Benutzer:Albrecht62/Fluchtursachen

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Mit der Diskussion um Fluchtursachen sollen die Beweggründe erforscht werden, warum Menschen aus einer Notsituation heraus ihre Heimat verlassen. Dahinter steht die Hoffnung, dass die Anzahl der Flüchtlinge reduziert werden kann.

Die Herausforderungen bei der Beseitigung von Fluchtursachen sind auf der einen Seite wohl strukturiert, da sie mit den Zielen nachhaltiger Entwicklung bereits umfassend beschrieben zu sein scheinen. Auf der anderen Seite sind sie hoch komplex, da die Erfahrungen mit bislang praktizierten Ansätzen der Entwicklungspolitik sehr unterschiedlich waren.

Flüchtlinge setzen sich primär in Bewegung, um gewaltsamen Konflikten auszuweichen. Insgesamt 60 Millionen Menschen waren im Jahr 2014 auf der Flucht, davon waren 38 Millionen Binnenvertriebene.[1] Damit sind derzeit weltweit mehr Menschen auf der Flucht als nach dem Zweiten Weltkrieg.[2][3]

Fluchtursachen im Überblick

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Strukturelle Fluchtursachen und begünstigende Faktoren:[4]

Nur strukturellen Reformen wird eine positive Wirkung beim Abbau von Fluchtursachen zugeschrieben.[5] Einer präventiven und auf längere Sicht angelegten Entwicklungspolitik wird zugetraut Fluchtursachen abmildern.[3]

Die Gründe, warum Menschen fliehen, sind sehr unterschiedlich. Entsprechend müssen die politischen Maßnahmen gegen Fluchtursachen an die Gegebenheiten angepasst werden.[5]

Akute Ursachen:[4][3]

Im Falle von direkter Gewalt muss sich die Entwicklungshilfe häufig zurückziehen.[6]

Werkzeuge der Entwicklungspolitik

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Zu den Werkzeugen, um strukturellen Fluchtursachen zu begegnen gehören Programme zugunsten von:[4]

  • verbesserte landwirtschaftlicher Anbaumethoden
  • geeignete Bau- und Siedlungsformen
  • Förderung von Rechtssicherheit
  • wirtschaftliche Entwicklung
  • Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen
  • Förderung friedlicher Konfliktaustragung
  • Partizipation großer Teile der Bevölkerung an politischen Entscheidungsprozessen[3]

Darüber hinaus gibt es Werkzeuge, um bestehende Fluchtsituationen zu begleiten:[3][7]

  • Binnenflucht ermöglichen, damit Flüchtlinge ihr Heimatland nicht verlassen müssen
  • Flüchtlingsunterbringung in Nachbarstaaten verbessern
  • Begleitung ehemalige Soldaten auf ihrem Weg ins zivile Leben
  • Unterstützen von Flüchtlingen bei ihrer Rückkehr in die Heimat

Größere Flüchtlingsbewegungen können sich auf die innere Sicherheit von Staaten auswirken. Einige Länder befürchten, dass die Aufnahme von Flüchtlingen politischen Extremismus und Terrorismus fördert. Eine wichtige Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit ist daher die Unterstützung von Ländern, die bereits viele Flüchtlinge aufgenommen haben.[4]

Im Jahr 2014 waren 45 Prozent aller Flüchtlinge in Langzeitsituationen gefangen, die teilweise mehr als 20 oder 30 Jahre andauern.[8]

SDGs und Fluchtursachen

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Die Ziele nachhaltiger Entwicklung (SDG, engl.: Sustainable Development Goals) sehen für das 16. SDG-Ziel „Friedliche und inklusive[Anm. 1] Gesellschaften aufbauen“ u. a. die folgenden Unterziele vor:[9]
16.1 Alle Formen der Gewalt … überall deutlich verringern
16.3 Die Rechtsstaatlichkeit auf nationaler und internationaler Ebene fördern und den gleichberechtigten Zugang aller zur Justiz gewährleisten
16.4 Bis 2030 illegale Finanz- und Waffenströme deutlich verringern … und alle Formen der organisierten Kriminalität bekämpfen
16.5 Korruption und Bestechung in allen ihren Formen erheblich reduzieren
16.6 Leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und transparente Institutionen auf allen Ebenen aufbauen
16.7 Dafür sorgen, dass die Entscheidungsfindung auf allen Ebenen bedarfsorientiert, inklusiv, partizipatorisch und repräsentativ ist
16.8 Die Teilhabe der Entwicklungsländer an den globalen Lenkungsinstitutionen erweitern und verstärken
16.10 Den öffentlichen Zugang zu Informationen gewährleisten und die Grundfreiheiten schützen, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und völkerrechtlichen Übereinkünften
16.a Die zuständigen nationalen Institutionen namentlich durch internationale Zusammenarbeit beim Kapazitätsaufbau auf allen Ebenen zur Verhütung von Gewalt und zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität unterstützen, insbesondere in den Entwicklungsländern
16.b Nichtdiskriminierende Rechtsvorschriften und Politiken zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung fördern und durchsetzen

Selbstbestimmungsrecht der Völker und Fluchtursachen

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Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist ein viel diskutiertes und umstrittenes Thema, was u. a. daran liegt, dass sich die Menschheit in ungefähr 3.500 Völker aufteilt, denen aber nur ca. 200 Staaten gegenüber stehen.[10]

In jüngerer Zeit bildet sich neben dem „äußeren“ Recht auf Selbstbestimmung, d. h. das Recht auf Befreiung von Kolonialherrschaft, auch ein „inneres“ Recht auf Selbstbestimmung heraus. Von einer Regierung wird damit z. B. erwartet, dass sie keine rassistische und faschistischen Züge trägt, um als legitime Vertretung des Volkes anerkannt zu werden. Immer mehr geht die Auslegung des Selbstbestimmungsrecht in eine Richtung, die auch ein Recht auf Demokratie und good governance anerkennt.[10]

Mit dieser Auslegung des Völkerrecht gelten die Prinzipien der Souveränität von Staaten und der Unverletzlichkeit der nationalen Grenzen nur noch eingeschränkt und erlaubt in bestimmten Fällen humanitäre Interventionen.[11] Es wird eine moralische Verantwortung abgeleitet, massenhafte Menschenrechtsverletzungen notfalls auch mit militärischer Gewalt in einem fremden Land zu verhindern, wenn die Regierung des betreffenden Landes ihrer Schutzverantwortung gegenüber den eigenen Bürgerinnen und Bürgern nicht gerecht wird.[12]

Der überwiegende Teil der Staaten sieht sich bei der Anerkennung des inneren Selbstbestimmungsrechts von ethnischen Minderheiten in einem Interessenkonflikt. Einerseits ist zwar weitgehend anerkannt, dass jeder Regierung Legitimität nur dann zugestanden werden kann, wenn sie sich über den Volkswillen legitimiert. Andererseits gibt es die Problematik, dass nicht jede ethnischen Minderheit das Recht auf einen eigenen Staat zuerkannt werden kann.[10]

Autonomie und Sezession als Konfliktlösung

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Ein möglicher Weg für einen Staat, der Forderung nach innerer Selbstbestimmung gerecht zu werden, besteht in der Gewährung von Autonomie. Damit wird einem Teil der Bevölkerung bzw. einem Gebiet innerhalb des Staates das Recht eingeräumt, sich in bestimmtem Umfang selbst zu verwalten.[13]

Wenn Teile der Bevölkerung in einem Staat seit Jahrzehnten unter Diskriminierung leiden, kann die Loslösung von dem verantwortlichen Regime und die Gründung eines eigenen Staates durchaus eine Option sein.[13]

Plausible Argumente sprechen dafür, dass ein Volk die Möglichkeit haben sollte, sich mittels Sezession aus einer Lage zu befreien, in der es durch schwere Diskriminierung und andere Menschenrechtsverletzungen an der Ausübung des inneren Selbstbestimmungsrechts gehindert wird.[13]

Außenpolitik und Fluchtursachen

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Die Unterstützung autoritärer Regierungen zugunsten von politischer Stabilität kann sich kaum positiv auf innerstaatliche Konflikte auswirken.[3]

Viele Territorial- und Weltmächte versuchen, über die Unterstützung von Gruppierungen in fremden Ländern ihren Einfluss zu sichern. So wird z. B. die Politik der USA im Irak Anfang der 2000er Jahre von der Bundeszentrale für politische Bildung als desaströs bezeichnet.[14]

Militärische Interventionen zur Durchsetzung einzelstaatlicher Interessen sind nicht geeignet, die Stabilität von Staaten zu erhöhen.[15]

Diese Politik ist weder für das Selbstbestimmungsrecht der Völker noch für die Verringerung innerstaatlicher Gewalt förderlich.

Wirtschaftspolitik und Fluchtursachen

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Es besteht kein Konsens, dass der von IWF und Weltbank vorgezeichnete Entwicklungspfad für alle Länder des globalen Südens zu einer wirtschaftlich gesicherten Existenz führen kann.[15]

Die von der deutschen Entwicklungshilfe angestrebte Eigenversorgung afrikanischer Regionen bei der Nahrungsmittelproduktion[16] wird oft durch das schwankende Niveau der Welthandelspreise konterkariert.[17]

Organisierte Kriminalität und Fluchtursachen

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Der Zusammenhang von Entwicklungsperspektiven und den Auswirkungen der transnationalen Organisierten Kriminalität (OK) ist in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt.[18] In der entwicklungspolitischen Debatte wird seit längerem darauf verwiesen, dass OK und kriminelle Gewalt eine Erklärung dafür sind, warum fragile Staaten mehrheitlich nicht die Millenniums-Entwicklungsziele erreicht haben.

Viel häufiger als mit massiver Gewalt und Instabilität geht OK einher mit:[18]

Auch hat sich gerade in fragilen Staaten der gängige Law-and-order-Ansatz allein als wenig erfolgreich erwiesen.[18]

Erfahrungen mit Interventionen in Entwicklungsländern

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Bei der langfristigen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländer müssen Geberstaaten mit staatlichen Eliten kooperieren, deren Interessen in der Regel auf die Bewahrung des Status quo gerichtet sind. Zu Berücksichtigen ist, dass die Herausbildung von „good governance“ und der Aufbau demokratischer Institutionen tiefe Eingriffe in politische Systeme erfordern. Fehlen starke Druckmittel oder sehen Eliten durch eine Demokratisierung ihre Interessen gefährdet, ist oft nur wenig zu erreichen.[19]

Mit Krisenprävention (Synonym: Konfliktprävention) soll der Ausbruch von Bürgerkriegen verhindert werden. Die Prävention innerstaatlicher Gewalt steht seit den frühen 1990er Jahren auf der Agenda internationaler Politik.[19]

In Krisensituationen gibt es für internationale Organisationen, wie IWF und Weltbank gute Möglichkeiten, Konflikte zu verhindern, da angesichts der Kosten, die solche Institutionen einer Regierung auferlegen können, große Anreize bestehen, zu einer friedlichen Lösung mit Rebellen zu kommen. Auf der anderen Seite können Strukturanpassungsprogramme, die der IWF einem Staat mit dem Ziel seiner wirtschaftlichen Liberalisierung auferlegt, konfliktanheizende Wirkung haben, da wirtschaftliche Liberalisierung auch Verlierer hervorbringt.[19]

Damit die Erwartungen, die sich an Prävention richten, erfüllt werden können, bedarf es eines großen Maßes an Wissen über Konfliktursachen, über die Bedingungen, unter denen mit dem Ausbruch organisierter Gewalt zu rechnen ist und über effektive präventive Maßnahmen.[19]

Erfahrungen mit Interventionen in Europa

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Türkei: Das Schweizer Monitoring-Zentrum (Internal Displacement Monitoring Centre, IDMC) schätzt, dass in der Türkei rund eine Million Menschen als Vertriebene im eigenen Land leben. Dabei handelt es sich überwiegend um die kurdisch stämmige Bevölkerung aus dem Südosten des Landes, die im Zeitraum 1986–1995 vor dem Bürgerkrieg geflohen und nicht mehr zurückgekehrt ist.[11] Im Südosten herrschte Anfang 2016 Bürgerkrieg.[20] Die Verhältnisse in der Türkei drohen deshalb zu einer Fluchtursache zu werden.[21]

Ex-Jugoslawien: Offiziell löste sich der ehemalige Bundesstaat in seine Teilrepubliken auf. Doch die Tendenz, die neuen Staatsgrenzen nach ethnisch-religiösen Kriterien zu korrigieren, verursachte Kriege und Vertreibungen. Der Ausbruch des Bosnischen Bürgerkriegs Anfang 1992 führte zu einer der größten Flüchtlingswellen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg: Rund die Hälfte der 4,4 Millionen Einwohner verlor ihr Hab und Gut. Auch aus der serbischen Provinz Kosovo gab es 850.000 Flüchtlinge infolge der ausländischen Militärintervention im Jahre 1999. Die ethnischen Feindbilder sind noch immer präsent und verhindern eine Integration.[11]

  1. „Inklusiv“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass alle gesellschaftlichen Gruppen einbezogen sind. Die UN definiert eine inclusive society wie folgt: „society for all in which every individual, each with rights and responsibilities, has an active role to play”. (Quellen: Creating an Inclusive Society: Practical Strategies to Promote Social Integration, United Nations Department of Economic and Social Affairs , S. 4; Volksparteien in der Krise, von Olaf Wientzek, KAS-Auslandsinformationen, Konrad-Adenauer Stiftung (KAS), 12 / 2012

Einzelnachweise

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  1. Flucht und ihre Ursachen, 19. August 2015
  2. Globale Migration: Ursachenbekämpfung in Afrika, Institut für Auslandsbeziehnungen (ifa), 31. März 2016
  3. a b c d e f Was kann Entwicklungspolitik zur Bekämpfung von Fluchtursachen beitragen?, von Benjamin Schraven, Bernhard Trautner, Julia Leininger, Markus Loewe, Jörn Grävingholt, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), 2015
  4. a b c d Fluchtursachenbekämpfung: Ein entwicklungspolitisches Mantra ohne Inhalt?, von Steffen Angenendt und Anne Koch, in: Ausblick 2016: Begriffe und Realitäten internationaler Politik, Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP), Januar 2016
  5. a b Nur gute Lebensbedingungen halten von Flucht ab, von Christine Hackenesch und Julia Leininger, Die Zeit, 6. Mai 2015
  6. [Abschlussberichte, Drei Kontinente 15 Dörfer – eine Vision, Millenniumsdörfer, Eine Initiative der Welthungerhilfe 2011–2015, Deutsche Welthungerhilfe e. V, August 2015, S. 7)
  7. Bekämpfung von Fluchtursachen, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), abgerufen am 26. April 2016
  8. Friedenslogischer Flüchtlingsschutz, Ulrike Krause, Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg, 2015
  9. Die 2030-Agenda, Globale Zukunftsziele für nachhaltige Entwicklung, von Jens Martens und Wolfgang Obenland, Hrsg.: Global Policy Forum und terre des hommes, Februar 2016
  10. a b c Die innere Selbstbestimmung der Völker im Spannungsverhältnis von Souveränität und Entwicklung, Kommentare: Selbstbestimmungsrecht im Wandel, Düsseldorfer Institut für Außen- und Sicherheitspolitik und (DIAS), erstellt: 28. August 2007, zuletzt geändert: 20. Januar 2010
  11. a b c Fluchtursache Staatszerfall am Rande der EU, von Sabine Riede, Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP), Oktober 2015
  12. Schutzverantwortung und humanitäre Intervention, von Peter Rudolf, Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), 2. September 2013
  13. a b c Sezession und Anerkennung, von Christian Schaller, Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP), Dezember 2009
  14. Irak, Bundeszentrale für politische Bildung, 9. November 2015, siehe auch Paul Bremer
  15. a b Fluchtursache Kapitalismus, von Ingar Solty, Ossietzky, 22 / 2015
  16. BMZ – Afrikapolitik: Neue Herausforderungen und Akzente, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, April 2016
  17. [tt_news=2936 Entwicklungsländer besitzen den Schlüssel zu einer naturverträglichen Ernährung], Bundesamt für Naturschutz (BfN), 25. Februar 2010
  18. a b c Organisierte Kriminalität und Entwicklung – Herausforderungen und Handlungsoptionen in fragilen Staaten Westafrikas, von Judith Vorrath, Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP), Oktober 2015
  19. a b c d Bürgerkriege und Massenverbrechen verhindern – aber wie? von Peter Rudolf, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, September 2015
  20. Wo sind ihre toten Kinder?, von Özlem Topçu, Die Zeit, 21. Januar 2016
  21. Fluchtursachen bekämpfen? Na dann los, liebe EU!, von Terry Reintke, Handelsblatt, 16. Oktober 2015