Junggrammatiker

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 4. April 2007 um 18:07 Uhr durch Abe Lincoln (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Junggrammatiker nennt man die Linguisten der so genannten Leipziger Schule, die sich Ende der 1870er Jahre in Leipzig um August Leskien (18401916) gebildet hatte. Ihre wichtigsten deutschen Vertreter von Beginn an waren

Die Junggrammatiker vertraten in der indogermanischen und allgemeinen Sprachwissenschaft eine positivistische Richtung und folgten der Doktrin des Physiologen Emil Heinrich du Bois-Reymond (1818-1896) von der Ausnahmslosigkeit der Naturgesetze. Ihrer Auffassung nach finden Sprachveränderungen ausnahmslos auf der Grundlage naturgegebener Lautgesetze statt. Sprachwissenschaftliche Erkenntnisse sollten ausschließlich auf beobachtbaren Tatsachen beruhen. Nach ihrem Lehrsatz von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze war die Psychophysik des Sprechaktes in ihrer augenblicklichen und historischen Dimension Hauptgegenstand der Sprachwissenschaft. Dies führte zu genaueren und umfassenderen Feldforschungen und Entdeckungen auf dem Gebiet der Lautverschiebung. Außerdem wurde ein stärkeres Interesse für die Dialektologie und die Sprache der Kinder entwickelt.

Da die Junggrammatiker – außer ihrem Dogma von der Ausnahmslosigkeit der LautgesetzeAbstraktionen ablehnten, die nicht durch beobachtbare Fakten allseitig belegt werden konnten, setzten sie sich der Kritik aus, sich in Einzelheiten zu verlieren. Sprichwörtlich heißt das: Sie sahen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Damit waren sie aus heutiger Sicht hinter August Schleicher (1821-1868) zurückgefallen, der sich zwar auch von der Philologie lösen wollte und die Linguistik als Teil der Naturwissenschaften sah, jedoch in der Evolutionstheorie eine insgesamt tragfähigere Grundlage zur Erforschung der Sprachveränderungen gefunden hatte.

Die Hypothese von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze gab damals Anlass zu einer Kontroverse, u.a. mit dem Romanisten Hugo Schuchardt. Die Ausnahmslosigkeit hat sich als "Gesetz" als falsch erwiesen. Sie berücksichtigte nicht den gesellschaftlichen Charakter der Sprache und damit die kulturellen Aspekte der Sprachveränderungen. Wohl aber ist der Begriff Lautgesetz bei der Rekonstruktion und dem Studium des Sprachwandels eine sinnvolle Arbeitshypothese, denn Lautwandel erfolgt zwar nicht nach ausnahmslosen Gesetzen, aber ebenso wenig willkürlich und regellos. Jede Ausnahme von einem Lautgesetz gilt es zu erklären. Dieses Problem war den Junggrammatikern zum Teil klar und führte gerade zu einer verstärkten Beschäftigung mit Sprachentwicklung und Dialektologie.

Die Bezeichnung Junggrammatiker, die als "junge Sprachwissenschaftler" zu verstehen ist, soll ursprünglich vom Germanisten Friedrich Zarncke stammen, einem Mitglied der älteren Generation, der sie in Anlehnung an die Bezeichnung anderer "junger" oder revolutionärer Bewegungen prägte, wie z. B. Junges Deutschland. Zarncke verwies damit anlässlich einer Promotion in ironischer Weise auf die Unerfahrenheit und das militante Verhalten der jungen Generation. Die Bezeichnung wurde aber später von dieser jungen Generation wiederaufgenommen.

Der lingustische Strukturalismus, begründet von Ferdinand de Saussure, lehnte die Junggrammatiker ab und begründete damit die "moderne Sprachwissenschaft", die Linguistik.

Literatur

  • Hermann Paul: Prinzipien der Sprachgeschichte. (1. Auflage 1880).
  • Karl Brugmann und Bertold Delbrück: Grundriß der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen. (2. Auflage, 5 Bände, 1897–1916).
  • Hugo Schuchardt: „Über die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker“, Aufsatz im Hugo-Schuchardt-Brevier, ein Vademekum der allgemeinen Sprachwissenschaft., herausgegeben von Leo Spitzer. Halle (Saale) 1922.

Weblinks