Sibylle Lewitscharoff
Sibylle Lewitscharoff (* 16. April 1954 in Stuttgart) ist eine deutsche Schriftstellerin. Sie wurde 2013 mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet.[1]
Leben
Sibylle Lewitscharoff ist die Tochter eines in den 1940er Jahren nach Deutschland emigrierten[2] bulgarischen Arztes und einer deutschen Mutter.[3][4] Sie wuchs in einer schwäbischen Familie in Stuttgart-Degerloch auf, wo sie 1972 ihr Abitur machte. In dieser Zeit war sie Trotzkistin, las Karl Marx [5] [6] [7] und beteiligte sich an der Gründung eines regionalen Ablegers des Sozialistischen Büros.[8] Anschließend studierte sie bei Klaus Heinrich Religionswissenschaft an der Freien Universität Berlin.[9] Während ihres Studiums hielt sie sich für längere Zeit in Buenos Aires und Paris auf und lebt seitdem in Berlin.[3]
Nach ihrem Studienabschluss arbeitete Lewitscharoff einige Jahre als Buchhalterin in einer Berliner Werbeagentur.[3] Ihre schriftstellerische Tätigkeit begann sie mit dem Verfassen von Radio-Features und Hörspielen. Von Dezember 2009 bis Ende Januar 2010 stellte sie im Rahmen der Veranstaltungsreihe fluxus im Literaturmuseum der Moderne in Marbach am Neckar vier Papiertheaterarbeiten und zwei Leporellos aus, die wie der sie begleitende Essay Der Dichter als Kind dem vorliterarischen Leben von Goethe, Schiller, Clemens Brentano, Gottfried Keller und Karl Philipp Moritz galten.[10] Sie ist seit 2005 Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Im Grimm-Jahr 2013 übernahm Lewitscharoff die Grimm-Professur an der Universität Kassel.[11]
Werk
Sibylle Lewitscharoff debütierte 1994 mit dem Prosaband 36 Gerechte, der auch einige ihrer Scherenschnitte enthielt und in kleiner Auflage im Verlag der Galerie Steinrötter in Münster erschien. 1998 veröffentlichte sie die Erzählung Pong, für die sie in Klagenfurt mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Pong ist die Geschichte eines Verrückten, der die Welt verändern will und dessen absurde Logik die Perspektive der Erzählung bestimmt.
Im Jahr 2003 erschien der Roman Montgomery, der die Lebensgeschichte eines schwäbisch-italienischen Filmproduzenten mit Namen Montgomery Cassini-Stahl erzählt. Dieser will einen Film über Joseph Süß Oppenheimer drehen; sein Tod ist der Ausgangspunkt des Romans, der das Leben der Hauptfigur in Rückblenden darstellt. In Lewitscharoffs 2006 erschienenem Roman Consummatus sitzt der Lehrer Ralph Zimmermann in einem Café und lässt in einem Monolog sein Leben Revue passieren, darunter der Tod seiner Eltern und die Liebe zu einer Sängerin, mit der er bis zu ihrem Tod einige Monate lang in Europa unterwegs war.
2009 erschien der autobiographisch geprägte, satirische Roman Apostoloff, in dem zwei Schwestern in Bulgarien unterwegs sind, wohin die sterblichen Überreste ihres bulgarischen Vaters überführt wurden. Die jüngere Schwester, die Erzählerin, rechnet sowohl mit ihrem toten Vater als auch dessen Herkunftsland Bulgarien ab.
In Lewitscharoffs 2011 veröffentlichtem Roman Blumenberg erscheint der Titelfigur, dem Philosophen Hans Blumenberg, eines Nachts ein Löwe im Arbeitszimmer. Er liegt auf dem Teppich und schaut den Hausherrn an und zeigt sich auch während seiner Vorlesung an der Universität. Wahrgenommen wird der Löwe nur von ihm und einer alten Nonne. Die Autorin erzählt aus Blumenbergs akademischer Tätigkeit (nächtliche Arbeit am Schreibtisch und Vorlesungen in der Universität Münster) und das mit ihm unverbundene Schicksal von vier seiner Studenten, die alle früh, plötzlich oder gewaltsam zu Tode kommen. Die Anregung für die Figur des Löwen fand die Autorin in den unter dem Titel Löwen 2001 erschienenen philosophischen Betrachtungen aus dem Nachlass Hans Blumenbergs. Das Buch hat viele lobende Rezensionen in den Feuilletons führender Zeitungen[12] erhalten; kritisch fiel hingegen die Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung[13] und in der Kulturzeitschrift Merkur[14] aus.
Auszeichnungen
- 1998: Ingeborg-Bachmann-Preis
- 2006: Kranichsteiner Literaturpreis
- 2007: Preis der Literaturhäuser
- 2007: Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
- 2008: Marie-Luise-Kaschnitz-Preis
- 2009: Preis der Leipziger Buchmesse für ihren Roman Apostoloff
- 2009: Spycher: Literaturpreis Leuk
- 2009: Bestenliste des Preises der deutschen Schallplattenkritik (4. Quartal) für das von ihr selbst gelesene Hörbuch Apostoloff
- 2010: Berliner Literaturpreis
- 2010: Mitglied der Akademie der Künste (Berlin)
- 2011: Frankfurter Poetik-Vorlesungen
- 2011: Zweifel am Guten, Wahren, Schönen, Zürcher Poetikvorlesungen
- 2011: Kleist-Preis
- 2011: Ricarda-Huch-Preis
- 2011: Marieluise-Fleißer-Preis
- 2011: Wilhelm-Raabe-Literaturpreis für den Roman Blumenberg
- 2011: Nominierung für den Deutschen Buchpreis (Shortlist) mit dem Roman Blumenberg
- 2011/2012: Stipendiatin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg
- 2013: Stipendiatin der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo[15]
- 2013: Brüder-Grimm-Professur[16]
- 2013: Georg-Büchner-Preis
Veröffentlichungen
Romane
- 36 Gerechte. C. Steinrötter, Münster 1994, ISBN 3-927024-00-7
- Pong. Berlin Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-8270-0285-0
- Der höfliche Harald. Berlin Verlag, Berlin 1999, ISBN 3-8270-0349-0
- Montgomery. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart [u.a.] 2003, ISBN 3-421-05680-3
- Consummatus. DVA, Stuttgart 2006, ISBN 3-421-05596-3
- Apostoloff. Suhrkamp, Frankfurt 2009, ISBN 3-518-42061-5
- Blumenberg. Suhrkamp, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-42244-1
- Pong redivivus. Insel Verlag, Berlin 2013, mit Friedrich Meckseper, ISBN 978-3-458-19383-8
Essays und Gespräche
- 36 Gerechte. In: Renatus Deckert (Hrsg.): Das erste Buch. Schriftsteller über ihr literarisches Debüt, Frankfurt, Suhrkamp 2007, ISBN 978-3-518-45864-8
- Der Dichter als Kind. Ein Essay und fünf szenische Objekte. In: Marbacher Magazin 128, Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 2009, ISBN 978-3-937384-63-4
- Der mörderische Kern des Erzählens. Mit einem Nachwort von Gisela Wand. Rede zur Eröffnung des Europäischen Schriftstellerkongresses 2009 in der Stiftskirche St. Arnual, Saarbrücken. Gollenstein, Merzig 2010, ISBN 978-3-938823-66-8
- Ein Satz als Instrument. Michael Lentz und Sibylle Lewitscharoff im Gespräch. In: Ich liebe Dich. Marbacher Magazin 136, Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 2011, ISBN 978-3-937384-78-8, S. 5–52
- Über die Niederlage. Klagenfurter Rede zur Literatur 2011. Text (PDF; 18 kB) und Video
- Vom Guten, Wahren und Schönen: Frankfurter und Zürcher Poetikvorlesungen. Suhrkamp, Berlin 2012, ISBN 978-3518126493
Bühnenwerke
- Vor dem Gericht. Uraufführung 2012 am Nationaltheater Mannheim, Regie Burkhard C. Kosminski[9]
Weblinks
- Literatur von und über Sibylle Lewitscharoff im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Kurzbiographie und Angaben zum Werk von Sibylle Lewitscharoff bei Literaturport
- Auszug aus der Erzählung Pong für den Bachmann-Wettbewerb
- Kurzbiografie und Rezensionen zu Werken von Sibylle Lewitscharoff bei Perlentaucher.
- Lesungen mit Sibylle Lewitscharoff zum Anhören und Downloaden auf Lesungen.net
- Sibylle Lewitscharoff: Bulgarien, das ist die Selbstzerstörung. Der Tagesspiegel, 25. Februar 2009
Einzelnachweise
- ↑ stern.de: Georg-Büchner-Preis: Sibylle Lewitscharoff wird ausgezeichnet; 26. Oktober 2013, abgerufen am 26. Oktober 2013.
- ↑ siehe Diskussionsseite
- ↑ a b c Kurzporträt von Sibylle Lewitscharoff auf den Seiten des Suhrkamp-Verlags. Abgerufen am 26. Mai 2012.
- ↑ Interview im „Tagesspiegel“, 25. Februar 2009, abgerufen am 5. Juni 2013
- ↑ http://www.cicero.de/salon/ich-bin-ein-ordnungskasper/46208
- ↑ http://www.literaturblatt.de/heftarchiv/heftarchiv-2009/32009-inhaltsverzeichnis-der-gedruckten-ausgabe/nickel-mit-der-lizenz-zum-laestern.html
- ↑ http://www.lesungen.net/lesungen/studio-lcb-1210/
- ↑ Vgl. Uta Bitterli, Sybille Lewitscharoff, Onno Poppinga: Sozialistisches Zentrum Stuttgart: Versuch einer regionalen Orientierung. In: links Nr. 39, Dezember 1972; hier nach: Für eine neue sozialistische Linke. Analysen, Strategien, Modelle. Hrsg. v. Sozialistischen Büro. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1973, ISBN 3-436-01771-X. S. 299–304.
- ↑ a b Bettina Schulte: Wartezimmer zum Jenseits : Sibylle Lewitscharoffs erstes Theaterstück „Vor dem Gericht“ in Mannheim uraufgeführt. In: Badische Zeitung vom 22. Mai 2012.
- ↑ Film der Ausstellungseröffnung fluxus 12 [1]
- ↑ Homepage Universität Kassel Nachrichten vom 6. Februar 2013 Kasseler Grimm-Professur 2013 an Sibylle Lewitscharoff, abgerufen am 6. Februar 2013
- ↑ Vgl. die Rezension von Ijoma Mangold in „Die ZEIT“ vom 8. September 2011 [2] und die Rezension von Patrick Bahners in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 5. Oktober 2011[3]
- ↑ Peter Körte: Rezension vom 2. Oktober 2011
- ↑ Birgit Recki: Philosophiekolummne: „Blumenberg“ oder Die Chance der Literatur. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Nr. 755. Heft 4, April 2012, 66. Jg., S. 322-328.
- ↑ Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat Rom-Preise 2013 der Villa Massimo vergeben. ddp-Meldung vom 1.Juni 2012.
- ↑ Pressemeldung der Universität Kassel vom 6. Febr. 2013
Personendaten | |
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NAME | Lewitscharoff, Sibylle |
KURZBESCHREIBUNG | deutsche Schriftstellerin |
GEBURTSDATUM | 16. April 1954 |
GEBURTSORT | Stuttgart |
- Autor
- Literatur (Deutsch)
- Literatur (20. Jahrhundert)
- Literatur (21. Jahrhundert)
- Roman, Epik
- Essay
- Drama
- Hörspielautor
- Träger des Ingeborg-Bachmann-Preises
- Träger des Georg-Büchner-Preises
- Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung
- Mitglied der Akademie der Künste (Berlin)
- Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland
- SB-Mitglied
- Deutscher
- Geboren 1954
- Frau