Ich klage an (1941)

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Film
Titel Ich klage an
Produktionsland Deutschland
Originalsprache Deutsch
Erscheinungsjahr 1941
Länge 120 Minuten
Altersfreigabe
Stab
Regie Wolfgang Liebeneiner
Drehbuch Eberhard Frowein
Harald Bratt
Hermann Schwenninger
Produktion Heinrich Jonen
Musik Norbert Schultze
Kamera Friedl Behn-Grund
Franz von Klepacki
Schnitt Walter von Bonhorst
Besetzung

Ich klage an ist ein deutscher Spielfilm von Wolfgang Liebeneiner, der am 29. August 1941 uraufgeführt wurde. Wegen seiner Werbung für den von dem nationalsozialistischen Staat begangenen Mord an kranken Menschen, den die Nationalsozialisten Euthanasie nannten, ist dieser Propagandafilm heute in Deutschland nur eingeschränkt zu sehen. Er gehört zur Gruppe der Vorbehaltsfilme.

Der Film erzählt die Geschichte einer unheilbar an multipler Sklerose erkrankten Frau (Heidemarie Hatheyer), die auf ihr ausdrückliches Verlangen von ihrem Ehemann, dem Mediziner Professor Heyt (Paul Hartmann), durch Verabreichung einer Überdosis ihres Medikaments getötet wird. Ihr Hausarzt (Mathias Wieman) hatte ihr Ansinnen zuvor abgelehnt. Das letzte Drittel des Films nimmt der Strafprozess gegen Dr. Heyt wegen Mordes ein. Nach dem Schlusswort des Angeklagten, der ein Urteil fordert, endet die Handlung und lässt die Entscheidung über den Fall offen.

Handlung

Hanna Heyt ist eine lebenslustige Frau. Als ihr Mann den Ruf auf den Direktorposten eines Instituts in München bekommt, bereitet sie eine Feier für Kollegen und Freunde vor. Bereits während der Vorbereitungen stürzt sie unerklärlich eine Treppe im Haus hinab. Als sie während der Feier am Klavier sitzt, fühlt sie einen Krampf in ihrer Hand und kann nicht weiterspielen. Da die Taubheit auch am nächsten Morgen nicht weg ist, schickt ihr Mann sie zu Dr. Lang, einem alten Freund des Paares. Dieser untersucht sie und hegt den Verdacht, Hanna sei an multipler Sklerose erkrankt. Er offenbart seinen Verdacht Dr. Heyt, der entsetzt ist, aber dann doch das Urteil eines Spezialisten einholt. Jener bestätigt die unheilbare Krankheit, legt aber nahe, Hanna ihre Krankheit nicht mitzuteilen, um ihr ihren Optimismus und den Glauben an eine Besserung nicht zu nehmen. Fortan forscht Dr. Heyt in seinem Labor nach der Arbeit bis in die Nachtstunden nach einem Erreger der Krankheit und einem Mittel für ihre Heilung.

Bei Hanna schreitet die Krankheit mittlerweile weiter fort. Sie erkennt, dass sie sich nach der Lähmung ihrer Beine und Arme immer weniger wird bewegen können. Daraufhin bittet sie Dr. Lang, sie, wenn es ganz schlimm wird, zu töten. Sie möchte nicht, dass ihr Mann eines Tages froh ist, wenn sie endlich gestorben ist, nachdem sie vor sich hinvegetiert hat und „nur noch eine Last“ war. Dr. Lang weist ihr Ansinnen als unethisch zurück. Hanna wendet sich mit derselben Bitte später auch an ihren Mann, der sie von der Möglichkeit einer baldigen Heilung zu überzeugen versucht.

Die Krankheit verschlechtert ihren Gesundheitszustand rasch. Ein vermeintlicher Durchbruch in Heyts Forschungen entpuppt sich als Irrtum. Als Hanna unter Atemlähmungen leidet, bittet sie ihren Mann erneut, ihr nun zu helfen. Er entwendet das Medizinfläschchen von Dr. Lang und verabreicht seiner Frau eine Überdosis, an der sie stirbt. Dr. Lang ist außer sich, er bezichtigt Heyt daraufhin des Mordes und kündigt die Freundschaft. Heyt wird von seinem Schwager Eduard Stretter angezeigt.

Im Strafverfahren wegen Mordes vor dem Schwurgericht stellt sich die Tat nach den Zeugenaussagen als quasi-humanitärer Akt dar. Die Zeugen geben dabei hauptsächlich Meinungen darüber ab, ob sie bestimmte Geschehnisse für möglich halten, und berichten kaum über eigene Erlebnisse. Die Schöffen diskutieren während einer einstündigen Verhandlungspause wegen des angekündigten Erscheinens von Dr. Lang den Fall im Beratungsraum kontrovers, der Vorsitzende Richter gebietet ihnen Einhalt, denn der Fall sei nicht so einfach, wie sie es darstellen. Es fehlt der Nachweis des ausdrücklichen Verlangens der Tötung durch die Getötete gegenüber dem Angeklagten. Dr. Lang, der zunächst auf Ladung nicht erschienen war, erscheint endlich vor Gericht. Durch die Konfrontation mit einem geistesgestörten Kind wurde er zum Umdenken veranlasst. Er hatte das an Hirnhautentzündung erkrankte Kind mit allen Mitteln am Leben erhalten. Seine Eltern Marie und Herbert Günther fragen ihn, warum er es nicht habe sterben lassen, denn nun ist es als Folge der Behandlung blind, gelähmt und geistesgestört in einer Anstalt. Er bestätigt nach erneutem Eintreten in die Beweisaufnahmen das ausdrückliche Verlangen von Hanna Heyt. Dr. Heyt bricht nun sein Schweigen vor Gericht und hält ein kurzes Plädoyer in eigener Sache. Er will ein Urteil, „um Klarheit zu schaffen für sich und zukünftige solche Fälle“.

Filmvorlage

Einige Motive des Films gehen auf den Briefroman Sendung und Gewissen von Hellmuth Unger zurück. Dieses Buch war 1936 in erster Auflage erschienen und ab 1941 in einer veränderten Fassung mehrfach neu aufgelegt worden. Erst die zweite Fassung enthält die programmatischen Worte „Nicht ich bin mehr Angeklagter, sondern ich klage an, ein wahrhafter Arzt gegen eine ganze Welt“. Der Briefroman hatte keine durchgehende Handlung und musste dramaturgisch völlig umgestaltet werden. Viktor Brack, der in der Kanzlei des Führers mit der Aktion T4 befasst war, beauftragte Hermann Schwenninger damit, eine neue Rahmenhandlung zu schreiben. Schwenninger war seit 1940 bei der Zentraldienststelle T4 angestellt und sollte dort einen Dokumentarfilm über die Euthanasie herstellen, der später als Dasein ohne Leben bekannt wurde. Schwenningers Drehbuchentwurf für den Spielfilm enthält die Gerichtsszene, in der der Sterbehelfer zum Helden stilisiert wird.

Wolfgang Liebeneiner wies diesen Entwurf zurück. Aus der Kanzlei des Führers erging an eine Arbeitsgruppe erneut die Anweisung, ein Drehbuch zu schreiben „über Euthanasie, über Auslöschung lebensunwerten Lebens. Unter Berücksichtigung der Zeitumstände sind wir zu der Überzeugung gekommen, alles mögliche vermeiden zu müssen, was nach geflissentlicher Werbung aussieht, namentlich aber auch alles zu vermeiden, was von gegnerisch Eingestellten als eine vom Staat ausgehende Bedrohung aufgefasst werden könnte.“[1]

Der neue Entwurf trug den Arbeitstitel Drei Menschen – Ein Film um das Gesetz des Herzens und bezog sich auf ein geplantes „Sterbehilfegesetz“, das wegen aufkommender Proteste aus kirchlichen Kreisen jedoch nicht erlassen wurde. Der Entwurf bringt als wichtige Elemente die Dreierbeziehung zwischen einer Frau und zwei Männern ein und lässt den Ehemann und zugleich Arzt zum Täter innerhalb der Familie werden. Auch dieser Entwurf wurde überarbeitet. Liebeneiner hat später zur Rechtfertigung eine falsche Darstellung darüber in Umlauf gebracht und behauptet, darin sei unverblümt die Tötung von Geisteskranken propagiert worden. Liebeneiner übernahm jedoch die „Vernichtung unwerten Lebens“ als verdeckte Schlüsselbotschaft. Der Film enthält als Elemente die Dreierbeziehung des zweiten Entwurfs, die große Gerichtsszene aus dem ersten Entwurf und die abgeänderte Nebenhandlung zweier Eltern, die den Tod ihres schwerstbehinderten Kindes herbeisehnen.

Zensur

Die Originalfassung – auch „Ministerfassung“ genannt, bezogen auf das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda – war Anfang Mai 1941 fertiggestellt und wurde Mitte Juli und noch einmal Mitte August durch scharfe Zensurschnitte verändert. Ursächlich dafür waren die verschlüsselte Kritik an der Euthanasie durch ein Hirtenwort der katholischen Bischöfe, das am 7. Juli 1941 von den Kanzeln verlesen wurde, sowie die unverblümte Predigt des Bischofs Clemens August Graf von Galen am 3. August 1941.

Herausgeschnitten wurden Seitenhiebe gegen religiöse Vorbehalte sowie Szenen von aufdringlichen Bekehrungsversuchen. Es entfielen ferner nationalsozialistische Redewendungen und Symbole. Auch die Tötung eines kranken Versuchstieres wurde nicht mehr unmittelbar gezeigt.

Es existieren drei im Detail unterschiedliche Fassungen des Spielfilms. Sie liegen im Bundesarchiv Koblenz, dem Deutschen Institut für Filmkunde in Frankfurt am Main und im ehemaligen DDR-Filmarchiv Potsdam-Babelsberg.[2]

Rezeption und Kritik

Der Film hat Tötung auf Verlangen zum Thema, wird heute jedoch allgemein als Propagandafilm für den nationalsozialistischen Krankenmord gewertet und war sicher auch so intendiert, doch er ist ebenso ein Plädoyer für aktive Sterbehilfe. Die Tötung auf Verlangen, als die sich die aktive Sterbehilfe oft darstellt, hat jedoch ethisch eine andere Qualität. Sie wird auch nach bundesdeutschem Strafrecht erheblich milder bestraft als etwa Totschlag oder Mord.

Seine besondere Bedeutung erhält der Film aber im Zusammenhang mit der damals forcierten sogenannten „Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Der euphemistisch als „Euthanasie“ bezeichnete nationalsozialistische Krankenmord war eine staatlicherseits begangene Tötung von als unheilbar erbkrank, lebensunwert und volksschädlich erachteten Menschen (siehe Aktion T4). Spätestens der Hinweis des Angeklagten Heyt in Liebeneiners Film auf „Hunderttausende hoffnungslos Leidender“ und der Gesinnungswandel seiner ursprünglichen Gegner erweisen den Film als konform im Sinne der damaligen Politik.

Im Zeitschriftendienst (Zeitschriften-Dienst: deutscher Wochendienst. Berlin: Verl. Pressebericht, 1939–1945) werden als Vorgabe zur „Filmberichterstattung“ folgende Hinweise an die Journalisten gegeben:

„Der Tobis-Film ‚Ich klage an‘ behandelt in einer ergreifenden Spielfilmhandlung die Frage, ob der Arzt in besonderen Ausnahmefällen berechtigt sein soll, einem unheilbar Kranken auf dessen Wunsch hin seine Qualen zu verkürzen. In den Bildern und im Dialog des Drehbuchs wird mit höchstem menschlichen Ernst und ärztlicher Verantwortung eine seit langem umstrittene Frage der Medizin und des Rechts aufgegriffen. Wenn es auch nahe liegt, die in dem Film zum Ausdruck kommende Tendenz im Tenor der Kunstbetrachtungen anklingen zu lassen, so wollen wir uns doch davor hüten und lediglich den künstlerischen Gehalt dieses Films würdigen, zum Problem selbst aber und zu der vorgeschlagenen Lösung vorläufig weder positiv noch negativ in irgendeiner Form, auch nicht in selbständigen Arbeiten Stellung nehmen. Ebenso wollen wir den Ausdruck ‚Euthanasie‘ vermeiden. Der nach dem Roman von Hellmuth Unger außerordentlich spannend und gut aufgebaute Film bietet zudem durch die hervorragenden schauspielerischen Leistungen … genügend Stoff für fruchtbare Kunstbetrachtungen.“

ZD Nr. 5200: 122. Ausgabe, 29. August 1941

„Bilder aus dem Film ‚Ich klage an‘ können mit Ausnahme der Sterbeszene in der Presse erscheinen.“

ZD Nr. 5384: 125. Ausgabe, 19. September 1941

Nach dem Zweiten Weltkrieg beurteilte das Lexikon des internationalen Films den Film folgendermaßen:

„Der Propagandafilm des Dritten Reichs zur Euthanasiefrage. […] Der dramaturgisch geschickt gebaute, sehr suggestiv inszenierte Agitationsfilm diente den NS-Behörden zur Rechtfertigung ihrer systematischen Vernichtung von Geisteskranken sowie zur psychologischen Vorbereitung eines ‚Sterbehilfegesetzes‘.“

Auszeichnung

Der Film wurde im Dritten Reich mit den Prädikaten „künstlerisch besonders wertvoll“ und „volksbildend“ ausgezeichnet.

Siehe auch

Literatur

  • Sylke Hachmeister: Kinopropaganda gegen Kranke: die Instrumentalisierung des Spielfilms „Ich klage an“ für das nationalsozialistische „Euthanasieprogramm“, Nomos, Baden-Baden 1992, ISBN 3-7890-2804-5 (= Nomos-Universitätsschriften / Kulturwissenschaft, zugleich Dissertation an der Uni Münster 1991).
  • Christian Kuchler: Bischöflicher Protest gegen nationalsozialistische „Euthanasie“-Propaganda im Kino: „Ich klage an“. In: Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft. Nr. 126, 2006, ISSN 0018-2621, S. 269–294.
  • Karl Heinz Roth: „Ich klage an“ – Aus der Entstehungsgeschichte eines Propaganda-Films. In: Götz Aly (Hrsg.): Aktion T4. 1939–1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstrasse 4 (= Stätten der Geschichte Berlins 26). 2. erweiterte Auflage. Hentrich, Berlin 1989, ISBN 3-926175-66-4, S. 93–116.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Karl Heinz Roth: „Ich klage an“, S. 96.
  2. Karl Heinz Roth: „Ich klage an“, S. 116, Anm. 15.