Jeremias Gotthelf

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Jeremias Gotthelf (* 4. Oktober 1797 in Murten, Kanton Freiburg; † 22. Oktober 1854 in Lützelflüh, Kanton Bern) war das Pseudonym des Schriftstellers und Pfarrers Albert Bitzius.

Jeremias Gotthelf um 1844

Leben

Kindheit und Jugend

Albert Bitzius wurde am 4. Oktober 1797 in Murten als Sohn des Pfarrers Sigmund Bitzius und seiner dritten Frau Elisabeth Bitzius-Kohler geboren. 1805 wurde der Vater ins Bauerndorf Utzenstorf versetzt. Hier lernte Albert die bäuerliche Welt des Emmentals kennen. Der Vater unterrichtete Albert selbst. Ab 1812 besuchte Albert die Literarschule in Bern und wechselte ab 1814 als Externus (Auswärtiger, Hörer) auf die Hochschule für Theologen. Aus dieser Zeit schrieb er:

Hier brachte ich drei Jahre in der sogenannten Philosophie sehr fleissig zu, trieb alte Sprachen, Mathematik, Philosophie, wo Joh. Rud. Wyss besonders freundlich und väterlich sich meiner annahm. Meiner Mutter selig sagte er einmal: „Sagt doch euerm Sohne, er solle schöner schreiben lernen, er schreibt wie eine Sau. Lässt er mal was drucken, besonders in Deutschland, so hat er Schinders Verdruss.“ „Ja wolle“, antwortete meine Mutter, „das wird er wohl lah blybe.“ „Man kann nie wissen“, sagte Wyss. (aus Sämtliche Werke. Erlenbach-Zürich: Rentsch 1921-77, Ergänzungsband 18, S. 13f)

Ausbildung

1817 begann er das ordentliche Theologiestudium in Bern, welches er 1820 abschloss. 1819 war er Gründungsmitglied des Schweizerischen Zofingervereins, der ältesten noch bestehenden Studentenverbindung der Schweiz. Nach einem Vikariat bei seinem Vater in Utzenstorf setzte er das Studium 1821 in Göttingen für ein Jahr fort. Auf einer anschließenden Studienreise besuchte er die Insel Rügen, Berlin, Weimar, Leipzig, Dresden und München. Im Frühjahr 1822 kehrte er zurück nach Utzenstorf. 1824 starb sein Vater und Bitzius wurde Pfarrverweser in Herzogenbuchsee. 1829 kam er als Pfarrgehilfe nach Bern an die Heiliggeistkirche. 1831 wechselte er als Vikar in die Pfarrei Lützelflüh im Emmental, wo er ein Jahr später zum Pfarrer gewählt wurde.

Das Wirken in Lützelflüh

Schon bald setzte er sich für die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht ein. Pädagogisch stand er in der Tradition Johann Heinrich Pestalozzis und distanzierte sich von seinem Berner Landsmann Philipp Emanuel von Fellenberg. Er kämpfte gegen die Ausbeutung der Kinder aus armen Familien als billige Arbeitskräfte. Er verlangte Maßnahmen gegen den Alkoholismus.

1833 heiratete er in der Kirche Wynigen Henriette Zeender (1805 - 1872). Zusammen hatten sie drei Kinder: Henriette (1834 - 1890), Albert (1835 - 1882) und Cecile (1837 - 1914). Der Sohn wurde später ebenfalls Pfarrer und setzte in vielen Bereichen die Bemühungen des Vaters für eine Sozialreform im Kanton Bern fort.

1835 wurde Bitzius zum Schulinspektor für die 18 Schulen der Gemeinden Lützelflüh, Rüegsau, Hasle und Oberburg gewählt. Nach zehn Jahren wurde er aus diesem Amt wegen politischer Differenzen mit der Regierung entlassen.

Ebenfalls 1835 war er maßgeblich an der Gründung der Armenerziehungsanstalt Trachselwald im Schlossgut Trachselwald beteiligt. Bis zu seinem Tod setzte er sich dafür ein. In der Schrift „Die Armennot“ (1840 erschienen) verarbeitete er die gemachten Erfahrungen.

Zunehmend engagierte er sich auch politisch und kritisierte die herrschenden Berner Familien, die sich seiner Ansicht nach zu wenig um die sozial Schwachen kümmerten.

Der Schriftsteller

1836 begann Gotthelf mit der Schriftstellerei. Sein erster Roman war Der Bauernspiegel. Der Name der Hauptfigur aus diesem Werk wurde zugleich der Schriftstellername von Bitzius: Jeremias Gotthelf.

Seine Romane spiegeln in einem zum Teil erschreckenden Realismus das bäuerliche Leben im 19. Jahrhundert. Mit wenigen starken, wuchtigen Worten konnte er Menschen und Landschaften beschreiben. Gotthelf verstand es wie kein anderer Schriftsteller seiner Zeit, die christlichen und die humanistischen Forderungen in seinem Werk zu verarbeiten.

Herausragend in seinem Werk ist die Rahmennovelle Die schwarze Spinne (1843), in der er alte Sagen zu einer gleichnishaften Erzählung über christlich-humanistische Vorstellungen von Gut und Böse verarbeitet. Eingebettet in eine idyllisch angelegte Rahmenerzählung, die jedoch auch von subtilen sozialen Ängsten durchsetzt ist, wird die Geschichte eines Handels mit dem Teufel berichtet. Die Erzählung wird von christlich-konservativen und sexualitätsfeindlichen Motiven getragen und besitzt eine komplexe Erzählstruktur, die geschickt darauf hinweist, wie der verständige Christ die Sagen der Vergangenheit lebendig erhalten soll. Die Symbolik der Erzählung ist über den christlichen Sinn hinaus jedoch auch unter einer allgemeineren moralischen Fragestellung von Gut und Böse verständlich. Die soziale Dynamik des Dorfes wird von Gotthelf präzise geschildert: gegenseitige Schuldzuschreibung, schnell vergessene Kollektivschuld und das Schicksal von Außenseitern, die von der Gemeinschaft leichtfertig zu Sündenböcken gemacht werden, machen das Buch zu einer nach wie vor aktuellen Lektüre.

Zuerst kaum beachtet, gilt diese Erzählung bei vielen Literaturkritikern als eines der Meisterwerke des deutschen Biedermeier. Thomas Mann schrieb darüber in Die Entstehung des Doktor Faustus, dass Gotthelf „oft das Homerische“ berühre und dass er seine Schwarze Spinne „wie kaum ein zweites Stück Weltliteratur“ bewundere. Als Schriftsteller, so beschrieb ihn Walter Muschg 1954, ist "dieser Außenseiter [...] fraglos nicht nur der größte, sondern der einzige Erzähler ersten Ranges in der deutschen Literatur, der einzige, der sich mit Dickens, Balzac oder Dostojewskij vergleichen läßt.", weiter räumt Muschg besorgt hinzu: "Trotzdem ist er vielen hervorragenden Kennern unbekannt. Sein Name entlockt ihnen unfehlbar ein Lächeln, und es scheint ausgeschlossen, daß er jemals in die Weltliteratur eingehen wird. Nicht nur deshalb, weil nur ein Schweizer die Fülle seiner barbarischen Sprache ermessen kann" (Walter Muschg: Dichtertypen. Basel 1954).


Einige von Gotthelfs Werken wurden verfilmt. In der Schweiz waren Uli der Knecht (1954) und die Fortsetzung Uli der Pächter (1955) sehr erfolgreich. Regie führte der Emmentaler Regisseur Franz Schnyder und die später sehr erfolgreichen Darsteller Hannes Schmidhauser und Liselotte Pulver spielten die Hauptrollen.

Gotthelfs Nachlass befindet sich in der Burgerbibliothek Bern. Zu seinen Ehren wurde in Basel das Gotthelf-Quartier benannt.

Werke

Verfilmte Werke

Literatur

  • Philipp W. Hildmann: Schreiben im zweiten konfessionellen Zeitalter. Jeremias Gotthelf (Albert Bitzius) und der Schweizer Katholizismus des 19. Jahrhunderts. Tübingen, Francke Verlag 2005, ISBN 3-7720-8112-6.
  • Philipp W. Hildmann, Hanns Peter Holl (Hrsg.): Gotthelf - Heine - Taillandier. Literarische Begegnungen. Tübingen, Francke Verlag 2006, ISBN 3-7720-8118-5.
  • Hanns Peter Holl: Jeremias Gotthelf. Leben, Werk, Zeit. Zürich, Artemis-Verlag 1988, ISBN 3-7608-0991-X.
  • Barbara Mahlmann-Bauer und Christian von Zimmermann (Hrsg.): Jeremias Gotthelf: Wege zu einer neuen Ausgabe, Tübingen, Niemeyer, 2006, ISBN 3-484-52924-5.
  • Barbara Mahlmann-Bauer, Christian von Zimmermann und Sara M. Zwahlen (Hrsg.): Jeremias Gotthelf, der Querdenker und Zeitkritiker. Bern, Peter Lang 2006, ISBN 3-03910-970-7
  • Paul Eggenberg, Jeremias Gotthelf – aus seinem Leben, Wirken und Kämpfen, ab 12 J., Schweizerisches Jugendschriftenwerk (SJW)-Heft
Wikisource: Jeremias Gotthelf – Quellen und Volltexte