.[1]

Berufliche Entwicklung und Bedeutung für das Erziehungssystem[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diesterweg war von 1811 bis 1813 Haus- und Gymnasiallehrer in Worms und Mannheim, von 1813 bis 1818 in Frankfurt am Main, dann bis 1820 zweiter Rektor an der Lateinschule Elberfeld, wo er die prägende Bekanntschaft mit Johann Friedrich Wilberg (1766–1846) machte,[2] ab 1820 Leiter des Lehrerseminars in Moers und von 1832 bis 1847 in Berlin tätig. Er engagierte sich für die Verbesserung der Volksschule und trat für eine verbesserte pädagogische Bildung und die soziale Anerkennung der Volksschullehrer ein. Als Anhänger Johann Heinrich Pestalozzis und Verbreiter seiner Ideen vertrat er Anschauung und Selbsttätigkeit als didaktische Grundsätze. Er gab diesen Grundsätzen jedoch eine politische Eintönung durch das von ihm festgesetzte Ziel der Heranbildung eines mündigen und kritischen Staatsbürgers. Die Volksbildung gewann für Diesterweg den Charakter der Volksbefreiung. Inhaltlich löste Diesterweg sich von der heimatkundlich orientierten Anschauungsdidaktik ab, indem er eine auf astronomische Themen erweiterte Weltkunde forderte. 1827 begründete er die Rheinischen Blätter für Erziehung und Unterricht, und 1840 erschien erstmals seine später mehrfach neu aufgelegte und überarbeitete Populäre Himmelskunde.[3]

Neben seiner pädagogischen Tätigkeit war Diesterweg auch sozialpolitisch engagiert. Im Jahr 1844 gingen von ihm wesentliche Anregungen zur Gründung des Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen aus. Dem Liberalismus verbunden, wandte er sich in der Schulpolitik sowohl gegen einen starken kirchlichen als auch politischen Einfluss auf die Bildung. Er forderte eine pädagogisch-fachliche (und nicht mehr geistliche) Schulaufsicht und eine einheitliche Schulorganisation, das heißt, er wollte eine Professionalisierung des Lehrerstandes erreichen. Außerdem kämpfte er für die relative Autonomie der Schule gegenüber den gesellschaftlichen Mächten. Seinen großen Einfluss auf die Lehrerschaft der damaligen Zeit verdankt er vor allem seiner Zeitschrift Rheinische Blätter für Erziehung und Unterricht, die er ab 1827 herausgab, aber auch seinem Jahrbuch für Lehrer- und Schulfreunde ab 1851.

Aus politischen Gründen wurde Diesterweg 1850 aus dem Staatsdienst entlassen und in den Ruhestand versetzt. Von 1850 an besuchte er mehrere Male den berühmten Pädagogen Friedrich Fröbel bis zu dessen Tod 1852 im Marienthaler Schlösschen bei Bad Liebenstein. Von 1858 bis 1866 kämpfte Diesterweg als Abgeordneter der Deutschen Fortschrittspartei im Preußischen Abgeordnetenhaus gegen die Raumer-Stiehlschen Regulative.

Grabstele von Adolf Diesterweg auf dem Alten Sankt-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg

Im Alter von 75 Jahren erlag er der Cholera.[4] Sein jüngster Sohn Moritz Diesterweg gründete den Verlag Moritz Diesterweg.

Bedeutung für die Reformpädagogik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Winfried Böhm erläutert in seiner Geschichte der Pädagogik, dass „die Idee einer „naturgemäßen“ oder „natürlichen“ Erziehung im Sinne der begleitenden Unterstützung natürlicher Reifungs- und Wachstumsprozesse vor allem bei Diesterweg pädagogisch durchdacht und begrifflich gefasst“[5] wird. Damit nimmt Diesterweg, nach Böhm, „viele Grundgedanken und -thesen der späteren Reformpädagogik um fast einhundert Jahre vorweg. In der um 1820 herum heftig geführten Auseinandersetzung um Naturalismus oder Supranaturalismus, Pädagogik oder Kirchendoktrin ergreift er massiv Partei für den Naturalismus.“[5] Als entscheidendes Argument Diesterwegs für den Naturalismus führt Böhm folgendes an:

„Während der pädagogische Supranaturalismus – geblendet von der christlichen Erbsündenlehre und dem negativen Menschenbild des Pietismus – die Menschennatur knickt, statt sie zu entfalten‘ und ‚das Kind zur Passivität verdammt, statt die Selbsttätigkeit zu entwickeln‘, geht der Naturalismus ‚vom Kinde aus‘ und nimmt dessen natürliche Neigungen, Interessen und Bedürfnisse zum pädagogischen Richtmaß: Nicht das Kind einer äußeren Ordnung unterwerfen, es vielmehr sich frei entfalten und spontan entwickeln lassen, wird zur pädagogischen Maxime schlechthin.“

Diesterwegs Tagebuch 1818–1822, hg. von H. G. Bluth, 1956[6]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diesterweg verfasste 50 Bücher und veröffentlichte 400 Abhandlungen. Er schrieb etliche Rezensionen und zielte mit seinen Veröffentlichungen auf Eigenverantwortung, Kritik und weltoffenes Denken.

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diesterweg wurde auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg im Feld J, J-S-001/002 beigesetzt. Die Grabstätte wurde bis 2010 als Ehrengrab des Landes Berlin, in dessen Obhut sie sich seit 1952 befand, gepflegt. Ein Senatsbeschluss hatte zuvor den ursprünglich unbefristeten Ehrengrabstatus zeitlich begrenzt. Seither besteht eine private Grabpatenschaft für Diesterwegs Ruhestätte.[7] Nach ihm wurden viele Schulen, zum Beispiel in Bielefeld, Frankfurt am Main, Lutherstadt Wittenberg und Werdau, Straßen und Einrichtungen sowie die Volkssternwarte Adolph Diesterweg in Radebeul benannt. Sowohl die Deutsche Bundespost Berlin als auch die Deutsche Post (DDR) gaben zum 200. Geburtstag Diesterwegs im Jahr 1990 eine Sonderbriefmarke heraus.

Das erste Bildungsstipendium für Familien in Deutschland heißt „Diesterweg-Stipendium für Kinder und ihre Eltern“. Es wurde im Jahr 2008 von der Stiftung Polytechnische Gesellschaft initiiert und Mitte 2016 in Frankfurt am Main, Darmstadt, Dortmund, Duisburg, Hamburg, Hannover, Kirn, Offenbach am Main und Osnabrück durchgeführt.[8] Diesterweg gehörte 1816 zu den Gründern des Frankfurter Bürgervereins Polytechnische Gesellschaft.[9]

Schriften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Adolph Diesterweg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Adolph Diesterweg – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Rainer Assmann, Ernst Napp und Ingo Nordmeyer: Die Tübinger Rhenanen (Corpsliste und Corpsgeschichte), 5. Aufl. 2002, S. 380.
  2. Johann Friedrich Wilhelm Wilberg im Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren; Volkmar Wittmütz: Johann Friedrich Wilberg (1766–1846), Pädagoge. In: Portal Rheinische Geschichte, Landschaftsverband Rheinland, 14. November 2016.
  3. Andreas W. Daum: Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert. Bürgerliche Kultur, naturwissenschaftliche Bildung und die deutsche Öffentlichkeit, 1848–1914. Oldenbourg, München 2002, S. 61, 268, 483.
  4. Siegerländer Heimatverein (Hrsg.): Siegerländer Heimatkalender von 1969. Verlag für Heimatliteratur, S. 113.
  5. a b Winfried Böhm: Geschichte der Pädagogik. Beck, München 2004, ISBN 3-406-50853-7, S. 109.
  6. Winfried Böhm: Geschichte der Pädagogik. Beck, München 2004, ISBN 3-406-50853-7, S. 109–110.
  7. Hans Graßl, Phillip Becher: Das Ende eines Ehrengrabes. Adolph Diesterweg kämpfte für das Ideal einer breiten Volksbildung. (PDF; 352 kB) In: Siegener Zeitung. 3. Dezember 2011, S. 43.
  8. Gisela von Auer, Anna Gögelein, Stephan M. Hübner, Hanna Gebre: Das Diesterweg-Stipendium für Kinder und ihre Eltern. Anregungen, Prinzipien und Standards für einen Transfer. Stiftung Polytechnische Gesellschaft, Frankfurt am Main 2014, Anhang S. 53.
  9. Franz Lerner: Bürgersinn und Bürgertat. Geschichte der Frankfurter Polytechnischen Gesellschaft 1816–1966. Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1966, S. 57.