Elisabeth Selbert

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 9. Juli 2016 um 03:17 Uhr durch Dateientlinkerbot (Diskussion | Beiträge) (Bot: Entferne Commons:File:Elisabeth Selbert (timbre RFA).jpg (de) da die Datei gelöscht wurde. (per Commons:Commons:Deletion requests/Files in Category:Serie Frauen der deutschen Geschichte)). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Porträt an der Elisabeth-Selbert-Gesamtschule in Bonn-Bad Godesberg

Elisabeth Selbert, geborene Martha Elisabeth Rohde (* 22. September 1896 in Kassel; † 9. Juni 1986 ebenda), war eine deutsche Politikerin und Juristin. Sie war eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“. Die Aufnahme der Gleichberechtigung in den Grundrechteteil der bundesdeutschen Verfassung war zum großen Teil ihr Verdienst.

Biografie

Jugend bis zur Novemberrevolution

Martha Elisabeth Rohde wuchs als zweite von vier Töchtern in einer christlich orientierten Familie auf. Die für damals typische Mädchenerziehung ließ nicht erwarten, dass sie später eine der herausragendsten Streiterinnen für die Gleichberechtigung werden würde. Sie lernte sticken, stricken und nähen und hatte wenig Zeit zum Lesen. Das Mädchengymnasium war für die Familie nicht bezahlbar, und so besuchte sie von 1912 an die Kasseler Gewerbe- und Handelsschule des Frauenbildungsvereins. Ihr Ziel war es, Lehrerin zu werden. Auch dies scheiterte an finanziellen Mitteln. Zunächst war die junge Frau als Auslandskorrespondentin einer Import-Export-Firma tätig.

Nachdem sie 1914 ihre Stelle verloren hatte, arbeitete sie als Postbeamtenanwärterin im Telegrafendienst der Reichspost. Diese Anstellung hatte sie durch den kriegsbedingten Mangel an männlichen Arbeitskräften bekommen. Hier lernte sie 1918 während der Novemberrevolution ihren späteren Ehemann, den gelernten Buchdrucker und Vorsitzenden des Arbeiter- und Soldatenrates in Niederzwehren bei Kassel, Adam Selbert, kennen. Er förderte Elisabeth Rohde und nahm sie auf politische Veranstaltungen mit. Ende 1918 trat sie in die SPD ein.

Weimarer Republik

Durch Philipp Scheidemann, der damals Oberbürgermeister in Kassel war, wurde Rohde ermutigt, selbst aktiv Politik zu machen. Nach Gründung der Weimarer Republik erhielten auch Frauen das aktive und passive Wahlrecht. Elisabeth Rohde schrieb viele Artikel und sprach auf zahlreichen Veranstaltungen über die Pflicht der Frauen, sich politisch zu informieren und zu engagieren. 1919 hatte sie bereits erfolgreich für einen Sitz im Gemeindeparlament von Niederzwehren kandidiert; sie arbeitete dort im Finanzausschuss. Ihr wichtigstes Thema blieb jedoch die Gleichberechtigung. Im Oktober 1920 ging sie als Delegierte zur ersten Reichsfrauenkonferenz nach Kassel und kritisierte

„dass wir zwar heute die Gleichberechtigung für unsere Frauen haben, dass aber diese Gleichberechtigung immer noch eine rein papierne ist.“

Zwar war ein Jahr zuvor in der Weimarer Verfassung festgeschrieben worden, dass Männer und Frauen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte haben. Die Lebenswirklichkeit der meisten Frauen sah aber anders aus, und der Staat änderte hieran nicht viel. 1920 heiratete sie Adam Selbert. Ein Jahr später wurde das erste Kind geboren, kurz darauf folgte ein zweites. Trotz der Doppelbelastung arbeitete Selbert weiter im Telegrafenamt, sorgte für die Kindererziehung und nahm sich weiter Zeit für ihre politische Tätigkeit. Sie stellte aber fest, dass ihr dafür oft die theoretischen Grundlagen fehlten, und hoffte, dass eine

„juristische Ausbildung helfen würde, politisch effizienter wirken zu können.“

Im Selbststudium bereitete sich Selbert auf das Abitur vor, das sie 1925 an der Luisenschule in Kassel als Externe nachholte. Danach studierte sie zunächst an der Universität Marburg als einzige Frau Rechts- und Staatswissenschaften. Kurz darauf wechselte Selbert an die Universität Göttingen. Hier war sie unter den etwa 300 Studenten eine von fünf Frauen. Selbert selbst störte der Männerüberhang angeblich wenig, aber ihre Professoren schienen manchmal überfordert. Elisabeth Selbert und ihre Kommilitoninnen wurden beispielsweise gebeten, den Hörsaal zu verlassen, wenn der Professor über Sexualdelikte sprach. Nach nur sechs Semestern schloss sie ihr Studium mit Auszeichnung ab.

Elisabeth Selbert promovierte 1930 mit dem Thema Zerrüttung als Ehescheidungsgrund. Bereits damals kritisierte sie das Schuldprinzip, das Frauen bei der Scheidung häufig rechtlos stellte. Sie trat für eine „Entgiftung“ des Scheidungsprozesses ein und forderte ein Zerrüttungsprinzip. Sie war damit ihrer Zeit weit voraus. Ihre Vorschläge wurden erst in der Bundesrepublik Deutschland mit der Eherechtsreform von 1977 aufgegriffen und umgesetzt.

Zeit des Nationalsozialismus

Bei der Reichstagswahl im März 1933 kandidierte Selbert auf der hessischen Landesliste für den Reichstag, wurde jedoch nicht gewählt. Die SPD erreichte im Wahlkreis 19 nicht die Zahl von Stimmen, die Elisabeth Selbert für ein Mandat benötigte.

Bereits in der Anfangszeit der nationalsozialistischen Herrschaft verlor Adam Selbert seine Arbeit und wurde im KZ Breitenau in „Schutzhaft“ genommen. Elisabeth Selbert legte 1934 das zweite Staatsexamen ab und stellte kurz darauf, von ihrem Mann gedrängt, den Antrag auf Zulassung zur Anwaltschaft.

Eile war geboten, denn die Nationalsozialisten versuchten, Frauen vollständig aus allen juristischen Berufen zu drängen. Der überzeugte Nationalsozialist Otto Palandt, der zuvor Präsident des Landgerichts in Kassel war, wurde Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes und damit zuständig für die Juristenausbildung und Zulassung zu juristischen Berufen. Am 22. Juli 1934 trat die neue Justizausbildungsverordnung und am 20. Dezember 1934 das Gesetz zur Änderung der Rechtsanwaltsordnung in Kraft. Es besagte, dass Frauen als Anwälte nicht mehr zugelassen waren, weil das einen „Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz der Männlichkeit des Staates“ bedeute. Von 1935 an wurden nur noch Anträge männlicher Bewerber auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft genehmigt.

Auch Selbert sollte zunächst abgelehnt werden, wurde aber gegen den Willen des nationalsozialistischen Präsidenten, gegen das Votum der Rechtsanwaltskammer und gegen die Entscheidung des Gauleiters und des NS-Juristenbundes am 15. Dezember 1934 am Oberlandesgericht zugelassen. Es waren zwei ältere Senatspräsidenten, die sich für Selbert einsetzten und in Vertretung für den im Urlaub befindlichen Oberlandesgerichtspräsidenten ihre Zulassung unterschrieben. So konnte Elisabeth Selbert 1934 ihre anwaltliche Praxis eröffnen. Da ihr Mann durch politische Verfolgung bis 1945 erwerbslos blieb, ernährte sie nun allein die Familie.

Nachkriegszeit

Grab von Elisabeth Selbert auf dem Friedhof in Kassel-Niederzwehren

Nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft wurde Elisabeth Selbert 1946 für die SPD in die Verfassungsberatende Landesversammlung für Groß-Hessen und 1948 dann in den Parlamentarischen Rat gewählt, der die Aufgabe hatte, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland auszuarbeiten. Die ursprüngliche Formulierung für Artikel 3 stammte noch aus der Weimarer Verfassung und lautete „Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“. Selbert hingegen wollte die Gleichberechtigung „als imperativen Auftrag an den Gesetzgeber […] verstanden wissen“.[1]

Mithilfe damaliger Frauenrechtsorganisationen und anderer Abgeordneter konnte Elisabeth Selbert – nach mehreren gescheiterten Abstimmungen – schließlich den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ durchsetzen. Es war ihr darum gegangen, dass die Gleichberechtigung als Verfassungsgrundsatz aufgenommen wurde, so dass viele der damaligen familienrechtlichen Bestimmungen (die aus dem Jahr 1896 stammten) im Bürgerlichen Gesetzbuch ebenfalls überarbeitet werden mussten, da sie diesem Grundsatz widersprachen. Die Adenauer-Regierung ließ den für eine Übergangsregelung im Artikel 117 gesetzten Termin „31. März 1953“ jedoch tatenlos verstreichen.[2] Erst 1957 wurde das Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet.

Nach der Arbeit im Parlamentarischen Rat kandidierte Selbert für den Deutschen Bundestag, verfehlte einen Sitz aber knapp. Auch die angestrebte Nominierung als erste Richterin des Bundesverfassungsgerichts scheiterte 1958 nicht zuletzt an der mangelnden Unterstützung aus der SPD.

Ende der 1950er-Jahre zog sich Selbert, die in der 1., 2. und 3. Wahlperiode Mitglied des Hessischen Landtags gewesen war, aus der Politik zurück und geriet beinahe in Vergessenheit. Sie arbeitete wieder als Rechtsanwältin in ihrer auf Familienrecht spezialisierten Kanzlei in Kassel. Diese betrieb Selbert noch bis zu ihrem 85. Lebensjahr.

Ihr Mann Adam Selbert durfte nach 1945 wieder arbeiten. Er wurde zu einem allgemein anerkannten hessischen Kommunalpolitiker und mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Beim Landeswohlfahrtsverband Hessen wurde er zum Landesrat berufen, war Personaldezernent und zeitweise Stellvertreter des Landeshauptmanns.[3] Er starb 1965.[4]

Selbert war Mitglied des Deutschen Juristinnenbundes.

Seit 1983 vergibt die Hessische Landesregierung alle zwei Jahre „in Anerkennung hervorragender Leistungen für die Verankerung und Weiterentwicklung von Chancengleichheit von Frauen und Männern“ den Elisabeth-Selbert-Preis.

Auszeichnungen

Benennungen

Literatur

  • Antje Dertinger: Elisabeth Selbert. Eine Kurzbiographie. Hessisches Frauenministerium, Wiesbaden 1986.
  • Barbara Böttger: Das Recht auf Gleichheit und Differenz. Westfälisches Dampfboot, Münster 1990, ISBN 3-924550-44-1.
  • Hessische Landesregierung (Hrsg.): Elisabeth Selbert. Die große Anwältin der Gleichberechtigung. Eichborn, Frankfurt am Main 1999 ISBN 3-8218-1607-4.
  • Heinrich Wilms: Dokumente zur Entstehung des Grundgesetzes 1948 und 1949. Kohlhammer, Stuttgart 2001 ISBN 3-17-016024-9.
  • Giesela Notz: Frauen in der Mannschaft. Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag 1948/49 bis 1957. Dietz, Bonn 2003, ISBN 3-8012-4131-9. (PDF-Dokument)
  • Karin Dalka: Sternstunde einer Heldin. In: Frankfurter Rundschau. 18./19. Oktober 2014, S. 24–26.
  • Heike Drummer, Jutta Zwilling: Selbert, geborene Rohde, Martha Elisabeth. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 24, Duncker & Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-11205-0, S. 210 f. (Digitalisat).
  • Karin Gille-Linne: Verdeckte Strategien: Herta Gotthelf, Elisabeth Selbert und die Frauenarbeit der SPD 1945 - 1949, Dietz, Bonn 2011, ISBN 978-3-8012-4206-0 (= Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Band 90, zugleich Dissertation Fernuniversität Hagen unter dem Titel: Herta Gotthelf, Elisabeth Selbert und die Gleichberechtigung).

Spielfilm

Weblinks

Commons: Elisabeth Selbert – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Barbara Böttger: Das Recht auf Gleichheit und Differenz. Verlag Westfälisches Dampfboot, 1990, ISBN 3-924550-44-1. eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  2. Cornelia Filter über Elisabeth Selbert: Dossier 60 Jahre BRD. Männer und Frauen sind gleichberechtigt!. In: EMMA Juni/Juli 2009.
  3. Dietfrid Krause-Vilmar: Neue Dokumente zur politischen Verfolgung von Adam Selbert. edenkstaette-breitenau.de, abgerufen am 8. März 2015.
  4. Deutsche Biographie - Selbert, Adam. In: deutsche-biographie.de. Abgerufen am 8. März 2015.