Stochastische Analysis auf Mannigfaltigkeiten

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Die stochastische Analysis auf Mannigfaltigkeiten (auch stochastische Differentialgeometrie genannt) bezeichnet ein Teilgebiet der Stochastik, in dem die stochastische Analysis auf differenzierbare Mannigfaltigkeiten angewendet wird. Es handelt sich somit um die Synthese der stochastischen Analysis mit der Differentialgeometrie.

Ein Punkt, der eine natürliche Brücke zwischen der Analysis und der Stochastik schlägt, ist die Tatsache, dass der infinitesimale Generator eines stetigen starken Markow-Prozesses ein elliptischer Operator zweiter Ordnung ist. Der infinitesimale Generator der brownschen Bewegung ist der Laplace-Operator und die Übergangswahrscheinlichkeitsdichte der brownschen Bewegung ist gerade der minimale Wärmeleitungskern der Wärmeleitungsgleichung. Werden brownsche Pfade als charakteristische Kurven des Operators interpretiert, so lässt sich die Lösung einer Problemstellung mit diesem Operator als brownsche Bewegung darstellen.

Untersuchungsgegenstände der stochastischen Analysis auf Mannigfaltigkeiten sind stochastische Prozesse auf nicht-linearen Zustandsräumen oder Mannigfaltigkeiten. Die klassische Theorie wird neu in koordinatenfreier Darstellung formuliert, eine Schwierigkeit dabei ist, dass es meistens nicht möglich ist, mit Koordinaten das Ganze auf zu formulieren. Eine Folge davon ist, dass man für die Definition des Martingales und der brownschen Bewegung auf einer Mannigfaltigkeit zusätzliche geometrische Strukturen wie lineare Zusammenhänge und riemannschen Metriken benötigt.

Die brownsche Bewegung wird als den durch den halben Laplace-Beltrami-Operator generierten Diffusionsprozess bezüglich einer Mannigfaltigkeit definiert und lässt sich als Lösung einer nicht-kanonischen stochastischen Differentialgleichung auf einer riemannschen Mannigfaltigkeit konstruieren. Da der Operator auf einer nicht-parallelisierbaren Mannigfaltigkeit keine natürliche Darstellung in Hörmanderform besitzt, existiert auch kein kanonisches Verfahren zur Konstruktion der brownschen Bewegung. Allerdings lässt sich dieses Problem für Mannigfaltigkeiten mit Zusammenhang durch die Einführung des stochastischen horizontalen Lifts eines Semimartingals und der stochastischen Abwicklung mit der sogenannten Eells-Elworthy-Malliavin-Konstruktion ([1][2]) lösen.

Ersteres ist eine Verallgemeinerung des horizontalen Lifts von differenzierbaren Kurven zu horizontalen Kurven im Rahmenbündel, so dass die anti-Abwicklung und der horizontale Lift durch eine stochastische Differentialgleichung im Zusammenhang stehen. Dadurch kann wiederum eine SDGL auf dem Orthonormalbasenbündel (auch orthonormales Rahmenbündel genannt) einer riemannschen Mannigfaltigkeit betrachtet werden, deren Lösung die brownsche Bewegung ist und man projiziert diese auf die Mannigfaltigkeit via stochastischer Abwicklung. Als bildliche Interpretation entspricht dies der Konstruktion einer sphärischen brownschen Bewegung durch das „Rollen ohne Rutschen“ (englisch rolling without slipping) der Mannigfaltigkeit entlang der Pfade der Brownschen Bewegung im euklidischen Raum.[3]

Die stochastische Differentialgeometrie bietet eine neue Einsicht in die klassische Analysis und liefert neue wahrscheinlichkeitstheoretische Beweismöglichkeiten. Als Beispiel kann die brownsche Bewegung auf das Dirichlet-Problem im Unendlichen für die Cartan-Hadamard-Mannigfaltigkeit angewendet werden[4] und ein weiteres Beispiel ist ein probabilistischer Beweis des Atiyah-Singer-Indexsatz.[5] Die stochastische Differentialgeometrie findet aber auch Anwendungen in anderen Gebieten wie der Finanzmathematik. So lässt sich zum Beispiel die klassische Arbitrage-Theorie in differentialgeometrische Sprache übertragen (geometrische Arbitrage-Theorie genannt).[6]

Vorwort[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Übersicht zuliebe setzen wir für alle Begriffe voraus (falls nicht explizit formuliert), dass ein filtrierter Wahrscheinlichkeitsraum und eine differenzierbare Mannigfaltigkeit vorliegen. Die Filtrierung soll rechtsstetig und vollständig sein, d. h. die üblichen Bedingungen gelten. Wir verwenden das Stratonowitsch-Integral, dieses hat gegenüber dem Itō-Integral den Vorteil, dass stochastische Differentialgleichungen unter Diffeomorphismen zwischen Mannigfaltigkeiten konsistent bleiben, das heißt, wenn eine Lösung ist, dann ist auch eine Lösung unter Transformation der stochastischen Differentialgleichung.

Notation:

  • sei das Tangentialbündel von .
  • sei das Kotangentialbündel von .
  • sei das -Modul der Vektorfelder auf .
  • bezeichnet das Stratonowitsch-Integral.
  • ist der Raum der Testfunktionen auf , das heißt ist differenzierbar und besitzt einen kompakten Träger.
  • die Einpunktkompaktifizierung.

Stochastische Differentialgleichungen auf einer Mannigfaltigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Flussprozesse[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Flussprozesse (auch -Diffusionen genannt) sind das stochastische Pendant der Integralkurven (Flusslinien) eines Vektorfeldes. Im Gegensatz zur deterministischen Variante wird der Fluss bezüglich eines Differentialoperators zweiter Ordnung definiert.[7]

Partieller Differentialoperator in Hörmanderform[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei ein Vektorfeld als Derivation durch den -Isomorphismus

für . Die Abbildung ist durch definiert. Definiere nun die Komposition für .

Ein partieller Differentialoperator (PDO) ist genau dann in Hörmanderform, wenn Vektorfelder existieren und sich in der Form

schreiben lässt.[7]

Flussprozess[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei ein PDO in Hörmanderform auf und ein Startpunkt. Ein adaptierter und stetiger -Prozess mit heißt Flussprozess zu mit Startpunkt , falls für jede Testfunktion und der Prozess

ein Martingal ist, d. h.

.[7]

Bemerkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für eine Testfunktion , einen PDO in Hörmanderform und einen Flussprozess (mit Startwert ) gelten nun, anders als im deterministischen Fall, die Flussgleichungen nur im Mittel

und den PDO erhält man wieder durch .[7]

Lebenszeit und Explosionszeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei eine offene und nicht-leeren Menge und eine vorhersagbare Stoppzeit. Dann bezeichnen wir als Lebenszeit eines stetigen Semimartingales auf wenn

  • eine Folge von Stoppzeiten mit existiert, für die gilt -fast sicher auf .
  • der gestoppte Prozess ein Semimartingal ist.

Gilt zusätzlich für fast alle , so nennen wir Explosionszeit.

Ein Flussprozess kann eine endliche Lebenszeit besitzen. Das bedeutet das so definiert ist, dass wenn , dann gilt -fast sicher auf , dass in der Einpunktkompaktifizierung . In diesem Fall setzen wir den Prozess pfadweise durch für fort.

Semimartingal auf einer Mannigfaltigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Prozess ist genau dann ein Semimartingal auf , wenn für alle die Variable ein -Semimartingal ist. Es lässt sich zeigen, dass jedes -Semimartingal die Lösung einer stochastischen Differentialgleichung auf ist. Ist das Semimartingal nur bis zu einer endlichen Lebenszeit definiert, so kann man durch Zeittransformation stets ein Semimartingal mit unendlicher Lebenszeit konstruieren. Ein Semimartingal besitzt eine quadratische Variation bezüglich eines Schnitts im Bündel der Bilinearformen auf .

Mit Einführung des Begriffes des Stratonowitsch-Integral einer Differentialformen längs eines Semimartingales lässt sich das sogenannte Windungsverhalten von , einer Verallgemeinerung der Umlaufzahl, studieren.

Stratonowitsch-Integral einer 1-Form[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei ein -Semimartingal und eine -Form, dann nennen wir das Integral Stratonowitsch-Integral von längs . Für definieren wir .[8]

SDGL auf einer Mannigfaltigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine stochastische Differentialgleichung auf einer Mannigfaltigkeit , geschrieben SDGL auf , kann entweder als Paar durch einen Bündelhomomorphismus (ein Homomorphismus von Vektorbündeln) oder als -Tupel mit vorgegebenen Vektorfeldern definiert werden. Mit Hilfe der Whitney-Einbettung lässt sich zeigen, dass zu jeder SDGL auf mit Anfangsbedingung exakt eine Maximallösung existiert. Hat man eine Maximallösung, so erhält man gerade einen Flussprozess für den Operator .

Definition der SDGL auf einer Mannigfaltigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine SDGL auf ist ein Paar , wobei

  • ein stetiges Semimartingal auf einem endlichdimensionalen -Vektorraum ist.
  • ein Homomorphismus von Vektorbündeln über
ist, wobei eine lineare Abbildung bezeichnet.

Die stochastische Differentialgleichung notieren wir als

oder

Letzteres erklärt sich durch bezüglich einer Basis und -Semimartingalen mit .

Da für gegebene Vektorfelder exakt ein Bündelhomomorphismus mit der Eigenschaft existiert, ergibt sich daraus die Gültigkeit der Definition einer SDGL auf als .

Falls nur eine endliche Lebenszeit besitzt, so kann man die Zeit auf den unendlichen Fall transformieren.[9]

Lösung einer SDGL auf einer Mannigfaltigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei eine SDGL auf und eine -messbare Zufallsvariable. Sei ein stetiger adaptierter -Prozess mit Lebenszeit auf demselben Wahrscheinlichkeitsraum wie . Dann ist eine Lösung der SDGL

zur Anfangsbedingung bis zur Lebenszeit , wenn für jede Testfunktion der Prozess ein -wertiges Semimartingal ist und für jede Stoppzeit mit die Gleichung

-fast sicher gilt, wobei das Differential an der Stelle ist. Es folgt aus der Tatsache, dass für jede Testfunktion ein Semimartingal ist, dass ein Semimartingal auf ist.

Ist die Lebenszeit maximal, d. h.

-fast sicher, so spricht man von einer Maximallösung. Die Zeit einer Maximallösung kann man auf erweitern und nach der Fortsetzung von auf gilt

bis auf Nicht-Unterscheidbarkeit.[10]

Bemerkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei mit einer -dimensionalen brownsche Bewegungen , dann lässt sich zeigen, dass jede Maximallösung mit Startwert ein Flussprozess zum Operator

ist.

Martingale und die brownsche Bewegung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die brownschen Bewegungen sind stochastische Flussprozesse des Laplace-Beltrami-Operators. Es ist möglich, diese auf riemannschen Mannigfaltigkeiten zu konstruieren, allerdings, wie in der Einleitung erwähnt, benötigt man für ein kanonisches Verfahren einen anderen Ansatz. Sei die orthogonale Gruppe, dann betrachtet man eine kanonische SDGL auf dem Orthonormalbasenbündel über , deren Lösung die brownsche Bewegung ist. Das Orthonormalbasenbündel ist die Gesamtheit aller Mengen der orthonormalen Rahmen des Tangentialraumes

oder anders gesagt, das zu assoziierte -Prinzipalbündel.

Die Konstruktion der brownschen Bewegung durch die stochastische Abwicklung von auf .

Sei ein -wertiges Semimartingal. Die Lösung der SDGL

definiert durch die Projektion eine Brownsche Bewegung auf der riemannschen Mannigfaltigkeit, einer stochastischen Abwicklung von auf . Umgekehrt nennt man die Anti-Abwicklung von bzw. . Kurz zusammengefasst haben wir folgende Beziehung wobei

  • ein -wertiges Semimartingal ist.
  • ein -wertiges Semimartingal ist.

Für die riemannsche Mannigfaltigkeit benützen wir stets den Levi-Civita-Zusammenhang und es sei der korrespondierende Laplace-Beltrami-Operator. Zentral für die Konstruktion ist die für definierte Beziehung

für alle mit und dem Operator auf wohldefiniert für horizontale Vektorfelder, heißt auch Bochners horizontaler Laplace-Operator.

Martingale mit linearem Zusammenhang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Um Martingale zu definieren, benötigt man einen linearen Zusammenhang . Nun lässt sich das -Martingal charakterisieren, falls seine Anti-Abwicklung ein lokales Martingal ist. Es ist aber auch möglich, das Ganze ohne die Anti-Abwicklung zu formulieren.

Mit bezeichnen wir Modulo bezüglich Differentialen von lokalen Martingalen.

Sei ein -Semimartingal. Dann ist genau dann ein Martingal oder -Martingal, falls für jedes gilt

Brownsche Bewegung auf einer Riemannschen Mannigfaltigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sei eine Riemannsche Mannigfaltigkeit mit Laplace-Beltrami-Operator . Ein adaptierter -wertiger Prozess mit maximaler Lebenszeit heißt Brownsche Bewegung auf , falls für jedes

ein lokales -Martingal mit Lebenszeit ist. Die brownsche Bewegung ist somit der -Diffusionsprozess. Diese Charakterisierung liefert allerdings kein kanonisches Verfahren für die brownsche Bewegung.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wolfgang Hackenbroch und Anton Thalmaier: Stochastische Analysis: Eine Einführung in die Theorie der stetigen Semimartingale. Hrsg.: Vieweg+Teubner Verlag Wiesbaden. ISBN 978-3-519-02229-9, S. 349–544.
  • Nobuyuki Ikeda und Shinzo Watanabe: Stochastic Differential Equations and Diffusion Processes. Hrsg.: North Holland.
  • Elton P. Hsu: Stochastic Analysis on Manifolds. In: American Mathematical Society (Hrsg.): Graduate Studies in Mathematics. Band 38.
  • K. D. Elworthy: Stochastic Differential Equations on Manifolds. Hrsg.: Cambridge University Press. 1982, doi:10.1017/CBO9781107325609.
  • Paul Malliavin: Géométrie différentielle stochastique. Hrsg.: Presses de l’univ. de Montréal. 1978.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Kenneth David Elworthy: Stochastic differential equations on manifolds. In: Cambridge University Press (Hrsg.): London Mathematical Society Lecture Notes. Band 70, 1982.
  2. Paul Malliavin: Géométrie différentielle stochastique. In: Presses de l'Université de Montréal (Hrsg.): Séminaire de mathématiques supérieures. 1978.
  3. Wolfgang Hackenbroch und Anton Thalmaier: Stochastische Analysis: Eine Einführung in die Theorie der stetigen Semimartingale. Hrsg.: Vieweg+Teubner Verlag Wiesbaden. ISBN 978-3-519-02229-9, S. 349–544.
  4. R. W. Neel: Brownian Motion and the Dirichlet Problem at Infinity on Two-dimensional Cartan-Hadamard Manifolds. In: Potential Analysis. Band 41, 2014, S. 443–462, doi:10.1007/s11118-013-9376-3.
  5. Elton P. Hsu: Stochastic Analysis on Manifolds. In: American Mathematical Society (Hrsg.): Graduate Studies in Mathematics. Band 38.
  6. Simone Farinelli: Geometric Arbitrage Theory and Market Dynamics. In: Journal of Geometric Mechanics. Band 7, Nr. 4, 2015, doi:10.3934/jgm.2015.7.431.
  7. a b c d Wolfgang Hackenbroch und Anton Thalmaier: Stochastische Analysis: Eine Einführung in die Theorie der stetigen Semimartingale. Hrsg.: Vieweg+Teubner Verlag Wiesbaden. ISBN 978-3-519-02229-9, S. 361–363.
  8. Wolfgang Hackenbroch und Anton Thalmaier: Stochastische Analysis: Eine Einführung in die Theorie der stetigen Semimartingale. Hrsg.: Vieweg+Teubner Verlag Wiesbaden. ISBN 978-3-519-02229-9, S. 379.
  9. Wolfgang Hackenbroch und Anton Thalmaier: Stochastische Analysis: Eine Einführung in die Theorie der stetigen Semimartingale. Hrsg.: Vieweg+Teubner Verlag Wiesbaden. ISBN 978-3-519-02229-9, S. 364.
  10. Wolfgang Hackenbroch und Anton Thalmaier: Stochastische Analysis: Eine Einführung in die Theorie der stetigen Semimartingale. Hrsg.: Vieweg+Teubner Verlag Wiesbaden. ISBN 978-3-519-02229-9, S. 364.