Kernkraftwerk Akademik Lomonossow

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Kernkraftwerk Akademik Lomonossow
Akademik Lomonossow 2019
Akademik Lomonossow 2019
Lage
Kernkraftwerk Akademik Lomonossow (Autonomer Kreis der Tschuktschen)
Kernkraftwerk Akademik Lomonossow (Autonomer Kreis der Tschuktschen)
Koordinaten 69° 42′ 0″ N, 170° 19′ 0″ OKoordinaten: 69° 42′ 0″ N, 170° 19′ 0″ O
Land Russland
Daten
Eigentümer Rosenergoatom
Betreiber Rosenergoatom
Projektbeginn 2007-04-15
Kommerzieller Betrieb 2020-05-22

Aktive Reaktoren (Brutto)

2  (70 MW)
Stand Oktober 2019
Die Datenquelle der jeweiligen Einträge findet sich in der Dokumentation.
f1

Das Kernkraftwerk Akademik Lomonossow (russisch Академик Ломоносов, deutsche Übersetzung „Akademiemitglied Lomonossow“, volle Bezeichnung russisch ПАТЭС Академик Ломоносов für schwimmendes Heizkernkraftwerk Akademiemitglied Lomonossow) ist ein russisches schwimmendes Kernkraftwerk, Heimathafen ist Sankt Petersburg. Es handelt sich um den Prototyp einer mobilen Kernkraftwerksart.

Die Akademik Lomonossow ist nach dem russischen Dichter und Naturwissenschaftler Michail Wassiljewitsch Lomonossow benannt und versorgt – entgegen ersten Planungen – die Stadt Pewek an der Nordostpassage mit Energie.[1]

Mit dem Bau des schwimmenden und damit mobilen Kernkraftwerks wurde am 15. April 2007 in der Sewmasch-Werft in Sewerodwinsk begonnen.[2] Die Fertigstellung war nach den anfänglichen Planungen im Jahr 2012 vorgesehen,[3] musste dann auf 2016,[4] auf 2018[5] und später auf 2019[6] verschoben werden.

Ursprünglich sollte es ab 2010 die U-Boot-Werft und die Stadt Sewerodwinsk im Nordwesten Russlands mit Strom und Wärme versorgen. Am 8. August 2008 gab der Eigentümer und Betreiber Rosenergoatom bekannt, dass Sewmasch die Arbeiten an dem Kernkraftwerk einstelle und der Bau durch die Sankt Petersburger Werft Baltiski sawod (Балтийский завод) fortgesetzt werde.[7] Zwischenzeitlich wurde der zukünftige Anlegeplatz nach Wiljutschinsk in die Region Kamtschatka verlegt.[8] Letztenendes wurde als Betriebsort und Versorgungsobjekt die Stadt Pewek im Autonomen Kreis der Tschuktschen ausgesucht.[9]

Das schwimmende Kernkraftwerk lief am 30. Juni 2010 in Sankt Petersburg vom Stapel und erhielt durch die Taufpatin und damalige Gouverneurin von St. Petersburg Walentina Matwijenko seinen Namen.[10] Die Baukosten wurden anfänglich auf umgerechnet etwa 270 Millionen Euro (9,1 Mrd. Rubel) geschätzt,[11] gegen Ende zeigten sich Gesamtkosten von 37 Mrd. Rubel[12] – genannt wurden auch 480 Mio. USD.[13] Zwischenzeitlich war die Petersburger Werft von einem Bankrott bedroht, der aber folgenlos blieb und die Arbeiten konnten weitergehen.[14] Am 28. April 2018 verließ die Akademik Lomonossow Sankt Petersburg: Ein Schlepper zog sie über Ostsee, Nordsee und Nordatlantik zunächst in die Barentssee nach Murmansk.[15] Die Ankunft am 17. Mai 2018 wurde mit einer Feier begangen. Dort wurden die beiden Reaktoren mit nuklearen Brennelementen ausgestattet.

Der Weitertransport nach Pewek begann im August 2019[16], wofür ein Eisbrecher und ein Schlepper eingesetzt wurden.[10] Im September 2019 erreichte die Plattform ihren Zielhafen.[17] Der kommerzielle Betrieb war für November 2019 angekündigt,[18] am 19. Dezember 2019 berichtete Rosatom von der Aufnahme der Stromlieferung an die Hafenstadt Pewek.[19] Im Mai 2020 waren alle Prüfungen abgeschlossen und der Regelbetrieb des Kraftwerkes konnte beginnen.[20][21][20] Die Akademik Lomonossow dient als Ersatz für das Kernkraftwerk Bilibino, das über eine Hochspannungsleitung mit Pewek verbunden ist, sowie für das kohlebefeuerte Heizkraftwerk Tschaun.[22]

Die Plattform weist eine Länge von 144,4 Meter auf, die Breite beträgt 30 m, die Höhe 10 m, der Tiefgang 5,6 m. Zum Vergleich: auf einer großen Binnenwasserstraße der Klasse VIb, wie Rhein, Donau, Rhone und Waal, können die Abmessungen Länge 195 m × Breite 22,80 m × Tiefgang 2,50 m – 4,50 m betragen.

Das schwimmende Kernkraftwerk ist mit zwei zum Prototyp modifizierten KLT-40S-Reaktoren[23] ausgestattet. Der gleiche Reaktortyp wird in russischen Atomeisbrechern der Taimyr-Klasse und in dem russischen atomgetriebenen Frachter Sevmorput eingesetzt.[3][24] Jeder Reaktor soll eine elektrische Bruttoleistung von 35 MW und eine Nettoleistung von 32 MW haben sowie 73 MW Prozesswärme zur Verfügung stellen.[25][26] Beide Reaktoren besitzen jeweils eine thermische Leistung von 150 MW. Sie können eine Seewasser-Entsalzungsanlage mit einer Kapazität von bis zu 240.000 Kubikmeter pro Tag antreiben.[8] Alle drei Jahre ist ein Brennelementwechsel vorgesehen, der bis zu 60 Tage dauert. Zusätzlich sind einmal pro Jahr 20-tägige Wartungspausen geplant. Das Kraftwerk ist in der Lage, bis zu 100.000 Personen mit Energie zu versorgen.[27]

Reaktorblock[25] Reaktortyp
/ -modell
el. Netto-
leistung
el. Brutto-
leistung
thermische
Leistung
Baubeginn Netzsyn-
chronisation
Kommer-
zieller Betrieb
Abschal-
tung
Akademik Lomonossow 1 DWR / KLT-40S 32 MW 35 MW 150 MW 2007-04-15 2019-12-19 2020-05-22 [28][29]
Akademik Lomonossow 2 DWR / KLT-40S 32 MW 35 MW 150 MW 2007-04-15 2019-12-19 2020-05-22 [28][30]
Modell

Russische und internationale Umweltorganisationen sehen in einem solchen Atomkraftwerk eine neue Gefahr für die Umwelt. Sie haben den Transport der Akademik Lomonossow mit dem Greenpeace-Schiff Beluga II verfolgt. Bei der Ankunft in Murmansk gab es Proteste durch kleinere örtliche Umweltgruppen wie den Verein Tschernobyl30 oder Ecodefense. Insbesondere wird bemängelt, dass es keine Anhörungen für die Bewohner der Stadt gegeben habe, obwohl sogar ein Gesetz solche Informationen verbindlich vorschreibe. Dagegen bezeichnen die staatlichen russischen Medien die Aktionen der Umweltschützer als „ökologischen Extremismus“ oder „destruktive Praxis von Umweltprotesten“.[10]

Commons: Kernkraftwerk Akademik Lomonossow – Sammlung von Bildern und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Werner Pluta, Frank Wunderlich-Pfeiffer: Russisches Atomkraftwerk sticht in See. In: golem.de. Golem Media GmbH, 30. April 2018, abgerufen am 11. April 2022.
  2. Erster schwimmender Energiereaktor Russlands wird von Sewmasch gebaut (Memento vom 12. Januar 2014 im Internet Archive), Novosti 19. Mai 2006.
  3. a b World Nuclear Association. In: world-nuclear-news.org. 7. August 2009, abgerufen am 11. April 2022.
  4. Delivery of floating plant set for 2016. In: world-nuclear-news.org. 12. Dezember 2012, abgerufen am 11. April 2022.
  5. Росэнергоатом планирует запуск первой в мире плавучей АЭС на 70 МВт в 2018 г. In: atomic-energy.ru. 27. Juni 2014, abgerufen am 11. April 2022 (russisch).
  6. Work starts on on-shore infrastructure for Russian floating plant. In: world-nuclear-news.org. 7. Oktober 2016, abgerufen am 7. Januar 2020.
  7. @1@2Vorlage:Toter Link/www.rosenergoatom.ruRosenergoatom – 08/08/2008 – Construction of floating NPP to be continued by Baltiysky Zavod (Seite nicht mehr abrufbar, festgestellt im März 2012. Suche in Webarchiven) (englisch).
  8. a b Akademik Lomonosov Floating Nuclear Co-generation Plant. In: PowerTechnology – Projects. Verdict Media, abgerufen am 25. September 2020 (englisch).
  9. PRIS – Reactor Details. Abgerufen am 1. Mai 2018 (englisch).
  10. a b c Bernhard Clasen: Strahlender Exportschlager. In: Neues Deutschland, 23. Mai 2010, S. 16.
  11. Russland baut schwimmendes Kernkraftwerk, Der Spiegel, 15. Juni 2006.
  12. Sonal Patel: Russia Sees Floating Nuclear Power Plant Costs Balloon. In: powermag.com. Access Intelligence, 1. Juli 2015, abgerufen am 12. September 2020.
  13. Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Ralf Krauter: Neue Reaktortechnologie – In Sibirien wird ein schwimmendes Kernkraftwerk hochgefahren. In: Forschung aktuell. Deutschlandfunk, 8. November 2018, abgerufen am 14. September 2020.
  14. Court seizes floating nuclear plant. In: World Nuclear News. World Nuclear Association, 15. August 2011, abgerufen am 14. September 2020.
  15. Russlands schwimmendes AKW sticht in See. Spiegel Online, 28. April 2018, abgerufen am selben Tage.
  16. Akademik Lomonossow in Murmansk – Schwimmendes AKW in See gestochen. Tagesschau.de, 23. August 2019, abgerufen am selben Tage.
  17. In Sibirien wird ein schwimmendes Kernkraftwerk hochgefahren. In: Deutschlandfunk – Die Nachrichten – Wissensnachrichten. 8. November 2018, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 1. Januar 2020; abgerufen am 7. Januar 2020.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.deutschlandfunk.de
  18. Russia's floating power plant meets construction standards world-nuclear-news.org, 11. Januar 2018, abgerufen am 19. Dezember 2019.
  19. Russland: Erstes schwimmendes AKW erzeugt Strom : Umstrittenes Projekt orf.at, 19. Dezember 2019, abgerufen am 19. Dezember 2019.
  20. a b China: Bau für das erste russische Arktis-Kernkraftwerksschiff hat begonnen. In: Nuklearplattform Schweiz. 6. September 2022, abgerufen am 28. Oktober 2023.
  21. "Atom-Titanic": Schwimmendes Atomkraftwerk nimmt trotz Kritik Betrieb auf. Abgerufen am 22. Mai 2020.
  22. Строительство двух одноцепных ВЛ 110 кВ Певек - Билибино. (pdf) Bau von zwei einsträngigen 110-kV-Freileitungen Pewek – Bilibino. EF-Engineering, 2017, S. 7, abgerufen am 12. September 2020 (russisch): „Ziel des Projekts ist es, die zuverlässige Leistungsabgabe des schwimmenden Kernkraftwerks zu gewährleisten, die Zuverlässigkeit und Effizienz der Stromversorgung zu erhöhen, das voraussichtliche Defizit an elektrischer Energie im Energiesystem Tschaun-Bilibino zu beseitigen, die Möglichkeit zu schaffen, neue Verbraucher anzuschließen, sowie die bestehende, in den 1960er Jahren errichtete 110-kV-Freileitung Pewek-Bilibino mit einem einzigen Stromkreis zu ersetzen.“
  23. KLT-40S. A reactor plant for the floating nuclear power plant. Afrikantov OKBM, 17. Juni 2020, abgerufen am 25. September 2020 (englisch).
  24. BASIC SAFETY PRINCIPLES OF KLT-40C REACTOR PLANTS, OKBM
  25. a b Power Reactor Information System der IAEA: „Russian Federation: Nuclear Power Reactors“ (englisch)
  26. Kernenergie: Weltreport 2008. Deutsches Atomforum, April 2009, S. 250, archiviert vom Original am 7. Januar 2012; abgerufen am 3. März 2013.
  27. N.N.: Next stop Pevek. In: Nuclear Engineering International. NS Media Group, 1. Mai 2019, abgerufen am 12. September 2020.
  28. a b Russia connects floating plant to grid. In: world-nuclear-news.org. Abgerufen am 3. April 2020 (englisch).
  29. IAEA: AKADEMIK LOMONOSOV-1, Power Reactor Information System (PRIS), International Atomic Energy Agency, 13. September 2020.
  30. IAEA: AKADEMIK LOMONOSOV-2, Power Reactor Information System (PRIS), International Atomic Energy Agency, 13. September 2020.