Landgericht Stade

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Gerichtsgebäude
Fassadendetail

Das Landgericht Stade ist ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit mit Sitz in Stade. Es ist eines von elf niedersächsischen Landgerichten.

Gerichtsbezirk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Gerichtsbezirk umfasst das Gebiet zwischen Elbe und Weser.

Instanzenzug[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dem Landgericht Stade nachgeordnet sind die Amtsgerichte Bremervörde, Buxtehude, Cuxhaven, Langen, Otterndorf, Stade, Tostedt und Zeven. Übergeordnet sind das Oberlandesgericht Celle und der Bundesgerichtshof in Karlsruhe.

Organisation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dem Gericht steht als Präsidentin des Landgerichts Ingrid Stelling vor. Vorgänger im Amte sind u. a. Gerhard März, der Herausgeber der Niedersächsischen Gesetze bei C. H. Beck, sowie der gleichnamige Vater des Rechtshistorikers Franz Wieacker. Das Gericht hat 98 Mitarbeiter, davon 32 Richter. Es wurden zwölf Straf- und zehn Zivilkammern, darunter eine Kammer für Handelssachen, gebildet.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gedenkstehle an die Opfer des NS-Regimes im Landkreis Stade, gegenüber dem Landgericht Stade

Im Rahmen der Justizreform im Königreich Hannover wurde 1852 in Stade ein Obergericht, das Obergericht Stade errichtet. Nachdem 1877 im Deutschen Reich das Gerichtsverfassungsgesetz verabschiedet worden war, wurden dieses in das Landgericht Stade umgewandelt. Der Bezirk des Landgerichts bestand aus den Kreisen Neuhaus an der Oste, Otterndorf, Geestkreis, Stade und den Stader Marschkreis sowie den größten Teil des Landkreises Harburg und einem Teil des Landkreises Rotenburg a. d. Wümme. Im Landgerichtsbezirk wohnten 1888 zusammen 199.209 Personen. Am Gericht waren ein Präsident, ein Direktor und 6 Richter beschäftigt. Dem Landgericht waren 11 Amtsgerichte zugeordnet. Dies waren die Amtsgerichte Bremervörde, Buxtehude, Freiburg, Harburg, Jork, Neuhaus an der Oste, Osten, Otterndorf, Stade, Tostedt und Zeven.[1]

NS-Zeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der NS-Zeit wurde die ordentliche Rechtsprechung im Landkreis Stade zunehmend außer Kraft gesetzt. Die polizeilichen Befugnisse wurden sowohl an die geltende Rechtsprechung angepasst als auch willkürlich darüber hinaus ausgedehnt sowie politische Verfahren von neu geschaffenen Gerichten an sich gezogen. Die nationalsozialistische Exekutive vereinnahmte die Judikative immer weiter.[2][3]

Nachkriegszeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die an den Terrorurteilen beteiligten Richter und Staatsanwälte waren weiterhin in der Justiz der Bundesrepublik Dienst tätig und gefährdeten damit das Ansehen und das Funktionieren des demokratischen Rechtsstaates. Insbesondere die Urteile der NS „Sondergerichte“ lieferten Belege für die „Unrechtsurteile“ und dienten als Grundlage für die gegen belastete Juristen der deutschen Justiz erhobenen Vorwürfe. Sie zeigten das Ausmaß der „Pervertierung des Rechtsstaats“ (Ralph Giordano) im `Dritten Reich´. Sonderrichter verurteilten zum Beispiel Angeklagte wegen geringen Diebstahls wie Mundraub zum Tode. Nach dem Krieg nahmen sie erneut führende Stellungen in der Justiz der Bundesrepublik ein oder stiegen sogar noch weiter in der Hierarchie auf.[4]

Am Landgericht Stade ist ein Beispiel dafür der frühere SS-Hauptscharführer Karl Brumm (* 07.08.1902, † 10.04.1965), der als NS-Sonderrichter in Schwerin noch kurz vor Kriegsende Todesurteile wegen Nichtigkeiten verhängte und nach dem Krieg zum Landgerichtsdirektor in Stade aufstieg. Gegen ihn eröffnete 1960 die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Braunschweig ein Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung i. T. mit Totschlag, u. a. weil er drei Roma erschoss, die auf dem „Evakuierungsmarsch“ zwischen Ravensbrück und Malchow 1945 austreten wollten. Das Verfahren wurde 1964 wegen Ablebens des Angeklagten eingestellt.[5]

Nach dem Kriege verzeichnete die Staatsanwaltschaft des Landgerichts Stade empfindliche Verluste bei der Prozeßüberlieferung aus der NS-Zeit, die die Vermutung nahelegen, dass Interessierte die Akten verschwinden ließen. Eine im Jahre 1966 durch den niedersächsischen Justizminister erlassene Verfügung zur Aussetzung von Aktenaussonderungen bei Strafakten aus der Zeit vom 1.1.1933 - 8.5.1945, die ursprünglich NS-Akten vor der Vernichtung bewahren sollte, führte zunächst dazu, dass bereits als archivwürdig gekennzeichnete Akten nicht an das Staatsarchiv abgegeben wurden. Unsachgemäße Lagerung der Akten und eine dann von der Staatsanwaltschaft eigenmächtig durchgeführte Aussonderung führten 1975 zur Vernichtung des überwiegenden Teils dieser Überlieferung. Dies ist umso bedauerlicher, als der Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Stade bis 1936 das für die Opposition gegen das NS-Regime so wichtige Gebiet Harburg-Wilhelmsburg umfasste.[6]

Weiterführende Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Volker Friedrich Drecktrah, Jürgen Bohmbach: „Justiz im Nationalsozialismus im Landgerichtsbezirk Stade“. Verlag: Hesse, Stade, Band 24, 2004, 184 S. ISBN 978-3-938528-00-6
  • Ralph Giordano: Die zweite Schuld. In: Nationalsozialismus und Justiz. Die Aufarbeitung von Gewaltverbrechen damals und heute. Münster 1993, S. 77-91 ……
  • Axel Schildt: Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Öffentlichkeit der Nachkriegszeit. In: Wilfried Loth, Bernd-A. Rusinek (Hrsg.): Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Frankfurt/M. 1998, S. 19–54.
  • Stephan Alexander Glienke: Aspekte des Wandels im Umgang mit der NS-Vergangenheit. In: Jörg Calließ (Hrsg.): Die Reformzeit des Erfolgsmodells BRD. Die Nachgeborenen erforschen die Jahre, die ihre Eltern und Lehrer geprägt haben. Rehburg-Loccum 2004.
  • Klaus-Detlev Godau-Schüttke: Die Heyde/Sawade-Affaire: Juristen und Mediziner in Schleswig-Holstein decken den NS-Euthanasiearzt Prof. Dr. Werner Heyde und bleiben straflos. In: Helge Grabitz, Klaus Bästlein, Johannes Tuchel (Hrsg.): Die Normalität des Verbrechens. Bilanz und Perspektiven der Forschung zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Festschrift für Wolfgang Scheffler zum 65. Geburtstag. Berlin 1994, S. 444–479

Landesarbeitsgericht Harburg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gemäß Arbeitsgerichtsgesetz vom 23. Dezember 1926[7] wurden in Deutschland Arbeitsgerichte gebildet. Diese waren nur in der ersten Instanz unabhängig, die Landesarbeitsgerichte waren den Landgerichten zugeordnet. Am Landgericht Stade entstand so 1927 das Landesarbeitsgericht Harburg als eines von drei Landesarbeitsgerichten im Bezirk des Oberlandesgerichtes Celle. Dem Landesarbeitsgericht Altona waren folgende Arbeitsgerichte zugeteilt: Arbeitsgericht Bremervörde, Arbeitsgericht Harburg, Arbeitsgericht Lüneburg, Arbeitsgericht Stade und Arbeitsgericht Uelzen.[8]

Landesarbeitsgericht Stade[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als Harburg durch das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 nach Hamburg eingemeindet wurde, wurde das Landesarbeitsgericht Harburg zum 31. März 1937 aufgehoben und ein Landesarbeitsgericht Stade gebildet. Diesem waren folgende Arbeitsgerichte zugeteilt: Arbeitsgericht Bremervörde, Arbeitsgericht Cuxhaven, Arbeitsgericht Lüneburg, Arbeitsgericht Stade und Arbeitsgericht Uelzen. Das Arbeitsgericht Harburg kam zum Landesarbeitsgericht Hamburg.[9]

Nach der Besetzung Deutschlands durch die Alliierten wurden 1945 zunächst alle Gerichte geschlossen. Die ordentlichen Gerichte wurden schon bald wieder eröffnet, während die Arbeitsgerichte zunächst nicht wieder eingerichtet wurden, so dass arbeitsgerichtliche Streitigkeiten von den ordentlichen Gerichten erledigt werden mussten. Gemäß Kontrollratsgesetz 21 sollten in Deutschland Arbeitsgerichte aufgebaut werden. Für Niedersachsen entstand das Landesarbeitsgericht Niedersachsen, in Stade wurde kein Landesarbeitsgericht mehr errichtet.

Präsidenten des Gerichts seit 1859[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Liste zeigt die Präsidenten des Landgerichts Verden von 1859 bis 1978

  • Andreas Friedrich Leon Carl von Müller (* 5. Mai 1814, † 14. September 1885), 1859-1885, Buchholtz, 1885-1887
  • Bernhard Nolte (* 1. Februar 1829 zu Lüneburg, † 1. August 1893), 1887-1893
  • Justus von Schmidt-Phiseldeck (* 29. April 1843 zu Celle, † 13. Oktober 1914), 1896-1914
  • Franz Wieacker (* 5. August 1908 in Stargard, Pommern; † 17. Februar 1994 in Göttingen)
  • Hans Roth (* 12. Januar 1886 in Alsleben/Saale)
  • Dr. Alois Klein (* 8. Juni 1899 in Altenwall, Kreis Cosel)
  • Dr. Wilhelm Ackemann (* 20. März 1890 in Obernkirchen, Grafschaft Schaumburg)
  • Dr. Conrad Parey (* 6. April 1899 in Schwerin)
  • Herbert Schraps (* 13. Januar 1913 in Ölsnitz/Erzgebirge, † 6. Juli 1973)
  • Dr. Wolf-Gerhard März (* 28. Februar 1929, † 4. Oktober 1992 in Stade)[10]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Carl Pfafferoth: Jahrbuch der deutschen Gerichtsverfassung, 1888, S. 410 f., online
  2. Volker Drecktrah & Jürgen Bohmbach (Hrsg.) (2004): Justiz im Nationalsozialismus im Landgerichtsbezirk Stade - Vorträge und Materialien. Stadt Stade, Der Stadtdirektor, 2004, S. 41
  3. Hartmut Lohmann (1991): 'Hier war doch alles nicht so schlimm'. Der Landkreis Stade in der Zeit des Nationalsozialismus. Stade: 1991
  4. Stephan Alexander Glienke: Die Ausstellung Ungesühnte Nazijustiz (1959-1962). In: Bernd Weisbrod & Habbo Knoch & Georg Wamhof (Hrsg.): Demokratische Übergänge: Das Ende der Nachkriegszeit und die neue Verantwortung. Göttingen, 26./27. November 2004; abgerufen: 7. Mai 2024.
  5. Oberlandesgericht Braunschweig, AZ: AR 123/60 (R); NLA WO 61 Nds Fb. 2 Zg. 21/1999 Nr. 89.
  6. Staatsanwaltschaft Stade 1852-1978, NLA ST Rep. 171a Stade, Niedersächsisches Landesarchiv, Abt. Stade; abgerufen: 4. Mai 2024.
  7. RGBl. I S. 507
  8. Verordnung über die Errichtung von Arbeitsgerichten und Landesarbeitsgerichten vom 10. Juni 1927, GS S. 97 f., Digitalisat
  9. Gesetz über die Gerichtsgliederung in Groß-Hamburg und anderen Gebietsteilen vom 16. März 1937, RGBl. I S. 312.
  10. Dr. Thomas Bardelle: Landgericht Stade: Behördengeschichte 1842-1978, Nds. Landesarchiv, Abt. Stade, NLA ST Rep. 171 Stade; abgerufen: 7. Mai 2024.

Koordinaten: 53° 35′ 59,9″ N, 9° 28′ 42,6″ O