Entscheidung unter Risiko

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Von einer Entscheidung unter Risiko spricht man im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre und Entscheidungstheorie dann, wenn der Entscheidungsträger dem künftig eintretenden Umweltzustand subjektive oder objektive Eintrittswahrscheinlichkeiten zuordnen kann.

Allgemeines[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Entscheidungen unter Risiko hängen unmittelbar mit dem zugrunde liegenden Informationsgrad zusammen, bei ihnen liegt unvollständige Information im Hinblick auf Daten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugrunde.[1] Der Entscheidungsträger verfügt über unsichere Erwartungen, und die mit der Entscheidung verbundenen Konsequenzen sind nicht vollständig absehbar. Die Aufteilung der konstitutiven Entscheidungen nach dem Informationsgrad geht auf Erich Gutenberg zurück.[2] Daneben unterschied er noch die Entscheidung unter Sicherheit, Entscheidung unter Unsicherheit und Entscheidung unter Ungewissheit. Bei der Entscheidung unter Risiko liegt der Informationsgrad zwischen > 0 % und < 100 %; es liegen unvollständige Informationen vor. Bei 0 % handelt es sich um Ignoranz.

Informationsgrad[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Entscheidung unter Risiko ist einzuordnen in den ihr zugrunde liegenden Informationsgrad. Der abgestufte Informationsgrad lautet dabei konkret: Sicherheit, Risiko, Ungewissheit und Unsicherheit.[3] Um Sicherheit handelt es sich, wenn der Eintritt eines künftigen Umweltzustands zu 100 % determiniert ist (Entscheidung unter Sicherheit). Beim Risiko können den möglichen Ausprägungen künftiger Umweltzustände subjektive oder objektive Eintrittswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden (Entscheidung unter Risiko);[4] Subjektive Eintrittswahrscheinlichkeiten gibt es beispielsweise beim Lotto oder Roulette, objektiven können Schätzungen (etwa aufgrund von Erfahrungswerten) zugrunde liegen. Ungewissheit kennzeichnet eine Entscheidungssituation, bei der die möglichen Ausprägungen künftiger Umweltzustände zwar bekannt sind, aber keine Wahrscheinlichkeiten zugeordnet werden können (Entscheidung unter Ungewissheit).[5] Unsicherheit schließlich beinhaltet die Möglichkeit von ex post-Überraschungen (Entscheidung unter Unsicherheit). Letztere sind der „Wechsel der Erwartung aufgrund des Eintreffens neuer Daten“.[6] Andere Autoren stufen ab nach Sicherheit, Quasi-Sicherheit, Risiko, Unsicherheit, rationale Indeterminiertheit und Ignoranz.[7] Ignoranz besteht in einem vollständigen Fehlen von Daten oder Informationen, so dass eine rationale Entscheidung nicht möglich ist.[8]

Übersicht[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Informationsgrad einzelner Merkmale können folgende Entscheidungsarten unterschieden werden:[9]

Entscheidungsart Merkmale
Entscheidung unter Sicherheit alle Umweltzustände sind bekannt
Entscheidung unter Unsicherheit tatsächliche Umweltzustände sind nicht bekannt; eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über die möglicherweise eintretenden Umweltzustände ist bekannt
Entscheidung unter Ungewissheit tatsächliche Umweltzustände sind nicht bekannt; eine Wahrscheinlichkeitsverteilung über die möglicherweise eintretenden Umweltzustände ist nicht bekannt
Entscheidung unter Risiko den möglichen Umweltzuständen können bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeiten zugeordnet werden

Die einzelnen Entscheidungsarten unterscheiden sich danach, welches Merkmal bekannt und welches unbekannt ist.

Formale Darstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei Entscheidungen unter Risiko liegt eine sogenannte Ergebnismatrix vor, die das Entscheidungsproblem darstellt: Der Entscheidungstgräger hat die Wahl zwischen verschiedenen Alternativen , die abhängig von den möglichen Umweltzuständen verschiedene Ergebnisse zur Folge haben. Die Eintrittswahrscheinlichkeiten der verschiedenen Umweltzustände sind bekannt, wobei und gilt.

Ergebnismatrix
Entscheidung unter Risiko
Beispiel

100 € sollen für ein Jahr als Geldanlage angelegt werden. Zur Wahl stehen eine Aktie () oder der Sparstrumpf, der keine Habenzinsen abwirft (). Die möglichen Umweltzustände sind: Der Aktienkurs steigt (), er sinkt () oder er bleibt gleich ().

Die Ergebnismatrix sieht dann zum Beispiel wie folgt aus:




120 80 100
100 100 100

Der Entscheidungsträger (Anleger) rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von damit, dass der Aktienkurs steigt, mit einer Wahrscheinlichkeit von rechnet er mit einem Sinken des Aktienkurses und mit einer Wahrscheinlichkeit von bleibt der Kurs unverändert.

Klassische Entscheidungsregeln[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die folgenden Entscheidungsregeln werden auch als klassische Entscheidungsregeln bezeichnet.[10] Dabei wird durch eine Präferenzfunktion jeder Alternative eine Zahl so zugeordnet, so dass der Entscheidungsträger die Alternative mit dem höchsten Präferenzwert wählt.

Die Bayes-Regel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Bayes-Regel (auch μ-Regel, Erwartungswert-Regel oder Erwartungswert-Prinzip) orientiert sich der Entscheidungsträger nur nach den Erwartungswerten. Die Präferenzfunktion ist

,

dabei bezeichnet den Erwartungswert einer diskreten Zufallsvariablen , die mit den Wahrscheinlichkeiten die Werte annimmt. Der Entscheidungsträger wählt eine Alternative , die seine Präfenzfunktion maximiert, also

erfüllt. Da nur der Erwartungswert der jeweiligen Alternative bewertet wird, ist der Entscheidungsträger risikoneutral, er ist beispielsweise indifferent hinsichtlich der Teilnahme an einer Lotterie per Münzwurf, in der er mit 50 % Wahrscheinlichkeit 1 € gewinnt und mit 50 % Wahrscheinlichkeit 1 € verliert. Im obigen Beispiel ist der dann indifferent, wenn gilt: (da unabhängig von den Wahrscheinlichkeiten eine sichere „Auszahlung“), hier also: . Indifferenz würde z. B. vorliegen bei Gleichverteilung, wenn also gilt: .

Ist Gleichwahrscheinlichkeit gegeben, liegt ein Spezialfall der Bayes-Regel vor, die Laplace-Regel.

Bewertung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Beispiel des Sankt-Petersburg-Paradoxons zeigt, dass die Berücksichtigung von Erwartungswerten nicht in allen Fällen dem Entscheidungsverhalten von Personen in der Realität entspricht. Bei der Sankt-Petersburg-Lotterie wird eine faire Münze geworfen, das heißt, Kopf und Zahl erscheinen jeweils mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 %. Die Münze wird solange geworfen, bis zum erstmalig Kopf erscheint. Der Spieler erhält als zufällige Auszahlung den Betrag

  • , wenn bereits beim ersten Wurf Kopf erscheint,
  • , wenn erst beim zweiten Wurf Kopf erscheint,
  • , wenn erst beim dritten Wurf Kopf erscheint,
  • …,
  • , wenn erst beim -ten Wurf Kopf erscheint.

Der Erwartungswert der Zufallsvariablen ist

Gemäß der Bayes-Regel wäre ein Entscheidungsträger bereit, jeden noch so hohen Betrag – also sein gesamtes Vermögen – für die Teilnahme an der Lotterie zu bezahlen, da der erwartete Gewinn unendlich groß ist. In der Realität ist jedoch kaum jemand bereit, sein gesamtes Vermögen gegen die Teilnahme an der Sankt-Petersburg-Lotterie zu tauschen.[11]

Die μ-σ-Regel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der μ-σ-Regel oder Erwartungswert-Varianz-Prinzip und deshalb eigentlich μ-σ²-Regel, findet die Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers dadurch Berücksichtigung, dass auch die Standardabweichung berücksichtigt wird. Bei risikoneutralen Entscheidungsträgern entspricht sie der Bayes-Regel, bei risikoaversen (risikoscheuen) Entscheidungsträgern sinkt die Attraktivität einer Alternative mit zunehmender Standardabweichung. Bei risikofreudigen Entscheidungsträgern steigt die Attraktivität hingegen.

Der Entscheidungsträger wählt die Alternative, die seine Präferenzfunktion maximiert:

.

Eine mögliche Form der μ-σ-Regel ist zum Beispiel:[12]

beschreibt hierbei den Risikoaversionsparameter.

  • Für gilt: Der Entscheidungsträger ist risikofreudig, eine Alternative mit einem höheren wird einer Alternative mit gleichem Erwartungswert aber niedrigerem σ vorgezogen.
  • Für gilt: Der Entscheidungsträger ist risikoavers, eine Alternative mit niedrigerem wird einer Alternative mit gleichem Erwartungswert, aber höherem vorgezogen.
  • Für entspricht die Regel der Bayes-Regel, der Entscheidungsträger ist risikoneutral, die Standardabweichung hat keinen Einfluss auf die Bewertung der Alternativen.

Bernoulli-Prinzip[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Bernoulli-Prinzip wurde von Daniel Bernoulli zur Auflösung des Sankt-Petersburg-Paradoxons vorgeschlagen. Es gilt unter gewissen Annahmen als rationales Entscheidungskriterium.[13]

Die möglichen Ergebnisse werden zuerst in Nutzwerte umgewandelt. Dazu braucht es eine Nutzenfunktion (auch Risikonutzenfunktion). Diese individuelle Nutzenfunktion enthält bereits die Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers:

Es ist allerdings auch möglich, dass die Nutzenfunktion sowohl konkave als auch konvexe Bereiche aufweist. Dies bildet gut eine empirisch beobachtbare Tatsache ab. Zum Beispiel spielen Personen Lotto (Risikofreude) und schließen ebenso Versicherungen ab (Risikoaversion).[11]

Gewählt wird die Alternative, die den Erwartungswert der Nutzenfunktion maximiert:

Beispiel

100 € sollen für ein Jahr angelegt werden. Zur Wahl stehen: eine Aktie () oder der Sparstrumpf, der keine Zinsen abwirft (). Die möglichen Umweltzustände sind: Der Aktienkurs steigt (), er sinkt () oder er bleibt gleich ().
Der Entscheidungsträger rechnet mit einer Wahrscheinlichkeit von damit, dass der Aktienkurs steigt, mit einer Wahrscheinlichkeit von rechnet er mit einem Sinken des Aktienkurses und mit einer Wahrscheinlichkeit von bleibt der Kurs unverändert.

Für den Entscheidungsträger wird die Nutzenfunktion angenommen.





120 80 100
100 100 100

Bei Anwendung des Bernoulli-Prinzips erhält man den höchsten Nutzenwert von bei . Somit ist diese Alternative auszuwählen. Die Form der Nutzenfunktion ist konkav, deshalb ist die Risikoeinstellung des Entscheidungsträgers risikoavers.

Verhältnis zu den klassischen Entscheidungskriterien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei einer linearen Nutzenfunktion der Form mit entspricht das Bernoulli-Prinzip der Bayes-Regel, da dann

.

Die μ-σ-Regel ist im Allgemeinen nicht mit dem Bernoulli-Prinzip vereinbar, d. h. eine Präferenzfunktion im Sinne der μ-σ-Regel kann nicht in allen Fällen durch eine äquivalente Nutzenfunktion abgebildet werden und umgekehrt. Möglich ist dies z. B. bei einer quadratischen Nutzenfunktion der Form , welche zu einer Präferenzfunktion der Form führt, oder bei normalverteilten zukünftigen Renditen auch in weiteren Fällen.[12]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Helmut Laux, Robert M. Gillenkirch, Heike Y. Schenk-Mathes: Entscheidungstheorie. 9. Auflage. Springer Gabler, 2014, doi:10.1007/978-3-642-55258-8.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Hermann May, Ökonomie für Pädagogen, 2010, S. 79.
  2. Erich Gutenberg, Unternehmensführung: Organisation und Entscheidungen, in: Erich Gutenberg (Hrsg.), Die Wirtschaftswissenschaften 45, 1962, S. 77; ISBN 978-3-322-98278-0.
  3. Hans-Christian Pfohl, Zur Problematik von Entscheidungsregeln, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft 42 (5), 1972, S. 314.
  4. Hans-Christian Pfohl/Wolfgang Stölzle, Planung und Kontrolle, 1981, S. 178; ISBN 978-3-8006-2161-3.
  5. Dieter Schneider, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Band I: Grundlagen, 1993, S. 11; ISBN 978-3-486-23423-7.
  6. Linda Geddes, Model of surprise has 'wow' factor built in, in: New Scientist vom 17. Januar 2009, S. 9.
  7. Gérard Gäfgen, Theorie der wirtschaftlichen Entscheidung, 1974, S. 134; ISBN 978-3-16-336012-9.
  8. Egbert Kahle, Betriebliche Entscheidungen, 2001, S. 235.
  9. Marc Oliver Opresnik/Carsten Rennhak, Grundlagen der Allgemeinen Betriebswirtschaftslehre, 2012, S. 25.
  10. Helmut Laux/Robert M. Gillenkirch/Heike Y. Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 9. Auflage, Springer/Gabler, 2014, S. 114 ff.
  11. a b Helmut Laux/Robert M. Gillenkirch/Heike Y. Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 9. Auflage, Springer/Gabler, 2014, S. 105 f.
  12. a b Werner Gothein: Evaluation von Anlagestrategien. Springer Fachmedien, Wiesbaden 1995, S. 30, doi:10.1007/978-3-663-08484-6 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  13. Helmut Laux/Robert M. Gillenkirch/Heike Y. Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 9. Auflage, Springer Gabler, 2014, S. 141 ff.