Deutsches Reich

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Deutsches Reich zur Kaiserzeit vor dem Ersten Weltkrieg (1871–1918)
Deutsches Reich („deutsche Republik“) nach dem Ersten Weltkrieg (1919–1937)

Deutsches Reich ist der Name des deutschen Nationalstaates in den Jahren zwischen 1871 und 1945 und zugleich auch die staatsrechtliche Bezeichnung Deutschlands bis 1943 (ab 1943 amtlich – jedoch nicht offiziell proklamiert – das Großdeutsche Reich).

Der Terminus Deutsches Reich wird gelegentlich auch gebraucht, um das über den deutschen Sprachraum hinausgehende überstaatliche Herrschaftsgebilde Heiliges Römisches Reich (911–1806) zu bezeichnen, das ab dem 15./16. Jahrhundert mit dem Zusatz „Deutscher Nation“ versehen worden war. Des Weiteren wurde am 28. März 1849 durch die amtliche Verkündung der Paulskirchenverfassung ein „Deutsches Reich“ konstituiert. Durch den Widerstand der deutschen Fürsten und insbesondere des Königs von Preußen konnte die Verfassung zu jener Zeit aber de facto und politisch nicht durchgesetzt werden. Lediglich die Reichsflotte schlug sich im Seegefecht bei Helgoland (1849) mit Dänemark.

Beim Deutschen Reich des 19. und 20. Jahrhunderts unterscheidet man allgemein mehrere Perioden: die Monarchie des Deutschen Kaiserreiches (1871–1918), die pluralistische, semipräsidentielle Demokratie der Weimarer Republik (1919–1933) und die totalitäre Diktatur der Nationalsozialisten (1933–1945) sowie zeitgeschichtlich die folgende Periode des besetzten Deutschen Reiches.

Gründung

Das 1871 gegründete Deutsche Kaiserreich wurde zwar als erster einheitlicher Nationalstaat aller Deutschen angesehen (→ Reichsdeutsche), umfasste während seines Bestehens als Kleindeutsche Lösung jedoch nie alle Gebiete, die sich selbst (oder die das Reich) als zu Deutschland gehörig betrachteten – wie die deutschen Länder des 1867 als Vielvölkerstaat entstandenen Österreich-Ungarns, welche bis zum Deutschen Krieg 1866 noch Teil des Deutschen Bundes waren. Dies ist zurückzuführen auf die Gründungsumstände des Reichs, welches aus dem Norddeutschen Bund hervorging, der unter preußischer Vorherrschaft stand. In der Märzrevolution von 1848 hatte Preußen die nationalistischen Bestrebungen zu einem deutschen Nationalstaat, jedoch unter der Volkssouveränität, noch bekämpft. Später nutzte Preußen und dessen Kanzler Otto von Bismarck die nationalliberalen Strömungen, um Österreich aus dem Reich auszuschließen und die preußische Vorherrschaft zu erringen.

Ebenso lebten in Deutschland zu jener Zeit (insbesondere an seinen geographischen Rändern) viele Menschen, die sich nicht als ethnische Deutsche betrachteten, darunter viele Polen im Osten, französische Elsässer im Südwesten und Dänen im Norden des Reiches. Aufgrund ähnlicher nationalistischer Gefühle in Dänemark kam es 1864 im Streit um Schleswig zum Deutsch-Dänischen Krieg, dem ersten der drei später so genannten Reichseinigungskriege. Bismarck erzwang 1866 gegen den Widerstand des österreichischen Monarchen die Auflösung des Deutschen Bundes. Preußen annektierte – von einigen Ausnahmen abgesehen – die deutschen Staaten, die in der Bundesversammlung gegen Preußen gestimmt hatten und beanspruchte für König Wilhelm I. die Kaiserkrone des zukünftigen preußisch-deutschen Reiches.

Auslöser des Deutschen Krieges war der preußische Vertragsbruch der Gasteiner Konvention (Provinz Schleswig-Holstein). Der Bund verhängte gegen Preußen die Bundesexekution, worauf Preußen aus dem Deutschen Bund austrat. Das Königreich Preußen besiegte das Kaisertum Österreich und das Königreich Sachsen in der Schlacht von Königgrätz und der Deutsche Bund wurde mit dem Prager Frieden am 23. August 1866 aufgelöst. Infolgedessen schlossen sich die norddeutschen Staaten unter preußischer Führung zum Norddeutschen Bund zusammen. Preußen vermied eine Expansion über die Mainlinie hinweg, um Frankreich nicht offen zu provozieren.

Bayern, Württemberg, Baden und das Großherzogtum Hessen bildeten den Süddeutschen Bund, der jedoch keine praktische Bedeutung erlangte. Hessen-Darmstadt wurde mit seiner nördlich des Mains gelegenen Provinz Oberhessen teilweise Mitglied des Norddeutschen Bundes. Österreich, Luxemburg und Liechtenstein schlossen sich keinem der beiden Bünde an.

Der deutsche Sprachraum (Deutschland) war somit faktisch dreigeteilt, was dem französischen Kaiser Napoléon III. sehr gelegen kam, da ihm nichts daran lag, einen Konkurrenten um die innereuropäische Hegemonie groß werden zu lassen. Die nord- und süddeutschen Staaten hatten aufgrund der Gefahr einer französischen Intervention bereits geheime Schutz- und Trutzbündnisse abgeschlossen. Frankreich erkannte die Bedrohung, die von diesem starken Zusammenschluss deutscher Staaten ausging, zumal Preußen und seine Verbündeten ihre gemeinsame militärische Macht bereits zweimal demonstriert hatten. Durch die Emser Depesche und durch die Kandidatur der Hohenzollern für die spanische Thronfolge fühlte sich Frankreich provoziert und begann 1870 einen Präventivkrieg, den Deutsch-Französischen Krieg. Er verlief für Frankreich katastrophal und bereits 1871 besetzten die Truppen des Norddeutschen Bundes Paris. Gestärkt durch die Euphorie des Sieges und der preußischen Dominanz verkündete der preußische König Wilhelm I., nun Deutscher Kaiser, das Deutsche Reich am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles.

Geschichte

Das Münchner Abkommen 1938 stellt den letzten mit anderen Mächten (nicht aber der betroffenen Tschechoslowakei) vertraglich vereinbarten Gebietsstand des Deutschen Reiches dar. Die Zerschlagung der Rest-Tschechei 1939 und deren faktische Annexion als Protektorat Böhmen und Mähren war ein völkerrechtswidriger Akt und wurde wegen der Beschwichtigungspolitik der Westmächte geduldet.

Die Geschichte des Deutschen Reiches gliedert sich in drei beziehungsweise, wenn man die Besatzungszeit mitrechnet, die zweifelsohne[1] dazugehört, konkret vier Abschnitte:

  1. 1871–1918 Deutsches Kaiserreich unter der Bismarckschen Reichsverfassung
    1871–1890 Zeit des Reichskanzlers Otto von Bismarck
    1890–1918 wilhelminische Epoche und Erster Weltkrieg
  2. 1919–1933 Weimarer Republik unter der Weimarer Reichsverfassung
  3. 1933–1945 „Drittes Reich“, ab 1943 offiziell Großdeutsches Reich, und die Zeit des Nationalsozialismus als historische Epoche
  4. 1945–1949 von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges in Besatzungszonen aufgeteilt, fortan als „Deutschland als Ganzes“ („Germany as a whole“) bezeichnet und dem Alliierten Kontrollrat, der höchsten Regierungsgewalt, im Ganzen und den Militärgouverneuren in den einzelnen Zonen als Treuhänderschaft unterstellt (siehe auch Nachkriegsdeutschland, Deutschland 1945–1949).

Als im Jahre 1868 die spanische Königin Isabella II. gestürzt wurde, bot der Erbprinz Leopold des Königshauses Hohenzollern-Sigmaringen (welches mit dem spanischen Königshaus verwandt ist) seine Dienste als zukünftiger König an. Jedoch fühlte sich Frankreich dadurch bedroht und versuchte diese Königswahl militärisch zu unterbinden. Es kam zum Deutsch-Französischen Krieg. Bismarck nutzte diesen, um sein Ziel, die Einigung der deutschen Staaten, durch einen gemeinsamen Feind durchzusetzen. Er erreichte sein Ziel und so wurde nach dem triumphalen Sieg über Frankreich (bei Sedan) am 18. Januar 1871 im Schloss Versailles bei Paris das Deutsche Reich gegründet.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 wurde das Deutsche Reich unter Besatzung durch britische, französische, amerikanische und sowjetische Truppen gestellt. Die Gebiete östlich von Oder und Neiße und die westlich dieser Linie gelegene Stadt Swinemünde (entsprechend den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens) sowie darüber hinaus die Stadt Stettin (insgesamt etwa ein Viertel der Fläche von 1937) wurden faktisch vom Reich abgetrennt und, laut Potsdamer Abkommen, „vorläufig“ unter polnische bzw. sowjetische Verwaltung gestellt – letztendlich aber de facto annektiert. Die in den Ostgebieten ansässige deutsche Bevölkerung wurde, soweit sie nicht bereits im Zuge des Kriegsgeschehens in Richtung Westen geflüchtet war, in den folgenden Jahren weitestgehend und völkerrechtswidrig vertrieben.

Mit der Wiederherstellung der Republik Österreich ab 27. April 1945 (Unabhängigkeitserklärung) – bis 1955 unter den vier Besatzungsmächten, dann als souveräner Staat – und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 1949 hörte das Deutsche Reich zwar unter historischen Gesichtspunkten faktisch, aber nicht de jure auf zu existieren: Die Weimarer Verfassung wurde auch nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 und der Übernahme der Hoheitsgewalt über Deutschland durch die vier Besatzungsmächte nicht offiziell aufgehoben und das Deutsche Reich nicht aufgelöst.
Die sich aus dieser De-jure-Fortexistenz ergebenden Folgen sind im Abschnitt Staatsrechtliche Fragen erläutert.

Staatsoberhäupter und Regierungschefs

Siehe: Liste der Staatsoberhäupter des Deutschen Reiches und Reichskanzler

Entstehung des Begriffs

In der deutschen Verfassungsgeschichte sind die Begriffe Reich und Bund in gewisser Hinsicht austauschbar. Die Präambel der Bismarck-Verfassung von 1871 sagte beispielsweise, dass der preußische König und die süddeutschen Fürsten einen ewigen Bund geschlossen hätten. So erklärte Bismarck ausdrücklich vor dem Bundesrat: „Das Deutsche Reich hat die feste Basis in der Bundestreue der Fürsten, in welcher seine Zukunft verbürgt ist.“[2]

Die Verwendung der Begrifflichkeit Deutsches Reich knüpfte an das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (962–1806). Dieses war 1806 zerbrochen angesichts von Säkularisation und napoleonischer Übermacht (Diktat). Der Habsburger Kaiser Franz II., der sich 1804 nach Napoleons Vorbild zum Kaiser von Österreich proklamiert hatte, legte den Titel des römisch-deutschen Kaisers nieder und entließ alle Reichsbeamten und -organe aus ihren Verpflichtungen gegenüber dem „deutschen Reich“. Mit dem Akt der Niederlegung der Kaiserkrone endete das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.

Die spätere Epoche des wilhelminischen Kaiserreiches wurde als Zweites Reich bezeichnet. Diese Wortwahl deutete eine Nachfolgerschaft zum „ersten deutschen Reich“ an, ohne sie explizit auszusprechen. Diese Zurückhaltung war taktisch und diplomatisch geboten. Das Kaisertum Österreich und dessen Kaiser betrachteten sich als Nachfolger des Heiligen Römischen Reichs und wären somit indirekt als illegitim bezeichnet worden. Der Begriff „Zweites Reich“ wurde 1923 von Arthur Moeller van den Bruck geprägt; in seinem Buch Das dritte Reich bezeichnete dieser das römisch-deutsche Reich als „Erstes Reich“ und das Deutsche Kaiserreich von 1871 bis 1918 als das „Zweite Reich“. Er erwartete, dass diesem ein „Drittes Reich“ folgen werde.

Der Begriff wurde rasch in die Propaganda der NSDAP übernommen, die damit ihre Ablehnung der Weimarer Republik ausdrückte (siehe Drittes Reich). Allerdings sah der Nationalsozialismus bald wieder vom Begriff „Drittes Reich“ ab. „Reich“ hingegen blieb in Verwendung, überspannt und pseudoreligiös, dadurch wurde der Begriff im Laufe der Nachkriegszeit vermehrt mit dem Nationalsozialismus selbst in Verbindung gebracht.

Im angelsächsischen Raum spricht man noch heute von the Third Reich oder the German Reich. Dies hat damit zu tun, dass das entsprechende Wort Empire bei einer Republik als ungeeignet empfunden wird, daher heißt es German Empire nur für die Zeit bis 1918/1919.

Begriff nach 1945

Auch in den ersten Jahren nach 1945 war Deutsches Reich und Reich eine gängige Bezeichnung für den wiederherzustellenden beziehungsweise neu zu organisierenden Staat. In vielen Entwürfen für eine neue Verfassung der Jahre 1946/1947, beispielsweise der CDU, FDP und DP bzw. deren Politikern, findet sich der Ausdruck wieder.[3]

Staatsrechtliche Fragen

Bundes- und Reichsadler auf einer deutschen Briefmarke, 1969

Das Bundesverfassungsgericht stellte am 31. Juli 1973 bei der Überprüfung des Grundlagenvertrags mit der DDR fest (2 BvF 1/73; BVerfGE 36, 1[4]):

Das Grundgesetz – nicht nur eine These der Völkerrechtslehre und der Staatsrechtslehre! – geht davon aus, daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat und weder mit der Kapitulation noch durch Ausübung fremder Staatsgewalt in Deutschland durch die alliierten Okkupationsmächte noch später untergegangen ist; das ergibt sich aus der Präambel, aus Art. 16, Art. 23, Art. 116 und Art. 146 GG. Das entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, an der der Senat festhält.
Das Deutsche Reich existiert fort (BVerfGE 2, 266 [277]; 3, 288 [319 f.]; 5, 85 [126]; 6, 309 [336, 363]), besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig. Im Grundgesetz ist auch die Auffassung vom gesamtdeutschen Staatsvolk und von der gesamtdeutschen Staatsgewalt „verankert“ (BVerfGE 2, 266 [277]). Verantwortung für „Deutschland als Ganzes“ tragen – auch – die vier Mächte (BVerfGE 1, 351 [362 f., 367]).
Mit der Errichtung der Bundesrepublik Deutschland wurde nicht ein neuer westdeutscher Staat gegründet, sondern ein Teil Deutschlands neu organisiert […]. Die Bundesrepublik Deutschland ist also nicht „Rechtsnachfolger“ des Deutschen Reiches, sondern als Staat identisch mit dem Staat „Deutsches Reich“, – in bezug auf seine räumliche Ausdehnung allerdings „teilidentisch“, so daß insoweit die Identität keine Ausschließlichkeit beansprucht. […] Sie beschränkt staatsrechtlich ihre Hoheitsgewalt auf den „Geltungsbereich des Grundgesetzes“.
Die Bundesrepublik […] fühlt sich aber auch verantwortlich für das ganze Deutschland […]. Die Deutsche Demokratische Republik gehört zu Deutschland und kann im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland nicht als Ausland angesehen werden.

Die Bundesrepublik Deutschland könne also nicht als Nachfolgestaat angesehen werden, sondern sei vielmehr als Staat identisch mit dem Staat Deutsches Reich und nicht dessen Nachfolger resp. Rechtsnachfolger. Damit wird eine zum Teil staatsrechtliche Kontinuität und die völkerrechtliche Identität – durch das Völkerrechtssubjekt »Deutschland«[5] vertreten und verdeutlicht –, die 1871 mit dem Deutschen Kaiserreich und vorausgehend 1867 mit dem Norddeutschen Bund begann, unter der Bezeichnung Bundesrepublik Deutschland fortgeführt.

Diese Ansicht wird durch die herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft sowie internationale Verträge – u.a. dem Reichskonkordat – gestützt. Davon bleibt aber unberührt, dass, von einer politisch-historischen Perspektive aus betrachtet, das Reich mit der Niederlage im Zweiten Weltkrieg im Jahre 1945 untergegangen, das heißt „institutionell zusammengebrochen“ war.

Das Deutsche Reich innerhalb der Grenzen vom 31. Dezember 1937 wurde jedoch bis zum Abschluss des Warschauer Vertrages 1970 sowie bestätigend (u. a. der deutschen Ostgrenze) durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag – letztendlich 1990 einhergehend mit der Deutschen Einheit – begrifflich mit Deutschland gleichgesetzt und auch so bezeichnet (vgl. auch „Deutschland als Ganzes“)[6].
Mit der Wiedererlangung voller staatlicher Souveränität durch In-Kraft-Treten der Abschließenden Erklärung des Zwei-plus-Vier-Vertrags am 15. März 1991 wurde die (erweiterte) Bundesrepublik Deutschland endgültig das, was zuvor bereits das Deutsche Reich (von 1871) gewesen war: ein gesamtdeutscher Nationalstaat beziehungsweise der gegenwärtige föderale[7][8] und föderative[9] Bundesstaat, der (als wesentlichen Bestandteil der europäischen Friedensordnung) die Nachkriegsordnung mit seinen Grenzen anerkannt hat.

Siehe auch: Rechtslage des Deutschen Reiches nach 1945

Zitate

„Von allen schlimmen Folgen aber, die der letzte mit Frankreich geführte Krieg hinter sich drein zieht, ist vielleicht die schlimmste ein weitverbreiteter, ja allgemeiner Irrthum: der Irrthum der öffentlichen Meinung und aller öffentlich Meinenden, dass auch die deutsche Kultur in jenem Kampfe gesiegt habe und deshalb jetzt mit den Kränzen geschmückt werden müsse, die so ausserordentlichen Begebnissen und Erfolgen gemäss seien. Dieser Wahn ist höchst verderblich: nicht etwa weil er ein Wahn ist – denn es giebt die heilsamsten und segensreichsten Irrthümer – sondern weil er im Stande ist, unseren Sieg in eine völlige Niederlage zu verwandeln: in die Niederlage, ja Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des ‚deutschen Reiches‘.“

Friedrich Nietzsche zur Gründung des Deutschen Reiches 1871: Unzeitgemäße Betrachtungen, 1873–1876, Erstes Stück, Kapitel 1

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Fußnoten

  1. Prof. Dr. Dieter Blumenwitz: „Nach der Niederwerfung des Nazi-Regimes durch die alliierten Siegermächte 1945 wurde dem Problem des Unterganges Deutschlands durch ‚debellatio‘ vor allem in der internationalen staats- und völkerrechtlichen Literatur große Bedeutung geschenkt. […] Der Fortbestand des Deutschen Reiches unter der Bezeichnung ‚Deutschland als Ganzes‘ (»Germany as a whole«) läßt sich vor allem mit der Staatenpraxis der Siegermächte nach dem ‚Zusammenbruch‘ belegen, denen es 1945 nicht zuletzt politisch auch darum ging, endgültige Entscheidungen aufzuschieben, sich einen Schuldner für alle Kriegsforderungen zu erhalten und sich in allen Status- und Sicherheitsfragen in Mitteleuropa ein Mitspracherecht zu sichern. […] Die bedingungslose Kapitulation der deutschen Streitkräfte am 7. und 8. Mai 1945 war auch nur ein militärischer Akt und konnte deshalb die rechtliche Substanz der deutschen Staatsgewalt nicht entscheidend treffen. […] Auch mit der Verhaftung der letzten – nicht mehr effektiven – Reichsregierung (‚geschäftsführende Regierung Dönitz‘) durch die Siegermächte am 23. Mai 1945 wurde der Kern der deutschen Staatsgewalt noch nicht betroffen, da die Staatsgewalt nicht vom Schicksal eines ihrer Funktionsträger abhängt und im übrigen auf mittlerer und unterer Ebene immer noch deutsche Staatsgewalt ausgeübt wurde.“ In: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1990
  2. O. Mayer, Republik und monarchischer Bundesstaat, A.ö.R., 1903, S. 3701
  3. Wolfgang Benz (Hrsg.), Bewegt von der Hoffnung aller Deutschen. Zur Geschichte des Grundgesetzes. Entwürfe und Diskussion 1941–1949. dtv, München 1979, S. 25/26 (Einleitung des Bearbeiters).
  4. DFR – BVerfGE 36, 1 – Grundlagenvertrag
  5. als „Deutsches Reich“ niedergelegt in den Reichsverfassungen von 1871 und 1919
  6. aufgrund der nach herrschender Meinung als provisorisch betrachteten Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland bis 1990, da bis zu dem Zeitpunkt weder ein Friedensvertrag zwischen den Siegermächten und Deutschland, noch eine deutsche Gesamtregierung bestand; erst ab dann auch amtliche Kurzform der Staatsbezeichnung für die Bundesrepublik Deutschland – Lingen Lexikon Bd. 4, S. 70ff., F. A. Brockhaus, Wiesbaden
  7. Axel Metzger, Extra legem, intra ius: Allgemeine Rechtsgrundsätze im europäischen Privatrecht, Band 89, in: Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Beiträge zum ausländischen und internationalen Privatrecht, Mohr Siebeck, 2009, ISBN 3-161-49795-3, S. 221
  8. Bernhard Schäfers, Wolfgang Zapf (Hrsg.), Handwörterbuch zur Gesellschaft Deutschlands, 2. Aufl., Leske + Budrich, VS Verlag, 2001, ISBN 3-810-02926-2, S. 245
  9. Edin Šarčević, Das Bundesstaatsprinzip: eine staatsrechtliche Untersuchung zur Dogmatik der Bundesstaatlichkeit des Grundgesetzes, Band 55, in: Jus Publicum, Mohr Siebeck, 2000, ISBN 3-161-47263-2, S. 42