Karlrobert Kreiten

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Karlrobert Kreiten (* 26. Juni 1916 in Bonn; † 7. September 1943 in Berlin-Plötzensee) war ein deutscher Pianist mit niederländischer Staatsbürgerschaft. Er wurde wegen kritischer Äußerungen zum nationalsozialistischen Regime denunziert und hingerichtet.

Leben

Karlrobert Kreiten wuchs in einer musikalischen Familie auf. Seine Eltern waren die Mezzo-Sopranistin Emmy Kreiten, geb. Liebergesell (1894–1985) und der niederländische Komponist und Konzertpianist Theo Kreiten (1887–1960). Deren erste Tochter Marie-Therese starb im Jahre 1914 wenige Tage nach der Geburt. 1917 zog die Familie von Bonn nach Düsseldorf, nachdem Theo Kreiten eine Stelle als Dozent am Buths-Neitzel-Konservatorium angenommen hatte. 1918 wurde Karlrobert Kreitens Schwester Rosemarie Sofie geboren. Die Eltern luden oft zu Hauskonzerten und Liederabenden ein, die bald als ein Mittelpunkt der musikalischen Gesellschaft Düsseldorfs galten.[1]

Im Alter von zehn Jahren hatte Karlrobert Kreiten sein Debüt mit einem Mozart/Schubert-Programm in der Tonhalle Düsseldorf. Von 1929 bis 1934 studierte er bei Peter Dahm an der Hochschule für Musik Köln. 1933 gewann der Sechzehnjährige zunächst in Wien beim II. Internationalen Musikwettbewerb eine Silberne Ehrenplakette,[2] im Herbst desselben Jahres dann den Großen Mendelssohn-Preis in Berlin, der unter Schülern deutscher Hochschulen ausgetragen wurde. Bei Hedwig Rosenthal-Kanner, der Ehefrau von Moriz Rosenthal, setzte Kreiten sein Studium von 1935 bis 1937 in Wien fort.

Ende 1937 siedelte Kreiten nach Berlin über, gab ein glänzend kritisiertes Konzert im Beethovensaal und wurde Meisterschüler von Claudio Arrau. Dieser, selbst ein ehemaliges Wunderkind und in Deutschland ausgebildet, urteilte noch 1983:

„Kreiten war eines der größten Klaviertalente, die mir persönlich begegnet sind. Wäre er nicht durch das Nazi-Regime kurz vor Kriegsende hingerichtet worden, so hätte er, ohne Zweifel, seinen Platz als einer der größten deutschen Pianisten eingenommen. Er bildete die verlorene Generation, die fähig gewesen wäre, in der Reihe nach Kempff und Gieseking zu folgen.“

Claudio Arrau[3]

Kreitens Karriere verlief bis 1943 höchst erfolgreich, vor allem mit Werken von Beethoven und Komponisten der Romantik, aber auch von zeitgenössischen Musikern wie Igor Strawinsky und Serge Prokofieff.

Als Kreiten sich in privatem Kreis abfällig über den Nationalsozialismus äußerte und den Krieg als verloren bezeichnete, denunzierte ihn die Nationalsozialistin Ellen Ott-Monecke, eine Jugendfreundin seiner Mutter. Die Sopranistin Tiny Debüser war ebenfalls maßgeblich an dem Verrat beteiligt.[4] Am 3. Mai 1943 wurde er in Heidelberg, wo er ein Konzert geben wollte, von der Gestapo verhaftet. Nach vier Monaten Haft kam es zum Prozess vor dem Volksgerichtshof unter dem Vorsitz Roland Freislers, in dem Kreiten wegen Wehrkraftzersetzung am 3. September 1943 zum Tode verurteilt wurde. Mehrere Gnadengesuche (u. a. von Wilhelm Furtwängler) kamen zu spät. Karlrobert Kreiten wurde am 7. September 1943 zu Beginn der Plötzenseer Blutnächte mit anderen Mitgefangenen in Plötzensee erhängt.

Nachleben

Der spätere Fernsehjournalist Werner Höfer begrüßte am 20. September 1943 im 12-Uhr Blatt die Hinrichtung von Karlrobert Kreiten ausdrücklich als „strenge Bestrafung eines ehrvergessenen Künstlers“, was ihm öffentlich bereits 1962 und 1984 vorgehalten worden war, aber erst 1987 zum Ende seiner Fernsehkarriere führte.

Karlrobert Kreitens Mutter, die den Künstlernamen Kreiten-Barido angenommen hatte – Barido war der Familienname ihrer elsässischen Mutter –, trat ab 1950, nach ihrer Rückkehr aus dem elsässischen Exil, wieder als Sängerin in zahlreichen Konzerten auf. Die Eltern luden nach dem Zweiten Weltkrieg auch wieder zu Musikabenden ein, wobei beide auch im Gedenken an ihren Sohn tätig waren.[1]

Karlrobert Kreitens Schwester Rosemarie, nach Scheidung von ihrem ersten Mann wiederverheiratete von Studnitz, wanderte nach der zweiten Scheidung 1954 in die USA aus, wo sie u. a. einen Verlag gründete; sie starb 1975 in Los Angeles. Theo Kreiten starb 1960 in Düsseldorf. Emmy Kreiten trat noch bis ins hohe Alter gelegentlich bei öffentlichen Konzerten auf und starb 1985 im Alter von 90 Jahren in Düsseldorf.[1]

Ehrungen

  • Der mit seinen Eltern befreundete Bildhauer Rudolf Christian Baisch (1903–1990) schuf eine Büste zum Gedenken an Karlrobert Kreiten, die sich heute im Düsseldorfer Stadtmuseum befindet.[5]
  • 1964 hat die heutige Musikhochschule Köln zu Kreitens Gedenken einen Klavierpreis gestiftet.[6]
  • Die Pianistin Martha Argerich spielte im Rahmen der Berliner Festwochen 1983 ein Gedenkkonzert zur Erinnerung an Kreitens 40. Todestag.
  • Heute sind Straßen in Bonn-Poppelsdorf, Düsseldorf-Mörsenbroich, Hilden und Köln-Ossendorf nach ihm benannt.
  • 1984 wurde Heinrich Riemenschneiders Schauspiel Der Fall Karlrobert K. uraufgeführt,
  • 1986 veröffentlichte der Schriftsteller Hartmut Lange seine Novelle Das Konzert. Vorbild für die Hauptperson war Kreiten; 1987 entstand Langes Theaterstück Requiem für Karlrobert Kreiten.
  • 2003 wurde in Düsseldorf die Komposition Kreiten’s Passion des Niederländers Rudi Martinus van Dijk uraufgeführt, mit Text von Heinrich Riemenschneider.
  • 2008 wurde zur Erinnerung an Kreiten im Rahmen der Beethovenfesttage in Bonn ein von Hans Christian Schmidt-Banse zusammengestelltes „Concerto Recitativo“ mit Titel An diesem unglückseligen 3. Mai des Jahres 1943 aufgeführt.
  • Im Juni und September 2016 gibt der 1990 in Eisenach geborene Pianist Florian Heinisch anlässlich des 100. Geburtstages Karlrobert Kreitens die von dem Hamburger Kinderarzt und Autor Moritz von Bredow konzipierte Klavierabend-Reihe „Das ungespielte Konzert“. An 11 Abenden (Juni 2016: Bonn, Köln, Düsseldorf, Bremen, Heidelberg, Hamburg, München und Berlin; September 2016: Lübeck, Hamburg und Karlsruhe) kommt jenes Programm zur Aufführung, das Kreiten am Tage seiner Verhaftung in Heidelberg im Mai 1943 nicht mehr spielen konnte.

Literatur

  • Theo Kreiten: Wen die Götter lieben… – Erinnerungen an Karlrobert Kreiten. Renaissance-Verlag, Düsseldorf 1947. 2., erw. Aufl. 1950 im Droste-Verlag, Düsseldorf.
  • Karlrobert Kreiten – Wen die Götter lieben. Hentrich, Berlin 1983, ISBN 3-88725-057-5. Repr. d. 2. Aufl. des Erinnerungsbuches, ergänzt um eine Dokumentation zum 40. Todestag.
  • Hartmut Lück: Ein Exempel wird statuiert – der Fall Karlrobert Kreiten. In: Musik und Musikpolitik im faschistischen Deutschland. Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt a. M. 1984, ISBN 3-596-26902-4.
  • Joachim Dorfmüller: Karl Robert Kreiten (1916–1943). Tragisches Ende einer Pianistenkarriere. In: Neues Rheinland, 12/1986, S.14 f.
  • Harald Wieser: Tod eines Pianisten. In: Der Spiegel 51/1987 vom 14. Dezember 1987.
  • Friedrich Lambart (Hrsg.): Tod eines Pianisten: Karlrobert Kreiten und der Fall Werner Höfer. Hentrich, Berlin 1988, ISBN 3-926175-48-6. (Ein Buch über Karlrobert Kreiten, das das Erinnerungsbuch des Vaters enthält, diverse Beiträge, Originaldokumente wie auch das Urteil, zwei Theaterstücke und die Verteidigungsschriften Werner Höfers.)
  • Helga Schubert: Judasfrauen. Luchterhand, Frankfurt 1990, ISBN 3-630-86725-1.
  • Victor von Gostomski: Der Tod von Plötzensee: Erinnerungen, Ereignisse, Dokumente. Bloch, Frankfurt 1993, ISBN 3-929686-00-7.
  • Der Pianist Karlrobert Kreiten und die „Wehrkraftzersetzung“. In: Das „Hausgefängnis“ der Gestapo-Zentrale in Berlin. Topographie des Terrors, Berlin 2005, ISBN 3-9807205-4-3.
  • Josef Niesen: Bonner Personenlexikon. Bouvier, Bonn 2007, ISBN 978-3-416-03159-2.
  • Hans Hinterkeuser: Elly Ney und Karlrobert Kreiten. Zwei Musiker unterm Hakenkreuz. Kid Verlag, Bonn 2016, ISBN 978-3-929386-53-0.

Tondokumente

  • Karlrobert Kreiten in memoriam 1916–1943: historische Aufnahmen aus den Jahren 1934–1938. Thorofon ATH 259 (1984) (LP mit bisher unveröffentlichten Aufnahmen; Kompositionen von Brahms, Chopin, T. Kreiten, Othmar Schoeck und J. Strauss).
  • Kreitens Rundfunkaufnahmen sind vermutlich verschollen.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c Nachlässe/Sammlungen-Verzeichnis 4-121 des Stadtarchivs Landeshauptstadt Düsseldorf, „Kreiten-Dokumentation“ von Heinrich Riemenschneider, S. 22 (PDF-Datei; 262 kB; letzter Aufruf: 2. Mai 2009).
  2. Schlussbericht über den II. Internationalen Klavierwettbewerb 1933 für Gesang und Klavier in Wien. In: Archiv der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.
  3. Brief an Hartmut Lück 1983, s. Hartmut Lück: Ein Exempel wird statuiert – der Fall Karlrobert Kreiten., S. 243.
  4. Vgl. Der Spiegel, 51/1987 vom 14. Dezember 1987.
  5. Sammlung 1902–1945 – Karlrobert Kreiten, Informationen und Abbildung der Gedenkbüste auf der Website der Stadt Düsseldorf (letzter Aufruf: 2. Mai 2009).
  6. Historie der Rheinischen Musikschule (PDF; 939 kB), abgerufen am 14. Februar 2009.