Australneger

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Bildunterschrift: „Australneger mit einem Hundeschwanze am Barte als Schmuck.“ (Holzschnitt um 1890). Seine Arme und Brust sind deutlich skarifiziert. Aus seinem Haarschopf ragt über dem Kopfband eine Tabakpfeife heraus.

Mit dem Begriff Australneger, auch Austral-Neger geschrieben, wurde in der Vergangenheit im deutschsprachigen Raum die indigene Bevölkerung Australiens und Tasmaniens bezeichnet.[1] Dieser Begriff stammt aus den Rassentheorien, in der die Menschheit in verschiedene Rassen eingeteilt wurden. Diese Theorien, vor allem im 19. und bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts weit verbreitet und einflussreich, gelten heute als überholt und wissenschaftlich unhaltbar und die Verwendung des Begriffs als rassistisch.

Der Begriff Australneger ist in Deutschland „so gut wie verschwunden“,[2] findet sich allerdings gelegentlich im völkischen und rechtsextremistischen Vokabular.

Kolonisierung Australiens und Rassismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Gegensatz zur Kolonisierungs- und Verdrängungspolitik Südamerikas mit der Folge des Entstehens einer multiethnischen Bevölkerung hatte die koloniale Besiedlungspolitik der Briten in Australien die vollständige Verdrängung der Aborigines aus ihren angestammten Lebensräumen zur Folge und es drohte die vollständige Vernichtung. Dieser Prozess zog sich über lange Zeiträume hin; weder folgte dieser Prozess einem Programm noch war er durch rassistische Überlegenheitskonzepte legitimiert. Zu den Merkmalen des neuzeitlichen Rassismus gehörte es, dass sich Praxis und Ideologie gegenseitig bedingten und dass nachträgliche Rechtfertigungsmodelle hierarchischer Naturhierarchien entstanden. Der Historiker Christian Geulen hält es für falsch, die Geschichte der kolonialen Expansion als Folge des bestehenden Rassismus in Europa zu betrachten, umgekehrt gehöre die Expansion zu den langfristigen Bedingungen, die die Herausbildung des „modernen europäischen Rassismus“ möglich gemacht hätte.[3]

ab 1788

Die britische Kolonisation Australiens begann 1788 mit der Ankunft der First Fleet in der Botany Bay. Die Aborigines lebten als Jäger und Sammler, d. h. sie ernährten sich aus der Natur. Die Briten betrieben eine Kolonisierungspolitik, in der für die Lebensweise der indigenen Bevölkerung kein Platz war und raubten ihnen ihre Lebensgrundlagen und verdrängten sie, auch unter Anwendung von Gewalt. Nach Schätzungen des Australian Bureau of Statistics sank die Bevölkerung der Aborigines von ursprünglich 300.000 bis 1 Million bis 1920 auf 60.000.[4] Große Teile der Aborigines starben an eingeschleppten Krankheiten durch die Europäer wie Influenza oder bei der Pockenepidemie von 1789. Seit 1836 gab es in den britischen Kolonien Australiens sogenannte Protectors of Aborigines („Beschützer der Aborigines“), seit der zweiten Jahrhunderthälfte die Aboriginal Protection Boards. Diese erhielten später aufgrund von Gesetzen wie beispielsweise dem Aboriginal Protection Act 1869 in Victoria weitgehende Rechte; zum Beispiel Kontrolle über die Aborigines hinsichtlich ihres Wohnortes, ihrer Arbeit, ihrer Heiraten, ihres sozialen Lebens und weiterer Aspekte sowie das Recht, über den Verbleib der Kinder zu entscheiden.[5] Im 19. und frühen 20. Jahrhundert kam es zu vielen, zum Teil tödlichen Auseinandersetzungen und einer Welle von Massakern an Aborigines. Nach Schätzungen starben bei gewaltsamen Auseinandersetzungen 3000 europäische Siedler und 20.000 Aborigines.[6] Auslöser von Konflikten war zumeist der Zugang zu Nahrungsquellen. Ferner zerstörten Schafe und Rinder der Siedler Wasserlöcher und Grasland. Damit verloren Aborigines ihre Lebensgrundlage und begannen stattdessen, das Vieh der Siedler zu bejagen, um sich zu ernähren. Vereinzelt wurden Aborigines-Reservate eingerichtet, die kaum belegt waren. Ein Teil davon wurden später Aborigines-Missionsstationen, insgesamt wurden die Aborigines von ihrem Land verdrängt.

ab den 1960er Jahren

Generationen von Kindern der Aborigines-Familien wurden offiziell von 1909 bis 1969 aus ihren Familien herausgenommen, davon waren zehn bis 30 Prozent der Aborigines-Kinder betroffen. Dahinter steckte die Vorstellung, man könne mit dieser Methode alle Aborigines-Gen-Anteile ausmerzen.[7] Dieser Menschenrechtsverstoß wurde als Gestohlene Generationen bekannt. Erst 1992 erhielten Aborigines-Stämme erstmals durch das Mabo v. Queensland (No. 2)-Urteil Rechtsansprüche an ihrem angestammten Land, sogenannte Native-Title-Rechte. Am 27. März 2013 verabschiedete das australische Unterhaus eine Gesetzesinitiative, die zum Ziel hatte, die Aborigines als erste Bewohner Australiens anzuerkennen.[8] Dieses Gesetz sollte allerdings erst in Kraft treten, wenn es durch ein Referendum bestätigt würde. Am 28. März 2018 erlosch diese Gesetzesinitiative ergebnislos.[9]

Name[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für die indigene Bevölkerung Australiens hat sich heutzutage im deutschsprachigen Raum der Begriff Aborigines durchgesetzt. Er wird auch so im Duden verwendet. Im englischsprachigen Raum gilt der Begriff Aborigines mittlerweile als wertend; stattdessen wird der Begriff Aboriginal benutzt.

Erste Übersetzung als „Eingeborene“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die beiden ersten Aborigines, die im Jahr 1792 nach Europa reisten, waren Bennelong und Yemmerrawanne. Sie kamen in Begleitung des ersten britischen Gouverneurs Arthur Phillip von New South Wales nach England und wurden am 24. Mai 1793 König Georg III. vorgestellt. Im England stieg dadurch das Interesse an den indigenen Bewohnern Australiens an, was sich anschließend weiter über Europa verbreitete. In den folgenden Jahren wurden Reiseberichte in England publiziert und auch in die deutsche Sprache übersetzt. In den ersten deutschen Übersetzungen, beispielsweise in der Geschichte der brittischen Volkspflanzung in Neuholland oder Neusüdwales vom 13ten May 1788 bis zum September 1796, publiziert in Halle im Jahr 1799 von David Collins, wurde der damals verwendete, englische Begriff Aborigines in der deutschen Ausgabe mit Eingeborene übersetzt.[10][11]

Begriffliche Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wann der Begriff Australneger zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum verwendet wurde, ist nicht genau bekannt. Das Handbuch der Geschichte der Medizin (1902) nutzt sowohl „Eingeborene Australiens“ wie auch „Australneger“. Der Verfasser bezeichnet die Eingeborenen Australiens als „Volksstamm“, der „in kultureller Beziehung auf einer besonders niederen Stufe“ stehe.[12]

Zurschaustellung von Aborigines als Menschenfresser in Chemnitz (1884)

Im Rahmen von Völkerschauen wurde beispielsweise im Zoo Basel in der Schweiz vom 28. Juni bis 8. Juli 1883 der «Austral-Neger ‘Bonny’» zur Schau gestellt.[13] Im Hotel Mosella in Chemnitz wurden im Jahr 1884 Aborigines für ein Eintrittsgeld von 25 Pfennig als Menschenfresser-Attraktion vorgeführt.

Deutsches Kaiserreich[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wie sich der Begriff Australneger durchsetzen konnte, ist nicht erforscht. Verwendet wurde Australneger in der damaligen Literatur und im seinerzeit üblichen Sprachgebrauch, insbesondere gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Rassentheorien und die Gliederung in Rassen dienten im Deutschen Kaiserreich auch der Legitimierung einer geografischen Expansion und des Erwerbs von Kolonien. Unter der Kanzlerschaft von Otto von Bismarck (1871–1890) wurden die meisten deutschen Kolonien – teils gewaltsam – erworben. Damit sollte das Bild einer starken Nation ausgeprägt, geostrategische Stützpunkte befestigt und Zugang zu Rohstoffen, die die Wirtschaftsentwicklung förderten, gewonnen werden.[14]

Mit der Vorstellung einer niederen Rasse entstand ein „rassisches“ Menschenbild, das zwischen hohen und niederen Rassen unterschied. Die Verwendung einer „niederen Stufe“ ermöglichte den Schluss, dass man selbst auf einer höheren Stufe lebe. Derartige Menschenbilder verbreiteten sich durch die Medien. Hierbei spielten gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland Völkerschauen eine wichtige Rolle; diese hatte der Hamburger Carl Hagenbeck entwickelt. Es sollen um die 400 Schauen veranstaltet worden sein, die weitverbreitete Vorurteile über andere Völker, insbesondere über die sogenannten Wilden, bedienten.[14]

Als im Jahr 1885 in Münster Australneger in einer derartigen Völkerschau gezeigt wurden, schrieb die regionale Presse über sie, dass sie „auf der tiefsten Stufe der Cultur“ stünden, dass „Buschmänner und Neger“ an „Hässlichkeit miteinander wetteifern“, und dass diese Menschen keinen „zur Auswanderungslust ins Land der Colonien […] reizen“ würden.[15]

Die Völkerschauen zielten auf Publikumswirksamkeit und nicht auf Aufklärung. Dies zeigte sich beispielsweise im Karneval in Köln, als Australneger auf einem Karnevalswagen auftraten, die zuvor in einem Kölner Kuriositätenkabinett als Neger gezeigt worden waren.[16]

In Berlin führte man Australneger vor, die auf einem öffentlichen Platz Schaukämpfe veranstalteten, die das Publikum erschrecken sollten.[14]

Nationalsozialismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die nationalsozialistischen Rassenvorstellungen gingen von einer Einteilung der Menschheit in drei geografischen „Großrassen“ Europide, Mongolide, Negride aus, die in jeweils zahlreiche Rassen unterteilt wurden. Die Nationalsozialisten hingen im Wesentlichen den rassistischen Vorstellungen des Anthropologen und Ethnologen Egon von Eickstedt an. Von Eickstedt verglich die Aborigines, neben anderen Völkern, mit jungen Gorillas.[17]

Aktuelle Verwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den 1970/1980er Jahren kam der Begriff Neger in die öffentliche Diskussion und die Verwendung dieses Begriffs entspricht heute nicht einer politischen Korrektheit. Die Einteilung in drei „Großrassen“ hat sich in deutschsprachigen Enzyklopädien bis in die 1990er Jahre erhalten. Heute wird der Begriff Australneger kaum mehr verwendet. Australneger wird lediglich hin und wieder von Rechtsextremen verwendet, so beispielsweise in der jüngeren Vergangenheit von Horst Mahler, ehemals ein RAF-Mitglied.[18]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Meyers Konversationslexikon, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885–1892. https://www.retrobibliothek.de/retrobib/kuenstler/index_kuenstler_AE.html, abgerufen am 19. September 2021.
  2. Axel Monte: Von Von Juden, Negern und Übersetzern: Politische Correctness oder kulturelle Höflichkeit als Gratwanderung. In: Aviso 2/2016, hrsg. v. Kultusministerium Bayern. S. 38
  3. Christian Geulen: Geschichte des Rassismus. 4. aktualisierte Auflage 2021. C. H. Beck, ISBN 978-3-406-76888-0, S. 41/42
  4. ABS (1994) Year Book Australia
  5. Australian Human Rights Commission (1997): Bringing them Home, vom 26. Mai 1997. In: Human Rights Australia
  6. H. Reynolds (1989). Dispossession; Black Australia and White Invaders. ISBN 1-86448-141-2.
  7. Stohlen Generations, ohne Datum, abgerufen am 1. April 2022. In: Eugenicsarchive
  8. Alison Rourke: Australia set to recognise Aborigines as first people of continent, vom 20. Januar 2012. In: The Guardian
  9. Aboriginal and Torres Strait Islander Peoples Recognition Act 2013, vom 28. März 2018. In: Federal Register of Legislation
  10. David Collins: Geschichte der brittischen Volkspflanzung in Neuholland oder Neusüdwales vom 13ten May 1788 bis zum September 1796, Halle 1799, Digitalisat. Abgerufen am 9. Oktober 2016
  11. An Account of the English Colony in New South Wales with Remarks on the Dispositions, Costums, Manners, etc. of the naitiv Inhabitants of that Country. To which are added, some particulars of New Zealand; complied, by Permission, from the MSS. of Lieutenant-Governor King, auf gutenberg.org. Abgerufen am 9. Oktober 2016
  12. Arndt et al: Handbuch der Geschichte der Medizin, S. 19 ff. Hrsg. v. Max Neuburger, Julius Pagel. Paul Fischer Verlag. Jena 1902. Abgerufen am 9. Oktober 2016
  13. Völkerschauen im Zoo Basel, ohne Datum, abgerufen am 28. März 2022. In: Zoo Basel
  14. a b c „Die Australneger in Berlin“: Ein Beispiel für die Erfindung des Wilden (Memento vom 10. Oktober 2016 im Internet Archive), auf www.crieur-public.com, vom 2. Mai 2014.
  15. Völkerschauen im alten Zoo von Münster., auf sto-ms.de. Abgerufen am 9. Oktober 2016
  16. „Held Carneval als Colonisator“ Köln, Karneval und Kolonien, auf www.kopfwelten.org. Abgerufen am 9. Oktober 2016
  17. Egon von Eichstedt: Die Forschung am Menschen. S. 53 f. Band 1. Enke Verlag. Stuttgart 1938
  18. Verfassungsschutzbericht 2004.In: SPD Oelshausen, vom 17. Mai 2005. S. 104