Anthologie

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Eine Anthologie oder Blütenlese (griechisch ἀνθολογία anthología „Sammlung von Blumen“, vgl. die lateinische Lehnübersetzung florilegium), auch Spicilegium (Ährenlese), ist eine Sammlung ausgewählter Texte oder Textauszüge in Buchform oder im weiteren Sinne eine themenbezogene Zusammenstellung aus literarischen, musikalischen oder grafischen Werken. Es handelt sich um eine von einem Herausgeber verantwortete Publikationsform.[1] Der etymologisch auf das Griechische zurückzuführende Begriff der „Blütenlese“ wird dabei auch in seiner lateinischen Lehnübersetzung als „Florilegium“ zumeist verwendet, um die als hochwertig oder musterhaft eingeschätzte Textauswahl zum Ausdruck zu bringen, die für die Anthologien des griechischen und römischen Altertums charakteristisch war.

In der Antike prägten Anthologien die Traditionsbildung von als vorbildlich eingeschätzten Autoren als Veröffentlichung von exemplarischen Werken, insbesondere Epigrammen. Neben der Zusammenstellung ausgesuchter Texte verschiedener Schriftsteller wurde der Begriff der Anthologie ebenso für die Auswahl von Texten jeweils eines einzelnen Autors verwendet.[2]

Eine Sonderform der Anthologie ist das Lesebuch. Werden Texte verschiedener Schriftsteller zu didaktischen Zwecken zusammengestellt, spricht man von einer Chrestomathie (griechisch: „das Erlernen von Nützlichem“). Im gleitenden Übergang zu Anthologie und „Florilegium“ verweist dieser Begriff vor allem auf eine aus Prosatexten oder -auszügen bestehende Mustersammlung bekannter Autoren für Unterrichtszwecke.[3]

Im Allgemeinen publizieren Anthologien bereits zuvor an anderer Stelle veröffentlichte Texte, während die periodisch erscheinenden Musenalmanache in Form eines poetischen „Vademecums“ eine Auswahl bislang unveröffentlichter Dichtungen für das kommende Jahr enthalten. In den ebenfalls jährlich erscheinenden Taschenbüchern werden häufig unterschiedliche fiktionale bzw. prosaische, aber zum Teil auch nicht-fiktionale Texte veröffentlicht. Die Abgrenzung ist allerdings eher idealtypisch; auch hier setzt sich seit dem beginnenden 19. Jahrhundert zunehmend der Begriff der Anthologie durch.[3]

Geschichte der Anthologien

Der Begriff anthología, der im antiken Griechischen zunächst einmal ganz konkret „Sammeln von Blumen“ bezeichnet, wurde für die Lehrsatzsammlung Anthologiae des griechischen Astronomen Vettius Valens (2. Jahrhundert n. Chr.) erstmals als Titel für ein Sammelwerk verwendet. Zusammen mit der Nebenform ἀνθολόγιον (anthológion) und der lateinischen Lehnbildung florilegium blieb der Begriff über die byzantinische Zeit bzw. das lateinische Mittelalter bis in die Neuzeit in Gebrauch und hat sich dann im 18. Jahrhundert auch in den Nationalsprachen allgemein für Sammlungen von Lyrik, Aphorismen oder seltener auch prosaischer Texte sowie gelegentlich auch dramatischer Textauszüge durchgesetzt.[3]

Zusammenstellungen von Epigrammen gab es schon in der Antike. In der Zeit des Hellenismus wurde für derartige Gedichtsammlungen die Blumen-Metaphorik etabliert – etwa durch den στέφανος („Kranz“) des Philosophen und Dichters Meleagros von Gadara (70 v. Chr.) und des Philippos von Thessaloniki.

Basierend auf ihnen und dem „Kyklos des Agathias“ (etwa 560) schuf der byzantinische Theologe Konstantinos Kephalas um 900 eine in Kategorien gegliederte Anthologie, die vielfach erweitert wurde. Der Heidelberger Codex Palatinus (lat. für „Pfälzer Handschrift“) gab ihr den Namen Anthologia Palatina. Ebenfalls in Byzanz editierte der Humanist Maximos Planudes um 1300 die Anthologia Planudea. Im Spätmittelalter entstanden Sammlungen lateinischer Alltagslyrik wie die Carmina Burana – eine Thematik, die 1573 der französische Altphilologe Joseph Justus Scaliger fortsetzte.

Durch Erasmus von Rotterdam erhielten Anthologien auch didaktische Funktionen, wie in der Sentenzensammlung Adagiorum Collectanea (1500).

Nach 1700 erschienen unveröffentlichte Gedichte von Benjamin Neukirch, und 1781 nannte Friedrich Schiller seine Gedichtsammlung Anthologie. Eine bedeutende französische Gedichtanthologie war Le Parnasse contemporain (Der zeitgenössische Parnass; 1866, 1871, 1876) von Alphonse Lemerre.

Im 17. und 18. Jahrhundert finden sich synonym auch Bezeichnungen wie beispielsweise „Schatzkammer“, „Mustersammlung“, „Helicon“, „Vorrat“, „Blumenlese“ sowie im 19. Jahrhundert ebenso „(Dichter-)Album“, „Dichterbuch“, „Parnaß“, „Deklamatorium“ (Vortragsbuch), „Hausschatz“, „Balladen-, Liederschatz“ u. ä.; die begrifflichen Übergänge sind dabei fließend.[3]

Die fantastische Literatur erhielt ihr Sammelwerk 1941 durch Jorge Luis Borges. Vom Franzosen André Breton stammt die Anthologie de l’Humor Noir (1937). Walter Höllerer stellte 1956 das Lyrikbuch zur Jahrhundertmitte zusammen. Danach entstanden – mit zunehmendem Interesse und Wohlstand der Leserschaft – verschiedenste Anthologien.

Die in Anthologien herausgegebenen Texte werden gegenwärtig nach unterschiedlichen Kriterien oder Auswahlgesichtspunkten zusammengestellt; zeitgenössische Anthologien verfolgen gegenüber den ursprünglichen Intentionen einer mustergültig-vorbildlichen Textsammlung mit dem Anspruch einer Kanonisierung heute auch andere Ziele, beispielsweise als repräsentativer Überblick über bestimmte Autoren, Gattungen oder literarische Richtungen, die die Entstehung oder Entwicklung einer literarischen Epoche bzw. vor allem im anglo-amerikanischen Raum mitunter auch des literarischen Schaffens eines einzelnen Autors dokumentieren. Ebenso kann die Auswahl nach thematischen oder motivischen Aspekten bzw. Schwerpunkten angeordnet sein.[3][4]

Gesichtspunkte von Anthologien

Meist sind Anthologien einem bestimmten Gesichtspunkt gewidmet. Dazu gibt es eine Reihe konkreter Möglichkeiten:

Siehe auch

Literatur

  • Günter Häntzschel: Anthologie. In: Literaturwissenschaftliches Lexikon · Grundbegriffe der Germanistik. Hrsg. von Horst Brunner, Rainer Moritz. 2., erweiterte Auflage. Erich Schmidt, Berlin 2006, ISBN 3-503-07982-3, S. 19–21.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Walter Benjamin: Rezension der ‚Anthologie de la nouvelle prose française…‘ In: Gesammelte Schriften. Bd. III: Kritiken und Rezensionen. Hrsg. von Hella Tiedemann-Bartels. 3. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989, S. 78–79, hier S. 78; bei Verantwortung durch den Autor der gesammelten Texte selbst spricht man von Silvenliteratur (Wolfgang Adam: Poetische und Kritische Wälder. Untersuchungen zu Geschichte und Formen des Schreibens ‚bei Gelegenheit‘. Carl Winter, Heidelberg 1988, ISBN 3-533-04036-4, S. 79f.)
  2. Günter Häntzschel: Anthologie. In: Horst Brunner und Rainer Moritz (Hrsg.): Literaturwissenschaftliches Lexikon · Grundbegriffe der Germanistik. 2., erw. Auflage, Erich Schmidt, Berlin 2006, ISBN 3-503-07982-3, S. 19f.
  3. a b c d e Günter Häntzschel: Anthologie. In: Horst Brunner und Rainer Moritz (Hrsg.): Literaturwissenschaftliches Lexikon · Grundbegriffe der Germanistik. 2., erw. Auflage, Erich Schmidt, Berlin 2006, ISBN 3-503-07982-3, S. 20.
  4. Siehe auch Heike Gfrereis (Hrsg.): Grundbegriffe der Literaturwissenschaft. Metzler, Stuttgart und Weimar 1999, ISBN 978-3-476-10320-8, S. 10.