Roland Freisler

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Roland Freisler (* 30. Oktober 1893 in Altensalzkoth bei Celle; † 3. Februar 1945 in Berlin) war Jurist in der Weimarer Republik und der Diktatur des Nationalsozialismus, während der seine Karriere ihren Höhepunkt fand: Von August 1942 bis zu seinem Tod während eines Luftangriffs auf Berlin drei Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges war er Präsident des „Volksgerichtshofs“, der das höchste Gericht des NS-Staates für politische Strafsachen war.

Als für Tausende Todesurteile verantwortlicher Richter in den von ihm geführten Verhandlungen der letzten drei Jahre des NS-Regimes – vielfach Schauprozesse, deren Urteile oft schon von vornherein feststanden – gilt er in der heutigen Öffentlichkeit als bekanntester Strafrichter des so genannten „Dritten Reiches“. Bedingt durch sein jähzorniges und die Angeklagten demütigendes Auftreten ist er ein prägnantes Beispiel für die Rechtsbeugung der Justiz im Nationalsozialismus im Dienst des staatlich organisierten Terrors des Regimes.

Leben

Im Unterschied zu fast allen anderen prominenten Figuren der nationalsozialistischen Führungselite ist über den privaten Bereich Roland Freislers bis heute nur wenig bekannt. Der Jurist Freisler diente im Ersten Weltkrieg als Leutnant, geriet 1915 in russische Kriegsgefangenschaft in Sibirien und wurde nach Auflösung der Lager bolschewistischer Kommissar. (Hitler nannte ihn deshalb angeblich auch „den alten Bolschewiken“).

1920 kehrte er nach Deutschland zurück, promovierte 1922 an der Universität Jena in Jura über „Grundsätzliches über die Betriebsorganisation“, eröffnete 1924 eine Anwaltskanzlei in Kassel und trat 1925 der NSDAP bei. Er wurde Stadtverordneter in Kassel und später Mitglied des hessisch-nassauischen Landtags. Als Verteidiger vertrat er straffällig gewordene Nationalsozialisten.

Im Jahre 1927 charakterisierte der Gauleiter Karl Weinrich des damaligen „NSDAP-Gaues“ Kurhessen den „Parteigenossen“ Roland Freisler in einem Bericht an die Parteileitung in München wie folgt:

Rhetorisch ist er unseren besten Rednern gewachsen, wenn nicht überlegen. Besonders auf die große Masse hat er Einfluss, von denkenden Menschen wird er innerlich meist abgelehnt. Parteigenosse Freisler ist nur als Redner verwendbar. Für jeden Führerposten ist er ungeeignet, da er unzuverlässig ist und zu sehr von Stimmungen abhängig.

1932/1933 war er Mitglied des preußischen Landtages. Im gleichen Jahr wurde er Preußischer Staatsrat und Ministerialdirektor, 1934 dann Staatssekretär im preußischen Justizministerium, von 1934 bis 1942 auch im Reichsjustizministerium, welches er bei der Wannseekonferenz vertrat.

Dass er trotz seiner unbestrittenen juristischen Kompetenz nicht noch höher aufsteigen konnte, ist, Uwe Wesel zufolge, zwei Hinderungsgründen zuzuschreiben:

  • Freisler galt als Einzelkämpfer und verfügte über keine einflussreichen Gönner, die seinen Aufstieg hätten fördern können.
  • In den Augen der NS-Elite wurde Freisler durch das Auftreten seines Bruders Oswald kompromittiert. Oswald Freisler verstieß insbesondere dadurch gegen die Parteiinteressen, dass er in politisch bedeutsamen Prozessen, die das NS-Regime zu Propagandazwecken auszuschlachten trachtete, als Verteidiger auftrat und dabei das NSDAP-Parteiabzeichen deutlich sichtbar trug, was eine eindeutige Interpretation des Parteistandpunkts erschwerte. Propagandaminister Joseph Goebbels tadelte daraufhin Roland Freisler und meldete den Vorfall an Hitler, der seinerseits den unverzüglichen Parteiausschluss von Oswald Freisler verfügte.

Am 20. August 1942 wurde Freisler von Adolf Hitler als Nachfolger Otto Thieracks, der zum Reichsjustizminister befördert worden war, zum Präsidenten des Volksgerichtshofs ernannt. Der Volksgerichtshof war 1934 zur Verhandlung von Hochverrats- und Landesverratssachen errichtet worden; später wurde die Zuständigkeit auf andere Staatsschutzdelikte erweitert.

Erweiterte Kompetenzen des Gerichtes (Wirtschaftskriminalität, Wehrmachtsschädigung etc.) ermöglichten Freisler ein umfassenderes Wirken. Unter ihm stieg die Anzahl der Todesurteile stark an: Ungefähr 90 Prozent aller Verfahren endeten mit einer oft bereits vor Prozessbeginn feststehenden Todesstrafe oder mit lebenslanger Haftstrafe. Zwischen 1942 und 1945 wurden mehr als 5.000 Todesurteile gefällt, davon etwa 2.600 durch den von Freisler geführten Ersten Senat des Gerichts. Damit ist allein Freisler in den drei Jahren seines Wirkens am Volksgerichtshof für ebensoviele Todesurteile verantwortlich wie alle anderen Senate des Gerichts zusammengenommen in der gesamten Zeit des Bestehens des Gerichts von 1934 bis 1945.

Freisler zeigte deutlich seine Voreingenommenheit zugunsten des NS-Staats, indem er in den Verhandlungen die Angeklagten erniedrigte und lautstark anbrüllte. Beispielhaft hierfür ist seine Befragung von Ulrich Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld im Prozess gegen die „Verschwörer des 20. Juli 1944“:

Schwerin: „Herr Präsident, was ich an politischen Erfahrungen persönlich gemacht habe, hat für mich mancherlei Schwierigkeiten in der Folge gehabt, weil ich ja sehr lange für das Deutschtum in Polen gearbeitet habe und aus dieser Zeit heraus ein vielfaches Hin und Her in der Einstellung gegenüber den Polen praktisch erlebt habe. Das ist eine ...“
Freisler: „Ein Hin und Her, das Sie dem Nationalsozialismus zur Last legen?“
Schwerin: „Ich dachte an die vielen Morde ...“
Freisler (schreiend): „Morde?“
Schwerin: „Die im In- und Ausland ...“
Freisler: „Sie sind ja ein schäbiger Lump! Zerbrechen Sie nicht unter Ihrer Gemeinheit! Ja oder nein? Zerbrechen Sie darunter?“
Schwerin: „Herr Präsident!“
Freisler: „Ja oder nein? Eine klare Antwort!“
Schwerin: „Nein.“
Freisler: „Sie können auch gar nicht mehr zerbrechen, Sie sind ja nur noch ein Häuflein Elend, das vor sich selber keine Achtung mehr hat.“

(Schwerin wurde wie die übrigen Angeklagten vom 20. Juli zum Tode verurteilt.)

Einige dieser Prozesse ließ Freisler filmen. Es war für die Tontechniker schwierig, die Antworten der Beklagten aufzunehmen, da Freisler in der Verhandlung derart laut schrie, dass die Tontechnik auf eine entsprechende Unempfindlichkeit eingeregelt werden musste. Den Angeklagten wurden Hosenträger, Gürtel und Krawatte weggenommen, um sie lächerlich zu machen.

Freisler leitete u. a. die Schauprozesse gegen die Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose und gegen Mitglieder des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944.

Er bestimmte sich in seinem Senat regelmäßig selbst als Berichterstatter. Damit war er auch für die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe zuständig, die er nach seinen Vorstellungen eines „nationalsozialistischen Strafrechts“ verfasste.

Die genaue Todesursache von Freisler ist nicht bekannt. So soll er am 3. Februar 1945 bei einem amerikanischen Bombenangriff auf Berlin von Trümmern des Gerichtsgebäudes erschlagen worden sein. Anderen Informationsquellen zufolge ist er durch einen Bombensplitter verwundet worden und verblutet – entweder, weil er nicht rechtzeitig den Luftschutzkeller erreichte, oder weil er den Luftalarm ignorierte und im Archiv Akten einsehen wollte.

Zitate Freislers

  • „Wir sind die Panzertruppe der Rechtspflege.
  • „Ich denke da an den Schutz des Volkes selbst, seiner Blut- und Schicksalsgemeinschaft, wie sie in Jahrtausenden gewachsen ist. Der Schutz dieser Blutsgemeinschaft – der Rasse – ist dem jetzigen Strafrecht fremd. Der Schutz dieser durch Ströme von Blut geheiligten Schicksalsgemeinschaft ist dem deutschem Strafrecht unbekannt.
  • „Ich bin mir durchaus der Tatsache bewusst, eine einseitige Rechtsprechung zu praktizieren, aber dies nur für einen politischen Zweck. Es gilt, eine Wiederholung von 1918 mit allen meinen mir zur Verfügung stehenden Kräften zu verhindern.
  • „Wenn ein solches Handeln anders als mit dem Tode bestraft würde, wäre der Anfang einer Entwicklungskette gebildet, deren Ende einst 1918 war. Deshalb gab es für den Volksgerichtshof zum Schutz des kämpfenden Volkes und Reiches nur eine gerechte Strafe, die Todesstrafe (...) Durch ihren Verrat an unserem Volk haben die Angeklagten ihre Bürgerrechte für immer verwirkt.“ – Roland Freisler zur Widerstandsgruppe „Weiße Rose

Siehe auch

Veröffentlichungen

  • Grundsätzliches über die Betriebsorganisation (Schriften des Instituts für Wirtschaftsrecht an der Universität Jena, 3), Jena 1922
  • Das Werden des Juristen im Dritten Reich [1. Teil], Berlin 1933
  • Gedanken zum Erbhofrecht, 1933
  • Das Deutsche Strafrecht (Zeitschrift), seit 1933
  • Grundzüge eines Allgemeinen Deutschen Strafrechts. Denkschrift des Zentralausschusses der Akademie für Deutsches Recht, 1934 (höchstwahrscheinlich nur teilweise Beiträge)
  • (zusammen mit Reichsminister Franz Gürtner) Das kommende deutsche Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1934 (Freisler wirkte "nur" mit)
  • (zusammen mit Gerd oder Walter Luetgebrune) Denkschrift des Zentralausschusses der Strafrechtsabteilung der Akademie für Deutsches Recht über die Grundzüge eines Allgemeinen Deutschen Strafrechts, Berlin 1934
  • Gedanken zur Technik des werdenden Strafrechts und seiner Tatbestände, 1935
  • Deutsches Strafrecht. Strafrecht, Strafrechtspolitik, Strafprozeß, Berlin 1935
  • Zur Neugestaltung des Strafverfahrens, Berlin 1935
  • (zusammen mit Reichsminister Franz Gürtner) Das neue Strafrecht Grundsätzliche Gedanken zum Geleit, Berlin 1936
  • Vom alten zum neuen Ehescheidungsrecht. Kritik, Vorschlag, Begründung, Berlin 1937
  • Der Ehrenschutz im neuen deutschen Strafverfahren [[Beiträge zur Rechtserneuerung; 4)Gemeinschaftsarb. von Roland Freisler ..., Berlin 1937
  • Nationalsozialistisches Recht und Rechtsdenken (Schriften des Reichsverbandes Deutscher Verwaltungsakademien), Berlin 1938
  • Leitfaden für die Helfer der Ermittlungshilfe, Berlin 1938
  • Das Jahrbuch des Deutschen Rechts, Ort und Datum unbekannt, aber vor 1935
  • (zusammen mit Ludwig Grauert - Leiter der Polizeiabteilung des preußischen Innenministeriums) Das neue Recht in Preußen (Sammlung), Berlin 1. Band wahrsch. 1934 oder 1933, 2. Band 1935
  • Die Wiedergeburt strafrechtlichen Denkens, Berlin 1940

Literatur

  • Gert Buchheit: Richter in roter Robe. Freisler, Präsident des Volksgerichtshofes. München, 1968.
  • Beatrice und Helmut Heiber (Hrg.): Die Rückseite des Hakenkreuzes. Absonderliches aus den Akten des Dritten Reiches. München: dtv dokumente, 1993. ISBN 3-423-02967-6
  • Ingo Müller: Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz. München: Kindler, 1987. ISBN 3-463-40038-3
  • Helmut Ortner: Der Hinrichter. ISBN 3882433558