Hamburger Franzosenzeit

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Hamburg während der Belagerung 1813/1814

Hamburger Franzosenzeit bezeichnet in der Geschichte Hamburgs die Zeit unter französischer Besatzung und Eingliederung in das französische Kaiserreich in den Jahren von 1806 bis 1814, parallel zu der in weiteren deutschen Gebieten ebenfalls so genannten Franzosenzeit.

Besatzung der Stadt 1806

Zur Durchsetzung der Kontinentalsperre, einer Wirtschaftsblockade über die britischen Inseln, ließ Napoléon I. die Freie und Hansestadt Hamburg während des Vierten Koalitionskrieges am 19. November 1806 besetzen. Die Besatzer verboten den Handel mit Großbritannien und beschlagnahmten alle englischen Waren in der Stadt. Weil England zu dieser Zeit nach Frankreich der zweitwichtigste Wirtschaftspartner Hamburgs war, kam es in der Folge zu einer Vielzahl von Bankrotten Hamburger Handelsfirmen. Arbeitslosigkeit und Armut nahmen in den unteren Bevölkerungsschichten stark zu. Viele Bewohner flohen vor der Besetzung und der Arbeitslosigkeit ins nähere oder fernere Umland. Wer zurückgeblieben war, litt unter Sondersteuern und Zwangseinquartierungen zur Versorgung der Besatzungssoldaten. Der Schmuggel mit dem dänischen Umland blühte dagegen.

„Prospekt der Kaiserlich Französischen Stadt Hamburg“ von Johann Marcus David (1811)

Hamburg als Teil des französischen Kaiserreichs (1811–1814)

In der kurzen Friedensphase zwischen dem 5. und 6. Koalitionskrieg wurde die Freie Hansestadt zum 1. Januar 1811 Hauptstadt des Departement der Elbmündungen unter dem Präfekten Patrice de Coninck und damit dem französischen Kaiserreich einverleibt.

Das Arrondissement Hamburg umfasste das Staatsgebiet Hamburgs und war in neun Kantone unterteilt, sechs Stadtkantone von eins bis sechs durchnummeriert sowie Hamm, Bergedorf, Wilhelmsburg. Der Senat wurde aufgelöst, an Stelle der Bürgerschaft wurde ein Munizipalrat eingesetzt. Zum Maire (Bürgermeister) wurde Amandus Augustus Abendroth berufen und 1813 Carsten Wilhelm Soltau zum Maire-Adjoint (stellvertretender Bürgermeister). Verwaltung und Justiz wurden nun erstmals getrennt. Als Appellationsgericht der drei Hanseatischen Departements wurde in Hamburg ein Kaiserlicher Gerichtshof (Cour Impériale) eingerichtet. Der Code civil löste das Hamburger Stadtrecht ab und im Strafprozess wurden die Geschworenengerichte eingeführt. Höhere französische Beamte wurden aus dem inneren Frankreich, vor allem aus dem Elsass, nach Hamburg abgeordnet. Im Zuge einer von Napoleon geplanten Chaussee Hamburg-Paris wurde eine Brücke über die durch Überschwemmungen gefährdete Elbinsel Wilhelmsburg errichtet. Sie wurde nach dem Abzug der Franzosen 1814 wieder abgerissen.

Am 24. Februar 1813 brach ein spontaner Volksaufstand gegen die französische Besatzung aus. Nachdem dieser auch durch Einsatz aus dem benachbarten Altona zu Hilfe gerufenen dänischen Militärs niedergerungen war, organisierte der Bürgermeister Augustus Abendroth eine sich aus der Hamburger Kaufmannschaft rekrutierende Bürgerwehr, die künftig Plünderungen in den Häusern der wohlhabenden Bürger unterbinden sollte. Während des Sechsten Koalitionskrieges wurden bis zum 12. März alle französischen Soldaten abgezogen und die Stadt für zwei Monate von russischen Truppen unter Oberst Tettenborn befreit. Senat und Bürgerschaft übernahmen kurzzeitig wieder die Regierung.

Vor der bevorstehenden Rückkehr der napoleonischen Truppen im Juni 1813 zogen die Russen und die Hanseatische Legion – nach einem Gefecht an der Nettelnburger Schleuse – ab und die französischen Autoritäten wurden wieder eingesetzt. Bürgermeister wurde nun Friedrich August Rüder, der das Amt bis zum Mai 1814 ausübte[1].

Belagerung und Befreiung der Stadt

Die Kosaken überqueren die Elbe bei Hamburg, Zeichnung um 1814

Anschließend wurde Hamburg auf Anweisung Napoleons unter Marschall Louis-Nicolas Davout zur Festung ausgebaut. Die Bevölkerung wurde zu Schanzarbeiten herangezogen. Vor den Toren der Stadt, auf dem Hamburger Berg, in Eimsbüttel, Rotherbaum und Hamm wurden zugunsten eines freien Schussfeldes die Häuser abgerissen. Die Hauptkirchen außer St. Michaelis[2] wurden zu Pferdeställen umfunktioniert. Zur Strafe für seinen Abfall wurde Hamburg eine Buße von 48 Millionen Franc auferlegt und deshalb das Silberdepot der Hamburger Bank beschlagnahmt. Napoleon wird der Ausspruch zugeschrieben: „Ich ziehe es vor, die Hamburger zahlen zu lassen. Das ist die beste Art, Kaufleute zu bestrafen“.

Am 6. Dezember 1813 begann die erwartete Belagerung Hamburgs durch Truppen der Nordarmee unter der Führung des schwedischen Kronprinzen Karl Johann. Die Nahrungsmittel wurden knapp in der Stadt. Deshalb ließ Davout zu Weihnachten etwa 30.000 Männer, Frauen und Kinder, die nicht genug persönlichen Proviant nachweisen konnten, aus der Stadt treiben. Sie versuchten im Umland, in Altona, Barmek, Wandsbek aber auch in Lübeck und Bremen Unterschlupf zu finden. Viele von ihnen verhungerten.

Am 30. Mai 1814 (drei Wochen, nachdem die Alliierten Paris erobert hatten) endete die Belagerung. Davout verließ mit 25.000 Soldaten und 5.000 Pferden die Stadt. Russische Truppen wurden von der Bevölkerung als Befreier gefeiert.

Denkmäler

Gedenkstein für die 1138 Vertriebenen, die zunächst in Ottensen bestattet worden waren
Kugeldenkmal

Im Park Planten un Blomen gegenüber der Messehalle 4 B steht ein Gedenkstein in Form eines Sarkophages für die 1138 zunächst in Ottensen bestatteten Vertriebenen. Der Stein nach einem Entwurf von Carl Ludwig Wimmel war 1815 von der Patriotischen Gesellschaft an ihrem Massengrab auf der Wiese an der heutigen Einmündung der Erdmannstraße in die Große Brunnenstraße aufgestellt worden. 1841 wurde er mit den Gebeinen auf den Kirchhof der Hauptkirche St. Nikolai vor dem Dammthor überführt, der später geschlossen und ein Teil des Parks Planten un Blomen wurde.

Gedenksteine am Kraepelinweg in Barmbek-Süd, auf dem Hammer Friedhof sowie in Marmstorf erinnern an weitere bis zu tausend Vertriebene, die im Winter 1813/1814 an Kälte, Hunger und Seuchen starben.

Eine Stele erinnert auf dem Friedhof Ohlsdorf an das „Vereinsgrab der Kampfgenossen“, die zusammen mit den Russen Hamburg belagerten. Dieser sogenannte "Zippus" war 1832 als Grabmal auf dem St. Magdalenenfriedhof vor dem Dammtor errichtet und nach dessen Schließung 1924 nach Ohlsdorf umgesetzt worden (Kapelle 4/Rosenweg).[3]

Das Kugeldenkmal im Schmuckgarten an der Nordseite des Museums für Hamburgische Geschichte erinnert an die französische Belagerung und die Kämpfe um die Stadt im Mai 1813.

Sprachliche Relikte der Franzosenzeit

Zahlreiche französische Ausdrücke drangen unter anderem in das Hamburger Plattdeutsch und Missingsch ein. Der französische Abschiedsgruß adieu wandelte sich über adschüs / atschüs zum heutigen Tschüs. Auch Ausdrücke wie Malesche (von „malaise“) und Plörre sowie das für Hamburg typische Franzbrötchen gehen vermutlich auf die Franzosenzeit zurück.[4] Die Straßennamen Franzosenkoppel (Lurup) und Franzosenheide (Schnelsen) erinnern an Land, das Flüchtlingen vor der französischen Revolution im neutralen dänischen Holstein zur Verfügung gestellt wurde.[5]

Siehe auch

Literatur

Gefecht auf der Veddel März 1813
  • Erzählung der Begebenheiten in dem unglücklichen Hamburg: v. 30 Mai 1813 bis 31.Mai 1814, 1814, Digitalisat
  • H. J. Bentfeldt: Hamburg und Hamm in der Franzosenzeit 1806 bis 1814, Führer zur Ausstellung, Hamburg 1991.
  • Elisabeth Campe: Hamburgs außerordentliche Begebenheiten und Schicksale in den Jahren 1813 und 1814: während der ersten Besitznahme durch den General Tettenborn bis zum allgemeinen Frieden. Hamburg: in der B.G. Hoffmannschen Buchhandlung, 1814 (Digitalisat des Exemplars der Bayerischen Staatsbibliothek)
  • Semjon Aron Dreiling: Pompöser Leichenzug zur schlichten Grabstätte. Die vergessenen Toten im Gruftgewölbe der Hamburger St.-Michaelis-Kirche 1762–1813, Hamburg 2006, ISBN 3-937843-09-4 [Beitrag zum Bestattungswesen vor, während und nach der Franzosenzeit].
  • Renate Hauschild-Thiessen: Die Franzosenzeit 1806–1814, Hamburg 1989.
  • Gabriele Hoffmann: Die Eisfestung. Hamburg im kalten Griff Napoleons. München 2012, ISBN 978-3-492-30183-1.
  • Jürgen Huck: Das Ende der Franzosenzeit in Hamburg: Quellen und Studien zur Belagerung und Befreiung von Hamburg 1813– 1814, Hamburg 1984.
  • Jan Jelle Kähler: Französisches Zivilrecht und französische Justizverfassung in den Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen (1806–1815), Frankfurt am Main 2007, ISBN 3-631-55876-7.
  • Bernhard Mehnke: Anpassung und Widerstand. Hamburg in der Franzosenzeit von 1806 bis 1814, in: Die Französische Revolution und ihre Wirkung auf Norddeutschland (1989), S. 333–349.
  • Wolf-Rüdiger Osburg: Die Verwaltung Hamburgs in der Franzosenzeit 1811–1814, Frankfurt am Main 1988.
  • Wilhelm Perthes / Agnes Perthes: Aus der Franzosenzeit in Hamburg, Hamburg 1910.
  • Burghart Schmidt: Hamburg im Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons 1789–1813. 1. Teil: Darstellung. 2. Teil: Kommentierte Übersicht über Literatur und Quellen, Hamburg 1998, ISBN 3-923-35687-0.
  • Tilman Holger Stieve: Die Hamburger Patrioten während der Franzosenzeit und der Versuch der Staatsreform in Hamburg (1813–1815), Bielefeld 1986, ISBN 3-923-35650-1.
  • Helmut Stubbe da Luz: „Franzosenzeit“ in Norddeutschland (1803–1814). Napoleons Hanseatische Departements, Bremen 2003, ISBN 3-861-08384-1.
  • Detlef Zunker: Hamburg in der Franzosenzeit 1806–1814 - Volkskultur und Volksprotest in einer besetzten Stadt, Hamburg 1983.
  • Frank Bauer: Hamburg 1813/1814. Kampf und Leiden einer Stadt, Kleine Reihe Geschichte der Befreiungskriege 1813–1815, Heft 31, Potsdam 2010.

Weblinks

Commons: French occupation of Hamburg 1806-1814 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. William Löbe: Rüder, Friedrich August. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 29, Duncker & Humblot, Leipzig 1889, S. 455.
  2. http://www.st-michaelis.de/fileadmin/99-redaktion/02-pdf/Die_Franzosenzeit.pdf
  3. Helmut Schoenfeld: Der Friedhof Ohlsdorf: Gräber, Geschichte, Gedenkstätten, 2010 S. 79 books.google
  4. Plietsch, pingelig, tschüs: Was von den Franzosen blieb. Hamburger Abendblatt vom 18. November 2006; Rares Gebäck rätselhafter Herkunft. taz 30. April 2010
  5. http://www.schnelsenarchiv.de/15strassen.htm