Eisenbahnunfall von Langenweddingen
Bei dem Eisenbahnunfall von Langenweddingen am 6. Juli 1967 stieß auf der Bahnstrecke Magdeburg–Thale ein Zug der Deutschen Reichsbahn in der Nähe der bei Magdeburg gelegenen Ortschaft Langenweddingen an einem Bahnübergang mit einem Tanklastwagen zusammen, der explodierte. Mit 94 Todesopfern gilt dieses Unglück als eines der schwersten in der Geschichte der deutschen Eisenbahn und als einer der folgenschwersten Gefahrgutunfälle in der deutschen Geschichte.
Ausgangslage
Die Unfallstelle war ein beschrankter Bahnübergang an der damaligen Fernverkehrsstraße 81. Über dem Übergang verliefen mehrere Versorgungsleitungen, unter anderem ein frei hängendes Telefonkabel der Deutschen Post. Dieses hatte in der Vergangenheit bereits mehrfach Berührung mit einem der Schrankenbäume gehabt; Post und Bahn war dies bekannt.
Am Bahnübergang herrschten ungünstige Sichtverhältnisse für die jeweiligen Verkehrsteilnehmer: Während dichter Bewuchs die Sicht von der Straße auf die Bahnstrecke behinderte, konnte auch der Übergang selbst von der Bahnstrecke aus nicht eingesehen werden.
Dem Bahnübergang näherte sich auf der Schiene der Personenzug P 852 auf der Fahrt von Magdeburg nach Thale mit etwa 85 km/h. Gezogen wurde er von der Dampflokomotive 22 022. Nach der Lokomotive lief ein Packwagen, diesem folgte eine vierteilige Einheit von Doppelstockwagen, dann wieder ein Packwagen und nochmals eine vierteilige Einheit von Doppelstockwagen. Rund 250 Reisende saßen im Zug. Der erste Wagen war für 50 Kinder reserviert, die in ein Ferienlager in der Nähe von Thale unterwegs waren.
Straßenseitig näherte sich von Norden dem Bahnübergang ein mit etwa 15.000 Litern Leichtbenzin betankter Minol-Tanklastzug. Er befand sich auf dem Weg zum Gummiwerk in Ballenstedt. Aus der Gegenrichtung näherte sich ein Lastkraftwagen mit Busaufsatz und 34 Reisenden.
Unfallhergang
Da P 852 sich gegen 8:00 Uhr bei Einfahrsignal „Fahrt frei“ dem Bahnhof Langenweddingen näherte, ließ der Fahrdienstleiter durch den Schrankenwärter die Schranken schließen. Eine der Schranken verfing sich jedoch in dem Telefonkabel, welches sich durch die jahreszeitlich bedingte Hitze stark ausgedehnt hatte, und konnte so nicht ordnungsgemäß geschlossen werden. Der Schrankenwärter versuchte, die Schranke durch mehrfaches Hoch- und Runterkurbeln vom Kabel zu befreien, was ihm jedoch misslang; der Bahnübergang blieb geöffnet. Der Fahrdienstleiter versäumte es seinerseits, das Einfahrtsignal zurückzunehmen. Sowohl dem Straßenverkehr als auch dem Zugpersonal schien der Übergang angesichts hochstehender Schranken entsprechend frei bzw. ein Befahren per Signal gestattet.
Als der Fahrdienstleiter den zum Omnibus umfunktionierten Lkw erblickte, rannte er mit einer Signalflagge zum Fenster und konnte diesen stoppen. Der sich ebenfalls nähernde Tanklaster befand sich für ihn hingegen in einem toten Winkel und wurde so nicht wahrgenommen.
Der Lokführer des Zuges aus der Gegenrichtung, der im Bahnhof wartete, erkannte die Situation und gab mit dem Makrofon seiner Lokomotive das Notsignal Sh 5. Wegen der Betriebsgeräusche auf der Dampflok wurden diese vom Lokpersonal des P 852 aber nicht gehört. Erst 30 Meter vor dem Bahnübergang nahm man wahr, dass die Schranken nicht geschlossen waren. Trotz sofort eingeleiteter Schnellbremsung kam es so zur Kollision mit dem Tanklaster: Die Lokomotive erfasste den LKW mit ihrem rechten Puffer und riss das Fahrzeug mit. Der Laster wurde gegen den Zug geschleudert, wobei zahlreiche Fensterscheiben zu Bruch gingen. Der Tank platzte und der Inhalt spritzte in die ersten beiden Doppelstockwagen und auf das Bahnhofsgelände. Es kam sofort zu einer Explosion, die einen großflächigen Brand auslöste. Das Feuer entwickelte im Innern der Wagen Temperaturen bis zu 800 Grad Celsius. Dem Heizer gelang es noch, die Lokomotive abzukuppeln und von dem Zug weg zu fahren.
Folgen
Unmittelbare Folgen
Die Zahl der Todesopfer wurde von den Behörden mit 94 angegeben, davon 44 Schulkinder, die sich am Ferienbeginn auf dem Weg von Magdeburg in ein Ferienlager im Harz befanden. 77 Opfer starben bereits am Unfallort, ihre Zahl erhöhte sich in den Tagen nach dem Unfall, weil 17 weitere der zunächst 54 Schwerverletzten ihren Verletzungen erlagen. Auch der LKW-Fahrer starb auf der Stelle an den Folgen des Zusammenstoßes, während der Lokomotivführer schwer verletzt wurde. Zu den Opfern zählte auch der Lehrer Werner Moritz, Direktor einer Polytechnischen Oberschule (POS) in Rogätz nahe der Stadt Wolmirstedt: Bei der Rettung von zwölf Schülern zog er sich schwere Verbrennungen zu, denen er später im Krankenhaus erlag. Einige damals beteiligte Rettungskräfte bezweifelten die offiziellen Angaben zu den Todesopfern und schätzten die Zahl der Opfer auf bis zu 140.
Bei dem der Explosion folgenden Brand wurden auch das Haupt- und einige Nebengebäude des Bahnhofs Langenweddingen zerstört. Die Bahnhofsuhr blieb auf 8:06 Uhr stehen. Die beschädigten Gebäude wurden abgerissen und Ende der 1960er Jahre durch Neubauten ersetzt.
Die Freiwillige Feuerwehr aus Langenweddingen traf kurz darauf ein, die Feuerwehr aus Magdeburg um 8:32 Uhr. Da Hydranten nicht in der Nähe waren, musste erst eine Wasserversorgung zum Dorfteich aufgebaut werden. Als das Löschwasser endlich eintraf, verdampfte es mit lautem Knall, als es auf die glühend heißen Wracks der Wagen traf. Die Hitze des Brandes verhinderte zunächst das Vordringen der Rettungskräfte zu einem erheblichen Teil der in dem Zug eingeschlossenen Opfer. Die Waggons konnten nur mit Schutzkleidung betreten werden. Gegen 10:00 Uhr war das Feuer gelöscht.
Aufarbeitung
Der Schrankenwärter und der Fahrdienstleiter wurden zu Freiheitsstrafen von je fünf Jahren verurteilt. Sechs Monate nach dem Unfall wurde am 28. Dezember 1967 eine neue Transportordnung für gefährliche Güter (TOG) verkündet, die am 1. März 1968 in Kraft trat. Die Schließzeiten für Bahnschranken wurden in der gesamten DDR deutlich ausgedehnt. Zugfahrten dürfen seitdem – auch heute noch – erst zugelassen werden, wenn die Schranken geschlossen sind. Externe Schrankenwärter haben dem zuständigen Fahrdienstleiter den geschlossenen Zustand der Schranken zu bestätigen, bevor dieser die Hauptsignale auf „Fahrt frei“ stellen darf. Busse und Gefahrguttransporter mussten darüber hinaus auch bei geöffneten Schranken vor dem Überqueren der Gleise anhalten. Außerdem durften seitdem Bahnübergänge nur dann befahren werden, wenn die Schrankenbäume senkrecht standen.
Die POS in Rogätz, gegenwärtig eine Grundschule, erhielt ebenso wie der Ortsverein Rogätz des Deutschen Roten Kreuzes den Namen des Lehrers Werner Moritz, der ebenso wie ein weiterer bei den Rettungsarbeiten ums Leben gekommener Helfer postum mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Silber ausgezeichnet wurde.
Auf dem Magdeburger Westfriedhof, auf dem am 11. Juli 1967 eine Trauerfeier stattfand, befindet sich eine Gedenkstätte für die Opfer des Unfalls.
Quellen
Literatur
- Heinz Eckhardt: Das Eisenbahnunglück in Langenweddingen. In: Börde, Bode und Lappwald. Heimatschrift des Landkreises Bördekreis. Ausgabe 1998, S. 61–64
- Dirk Endisch: Das Problem mit den Schranken. In: Eisenbahn-Unfälle. Bahn Extra. 6/2003, GeraNova München, S. 80–83
- Dirk Endisch: Das Problem mit den Schranken. In: Bahn-Katastrophen. Schwere Zugunfälle und ihre Ursachen. München 2008. ISBN 978-3-7654-7096-7, S. 64–67.
- Klaus Ridder: Der größte Gefahrgutunfall in Deutschland. In: Der Gefahrgut-Beauftragte. 16(7)/2005, Storck-Verlag Hamburg, S. 7
- Hans-Joachim Ritzau, Jürgen Hörstel: Die Katastrophenszenen der Gegenwart = Eisenbahnunfälle in Deutschland Bd. 2. Pürgen 1983. ISBN 3-921304-50-4, S. 180.
Filme und Reportagen
- Die Todesschranke von Langenweddingen. Eine Dokumentation des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) von Gunther Scholz und Sieglinde Scholz-Amoulong, 45 Minuten; Erstausstrahlung am 23. November 1998
Weblinks
- Langenweddingen – Die private Heimat-Homepage Bilder vom Unfallsort
Koordinaten: 52° 2′ 44″ N, 11° 31′ 58″ O