Besitztumseffekt

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Der Endowment-Effekt (englisch für Besitztumseffekt) ist eine Hypothese aus der Verhaltensökonomik. Sie besagt, dass Menschen dazu tendieren, ein Gut wertvoller einzuschätzen, wenn sie es besitzen.[1] Die Hypothese geht zurück auf den US-amerikanischen Ökonomen Richard Thaler, der dem Endowment-Effekt seinen Namen gab.[2]

Durch den Endowment-Effekt können die Zahlungsbereitschaft (willingness to pay) und die Bereitschaft zum Verkauf (willingness to accept) eines Individuums für ein und dasselbe Gut auseinanderfallen. Damit widerspricht die Hypothese der grundlegenden Annahme der neoklassischen Theorie, dass Menschen Entscheidungen auf Grund rationaler Präferenzen treffen. Ebenso ist der Endowment-Effekt nicht mit dem in den Wirtschaftswissenschaften weitestgehend akzeptierten Coase-Theorem vereinbar.

Vergleichbar ist der IKEA-Effekt, der den Zuwachs an Wertschätzung bezeichnet, der selbst entworfenen oder zumindest selbst zusammengebauten Gegenständen im Vergleich zu fertig gekauften Massenprodukten entgegengebracht wird.

Entdeckung

1980 wurde der Endowment-Effekt in dem Artikel Toward a Positive Theory of Consumer Choice von Richard Thaler erstmals erwähnt. Thaler dokumentierte bereits in seinem Studium Anfang der 1970er-Jahre ökonomische Irrationalitäten im Verhalten seiner Mitmenschen.[3] Ein später vielfach aufgegriffenes Beispiel von einem seiner Professoren, einem Weinliebhaber, beschreibt er wie folgt:

„Mr. R bought a case of good wine in the late '50's for about $5 a bottle. A few years later his wine merchant offered to buy the wine back for $100 a bottle. He refused, although he has never paid more than $35 for a bottle of wine.“[4]

Unter der Annahme rationaler Präferenzen ginge die traditionelle ökonomische Theorie davon aus, dass der Professor jeder Flasche genau einen exakt definierten Wert zumisst.[5] Dieser Wert entspräche dem Nutzen, den die Flasche dem Professor stiftet und würde sowohl die willingness to pay (WTP) als auch die willingness to accept (WTA) bestimmen.[6] Für einen Homo oeconomicus wären WTP und WTA demnach identisch.[7] Tatsächlich war der Wert der Flasche für den Professor als Verkäufer mit über 100 $ jedoch deutlich höher als in der Käuferrolle mit maximal 35 $. Aus dieser und einer Reihe ähnlicher Beobachtungen schloss Thaler, dass es sich bei diesem ungewöhnlichen Verhalten nicht um Zufall, sondern um einen genuinen Effekt handeln muss, dem er den Namen Endowment-Effekt gab. [8]

Theoretischer Hintergrund

Bereits in seiner Erstveröffentlichung zum Thema erkannte Thaler die Bedeutung der kurz zuvor von Daniel Kahneman und Amos Tversky veröffentlichten Prospect Theory.[9] Nach der Prospect Theory wird der Nutzen eines Vermögenszustands nicht nur durch den Vermögenszustand selbst, sondern auch in Relation zu einem Referenzpunkt, dem Status quo, bestimmt.[10] Eine weitere Annahme ist die Verlustaversion. Zusammengefasst besagt die Theorie, dass Verschlechterungen im Vergleich zum Status quo als Verluste interpretiert werden und diese stärker gewichtet werden als korrespondierende Gewinne.[11] Die Prospect Theory lieferte Thaler eine logische Erklärung für das von ihm beobachtete Verhalten. Hat der Professor eine Flasche Wein gekauft, so war dies für ihn ein Gewinn, der einen entsprechenden Nutzen stiftete. Dieses Nutzenniveau bestimmt die WTP. Besaß der Professor die Flasche Wein jedoch, so wäre der Verkauf als Verlust beziehungsweise Verschlechterung im Vergleich zum Status quo interpretiert worden. Die Verschlechterung entspräche einem negativen Nutzen, dessen Betrag größer wäre als der des zuvor genannten Gewinnnutzens. Die minimal verlangte Entschädigung für den Verlust, die WTA, läge demnach über der maximalen Zahlungsbereitschaft für den Gewinn. Die von Thaler beobachtete Differenz zwischen WTP und WTA ließe sich erklären.

Anwendungsgebiete

Für die ökonomische Praxis bieten sich unterschiedliche Ansatzfelder.

Bekannt ist ein Experiment mit Tassen, das Daniel Kahneman 1990 durchführte. Dabei bildete er zwei Gruppen. Der ersten Gruppe (den Verkäufern) gab er Tassen und fragte sie, welchen Preis zwischen $ 9,25 und $ 0,25 sie fordern würden, um die Tasse zu verkaufen. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe wurden gefragt, welchen Preis sie zahlen würden, um die Tasse zu erhalten. Der Preis der „Verkaufsgruppe“ lag im Mittel bei $ 7,12, während der Preis der „Kaufgruppe“ gerade mal bei $ 2,87 lag.[12]

In einem anderen Experiment ging es um ein Ticket für ein Basketballspiel. Da die Universität und auch die Basketball-Halle der Universität klein sind, erhält regelmäßig eine große Zahl Anstehender trotz langem Anstehen kein Ticket. Die Mitarbeiter von Dan Ariely und Ziv Carmon gaben sich dann als Ticket-Schwarzhändler aus und fragten Ticketbesitzer, für welchen Betrag sie ihr Ticket verkaufen würden – durchschnittlich wurden $ 2400 genannt. Die Studenten ohne Ticket waren im Durchschnitt bereit, $ 170 für ein Ticket zu bezahlen. Die Ticketbesitzer rechtfertigten die hohen Preise oft mit der Bedeutung des Spiels (z. B. dass sie sich damit ein wichtiges Erlebnis gönnten, von dem sie noch ihren Kindern erzählen könnten). Die angefragten Personen ohne Ticket setzten die Geldbeträge eher in Relation zu anderen Geldbeträgen, wie zum Beispiel die Ausgaben beim Ausgehen oder Bier trinken.[13]

Nach dem Besitztumseffekt ist (unter Konstanz aller anderen Faktoren) die Bereitschaft zur Steuerhinterziehung höher, wenn die Steuer nachgezahlt werden muss. Sie ist geringer, wenn der Steuerpflichtige eine Vorauszahlung geleistet hat und daher eine Rückzahlung erwarten kann.

Provokativ kann man auch fragen: „Hast du deine Freundin, weil du sie liebst oder liebst du sie, weil du sie hast?“ (nach Ivo Bischoff).

Verweise

Siehe auch

Literatur

  • Jack L. Knetsch: The Endowment Effect and Evidence of Nonreversible Indifference Curves. In: The American Economic Review. Bd. 79, Nr. 5, Dezember 1989, S. 1277–1284.

Weblinks

Fußnoten

  1. Roeckelein, J. E. (2006). Elsevier's Dictionary of Psychological Theories. Amsterdam: Elsevier Science & Technology.
  2. Thaler, R. H. (1980). Toward a Positive Theory of Consumer Choice. Journal of Economic Behavior and Organization, 1 (1), 39-60.
  3. Kahneman, D. (2012). Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler.
  4. Thaler, R. H. (1980). Toward a Positive Theory of Consumer Choice. Journal of Economic Behavior and Organization, 1 (1), 39-60.
  5. Rabin, M. (1998). Psychology and Economics. Journal of Economic Literature, 36 (1), 11-46.
  6. Carmon, Z., & Ariely, D. (2000). Focusing on the Forgone: How Value Can Appear So Different to Buyers and Sellers . Journal of Consumer Research, 27 (3), 360-370.
  7. Kahneman, D., Knetsch, J. L., & Thaler, R. H. (1990). Experimental Tests of the Endowment Effect and the Coase Theorem. Journal of Political Economy, 98 (6), 1325–1348.
  8. Kahneman, D. (2012). Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler.
  9. Thaler, R. H. (1980). Toward a Positive Theory of Consumer Choice. Journal of Economic Behavior and Organization, 1 (1), 39-60.
  10. Kahneman, D. (2012). Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler.
  11. Abdellaoui, M., Bleichrodt, H., & Paraschiv, C. (2007). Loss Aversion Under Prospect Theory: A Parameter-Free Measurement. Management Science, 53 (10), 1659–1674.
  12. Daniel Kahneman, Jack L. Knetsch, Richard H. Thaler: Experimental Test of the Endowment Effect and the Coase Theorem. In: Journal of Political Economy. Bd. 98, Nr. 6, 1991, S. 1325–1348 (online).
  13. Ziv Carmon, Dan Ariely: Focusing on the Forgone: How Value Can Appear So Different to Buyers and Sellers. In: Journal of Consumer Research. Bd. 27, 2000, S. 360–370 (online).