Karl Ludwig von Haller

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Karl Ludwig von Haller

Karl Ludwig von Haller (auch Carl; * 1. August 1768 in Bern; † 20. Mai 1854 in Solothurn) war ein Schweizer Staatsrechtler, Politiker, Publizist und Nationalökonom in Bern. Er gilt als Vordenker eines frühen, reaktionären Konservatismus.

Von Haller ist der Enkel des Universalgelehrten Albrecht von Haller (1708–1777). Seine Eltern waren Gottlieb Emanuel von Haller (1735–1786) und dessen Ehefrau Anna Margarethe Schultheß (1734–1810).

Haller heiratete 1806 in Bern Katharina von Wattenwyl (* 1780; † 31. Dezember 1848), die Tochter des David Salomon Ludwig von Wattenwyl (* 23. Oktober 1742; † 24. Februar 1808) eines Offiziers in holländischen Diensten und Landvogts in Fraubrunnen. Das Paar hatte zwei Söhne und eine Tochter:

  • Karl (1807–1893), Politiker, Publizist
  • Albert (1808–1858), Weihbischof von Chur
  • Margaretha Elisabeth Cäcilia (* 28. Juli 1809; † 1834) ⚭ Karl von Sury d'Aspermont (1799–1868)

Aufgewachsen in Bern im Milieu des calvinistisch geprägten Patriziats der Stadt, trat er 1786 in den Staatsdienst ein und war unter anderem diplomatisch und nebenbei auch bereits schriftstellerisch tätig. 1798 floh er vor den anrückenden französischen Revolutionsarmeen nach Süddeutschland, wo er Stationen in Augsburg, Nürnberg und Weimar machte und antifranzösische bzw. antirevolutionäre Schriften verfasste. Nach einem Aufenthalt in Wien ab 1800/01 kehrte er 1806 nach Bern zurück und wurde im Jahr 1807 – obwohl er Autodidakt war, nicht studiert hatte – als Professor für allgemeines Staatsrecht, vaterländische Geschichte und Kameralistik an die Berner Akademie berufen.[1] Hier lehrte er wohl bis 1814, wurde dann in den Großen Rat der Stadt Bern gewählt und begann zeitgleich mit der Ausarbeitung seines Hauptwerks, der „Restauration der Staatswissenschaft“. 1808 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.[2]

Nachdem er sich vom Katholizismus stark angezogen fühlte, konvertierte er 1820 im Geheimen beim Bischof von Lausanne-Genf, Pierre Tobie Yenni, und rechtfertigte diesen Schritt in seinem 1822 als Broschüre veröffentlichten „Lettre à sa famille“, was einen Skandal – nicht zuletzt im protestantischen Bern – und erhebliche Polemik Haller gegenüber auslöste.[3] In der Folge war er gezwungen, von allen öffentlichen Ämtern zurückzutreten. Noch im selben Jahr ging er nach Paris, wo er sich als ultraroyalistischer Publizist betätigte, die Bekanntschaft de Bonalds und Lamennais' machte und 1824 ins französische Außenministerium berufen wurde. Im Mai 1830 ernannte man ihn schließlich zum Professor an der École des Chartes, jedoch musste er im Zuge der Julirevolution wiederum das Land verlassen. Haller kehrte nach diesem erneuten Exil in die Schweiz zurück, lebte in Solothurn und wirkte bis zu seinem Tode im Jahr 1854 als konservativer Publizist und Schriftsteller.

Die „Restauration“

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Weit über die Schweiz hinaus bekannt wurde Karl Ludwig von Haller durch seine Schrift „Restauration der Staatswissenschaft“ (1816–1834), mit ganzem Titel eigentlich: „Restauration der Staats-Wissenschaft oder Theorie des natürlich-geselligen Zustands der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesezt“. In diesem seinem zu großer zeitgenössischer Bekanntheit gelangtem, mehrbändigen Hauptwerk vertrat er eine bisweilen extreme Position starker, eigenständiger Fürstenmacht, die als direkter Gegenentwurf zum politischen Denken der Aufklärung und der Revolutionäre von 1789 angelegt ist.

Ausgehend von der Behauptung, dass das gesamte revolutionäre Gedankengut schlichtweg auf Verdrehung und Verdunkelung der politischen und rechtlichen Wirklichkeit beruhe und die Fürsten in Wahrheit durch ihr ursprüngliches Eigentum am Staat auch das ungeteilte Recht auf die oberste Staatsgewalt besäßen, entwickelt er eine Theorie des „Patrimonialstaates“, in dem alle sozialen und politischen Beziehungen zwischen den Menschen rein privatrechtlicher und nicht öffentlich-rechtlicher Natur sind. Er bedient sich bei seiner Argumentation einer historischen Kritik der Vertragstheorie und ihrer Grundannahmen sowie des Gedankens einer natürlich-göttlichen Weltordnung, die ohne jedes aufklärerische Naturrecht jedem Menschen den ihm gebührenden Platz in der Gesellschaft zuweist, einfach Kraft des Gesetzes von der „Herrschaft des Mächtigeren“. Diese Pointe brachte Haller in späterer Zeit den Vorwurf eines „Machtnaturalismus“ ein,[4] wohingegen das Fehlen jedweden öffentlichen Rechts in seinem Konzept, bzw. des öffentlich-rechtlichen Charakters der Staatsgewalt, bereits früh und auch von konservativer Seite kritisiert wurde. Man warf ihm unter anderem vor, einen „Patrimonialstaat“ des Mittelalters wiederbeleben zu wollen und mit seiner Theorie lediglich die Interessen der landbesitzenden Oberschicht (etwa der preußischen „Junker“) zu verteidigen.

Auch wenn sein Konzept breit kritisiert und selbst innerhalb der späteren konservativen Theoriebildung kaum rezipiert worden ist, hatte die Lektüre der „Restauration“ dennoch einen nachweisbaren Mobilisierungseffekt auf einige konservative Politiker späterer Jahrzehnte, so etwa Ernst Ludwig von Gerlach und seine Mitstreiter in deren Jugendzeit, Carl Ernst Jarcke oder Carl Wilhelm von Lancizolle.[5] Wenngleich Hallers Radikalität kaum verfingt, lässt sich doch eine mittelbare Wirkung seiner politischen Positionen im Altkonservatismus wiederfinden.

Vermittels Gerlachs durchdrang er auch das Rechtsumfeld Savignys in Berlin. Zwar stieß er auf dessen radikale Ablehnung,[6] weil aber unter Savignys Anhängern Unruhe aufgrund wichtiger offen gebliebener Fragen wie die (philosophische) Einlassung auf die „letzten Gründe von Staat und Recht“ seines historischen Lehrkonzepts aufkeimte, vermochte er – nach Auffassung Bethmann-Hollwegs[7] – das Fundament der bedeutendsten Rechtsschule der Zeit zu erschüttern.[8]

Nach dem Titel seiner Schrift erhielt die historische Phase der „Restauration“ nach dem Wiener Kongress, ca. 1815 bis 1830, ihren Namen.

Werke (Auswahl)

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Commons: Karl Ludwig von Haller – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Karl Ludwig von Haller – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

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  1. Hans-Christof Kraus: Haller, Carl Ludwig von. In: Caspar von Schrenck-Notzing (Hrsg.): Lexikon des Konservatismus. Leopold Stocker Verlag, Graz 1996, S. 228–230.
  2. Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Band 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Band 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 102.
  3. Günter Maschke: Haller, Carl Ludwig von. In: Rüdiger Voigt, Ulrich Weiß (Hrsg.): Handbuch Staatsdenker. Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 147–149.
  4. Vgl. Kraus, 1996.
  5. Vgl. Maschke, 2010.
  6. F. C. von Savigny: System des heutigen römischen Rechts. Band 1, Berlin 1840, S. 32.
  7. Moritz August von Bethmann-Hollweg: Familien-Nachricht. Band 1, Bonn 1876. (Schriftverkehr mit F. C. von Savigny am 25. November 1832) S. 283.
  8. Hans-Peter Haferkamp: Christentum und Privatrecht bei Moritz August von Bethmann-Hollweg. In: Jens Eisfeld, Martin Otto, Louis Pahlow, Michael Zwanzger (Hrsg.): Naturrecht und Staat in der Neuzeit. Diethelm Klippel zum 70. Geburtstag. Mohr Siebeck, Tübingen 2013. ISBN 978-3-16-152462-2. S. 519–541, hier S. 522 f.