Böhmen am Meer

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Humoristische Karte von Gelett Burgess (1896)

Böhmen am Meer (auch: böhmisches Meer, böhmische Küste, tschechisch: Čechy u moře) ist ein Motiv in Literatur und Kunst. Dabei handelt es sich um einen fiktiven Ort, da Böhmen ein Binnenstaat ist. Das Motiv geht zurück auf William Shakespeares Komödie Ein Wintermärchen: „Bohemia. A desert country near the sea“.[1]

Geographischer Hintergrund[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Heilige Römische Reich zur Zeit Karls IV.

Bei der Ortsangabe handelt es sich um ein Adynaton: Das historische Land Böhmen ist gerade durch seine europäische Binnenlage gekennzeichnet und von der Ostsee, der Adria und dem Schwarzen Meer jeweils durch hunderte Kilometer und mehrere Landesgrenzen getrennt. Historiker haben darauf hingewiesen, dass der Machtbereich mehrerer Könige von Böhmen sich in kurzen historischen Momenten bis auf wenige Dutzend Kilometer Meeresküsten genähert hat: unter Karl IV. nach dem Erwerb der Mark Brandenburg der pommerschen Ostseeküste und unter Ottokar II. Přemysl, der auch über die Krain und Friaul herrschte, der triestinischen oder slowenischen Adriaküste. Als Könige sowohl von Böhmen als auch von Ungarn beherrschten die Jagiellonen Vladislav II. und Ludwig II. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts auch Teile der Küstenregion des heutigen Kroatien. Im 20. Jahrhundert gab es verschiedene Versuche, die Tschechoslowakei mit dem Meer zu verbinden, etwa den Plan eines tschechischen Korridors nach dem Ersten Weltkrieg und das von Karel Žlábek ab 1967 entworfene Tunnelprojekt zur Adria.

Rezeption[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein böhmisches Meer wird in Vladimir Nabokovs Roman Pnin erwähnt.[2] In der deutschsprachigen Literatur wird Böhmen am Meer als Projektionsfläche eines utopischen Idealzustandes verwendet, schließlich war Böhmen ein Teil der Habsburgermonarchie. Bekannte Beispiele sind das Gedicht Böhmen liegt am Meer der österreichischen Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1964)[3] und der Essay Böhmen am Meer, den der deutsche Autor Hans Magnus Enzensberger in seinem Sammelband Ach Europa! veröffentlicht hat. Franz Fühmann entnahm der shakespearschen Komödie verschiedene Motive für seine frühe Erzählung Böhmen am Meer, in der er Sudetendeutsche darstellt, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei nach Deutschland vertrieben und an der Ostsee angesiedelt wurden. Volker Braun schrieb 1989/1990 das Theaterstück Böhmen am Meer. Von Anselm Kiefer gibt es ein Gemälde von 1995, das den Titel Böhmen liegt am Meer trägt. Es ist in der Sammlung Burda in Baden-Baden zu sehen.[4] Ein gleichnamiges Gemälde von 1996 befindet sich im Metropolitan Museum.

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Winfried Baumann: Und Böhmen liegt doch am Meer. Vom Mediterran zum Mare bohemicum. In: Brünner Beiträge zur Germanistik und Nordistik 26 (2012), sv. 1–2, 105–125, PDF
  • Renata Cornejo: „Böhmen (liegt) am Meer“ – Zur Heimatreflexion und Identitätsbestimmung von Jiří Gruša. In: Studia Germanica Universitatis Vesprimiensis. Hg. von Czaba Földes. Supplement 9 (2007), S. 193–205.
  • Erich Fried: Ich grenz noch an ein Wort und an ein andres Land. Über Ingeborg Bachmann – Erinnerung, einige Anmerkungen zu ihrem Gedicht Boehmen liegt am Meer und ein Nachruf, Berlin 1983, ISBN 3-921592-14-3
  • Hans Höller und Arturo Larcat: Ingeborg Bachmanns Winterreise nach Prag. Die Geschichte von ‚Böhmen liegt am Meer‘. Piper, München 2016, ISBN 978-3-492-97467-7.
  • Stefan Troebst: „Intermarium“ und „Vermählung mit dem Meer“: Kognitive Karten und Geschichtspolitik in Ostmitteleuropa. In: Die Ordnung des Raums: Mentale Landkarten in der Ostseeregion. Hrsg. v. Norbert Götz, Jörg Hackmann, Jan Hecker-Stampehl. Baden-Baden 2006 (= The Baltic Sea Region: Northern Dimensions – European Perspectives), ISBN 3-8305-1088-8.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. [Antigonus] „Thou art perfect then, our ship hath toucht vpon / The Desarts of Bohemia.“ A Winter's Tale III, 3, line 1439, First Folio Edition 1623
  2. Samuel Schuman: Nabokov's Shakespeare. Bloomsbury Publishing USA, 2014, ISBN 978-1-62892-377-3, S. 79.
  3. Ingeborg Bachmann: Böhmen liegt am Meer
  4. Link zur Sammlung Burda