Benutzer:Ai24/HybridMangas

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Dies ist zentrale Seite der Gruppe "Mädchenmanga" im Tateshina Symposion 2009

AG Mädchenmanga beim Tateshina Symposion 2009[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Manga allg.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nachtrag Anime-Kultur: キューティーハニー(Verweis auf YouTube)

キューティーハニー

basale Zeichentechniken

Inhalt: Die Gattung des Mädchenmanga[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mangas erfreuen sich auch in Deutschland in den letzten Jahren steigender Beliebtheit, wie die Liste der auf Deutsch veröffentlichten Mangas zeigt. Aber das Phänomen Manga ist nicht in erster Linie als geographische Veränderung zu betrachten, obgleich dieser Aspekt auch eine Rolle spielt. Es ist weniger Manga versus Comic, sondern eher Manga als neue Form der Literatur. Bei Comics ist sich füer längere, epische Geschichten der Begriff Graphic Novel eingeführt worden, der allerdings nicht umumstritten ist. Häufig wird eine eindeutige Kategoriesierung des Comics anhand seines Inhalts auch abgelehnt. Man könnte dies eine gewollte Hybridizität nenen, die Genres sollen unklar bleiben um der Etablierung von Regeln fuer ein Genres schon hier Vorschub zu leisten. Auch bei Mangas ist eine Zuordnung von Inhalt und Genre problematisch. Mit einem Manga, welches auf dem Roman Genji Monogatari beruht, ist ein eindeutiger Bezug zur (japanischen) Literaturgeschichte hergestellt. In diesem Fall besteht das Phänomen der Hybridität, in der Intermedialität: Aus einem durch Schrift erzeugten Text ist ein Text geworden, welcher mittels Schrift und Bildern erzeugt wurde. Dadurch wird der Text leichter kommunizierbar, nicht (nur) die inneren Bilder erzeugen die Realität des Textes. Besonders für einen historischen Text, wie Genji Monogatari hat dies (m.E.) erhebliche Auswirkungen. Dadurch, dass die Gewänder und die Architektur des Hofes sichtbarer, im Sinne von vorstellbarer wird, ist es beonders für Menschen, mit einem schwächeren historischen Sinn leichter der Geschichte zu folgen. Allgemein denken Kinder und Jugendliche noch nicht in so abstrakten Kategorien, wie Erwachsene und das Gefühl von Zeit ist bei Kindern anders, weil sie jünger sind. In dieser Hinsicht es passend, dass das Manga (oder die Mangareihe) zur Gattung der sogenannten Shojo (oder Shojo-Manga) gehört. Abstrakte Konzepte, wie Zeit oder ein menschlicher Reifungsprozess (man denke z.B. an Entwicklungsromane) können so leichter nachvollzogen werden. Die Zeit wird am Ausehen der Personen sichtbar oder zumindest sichtbarer.

Arbeitsorganisation[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es handelt sich beim Tateshina-Kulturseminar nicht um einen Unterricht, sondern um einen wissenschaftlichen Gedankenaustausch, der auch in Gruppenarbeit stattfindet. Aus Gründen kommunikativer Reflexion ist trotzdem nützlich an die in der Didaktik entwickelten Beschreibungen anzuknüpfen und die kommunikativen Prozesse in Tateshina in Anlehnung zu Unterrichtsprozessen zu beschreiben. > Sozialform

optimistische Variante: eine gute Vorbereitung und effiziente Arbeitsteilung bewirkt, dass die Gruppe mit interessanten Beispielen auf die Diskussion des Seminars insgesamt Einfluß nehmen kann. (leider ist diese Variante nicht mehr sehr wahrscheinlich am 6.3. hat bisher keine Rückmeldung eines Teilnehmers stattgefunden)

realistische Variante: die Vorbereitung der Gruppe ist zwar begrenzt, doch das Sachwissen der TeilnehmerInnen führt dazu, dass die Diskussion vor Ort als durchaus nützlich angesehen werden kann.

pessimistische Variante: die Diskussion während des Seminars bewegt sich im Kreis und führt zu (fast) keinem Ergebnis

Leitfragen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es ist offensichtlich, dass in einer arbeitsteilig organisierten Gruppe mehr Fragestellungen behandelt werden können, als in einer Gruppe, in der alle Mitglieder ohne Subgruppen miteinander interagieren. (Auch) In diesem Sinne sind die Leitfragen eher als Anregung gedacht. Es ist unter Umständen nicht möglich alle zu beantworten.

Zur Form[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Was unterscheidet Mangas von Comics? (auch als Kurzreferat möglich) > Wenn man Mangas mit Comics vergleicht, dann sind es in erster Linie die Stilelemente von Manga und Anime, die ins Auge fallen.
  • Einige berühmte Mangas: aus deutsch(sprachiger) und japanischer Sicht: es reicht einige Beispiele zu kopieren, mitzubringen und (sehr kurz) zu kommentieren
  • Das Selbstverständnis von Mangaka (auch als Zusammenfassung der Leitfragen oben, in Gruppenarbeit möglich), Manga und jajpnische (bzw. deutsche) Kultur, Mangazeitschriften z.B. Shōjo Friend
  • Erfahrungen mit Mangas im Deutschunterricht?? (falls vorhanden ist das möglicherweise für alle interessant)

Zum Zusammenhang von Literatur und Manga[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es ist nicht so einfach Literatur und Manga voneinander abzugrenzen, da auch Mangas als eine Spielart von Literatur angesehen werden (können). Hier ist unter Literatur, die eher klassische Form gemeint, die nur mit Schriftzeichen bzw. Buchstaben eine Geschichte transportiert. Auch in Mangas spielt natürlich die Sprache eine große Rolle, die Geschichte wird jedoch auch über Bilder (vgl. hierzu auch Bildwissenschaft) transportiert, die nicht wie in der Literatur vom Leser erzeugt werden, sondern die als Bilder transportiert werden können. Damit können Mataphern bildlich dargestellt werden.

  • Von welchen Faktoren hängt die literarische Qualität (Literarizität) eines Manga(s) ab?
  • Hat die Literaturwissenschaft ein geeignetes Instrumentarium um Managa(s) zu bewerten?
  • Was für Folgen hat es, dass in Mangas bestimmte rhetorische Figuren direkt anschaulich (gemacht) sind?
  • Wäre die zum Thema Hybridität passende rhetorische Figur der Barbarismus?

Genji Monogatari[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Sie und und Genji Monogatari (eine kurze Geschichte zu der langen Geschichte)
  • Einige Ausschnitte aus dem (japanischen und deutschen) Manga Genji Monogatari als Kopien > ( Genji-monogatri, japnischer Artikel)
  • Feminismus und Psychoanalyse > jap.-europ. Kontrast: Amae vs. Ödipus
  • Genji Monogatari eine passende Geschichte für ein Mädchenmanga? (Shōjo, auch als Zusammenfassung der Leitfragen oben, in Gruppenarbeit möglich)

Hybridität: Unsere Sicht auf ein komplexes Phänomen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gibt es eine japanische (japanischsprachige) Diskussion zum Thema Hybridität (auch als Kurzreferat möglich)
  • kulturelle Mischungen und Purismus in der japanischen Tradition
  • Hybridität: Warum das Thema (nicht?) gut zu Mangas passt? (als Diskussionsanlass)

Textarbeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Zur deutschen Mangawissenschaftlerin Jaqueline Berndt
  • Textzusammenfassung und Textkritik
  • weitergehende Literatur > Literaturverzeichnis

Hintergrundinformationen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hintergrund: Zum Tateshina-Symposion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hintergrund Rahmenthema: Hybridität – ein „ alternatives“ Kulturprinzip?[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Wort „hybrid“ ist in letzter Zeit zu einem Modewort geworden, welches auf eine Vielzahl von Produkten oder kulturellen Erscheinungen angewendet wird. Es bedeutet soviel wie „gemischt, von zweierlei Herkunft, aus Verschiedenem zusammengesetzt, durch Kreuzung oder Mischung entstanden“. Ihm haftet wenigstens im heutigen Sprachgebrauch zumeist der Odor des Neuen und Fortschrittlichen an. Vor allem in der Technik erfreut sich der Begriff „hybrid“ zunehmender Beliebtheit. Aber auch in der Kulturwissenschaft ist die „Hybridisierung“ für Verfahren aufgegriffen worden, mit deren Hilfe sich unter den Bedingungen der postmodernen Globalisierung das Aufeinandertreffen und die Vermischung unterschiedlicher Kulturen oder Lebensweisen sowie die daraus entstehenden Konflikte zwischen Ethnien, Klassen und Geschlechtern beschreiben lassen, und die Wege aufzeigen sollen, diese Divergenzen, Gegensätze und Probleme durch neue, die Kulturen verbindende Strategien aufzuheben. Ist „Hybridisierung“ also ein zukunftsorientiertes Rezept für eine „ multikulturelle“ Gesellschaft? Die Geschichte des Begriffs (Begriffsgeschichte) zeigt, dass er in Wahrheit niemals „wertfrei“ war und keineswegs durchgängig positiv verstanden wurde. Etymologisch ist das Wort dem griechischen „ hýbris“ verwandt, was „frevelhafte Vermessenheit gegenüber den Göttern“ bedeutet (vgl. Kluge: Etymologisches Wörterbuch).

Chimäre

Die Mythen der griechischen Antike berichten über eine Vielzahl von Hybriden (z.B. Pan, die Satyrn, die Harpyien, die Kentauren, Hydra, Medusa, Chimaira, Minotauros), deren Gestalten sich aus der Verbindung unterschiedlicher tierischer (z.B. Pegasos (Mythologie)) oder der Kombination tierischer und menschlicher Körperteile (z.B. die Sirenen) zusammensetzen. Diese Misch- oder Fabelwesen können verschiedener Art sein (Götter, Halbgötter, Naturwesen, Monster etc.), hässlich wie schön, gut wie böse. Auch viele andere Kulturen kennen derartige Hybridwesen (man denke z.B. an japanische Gespenster od. Zwischenwesen). Es ist wohl ihre fundamentale Andersartigkeit, wegen der sie allerorts und zu allen Zeiten in Mythen und Sagen wie auch in der Literatur immer wieder erscheinen. Worin aber besteht ihre kulturelle Funktion und was ist ihre Bedeutung? Verkörpern sie eine Warnung vor unheilvollen und bedrohlichen Tabu- und Grenzverletzungen? Oder beruht ihre Faszination auf der Furcht vor dem Anderen, dem Fremdartigen, Unheimlichen und Numinosen? Hybridisierung, d.h. Mischung, Verbindung oder Kombination, ist ein generelles Prinzip, dass der historischen Entwicklung aller Völker, Kulturen und Sprachen zugrunde liegt. Jedoch erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden Begriffe wie „Hybride“ und „Bastarde“ zu Fachtermini in wissenschaftlichen Systemen und dabei zunehmend verallgemeinert, so z.B. in Linnés Taxonomie, Mendels Erbbiologie oder Darwins Evolutionstheorie. Vor allem zwei Aspekte verdienen bei diesem Vorgang Aufmerksamkeit: Erstens wurden die Begriffe durch ihre „Verwissenschaftlichung“ (scheinbar) rationalisiert und bei der Beschreibung von Symptomen des Verfalls und des Bösen eingesetzt, wie z.B. für Unreinheit, Degeneration, Schwächung, Dekadenz und Amoralität. Zweitens hatten die Europäer im Zuge der Kolonialisierung andere Völker zu „artfremden“, biologisch und zivilisatorisch minderwertigen „ Rassen“ deklariert. In der mit dem Kolonialismus einhergehenden Vermischung der Rassen sah man eine „Bastardisierung“ der Menschen. Mischlinge wie Mestizen, Mulatten oder Kreolen wurden als physisch, sozial und moralisch „entartet“ abgelehnt. Die Biologisierung des Begriffs „hybrid“ ging also nicht selten mit rassistischen Reinheitsfantasien einher, die Diskriminierung, Marginalisierung und Eliminierung zur Folge hatten. Das darf bei den gegenwärtigen gesellschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Debatten um Hybridität und „Multikulturalität“ nicht vergessen werden. Wie lässt sich daher heute der Begriff „Hybridität“ so neu definieren, dass er im Zeitalter der Globalisierung positive Alternativen aufzeigen kann, zwischen verschiedenen Kulturen versöhnende Räume friedlicher Koexistenz zu schaffen bzw. eine wechselseitige Befruchtung oder Durchdringung der Kulturen zu ermöglichen? Von diesen biologischen und (post)kolonialistischen Diskursen abgesehen gibt es auch in der Kunst Darstellungstechniken, die „hybrid“ genannt werden können, weil sie die Grenzen zwischen Kunstformen (z.B. Musik, Malerei, Dichtung), Gattungen, Genres oder Sprachen überschreiten. Versuche hybriden Schreibens begegnen klassisch z.B. bereits in der Persiflage, der Parodie und dem Cento (Flickengedicht) sowie in der Avantgarde bei Textmontagen und Collagen. Die moderne Literaturtheorie erkennt in hybriden Schreib- und Erzählweisen, bei denen sich verschiedene Schichten, Stoffe und Sprachen miteinander kreuzen, verbinden und mischen, ein immenses produktives Potential (vgl. z.B. Michael Bachtins „Polylog“ und „Heteroglossia“ u. die „Palimpseste“ von Gérard Genette). Nicht zuletzt sind literarische Werke zu beachten, welche durch Verwendung von Mischsprachen die Hybridität von Kulturen darstellen und sichtbar machen (vgl. z.B. Werke der Migrantenliteratur oder die „exophone“ Schreibweise von Yoko Tawada). Dabei stellt sich die Frage, welche Bedeutung diesen „hybriden“ Schreibweisen (z.B. als interkulturelle Praxis) in der heutigen Zeit zukommt oder zukommen kann. Quelle: Japanische Gesellschaft für Germanistik (JGG), Ankündigung des 51. Tateshina Symposioms, Homepage der JGG

Thema des 1. Tages: Kulturtheorie Multikulturalität und Transkulturalität[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Zeiten, die durch wirtschaftliche Liberalisierung geprägt worden sind, waren die Kulturen ein Störfaktor, quasi ein nicht-trafifäres Handelshemmnis, sie behindern die Massenproduktion und den globalen Warenfluss. Gleichzeitig ist gerade die Vielfältigkeit, Buntheit, Andersheit eine Quelle von Reiselust und Entdeckerfreude. Wenn (traditionelle) Kulturen als das bewahrende Prinzip und Globalisierung als das grenzüberschreitende Prinzip beschrieben werden kann, so ist Multi- und Transkulturalität als ein mittlerer Weg zwischen beiden Polen auzusehen: Kulturen bleiben, sie lösen sich nicht auf, aber sie werden durch verschiedene Medien überschritten. Durch:

  • Körper
  • Sprache(n)
  • transsprachlichen Ausstausch.

Thema des 2. Tages: Hybride, Bastarde, Fabelwesen – Mischwesen in Literatur und Kulturgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wissensgeschichte und Hybridwesen: Der Darwinismus und seine Folgen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Evolutionslehre verabschiedet das Projekt einer Abgrenzung zwischen dem Menschlichen und dem Animalischen, indem sie die natürlichen Arten als Produkt einer naturgeschichtlichen Entwicklung versteht. Damit gibt es keinen zeitlichen Anfang der Menschheitsgeschichte mehr - und kein absolutes Kriterium der Differenzierung zwischen dem, was noch nicht menschlich und dem, was schon menschlich ist. Der vom Evolutionsimus gelehrten diachronen Entgrenzung zwischen Menschen- und Tierwelt korrespondiert (gleichsam als ihr synchrones Pendant) das Freudianische Modell einer komplexen Schichtung der Einzelpsyche, in welcher unkontrollierbare ‘animalische’ Triebkräfte wirken und dem Bewußtsein die Vorherrschaft streitig machen. Das Tierische steckt diesem wissensgeschichtlich so folgenreichen Modell zufolge im menschlichen Individuum - als dessen meist verborgene, verschwiegene und notdürftig unterdrückte andere Seite. Wenn es um die mit den Namen Darwins und Freuds verbundenen narzißtischen Kränkungen des Menschen geht, so darf der Name Nietzsches nicht fehlen, der dem Menschen ebenfalls ein Distiktionsmerkmal gegenüber den Tieren bestreitet. In Umkehrung konventioneller Betrachtungsweisen sieht Nietzsche den durch sein Bewußtsein zur Selbstquälerei veranlaßten Menschen als dem Tier unterlegen an - als „krank“. Wenn der Umstand, daß die natürlichen Arten als solche eine Geschichte haben, erst im Zuge der Darwin-Rezeption in den Blick rückt, so halten ab jetzt Hybridisierungsdiskurse nachhaltig Einzug in die Lebenswissenschaften, in Rassen- und Vererbungstheorien. Der Begriff des Hybriden sowie der verwandte Begriff des Bastards werden zu naturwissenschaftlichen Fachtermini. Die Vererbungslehre Mendels hat daran ebenfalls maßgeblichen Anteil. Zum einen fungieren seit dem 19. Jahrhundert Prozesse der Hybridisierung differenter natürlicher Arten als wichtige Modelle zur Deutung und Darstellung evolutionärer Weiter- und ‘Höher’-Entwicklung. Zum anderen aber verknüpft sich der darwinistisch-evolutionistisch-biologistische Vorstellungshorizont um Hybridisierungs- und Bastardisierungsprozesse ebenfalls seit dem 19. Jahrhundert mit rassistischen Ideologemen. Damit verknüpft ist zunächst eine eindeutig negative Semantisierung des „Hybriden“, gegen das ideologische Reinheitsphantasien ausgespielt werden. Die Vermischung verschiedener „Rassen“ gilt im kolonialistisch-rassistisch geprägten Denken als Verunreinigung und Degeneration, als Anlaß des Eindringens schädlichen ‘artfremden’ Erbguts und dementsprechend als moralisch verwerflich. Eine Konsequenz ist die Abwertung von Mischlingen als minderwertig und sozial verdächtig. Betont sei, daß solche Ab- und Ausgrenzungsversuche dem Darwinismus keineswegs anzulasten sind; dieser widerspricht ja gerade der Vorstellung einer klaren Grenze zwischen Arten und Rassen. Die Evolutionslehre hat der künstlerisch-literarischen Phantasie seit dem 19. Jahrhundert ebenso vielfältige Anstöße gegeben wie der Freudianismus. Damit verbanden sich gleich mehrere thematischen Interessen; die wichtigsten seien genannt: (a) Die Frage nach dem Wesen des Menschen: Daß es eine Simplifikation ist, Darwin die Behauptung einer Abstammung des Menschen vom Affen zuzuschreiben, ist bekannt und war vielleicht selbst seinen vehementen Kritikern im 19. Jahrhundert bereits vage bewußt. Dennoch verweist die klischeehafte Vorstellung, für Darwin bestehe kein substanzieller Unterschied zwischen Menschen und Affen, auf den Kern der Herausforderung, welche der Darwinismus für das Selbstverständnis des Menschen bedeutete. Schon vor Darwin hatte es literarische Geschichten über Affen gegeben, in denen (meist satirisch) mit der Unterscheidbarkeit zwischen Menschen und Affen gespielt worden war; erinnert sei an Hoffmanns fiktiven Brief des Affen Milo, in dem dieser von seinem Leben als Mensch unter Menschen berichtet. Doch seit Darwin haben Affen-Geschichten eine neue Konjunktur. Kafkas „Bericht für eine Akademie“, um wiederum nur ein Beispiel zu nennen, erzählt vordergründig - mit der Stimme eines Affen - von der Vermenschlichung des Tieres. Dem Bildungsoptimismus des erzählenden Protagonisten gegenläufig, erzeugt der Text aber die Suggestion, der Prozeß der Anpassung ans Menschliche könne das Gegenteil einer Weiterentwicklung sein. (b) Prozesse der Progression und Regression: Die Vorstellung, die natürlichen Arten befänden sich in einem anhaltenden Entwicklungsprozeß, der zur Entfaltung noch unabsehbarer Möglichkeiten führe, eröffnete einen breiten Raum für die Phantasie, doch das Komplementärthema der Regression brachte sich meist mindestens ebenso nachdrücklich zur Geltung. Wir verdanken dem Doppelthema Progression/Regression einige der berühmtesten literarischen Texte des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die weit ins 20. hinein wirkten. Erinnert sei nur an R. L. Stevensons Geschichten über Jekyll und Hyde, an H.G. Wells’ „Time machine“. Evolutionistisch inspiriert sind H. P. Lovecrafts phantastische Artenlehre, in der sich volkstümliche Vorstellungen über monströse Zwischenwesen mit Kolonisierungs- und Hybridisierungsphantasien verbinden, sowie zahlreiche Texte der Horrorliteratur in Lovecrafts Spuren. Phantasien über Degenerationsprozesse haben das Spektrum an Bildern des Monströsen nachhaltig erweitert. Man könnte auch sagen, das ‘darwinistische’ Moment an vielen Monstren des 20. Jahrhunderts liege darin, daß sie sich aus dem entwickelt haben, was einmal als ‘normal’ und ‘natürlich’ galt.

Zitate: Unsere Nachfahren: porträtiert in H.G. Wells’ evolutionistisch inspiriertem Roman „Die Zeitmaschine“, zuerst 1888 unter dem Titel „The Chronic Argonaut“, erste Buchausgabe 1895 unter dem Titel: „The Time Machine. An Invention“. Dt. Ausg. übers. v. Peter Naujack, Zürich 1974, 57f.: Beschreibung der Morlocks. „(...) offenbar lebte diese zweite Spezies Mensch unterirdisch. Besonders drei Umstände waren es, die mich glauben ließen, ihr seltenes Auftauchen über der Erde beruhe auf einem seit langem gewohnten Leben unter der Erdoberfläche. zunächst war da ihr bleiches Aussehen, wie es die meisten hauptsächlich im Dunkeln lebenden Tiere aufweisen - zum Beispiel der weiße Fisch der Kentucky-Höhlen. Dann diese großen Augen mit der Fähigkeit, das Licht zu reflektieren, den eigentümlichen Merkmalen nächtlicher Lebewesen - bekannteste Zeugen sind Eule und Katze. Und als letztes jene offensichtliche Verwirrung im Sonnenlicht, jene hastige und dabei tastende und ungeschickte Flucht ins schattige Dunkel sowie die eigenartige Haltung des Kopfes im Hellen - all das bestärkte die Theorie einer außerordentlich lichtempfindlichen Netzhaut im Auge.“

Vgl. auch H. P. Lovecraft: Schatten über Innsmouth (The Shodow over Innsmouth, zuerst 1936, Dt. Übers. Rudolf Hermstein, Frankf,/M. 1977). S. 171ff.: Beschreibung eines Busfahrers: „Er war ein magerer mann mit hängenden Schultern (...). Er war vielleicht fünfunddreißig Jahre alt, aber die sonderbaren, tiefen Falten rechts und links an seinem Hals ließen ihn älter erscheinen, wenn man nicht sein stumpfes, ausdrucksloses Geschicht ansah. Er hatte einen schmalen Kopf, hervortretende, wäßrig-blaue Augen, die nie zu blinzeln schienen, eine flache Nase, eine fliehende Stirn und ein ebensolches Kinn, und auffallend unterentwickelte Ohren, Seine lange dicke Oberlippe und die großporigen, grauen Wangen schienen fast bartlos, bis auf ein paar dürftige gelbe Härchen, die in vereinzelten krausen Büscheln hervorsproßten; und an manchen Stellen schien die Hautoberfläche sondernbar uneben, als schäle sie sich infolge irgendeiner Hautkrankheit. Seiene Hände, an denen die Adern stark hervortraten, waren groß und von sehr ungewöhnlicher graublauer Farbe. Die Finger waren im Verhältnis zum übrigen Knochenbau der Hand auffallend kurz und hatten anscheinend die Neigung, sich in die riesige Handfläche zu krümmen. Während er auf den Bus zuging, fiel mir sein eigenartig watschelnder Gang auf, und ich sah, daß seine Füße unheimlich groß waren. (...) Was für eine Beimischung von fremdländischem Blut in seinen Adern floß, konnte ich nicht einmal vermuten. Seine eigenartigen Merkmale schienen weder asiatisch noch polynesisch, weder levantinisch noch negroid (...). Ich selbst hätte eher an biologische Degeneration als [an] fremdländische Abstammung gedacht, (...) der schmale Kopf des Fahrers wurde mir immer widerwärtiger. Als ich ihn genauer betrachtete, sah ich, daß sein Hinterkopf fast genauso haarlos war wie sein Gesicht und nur ein paar schüttere gelbe Strähnen hier und da die graue, schuppige Haut verdeckten.“

Zur Frage nach dem Wesen des Menschen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Idee der Manipulation der natürlichen Arten und der künstlichen Schöpfung des Humanen: Darwins Evolutionslehre hatte die Naturgeschichte in Anlehnung an gesteuerte Züchtungsprozesse beschrieben. Vorstellbar wird mit der These von der Geschichtlichkeit der menschlichen Spezies, daß der Mensch die Entwicklung der eigenen Natur in die Hand nimmt. Themen wie planvolle Züchtung und experimentelle Eugenik, später dann die Gentechnologie treten in die wissenschaftlichen Diskurse ein und finden auch literarischen Nachhall. Seit dem späten 19. Jahrhundert entstehen Geschichten über Versuche einer Beeinflussung des Evolutionsprozesses. So geht es in H.G. Wells’ Kurzroman „The Island of Doctor Moreau“ um einen Wissenschaftler, der durch eine Kombination aus physischen Manipulationen, Konditionierungen und Gewalt die Höherentwicklung von tierischen zu menschlichen Wesen erzwingen möchte. Die in seinen Opfern übermächtige Tendenz zur Regression läßt ihn scheitern. Und der Erzähler wird darüberhinaus für den animalisch-regressiven Zug seiner menschlichen Zeitgenossen sensibilisiert. Hybridwesen und Anthropogenese: Die Suche nach dem Menschen Nochmals: Unsere Alltagswelt ist bevölkert von Hybridwesen: Helden wie Batman, Spiderman und Superman verfügen über übermenschliche Kräfte, die sie mit entsprechend ausgestatteten Tierarten verbinden, was sich dann auf ihre körperlichen Erscheinung und ihr Verhalten auswirkt. Emotionale Riesenaffen und sympathische halbanthropomorphe Aliens, Wolfsmänner und Katzenfrauen, Vampire und semianthropomorphe Roboter begegnen dem Bewohner der Medienwelt ebenso unablässig wie riesen- oder gnomenhafte Fabelwesen - und in PC-Spielen kann man sogar in deren Rollen schlüpfen. Hinter der spielerischen Beschäftigung mit Hybridwesen und der spielerischen Verwandlung in sie darf ein tieferes Interesse vermutet werden. Gehen wir von der These aus, daß es ein Interesse am ‘Menschen’ ist, also an uns selbst. Hieran sei eine weitere Ausgangs- und Leitthese geknüpft, mit der ich mich auf die Überlegungen Giorgio Agambens beziehe: Den „Menschen“ gibt es nicht. Wo er in der Geschichte zum Gegenstand der Diskurse, der Interpretationen und Beschreibungen wird, ist er das Produkt von Entwürfen, eine „Erfindung“ - und dieser Konstruktionsprozeß kommt an kein Ende, weil er sich als Suche nach einem Gegenstand darstellt, der hypothetischen Charakter hat. Die Anthropogenese operiert stets mit Differenzierungen oder besser gesagt mit Differenzierungsversuchen: das Humane soll gegen das Nichthumane abgegrenzt werden. In erster Linie geht es um Abgrenzung gegenüber dem Tier - wie sie in der Formel „zoon logon echon“ oder auch „homo sapiens“ zum Ausdruck kommt. Formeln wie „homo sapiens“ sind entsprechende Konstruktionsmaschinen. „Homo sapiens ist (...) weder eine Substanz noch eine klar definierte Gattung: Die Formel ist eher eine Maschine oder ein Artefakt, um die Erkenntnis des Humanen zu produzieren.“ (Agamben 37) Als Sinnbild dafür, daß und wie der Mensch sich selbst erfindet, nämlich indem er das in den Blick nimmt, was sein Gesicht mit Tierphysiognomien gemeinsam hat, um sich dann von diesem ihm Ähnlichen versuchsweise abzugrenzen, betrachtet Agamben eine im „Leviathan“ beschriebene, aus einer Reihe von Spiegeln bestehende optische Maschine. Diese zeigt lauter Menschenbilder, aber jeweils als Fratzen, affenähnlichen Physiognomien (Agamben 37f.). Laut Agamben ist es den Repräsentanten der rationalistischen Wissenschaft und der ganzen Aufklärung nicht gelungen, die menschliche Natur definitorisch festzulegen. Darauf deuten vor allem die Schwierigkeiten hin, die Carl von Linné damit hatte, zwischen dem Menschen und den Tieren eine trennscharfe Gattungsgrenze zu ziehen - ein Unternehmen, das aus Linnés eigener Perspektive grundsätzlich fragwürdig erscheint. Die von Descartes vorgenommene Differenzierung hielt er für unhaltbar, schon aus Sympathie für die Affen; Descartes, so seine kritische Überlegung, habe diese vermutlich nicht gekannt oder beachtet (vgl. Agamben 33). (Die aus der Antike geerbte Definitions-‘Maschine’ „zoon logon echon“ erschien übrigens aus der Sicht der Naturkunde des 18. Jahrhundert als unbrauchbar, weil man auch die Vögel für sprachfähig hielt.) Genial sei es, so Agamben, wie Linné den Menschen unter die Primaten eingereiht und die Gattungsbezeichnung Homo ohne weitere Kennzeichnungen belassen habe, ausgenommen das Postulat „nosce te ipsum“. „Der Mensch“ - so Agamben mit Linné - „hat keine spezifische Identität außer derjenigen, daß er sich selbst erkennen kann. Den Menschen allein durch die Selbsterkenntnis zu definieren, bedeutet, daß nur derjenige Mensch sein wird, der sich selbst als solcher erkennt, daß der Mensch dasjenige Tier ist, das sich selbst als menschlich erkennen muß, um es zu sein.“ (Agamben 36) Wer nicht bereit ist, dem Appell ‘nosce te ipsum’ zu folgen, bleibt bei den Affen eingereiht. Wer sich allerdings mit der Frage nach dem Humanen auseinandersetzt, erkennt, daß der Mensch kein identisches Wesen besitzt, sondern allen wissenschaftlich-diskursiven Bildern vom ‘Menschen’ immer nur ähnlich ist. Selbst-Erkenntnis - einzig haltbares Kriterium des Menschseins, führt zur Entdeckung, daß „der“ Mensch nicht existiert. Der Humanismus stellt dem Menschen eine „Maschine“ aus Ideen, Wissensinhalten und Begriffen zur Verfügung, mit deren Hilfe dieser sich konstruiert - worin sich gerade bestätigt, daß es ihn außerhalb solcher Selbstkonstruktion nicht gibt. Als ein bloßes Konstrukt kann der Mensch verschiedenste Gesichter annehmen. „Da Homo weder eine spezifische Essenz noch eine Berufung hat, ist er grundlegend nicht-human, kann er alle Eigenschaften und alle Gesichter annehmen (...). Die humanistische Entdeckung des Menschen ist die Entdeckung seines eigenen Ausbleibens (...).“ (Agamben 40) Tierphysiognomien dienen - faßt man Agambens Argumentation zusammen - dazu, das gesuchte (nicht gegebene) Gesicht des Menschen zu rahmen, um durch Rahmung ein Gerahmtes hervorzubringen. In naturkundlichen Werken der frühen Neuzeit übernehmen neben Tieren auch Fabelwesen oder halb fabelhafte Geschöpfe analoge Rollen, wie Agamben unter Hinweis auf John Ray, Peter Artedi, Caspar Bartholin, Nicolaus Tulpius und Edward Tyson betont, etwa Wassermänner und -frauen oder auch der „Waldmensch“ (homo sylvestris). Schon der Titel der Dissertation Tysons von 1699 („Orang-Outang, sive Homo Sylvestris, or, the Anatomy of a Pygmie“) zeige, so Agamben, „daß die Grenzen des Humanen nicht nur durch reale Tiere, sondern auch durch Figuren aus der Mythologie gefährdet waren“ (36), genannt werden hier nämlich auch „Cynokephali“, „Satyren“ und „Sphingen“. Eine andere, zu gleichen Zwecken dienende Physiognomie ist die des sogenannten ‘wilden Menschen’ respektive des Wolfsmenschen. Linné, laut Agamben von der „Unbestimmtheit und (...) Inhumanität des Humanen“ überzeugt, reiht in die Gattung „homo sapiens“ auch die „rätselhafte Variante ‘Homo ferus’“ ein (Agamben 40). Gerade diese Variante des „Homo“ erscheint bedrohlich für den ohnehin gesichtslosen ‘eigentlichen’ Menschen. Deutet sie doch darauf hin, daß er sich gegen das Wilde, das Animalische gerade nicht abgrenzen läßt, weder ontogenetisch noch phylogenetisch. Eine Erscheinung, die ihre vermeintlichen Identifikationsmerkmale (aufrechter Gang, Sprachbesitz, weitgehende Haarlosigkeit) so leicht verliert, bietet kein verläßliches Erscheinungsbild. Tiere, wilde Menschen und Fabelwesen sind dem Menschen zu ähnlich. Die Grenze zwischen Menschlichem und Nichtmenschlichem existiert nur in der Vorstellung des Menschen, also in ihm selbst. Die Literatur begleitet den Prozeß hypothetischer Konstruktion des Humanen. Sie gibt ihm Anstöße, rückt aber auch auf Distanz und reflektiert ihn kritisch - vor allem durch die Auseinandersetzung mit hybriden Grenz- und Schwellenwesen, die beschrieben oder erfunden werden, um den Menschen von etwas unterscheiden zu können. Reflektierende Teilhaberin an der Anthropogenese ist sie vor allem dort, wo sie Hybridisierungsprozesse beschreibt - und betreibt. Ergänzt sei, daß die Hybridisierung von Menschlichem und Tierischem, wie Agamben sie reflektiert, auch eine utopische Komponente besitzen kann. Agamben kommentiert die Illustrationen in einer hebräischen Bibel des 13. Jahrhunderts, genauer die Darstellungen der Gerechten, die an einer Tafel beieinandersitzen und Tierköpfe tragen, Köpfe des Löwen, des Panther, des Ochsen, des Esels. Er erinnert an eine anonyme messianische Verheißung des Jesaia (11,6), einst werde Raubgetier und Hausgetier friedlich zusammenleben, und stellt sich vor, der Schöpfer jener theriomorphen Gestaltenen habe vielleicht in Aussicht stellen wollen, „daß am letzten Tag die Beziehung zwischen Tieren und Menschen eine neue Form annehmen und daß sich der Mensch selbst mit seiner tierischen Natur versöhnen würde.“ (Agamben, Das Offene, S. 13)

Über Monstren als Hybridwesen und die Nichtbestimmbarkeit des Humanen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit Vorstellungen von teilanthropomorphen und insofern hybriden Wesen eng verknüpft, zu weiten Teilen sogar deckungsgleich mit diesen sind Imaginationen des Monströsen. Monster werden, anders gesagt, vorrangig als Hybridwesen gedacht - als Kreuzungen aus Menschlichem und Animalischem oder aus Menschlichem und Dämonischem. Von literatur- und kulturtheoretischer Seite als ist das Monstrum als ein dem „Humanen“ Angrenzendes, Ähnliches, darum aber Beunruhigendes charakterisiert worden. Hans Richard Brittnacher erörtert in seiner „Ästhetik des Horrors“, was denn all die vielen und verschiedenen Figuren verbinde, die man mit einer Mischung aus Faszination und Grauen als monströs wahrnehme. Als gemeinsames Merkmal der meisten monströsen Erscheinungen bestimmt er eine „exzessive Abweichung von der Norm physischer Integrität“; Monster stellen aus dieser Sicht allein durch ihr Erscheinungsbild die Grenze zwischen Menschen und Außermenschlichem (sei es Animalischem, sei es Dämonischem) in Frage (Brittnacher 183f.). Das Erscheinungsbild des Monsters bilde, so Brittnacher (der das Monströse primär mit Blick auf seine physische Gestalt erörtert), das Gegenstück zu einem Idealbild des menschlichen Leibs als eines entelechischen, ganzheitlichen, wohlproportionierten Körpers, in dem sich das, was als schön gelte, exemplarisch realisiere. Das Monstrum sei eine Abweichung von dieser Norm, eine de-formierte Erscheinung, und Abweichungen von der Norm stellen diese als Norm in Frage. Deutet man den monströsen Körper in diesem Sinn als Abweichung von einer Norm des „Humanen“, so macht er all denen, die sich an dieser Norm orientieren, deren Konstruktcharakter sinnfällig. Idealbilder sind etwas Imaginäres. Das konkrete Individuum in seiner physischen Besonderheithingegen ist ihnen gegenüber notwendigerweise ein Abweichungsphänomen - und dies hätte es demnach mit dem Monstrum gerade gemeinsam. „Wesentlich Mensch ist der Mensch dort, wo er vom Tier fundamental unterschieden ist“ (Brittnacher 194), so die diesen Überlegungen zugrunde liegende Prämisse, welche auf die Möglichkeit einer Identifizierung durch Differenzierung setzt. Im Sinne Agambens wäre aber hinzuzufügen, daß es eine verbindliche Differenzierung und eine daraus ableitbare „Gattungsnorm Mensch“ nicht gibt - letztlich auch nie gegeben hat (wobei es der Moderne vorbehalten sein mag, dies zu durchschauen. Diese Bestimmung wäre im Sinne Agambens zu ergänzen (und d.h. in diesem Fall: zu modifizieren): Denn das Humane, an welches das Monströse angrenzt, um ihm ein Zerrbild vorzuhalten, existiert ja nicht. Nur das Zerrbild existiert. Wir sind die Monster; wir sind hybrid. Daß die Abgrenzung zwischen Mensch und Tier nicht haltbar ist, betont auch Brittnacher - und verweist naheliegenderweise auf den Darwinismus. Wesen an der Grenze dessen, was man als „human“ zu entwerfen pflegt, sind der Normalfall; sie fügen sich gleichsam zu einer Rahmenkonstruktion, die insofern leer bleibt, als sich das Bild eines ‘reinen’, vom Animalischen und Monströsen unaffizierten Menschen nicht konkretisieren läßt. Davon erzählen viele Texte der literarischen Moderne. Gemeinsames und leitendes Thema sind scheiternde Selbstentwürfe des Humanen und die vielfältigen Gefahren der Kontamination durch eine als fremd und inhuman empfundene Sphäre. Erinnert sei nochmals an Jekyll und Hyde: Jekylls als Ich-Erzählerbericht in Stevensons Text einbezogene Selbstdarstellung entwirft das Porträt eines vordergründig angepaßten, aber schwachen und diffusen Charakters, der über die Motive seiner Selbstverwandlung nur andeutend spricht. Erinnert sei auch daran, daß dort, wo in Romanen oder Filmen Menschen auf phantastische Hybridwesen stoßen (Vampire, Nixen, Werwölfe) in der Regel die letzteren das aktive, dominierende, verführende und kontaminierende Element sind. Dies gibt - wie auch der Fall Doktor Jekylls allerdings auch Anlaß zur Feststellung, daß Monstren nicht nur erschreckend und verstörend sind. Sie sind auch konnotiert mit der Idee des Sich-Auslebens, mit lustvollen, vitalen Grenzüberschreitungen.

(7) Einige bilanzierende Thesen (a) Das Thema „Hybridwesen“ bietet einen exemplarischen Anlaß, die Beziehungen zwischen Literatur und Wissensdiskursen zu beobachten. Die Literatur - so das Ergebnis solcher Beobachtung - reflektiert insbesondere die Arbeit jener „anthropologischen Maschine“, von der Agamben gesprochen hat. (b) Sie knüpft dabei zum einen auf inhaltlicher Ebene an Naturgeschichte, Biologie, Physiologie, Genetik, Medizin, Psychologie etc. an, deren Vorstellungswelten vielfach mit älteren Bild- und Figurenrepertoires verschmelzen, um vielfältige Hybridwesen hervorzubringen. (c) Interesse verdienen auch die dabei eingesetzten Schreibweisen. Wie kommt das Monströse zur Darstellung; welche Schreibweise wird dem Hybriden gerecht? Lovecraft läßt an Kulminationspunkten der von ihm erzählten Geschichten seine Figuren gern in Geheul ausbrechen; Stevenson läßt zwar Doktor Jekyll zu Wort kommen; Hyde bleibt dagegen stumm. Schon diese zwei Beispiele lassen ahnen, daß die skizzierte Thematik der Anthropogenese nicht zuletzt zu Schreibexperimenten stimuliert. Im Hintergrund steht nicht zuletzt die beunruhigende Einsicht, daß der Sprachbesitz als Differenzierungskriterium des Humanen nicht ausreicht.

Thema des 3. Tages: Hybridität im literarischen und (post)kolonialistischen Diskurs[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zum Begriff[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In rezenten kulturtheoretischen Reflexionen spielt das Konzept des Hybriden eine prominente Rolle. Der Begriff „Hybridität“ samt den mit ihm verknüpften Konnotationen (Verschmelzung von Heterogenem und Genese eines Dritten, in dem sich Spuren oder Züge des miteinander Verschmolzenen erhalten haben) stammt aus dem biologisch-landwirtschaftlichen Diskurs; seine Übertragung in die Sphäre des Kulturellen - Musterbeispiel für eine Metapher, aus der eine neue Begrifflichkeit entsteht, und insofern ein klassischer Fall für Metaphorologen - hat vor allem in den vergangenen drei Jahrzehnten nachhaltige Spuren in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften hinterlassen. „In den 80er Jahren“, so bilanziert der Artikel „Hybridität“ im Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie (Julika Griem, S. 220f.), wurde H.[ybridität] zu einem kulturtheoretischen Schlüsselbegriff umgedeutet.“ (221) Einen wichtigen Bezugspunkt bildete dabei die Übersetzungstheorie Walter Benjamins. Dieser hatte den Prozeß des Übersetzens als einen Transformationsprozeß beschrieben, bei dem Differentes miteinander konfrontiert und in seiner Inkommensurabilität sichtbar wird, wobei es sich einer Vermittlung entzieht. Homi Bhabha erinnert in „Die Verortung der Kultur“ (243) an Benjamins These von der „Fremdheit der Sprachen“ (in: „Die Aufgabe des Übersetzers“, S. 55), welche deren ‘unübersetzbaren Kern’ ausmache und die bruchlose Übertragung von Inhalten verhindere. „Der Bedeutungstransfer zwischen oder innerhalb von Bedeutungssystemen kann nie vollständig sein, da ‘die Sprache der Übersetzung ihren Gehalt wie ein Königsmantel in weiten Falten [umgibt].“ (So Bhabha unter Bezugnahme auf Benjamin.) (a) Rassismus, Kolonialismus und Postkolonialismus. Die rassistische Abqualifizierung des biologisch „Hybriden“ erfolgt im Zeichen kolonialistischer Praktiken und dient deren ideologischer Rechtfertigung. Zu ihren praktischen Folgen gehören im 20. Jahrhundert die Unterdrückung, ja die weitgehende Ausrottung ganzer Ethnien, und gesellschaftlicher Gruppen die unter Rekurs auf ein konstruiertes Ideologem der ‘Reinheit’ als ‘entartet’, weil ‘unrein’ denunziert wurden. Im Gegenzug dazu ist der Begriff der „Hybridisierung“ im postkolonialistischen Denken vielfach positiv semantisiert. Die Affirmation des Hybriden soll die Voraussetzungen dafür schaffen, rassistischen Diskriminierungen und tradierten Hegemonialansprüchen der westlichen Kultur entlarvend und offensiv entgegenzutreten. (Das Konzept der Hybridität verbindet sich insbesondere eng mit der Vorstellung eines ‘dritten Raumes’ zwischen den differenten Kulturen, eines Raumes der Verschmelzung, des Übergangs, der friedlichen Kommunikation und Koexistenz. Hierien liegt sein gleichsam utopisches Potential. S.u.) (b) Anthropologie, Ethik, Politik. In der jüngeren Geschichte wird die Unterscheidung zwischen dem Menschlichen und dem Nichtmenschlichen durch totalitäre Systeme, durch rassistische Vernichtungsphantasien und reale Vernichtungslager praktisch zur Disposition gestellt. Damit stehen Anthropologie und Ethik auch theoretisch vor neuen Fragen. Der nachhaltige Erfolg der Publikationen von Giorgio Agambens Denk- und Frageansätzen beruht wohl insbesondere darauf, daß hier die ethische Dimension der Frage nach dem Menschen auf eine Weise gestellt wird, die konstruktivistische Ansätze und ihren Relativismus hinter sich läßt. (c) Sprach- und Texttheorien. Gattungstheorien, Ästhetik. In diametralem Gegensatz zu einer traditionellen Ästhetik und Poetik, welche von der Existenz klar gegeneinander abgrenzbarer Kunstformen und Textgattungen ausging, ließe sich die Ästhetik und Poetik der Moderne als eine der Transgression beschrieben. Der als polyvalente kulturelle Metapher verwendete Begriff des „Hybriden“ steht insgesamt im Schnittfeld einer ganzen Reihe ästhetischer Diskurse, die sich mit Sprachen- und Medienmischungen, Verfremdungspraktiken, Phänomenen des Übergangs und der Entgrenzung auseinandersetzen. So kann der literarische Text als ein hybrides Gebilde beschrieben werden, in dessen Polyphonie sich Heterogenes artikuliert, das nicht auf einen einheitlichen Nenner reduziert werden kann; darüberhinaus gilt literarisches Schreiben vielfach auch als ein Prozeß des Entwurfs und der Darstellung hybrider Identitätsentwürfe. Der Akzent kann dabei unterschiedlich gesetzt werden: auf die Vermischung verschiedener Gattungen, Schreibweisen und Darstellungsmedien, auf kulturelle Diversität, Mimikry und ‘Maskerade’, auf die Abhängigkeit des Schriftstellers von differenten Sprachen und Symbolsystemen, auf die Erfahrung der Kontamination durch körperlich oder kulturell Fremdes als zentrales Thema moderner Literatur. Generell unterstreichen Vertreter einer Ästhetik des Hybriden meist das innovatorische und kreative Potenzial von Hybridisierungsprozessen. Eine enge Affinität besteht zwischen dem Vorstellungskomplex um Hybridisierung zum einen, um Verfremdung und Entautomatisierung auf der anderen. Die Ästhetik des Hybriden kann als Sonderfall oder als Fortführung der für die Moderne so wichtigen Ästhetik der Normverletzung und Verfremdung gelten. Nur noch einige wenige weitere Hinweise auf ‘hybride’ Begrifflichkeiten: In der Religionsanthropologie wird der Begriff des Hybriden verwendet, um synkretistische Verfahren und Vorstellungskomplexe zu charakterisieren. Hybrides entsteht, wo sich die mythischen Geschichten differenter kultureller Überlieferungen so miteinander verbinden, daß ein neues symbolisches Ordnungsgefüge entsteht. In der Sprachwissenschaft verweist der Begriff des Hybriden auf Kreolisierungsprozesse. Hybriditätsdiskurse verknüpfen sich hier mit Modellen der Dialogizität und Polyphonie, der Heteroglossie und des Karnevalesken, wie sie vor allem mit dem Namen M. Bachtins verbunden sind. Als hybrid charakterisiert werden ferner Textformen, die tradierte Gattungsmuster hinter sich lassen, sowie Texte, die aus heterogenen Elementen, Sprachmustern und Darstellungsformen zusammengesetzt sind. Als editionsphilologischer Begriff verweist der Ausdruck „hybrider Text“ auf ein Textkonstrukt, dessen Konstitution auf unterschiedlichen Quellen beruht.

„Hybridität“ ist ein Hybridbegriff, der zwischen den Diskursen und Disziplinen, in denen er eine Rolle spielt, Brücken schlägt bzw. ‘hybride’ Konstellationen von Ideen und Beschreibungsmustern schafft. (Auf seine Polysemie weisen u.a. die zur Seminarvorbereitung zusammengestellten Unterlagen hin.) Stichwortartig seien die nur wichtigsten ideologischen und kulturwissenschaftlichen Themenfelder genannt, in denen der Begriff „Hybridität“ seit dem 19. Jahrhundert eine Rolle gespielt hat: (a) Rassismus, Kolonialismus und Postkolonialismus. Die rassistische Abqualifizierung des biologisch „Hybriden“ erfolgt im Zeichen kolonialistischer Praktiken und dient deren ideologischer Rechtfertigung. Zu ihren praktischen Folgen gehören im 20. Jahrhundert die Unterdrückung, ja die weitgehende Ausrottung ganzer Ethnien, und gesellschaftlicher Gruppen die unter Rekurs auf ein konstruiertes Ideologem der ‘Reinheit’ als ‘entartet’, weil ‘unrein’ denunziert wurden. Im Gegenzug dazu ist der Begriff der „Hybridisierung“ im postkolonialistischen Denken vielfach positiv semantisiert. Die Affirmation des Hybriden soll die Voraussetzungen dafür schaffen, rassistischen Diskriminierungen und tradierten Hegemonialansprüchen der westlichen Kultur entlarvend und offensiv entgegenzutreten. (Das Konzept der Hybridität verbindet sich insbesondere eng mit der Vorstellung eines ‘dritten Raumes’ zwischen den differenten Kulturen, eines Raumes der Verschmelzung, des Übergangs, der friedlichen Kommunikation und Koexistenz. Hierien liegt sein gleichsam utopisches Potential. S.u.) (b) Anthropologie, Ethik, Politik. In der jüngeren Geschichte wird die Unterscheidung zwischen dem Menschlichen und dem Nichtmenschlichen durch totalitäre Systeme, durch rassistische Vernichtungsphantasien und reale Vernichtungslager praktisch zur Disposition gestellt. Damit stehen Anthropologie und Ethik auch theoretisch vor neuen Fragen. Der nachhaltige Erfolg der Publikationen von Giorgio Agambens Denk- und Frageansätzen beruht wohl insbesondere darauf, daß hier die ethische Dimension der Frage nach dem Menschen auf eine Weise gestellt wird, die konstruktivistische Ansätze und ihren Relativismus hinter sich läßt. (c) Sprach- und Texttheorien. Gattungstheorien, Ästhetik. In diametralem Gegensatz zu einer traditionellen Ästhetik und Poetik, welche von der Existenz klar gegeneinander abgrenzbarer Kunstformen und Textgattungen ausging, ließe sich die Ästhetik und Poetik der Moderne als eine der Transgression beschrieben. Der als polyvalente kulturelle Metapher verwendete Begriff des „Hybriden“ steht insgesamt im Schnittfeld einer ganzen Reihe ästhetischer Diskurse, die sich mit Sprachen- und Medienmischungen, Verfremdungspraktiken, Phänomenen des Übergangs und der Entgrenzung auseinandersetzen. So kann der literarische Text als ein hybrides Gebilde beschrieben werden, in dessen Polyphonie sich Heterogenes artikuliert, das nicht auf einen einheitlichen Nenner reduziert werden kann; darüberhinaus gilt literarisches Schreiben vielfach auch als ein Prozeß des Entwurfs und der Darstellung hybrider Identitätsentwürfe. Der Akzent kann dabei unterschiedlich gesetzt werden: auf die Vermischung verschiedener Gattungen, Schreibweisen und Darstellungsmedien, auf kulturelle Diversität, Mimikry und ‘Maskerade’, auf die Abhängigkeit des Schriftstellers von differenten Sprachen und Symbolsystemen, auf die Erfahrung der Kontamination durch körperlich oder kulturell Fremdes als zentrales Thema moderner Literatur. Generell unterstreichen Vertreter einer Ästhetik des Hybriden meist das innovatorische und kreative Potenzial von Hybridisierungsprozessen. Eine enge Affinität besteht zwischen dem Vorstellungskomplex um Hybridisierung zum einen, um Verfremdung und Entautomatisierung auf der anderen. Die Ästhetik des Hybriden kann als Sonderfall oder als Fortführung der für die Moderne so wichtigen Ästhetik der Normverletzung und Verfremdung gelten. Nur noch einige wenige weitere Hinweise auf ‘hybride’ Begrifflichkeiten: In der Religionsanthropologie wird der Begriff des Hybriden verwendet, um synkretistische Verfahren und Vorstellungskomplexe zu charakterisieren. Hybrides entsteht, wo sich die mythischen Geschichten differenter kultureller Überlieferungen so miteinander verbinden, daß ein neues symbolisches Ordnungsgefüge entsteht. In der Sprachwissenschaft verweist der Begriff des Hybriden auf Kreolisierungsprozesse. Hybriditätsdiskurse verknüpfen sich hier mit Modellen der Dialogizität und Polyphonie, der Heteroglossie und des Karnevalesken, wie sie vor allem mit dem Namen M. Bachtins verbunden sind. Als hybrid charakterisiert werden ferner Textformen, die tradierte Gattungsmuster hinter sich lassen, sowie Texte, die aus heterogenen Elementen, Sprachmustern und Darstellungsformen zusammengesetzt sind. Als editionsphilologischer Begriff verweist der Ausdruck „hybrider Text“ auf ein Textkonstrukt, dessen Konstitution auf unterschiedlichen Quellen beruht.

Das Konzept des „dritten Raumes“ (Homi Bhabha)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vor allem Homi Bhabha hat das Konzept der Hybridität ins Zentrum seiner Reflexionen über postkoloniale Identitäten gestellt und das subversive Potenzial von Hybridierungsprozessen betont: Die verfremdende Aneignung von Elementen und Praktiken der einen Kultur durch die Angehörigen einer anderen Kultur destabilisiert demzufolge bestehende Machtverhältnisse und führt zur Auflösung starrer monokultureller Identitätskonstrukte. Bhabhas Denken changiert dabei zwischen kulturessentialistisch-ethnozentrischen und kulturrelativistischen Ansätzen. Er beschreibt Kulturen und ihre Beziehungen zueinander unter Betonung ihrer inneren Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit; Es gibt keine ‘reinen’ und ‘unkontaminierten’ Kulturen, alle Kulturen sind insofern inmer schon ‘dazwischen’. (H.K.Bhabha: Culture’s In Between. In: artforum international. September 1993, 167-214, hier 167.) Darum ist es gleichermaßen absurd, mit kulturkolonialistischem und ethnozentrischem Gestus auf der Reinheit und Authentizität der eigenen Kultur als einem Maßstab ihres Wertes zu beharren, wie es naiv ist, fremde Kulturen aus pauschal-kulturkritischer Haltung heraus zum Inbegriff des noch unkontaminiert Authentischen zu stilisieren. Kernstück von Bhabhas Kulturtheorie ist das erwähnte Konzept eines „dritten Raumes“, in dem sich das Eigene und das Andere nicht mehr als substanziell Unterschiedenes gegenüberstehen, aber auch nicht auf dialektische Weise miteinander vermittelt werden, sondern sich wechselseitig durchmischen und durchdringen. Im Zusammenhang damit begreift er den Nichtbesitz einer essentiellen kulturellen Identität als produktive Chance, die sich vor allem dem bietet, der zwischen den kulturellen Räumen physisch und mental unterwegs ist. Wer sich in einem dritten Raum zwischen den Kulturen bewegt, kann von den globalen Migrationsprozessen, von Prozessen des kulturellen Transfers und der Destabilisierung kultureller Konstrukte, Ordnungsvorstellungen und Codes profitieren. Obwohl Bhabas Überlegungen auf Kritik gestoßen sind, gilt das Konzept eines dritten Raumes heute weitgehend als ein geeignetes Modell zur Beschreibung der Beziehungen von kulturell Heterogenem, während substantialististische und auf verbindliche Differenzierungen setzende Konzepte der verschiedenen Kulturen im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr zu überzeugen vermögen. Die für die Kulturtheorien des 19. Jahrhunderts und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein leitende Vorstellung nationaler und kultureller „Charaktere“ und „Identitäten“ erscheint als obsolet - aber auch die dazu komplementäre relativistische These, alle Kulturen seien ihren vordergründigen Unterschieden zum Trotz in der Substanz gleich. (Das Dogma von der Gleichartigkeit der Kulturen verbindet sich laut Bhabha auf fast paradoxe Weise mit hegemonialen westlichen Ansprüchen auf den ‘einzig’ richtigen Standpunkt zur Beobachtung und Beurteilung der Welt - aus der Überschau der überlegenen Kultur.) Mit der Annahme eines dritten Raumes der Begegnung zwischen kulturell Verschiedenem ist gerade kein nivellierender Kulturrrelativismus gemeint, der das Andere einfachkeitshalber als leicht abweichende Manifestationsform des Eigenen domestiziert. Differenzen und Spannungen müssen anerkannt werden. Die „theoretische Anerkennung der Gespaltenheit des Äußerungsraumes“, so Bhabha, könne vielleicht der Vorstellung einer „internationalen Kultur“ den weg bahnen, welche „nicht auf der Exotik des Multikulturalismus oder der Diversität der Kulturen, sondern auf der Einschreibung und Artikulation der Hybridität von Kultur beruht.“ (Verortung der Kultur 58). Kulturtheoretische Hybriditätskonzepte entfalten sich im Kontext umfassender wissenschaftlicher Paradigmen. Mit konstruktivistischen Ansätzen verbindet den Diskurs über Hybridkulturen die Überzeugung vom nicht-essentiellen Charakter der Kulturen, ihrer Semantiken und Codes. Mit dekonstruktivistischem Denken steht das Denken der Hybridität insofern in einem Bündnis, als es darum geht, dichtotomische Modelle zu unterlaufen, vermeintliche Leitdifferenzen - wie die von Eigenem und Anderem sowie von Vertrautem und Fremdem - zu destabilisieren. Enge Berührungen, ja Überschneidungen bestehen hinsichtlich medienästhetischer und darstellungstheoretischer Frageansätze: Wie konstituieren sich Bilder und Konzepte der Kulturen medial, und in welchem Medium kommt es zu Hybridiserungen? Zentral für Bhabha und andere Vertreter postkolonialer Kulturtheorien ist vor allem die Frage nach der Darstellung fremder Kulturen und ihrer Vertreter in Sprache und Schrift. Läßt es sich vermeiden, deren Andersheit darstellend auf Eigenes zu reduzieren, ihr die eigenen Sprach- und Denkmuster so zu überlagern, daß sie ihre Diifferenzqualität einbüßt? Lassen sich vereinfachende Generalisierungen und Universalisierungen überhaupt vermeiden? Bhabha ist optimistisch und läßt mit seinem Hybriditätskonzept insbesondere Edward Saids polarisierenden Ansatz in „Orientalism“ (1978) hinter sich. Die Bewohner unserer (postkolonialen) Welt sind für ihn durch widersprüche Impulse bestimmt: durch die Furcht vor dem Anderen und die Sehnsucht nach dem Anderen. Bhabha weist unter anderem auf die subversiven Potentiale der Anpassung des Kolonisierten an die Kolonisatoren hin: Kulturelle Mimikry hat zumindest ein latentes Moment von Ironie. Gerade in Bezug auf Sprachen und Literaturen betont Bhabha, daß es einen „taste for in-between states and moments of hybridity“ gebe (Location of Culture 208) - einen „Geschmack“ am „Dazwischen“, ein zumindest latent lustvolles Erleben der Sapnnungen zwischen Vertrautem und Fremdem, Eigenem und Anderem.

Das Konzept der „Kreolisierung“ bei Édouard Glissant[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Édouard Glissant stellt ins Zentrum seine Reflexionen über „Kultur und Identität“, die sich (laut Untertitel) als „Ansätze zu einer Poetik der Vielheit“ verstehen, den Begriff der „Kreolisierung“. Dieser ist kein direktes Synonym zu dem der „Hybridisierung“, weil seine Einsatzmöglichkeiten (zumindest bisland) weniger ubiquitär sind; semantisch bestehen aber durchaus Affinitäten. Glissant - der mit „Kreolisierung“ einen sich (anders als der der „Hybridisierung“) von vornherein auf historisch-kulturelle Phänomene beziehenden Begriff lanciert - unterscheidet „Kreolisierung“ und „Vermischung“ in einer Hinsicht aber explizit: Die Ergebnisse von Vermischungsprozessen seien vorhersehbar (und er wählt Beispiele aus dem Bereich der Kreuzung von Pflanzen- und Tierarten), die von Kreolisierungsprozessen seien unvorhersehbar (14). Offenbar geht es Glissant darum, kulturelle Verwandlungsprozesse aus dem Assoziationsfeld um naturgesetzlich (genetisch) Determiniertes herauszuhalten, das mit dem Begriff der Hybridisierung als einem biologischen Terminus verbunden ist. Dadurch, daß der Begriff der Kreolisierung von Kreol-Sprachen abgeleitet ist, wird dem Kulturphänomen Sprache eine besondere Signifikanz zugeschrieben - und zwar jenseits des Logozentrismus. Ihren Ausgangspunkt nehmen Glissants Überlegungen von einem „Amerika der Kreolisierung“ zu dem er die Karibik, das nordöstliche Brasilien, die Guayanas und Curaçao, den Süden der USA, die Karibikküste Venezielas und Kolumbiens sowie weite Teile Mittelamerikas und Mexikos zählt, und das er als „Neo-Amerika“ von einem „Meso-Amerika“ (dem der Vöker, die den Kontinent schon immer bewohnten) und einem „Euro-Amerika“ (dem durch eureopäische Einwanderer geprägten Europa) unterscheidet (Kultur und Identität, 9). Er betont dabei, daß es sch nicht um eine regionale Aufteilung handelt, sondern die „drei Amerika“ einander überlagern (9). Die für die Kultur Neo-Amerikas maßgeblichen Prozesse sind aus Glissants Sicht nun ein Modellfall für Prozesse, die sich auch in anderen teilen der Welt abspielen: Die Welt insgesamt ‘kreolisiere’ sich - und damit verbunden sei eine vielfach oft nur widerstrebend vollzogene Ablösung von tradierten Identitätskonzepten - von solchen, die auf Differenz und Exklusion beruhen (Glissant spricht von einer „schmerzhafte(n) Mutation im menschlichen Denken“). Die Auseinandersetzung mit den kulturellen Leistungen und Zeugnissen, welche die Sklaven als eine von den europäischen Einwanderern zu unterscheidenden Migrantengruppe in Amerkia hinterlassen haben, bereitet laut Glissant einem neuen Denken den Weg: einem „Denken der Spur“ anstelle eines Systemdenkens oder Denk-Systems. In ihren Kreolsprachen und im Jazz als einer Kreolmusik haben die afrikanischen Migranten Spuren hinterlassen, die auch von anderen aufgenommen werden können. Das Denken der Spur versteht sich, hierin ganz übereinstimmend mit Bhabhas Konzept eines „dritten Raumes“, als antihierarchisch: In Kreolisierungsprozessen gelten die „in Kontakt gebrachten kulturellen Elemente“ als „gleichrangig“; wo dies nicht der Fall ist, kommt es nur zu ‘unvollständigen’ und ‘asymmetrischen’ Kreolisierungen. Einen Bruch mit tiefsitzenden Denkgewohnheiten impliziert der Begriff der „Kreolisierung“ noch in einer weiteren, mit seiner antihierarchischen Stoßrichtung freilich eng verbundenen Hinsicht: Aus der mit ihm markierten Perspektive gibt es keine einsinnig-linearen Beziehungen von Ursachen und Folgen, keine eindimensionalen Kausalketten mehr. Kreolisierung vollzieht sich rhizomatisch, schafft Vernetzungen; Kreol-Phänomene leiten sich nicht aus einer Linie von Ursachen und Folgen ab, sondern sind durch Vielheiten von anderen Phänomenen bedingt (19). Kreolsprachen entstehen aus einander heterogenen Ausgangssprachen als eine jeweils neue (dritte oder vierte) Sprache (16). Insofern sind sie zu unterscheiden von solchen Sprachen, bei denen eine Substratsprache durch das Aufnehmen fremdsprachlicher Elemente überformt wird, zu unterscheiden aber auch von „Pidgin“ im Sinn einer Reduktionsform codierter Sprache. Glissants Interesse gilt zwar vorrangig solchen Kreolsprachen, die als Resultat von unfreiwilligen Migrationen im amerikanischen Raum entstanden sind, aber er betont, „daß fast jede Sprache an ihrem Ursprung eine Kreolsprache“ sei, das Französische inbegriffen (17). Kreolisierungsprozesse und antisystematisches Denken können Ängste erzeugen, wie Glissant mehrfach hervorhebt - Ängste vor allem vor dem Verlust an Eigenem, an Eigenheit, an Identität, wie er unausweichlich scheint, wenn eine Abgrenzung gegenüber dem Anderen als unmöglich erscheint (19f.). Solchen Sorgen stellt er seine Idee der Entgrenzung und der Lust an Entgrenzungsprozessen entgegen, der Lust am Chaotischen und Durchmischten, der Lust am Unvorhersehbaren. Wenn Glissant sein Konzept der Kreolisierung in Orientierung an Prozessen der Sprachen-Geschichte entwickelt, so erscheint es im übrigen nur konsequent, daß Literatur und Literaturen als Erscheinungsformen künstlerischen Sprachgebrauchs für ihn eine Schlüsselrolle spielen, wenn es um Darstellungsformen einer kreolisierten oder doch einer sich kreolisierenden Welt geht. Glissant - selbst zweisprachig zwischen Antillen-Kreolisch und Französisch schreibend - votiert für eine Literatur, die im Bewußtsein notwendiger Vielsprachigkeit verfaßt wird. Insbesondere der Übersetzungsprozeß ist für Glissant ein Kreolisierungsprozeß. „Die Kunst des Übersetzens“ (so der Titel einer Abhandlung) schafft Durchgänge zwischen den Sprachen und erinnert an „die Souveränität aller Sprachen der Welt“ (36). Im Übergang zwischen den Sprachen erfahre und bekräftige gerade der Übersetzer deren „Einzigartigkeit“. Übersetzend überträgt man nicht einfach einen Text aus der einen Sprache in eine andere, sondern erfiendet „eine Ausdrucksweise (...) zwischen den beiden Sprachen“, so wie ein Dichter „eine Ausdrucksweise in seiner eigenen Sprache schafft“ (36). Diese neue Ausdrucksweise zwischen den Sprachen, die der Übersetzer hervorbringt, ist ‘unvorhersehbar’ wie andere Kreolisierungserzegnisse auch; auf diese Unvorhersehbarkeit, diese kausale Unableitbarkeit kommt es Glissant an. (Die Affinitäten zwischen postkolonialistischem und dekonstruktivistischem Denken zeigen sich hier einmal mehr.)

Hybridisierung als Schreibstrategie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von der Literaturwissenschaft ist das kulturwissenschaftliche Konzept der Hybridität nachdrücklich aufgegriffen worden; gestattet es doch die Beschreibung von Texten, die sich hinsichtlich ihrer kulturellen Provenienz nicht einem Raum, sondern mehreren zuordnen lassen und deren spezifische Ästhetik auf diesem Mischungsverhältnis beriuht; von Texten, die auf inhaltlicher Ebene Kulturbegegnungen, -konflikte und -durchmischungen darstellen und auf der Darstellungsebene durch Einflüsse aus unterschiedlichen Traditionen geprägt sind. Bhabha selbst hat Salman Rushdie ja als Kronzeugen für seine Kulturtheorie des Hybriden genannt. Gibt es literarische Schreibstrategien, die sich als Strategien der „Hybridisierung“ beschreiben lassen, dann wird durch sie der Text selbst zum „dritten Raum“, in dem sich kulturell Heterogenes mischt und miteinander verknüpft, ohne daß es dabei zu einer Absorption des für die eine Kultur Spezifischen durch eine andere Kultur, zur Kolonisierung des kulturell Fremden durch die ‘hegemoniale’ Interpretationsperspektive eines externen Beobachters oder aber zur Nivellierung kultureller Differenzen kommen darf. Nicht nur auf Literaturwissenschaftler, sondern auch auf literarische Autoren haben Hybriditätsbegriff und Hybriditätsdiskurse nachhaltig stimulierend gewirkt. Dies gilt vor allem für eine sich als post-kolonial verstehenden Literatur, die sich subversiv mit kulturellen und politischen Hierarchisierungen auseinandersetzt. Für diverse Vertreter einer jüngeren, vom Hybriditätskonzept beeinflußten Literatur gewinnt Kafka eine besondere Bedeutung: als literarischer Vorläufer und Wegbereiter, manchmal auch als konkrete Bezugsfigur. Dafür können mit Blick auf Kafkas Werk mehrere Gründe genannt werden: (a) Ein erster dieser Gründe liegt darin, daß in Kafkas Figurenrepertoire Zwischenwesen eine so wichtige Rolle spielen: Tiere, die sich wie Menschen verhalten, wie Menschen beschrieben werden oder sich selbst beschreiben - also durch ihre Darstellung ‘anthropomorphisierte’ Tier-Gestalten wie der Affe in „Ein Bericht für eine Akademie“, die Maus in „Josefine, die Sängerin“ oder das namenlose, dasacrtige Tier, das in „Der Bau“ seine unterirdische Arbeit beschreibt. Hinzu kommen Wesen von hybrider Gestalt wie das an eine Katze und ein Lamm erinnernde Wesen, das in dem Text mit dem programmatischen Titel „Eine Kreuzung“ beschrieben wird, oder der verunsichernde Odradek in „Die Sorge des Hausvaters“, der sich aus Bestandteilen zusammensetzte, die einerseits an Organisches, andererseits an Anorganisch-Mechanisches erinnern. (b) Wegweisend für viele nachfolgende Autoren wird zweitens Kafkas Darstellungsweise selbst, die dadurch charakterisiert ist, feststellende Aussagen zu vermeiden, ihre Gegenstände in einer doppelten bis mehrfachen Beleuchtung zu zeigen, heterogene Vorstellungsbilder einander zu überlagern, Differentes miteinander zu verknüpfen. Durch Einsatz ambiguisierender literarischer Mittel in ständig wechselnder Beleuchtung gezeigt, entziehen ganze Romanwelten (wie die des „Prozesses“ oder des „Schlosses“, aber auch schon die des traumhaft-alptraumhaften Amerika im „Verschollenen“), aber auch einzelne Figuren dem deutenden Zugriff, der sich auf Begriffpolaritäten wie sein und Schein, Gut und Böse, Schuld und Unschuld stützen möchte. (c) Kafkas Figuren und ihre Lebensverhältnisse sind drittens auf eine Weise konzipiert, die es sowohl gestattet, sie als Reflexionsfiguren über die Natur des Menschen zu lesen, ihnen also eine anthropologische und psychologische Bedeutungsdimension zuzuschreiben, wie auch, sie als Reflexionen über kulturelle Differenzen und Konflikte zu interpretieren. Neben psychologischen, anthropologischen, ‘somatischen’ und erkenntniskritischen Lesarten Kafkas stehen vor allem solche, die sein Oeuvre als Auseinandersetzung mit einem zwischen Assimilation und Selbstsuche changierenden Judentum verstanden wissen möchten. Der Affe im „Bericht über eine Akademie“ wird so beispielsweise zum einen in der Traditionslinie derjenigen Affen-Erzählungen gesehen, denen es um eine kritische Auseinandersetzung mit der Hegemonie des Menschen innerhalb der natürlichen welt und konkreter um eine Reaktion auf den Darwinismus geht; zum anderen hat man mit ähnlich guten Gründen in dem assimilationsbereiten Affen einen Beitrag zur Reflexion über die Stellung der jüdischen Kultur in Europa gesehen. Analog bietet sich auch „Josefine, die Sängerin“ zu mehrschichtigen Lektüren an. Unter dem Einfluß des postkolonialen Paradigmas in der Literaturwissenschaft sind Kafkas Texte insgesamt verstärkt als Auseinandersetzung mit Kulturkonflikten gelesen worden. In besonderem Maße anschlußfähig für literarische Nachfolger Kafkas - wenn man so will: in besonderem Maße hybridisierungsfähig - ist offenkundig „Die Verwandlung“. Die jüngere literarische Rezetionsgeschichte dieser wohl berühmtesten Erzählung Kafkas bietet sich an, um zu skizzieren, auf welchen Ebenen der Begriff der „Hybridisierung“ für die Beschreibung literarischer Darstellungen und Prozesse fruchtbar gemacht werden kann.

Reflexionen über kulturelle Hybridisierungsprozesse im Medium hybridisierenden Schreibens I: Mario Vargas Llosa: „El hablador“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mario Vargas Llosas Roman „El hablador“ von 1987 spielt hauptsächlich in Peru, in einem amerikanischen Raum also, in dem sich Meso- und Euro-Amerikanisches begegnen. Eine neo-Amerikanischen Hybridkultur wird - ohne daß genau dieser Begriff fiele - im Roman sogar explizit erörtert; mehrere Romanfiguren beschäftigen sich mit der Frage nach Voraussetzungen und Folgen des Kontaktes indigener und euroamerikanischer Sprachen, Lebensformen und Wirtschaftsstrukturen. Explizit vertreten werden von einzelnen Romanfiguren kulturkritische Positionen; das unaufhaltsame Verschwinden der vom euroamerikanischen Kapitalismus verschluckten indigenen Stammeskulturen erscheint als ein irreversibler Verlust. Wenn der Roman bei oberflächlicher Lektüre auch eher die Partei kulturessenzialistischer Kritiker des Globalisierungsgeschehens zu ergreifen scheint, so wäre es doch einseitig, und der Komplexität der erzählerischen Konstruktion unangemessen, ihn auf diese zu redizieren. Zumindest mittelbar kommt nämlich auch ein kulturrelativistischer Ansatz ins Spiel, aus dessen Perspektive zwischen den heterogenen Kulturen vor allem Analogie- und Spiegelungsverhältnisse bestehen. Allerdings läßt der Roman sich in seiner Vielschichtigkeit überhaupt nicht eindeutig für eine bestimmte Kulturtheorie vereinnahmen. Das third-space-Modell mag ihn auf der Ebene der dargestellten Gegenstände und Ereignisse beschreiben; ein ideologischer Schlüssel ist es nicht. Das Konzept des Hybriden entfaltet sich in „El hablador“ in seiner ganzen Polysemie, und es ist vor allem diese Polysemie, welche eine Zuordnung des Romans zu einem bestimnmten kulturtheoretischen Modell unmöglich erscheinen läßt. (a) Um Hybrides geht erstens im biologisch-anthropologischen Sinn: Der Protagonist, Saul Zuratas, ist mit einem riesigen Feuermal im Gesicht geboren, das ihm ein monströses Aussehen verleiht und ihm den Spitznamen „mascarita“, kleine Maske, einträgt. Zuratas - in dem Rahmen, den ein am Realismus orientierter Roman zuläßt, als ‘Tiermensch’ dargestellt - hat zwar Freunde, aber er bleibt aufgrund seiner hybriden Erscheinung doch stets ein Außenseiter, was ihn schließlich dazu motiviert, sich aus seiner peruanischen Heimatstadt zurückzuziehen. Er selbst vergleicht sich aufgrund seines Aussehens mit Kafkas Gregor Samsa. (b) Zweitens bespiegelt der Roman, wie angedeutet, im kulturtheoretischen Sinn Hybrides: Für die Romanhandlung konstitutiv ist zum einen das Schicksal der indigenen Stämme im mittelamerikanischen Raum, welche durch die westliche Kolonisation ihren Lebensraum und ihre Sitten eingebüßt haben und nun das marginalisierte Dasein einer sozialen Unterschicht ohne kulturelle Identität führen. Zweitens kommt dadurch, daß Zuratas jüdischer Abstammung ist, die Problematik des Judentums in seiner Multikulturalität und seiner Zerrissenheit zwischen Assimilationsbedürfnis und Selbstbehauptung ins Spiel. Zeitweilig glauben Zuratas Freunde, der Verschollene sei nach Palästina ausgewandert. (c) Drittens werden in sprachreflexivem Sinn hybride prozesse thematisiert. Ein Paar von im Umfeld der indigenen Stämme wirkenden Sprachwissenschaftlern bemüht sich darum, die Bibel in die Sprache eines Eingeborenenstammes, der Machinguengas, zu übersetzen. Der Roman deutet an, welch kolonialistischer Gestus mit der Christianisierung der Indianer verbunden ist. Doch nicht nur auf inhaltlicher Ebene geht es um Hybridisierungsprozesse; der Roman ist zudem auf eine Weise komponiert, die man als hybrid charakterisieren könnte. Wir vernehmen unterschiedliche Erzählerstimmen: Erstens erzählt ein Freund des seit langem verschollenen Zuratas von dessen Jugend und dessen Interesse an der Kultur der Machinguengas, die ob ihrer räumlichen Entfernung von der euroamerikanischen Kultur lange von dieser unkontaminiert geblieben sein sollen. Dieser Erzähler glaubt, in einem zufüllig entdeckten Photo ein Indiz dafür vor Augen zu haben, daß Zuratas statt nach Palästina tatsächlich zu den Machinguengas gegangen ist, wo er er nun die Funktion des traditionellen Geschichtenerzählers (span. hablador) innezuhaben scheint. Der Geschichtenerzähler ist konkret und ideell das Herzstück der indigenen kulturellen Welt: deren Mythenfundus, deren kulturelles Gedächtnis und deren Bindemittel - unverzichtbar angesichts der Verstreuung der Stammesgruppen im Urwald. Zweitens nun sind in diesen Ich-Erzählerbericht Passagen eingeflochten, welche der Stimme jenes Geschichtenerzählers zu entsprechen scheinen; sie handeln von Fabelwesen, vom Leben der Indianer, vom Urwald, von einem Wesen namens Tasurinchi und sind in einer Weise aufgebaut, die von konventionellem Erzählen abweicht - ein Endlosbericht, der sich unterschiedlich segmentieren läßt, aber keiner geschlossenen Form und keinem erkennbaren Ziel des Erzählens verpflichtet ist, eine scheinbar völlig fremdkulturelle Stimme. Schon diese Komposition des Romans aus konventionellem Ich-Erzählerbericht und „hablador“-Passagen legt mehrere alternative Auslegungsoptionen nahe: Es könnte sich auf intradiegetischer Ebene um die ‘tatsächliche’ Stimme des Hablador handeln, genauer: um Saul Zuratas in der Rolle des Hablador; es könnte sich aber auch um Fragmente eines Romans über den Geschichtenerzähler handeln, denn der Ich-Erzähler ist immerhin Schriftsteller und hegt ein solches Projekt. Wer da mit der Stimme des Hablöador spricht - Zuratas, der bei den Indianern lebt, oder sein Freund, der sich einen bei den Indianern lebenden Zuratas ausmalt, ist nicht eintscheidbar. Zudem stellen sich anläßlich einiger Passagen des Hablador-Berichts weitere Irritationen ein: Was auf den ersten Blick zumindest zu suggerieren scheint, hier solle die ‘authentische’ Erzählweise eines indianischen Erzählers wiedergegeben oder doch simuliert werden, ist auffälligerweise durchflochten mit Fremdkörpern - insbesondere mit zitathaften Anspielungen auf Franz Kafkas „Verwandlung“. Der amazonische Mythenheld Tasurinchi, dessen Geschichten diese Hablador-Stimme erzählt, verschmizt mit der des Gregor Samsa, dessen Name sogar explizit fällt und auf dessen Schicksal angespielt wird. Mehr noch: Die Verschmelzung von Gregor Samsa und Tasurinchi wirkt, als sei sie erfolgt, um Zuratas’ Geschichte erzählbar zu machen: die eines stigmatisierten Außenseiters wie er (kulturrelativistisch gedacht) ‘überall’ vorkommt. „(...) Dies ist die Geschichte. Das war danach, am Fluß des Tapirs. Ich war ein Mensch. Besaß eine Familie. Ich schlief. Und dann erwachte ich. Kaum schlug ich die Augen auf, da verstand ich, o weh, Tasurinchi! Denn ich hatte mich in ein Insekt verwandelt. In eine Machacuy-Zikade, vielleicht. Tasurinchi-Gregor war ich. Ich lag auf dem Rücken. Da war die Welt größer geworden. Ich bemerkte alles. Diese behaarten, aus Ringen bestehenden Füßchen waren meine Füße. Diese schlammfarbenen, durchsichtigen Flügel, die knisterten, wenn ich mich bewegte, und mir so weh taten, waren wohl zuvor meine Arme gewesen? (...) Ich sah diese Welt auf andere Weise: sah ihr Unten und Oben, ihr Vorne und Hinten zur gleichen Zeit. Denn jetzt, da ich ein Insekt war, besaß ich mehrere Augen. Was ist dir nur widerfahren, Tasurinchi-Gregor? Hat ein böser Zauberer eine Strähne deines Haars gegessen und dich verwandelt? (...) Ich fühlte große Scham, als ich mich erkannte. Was würde meine Familie sagen? Denn ich besaß eine Familie, wie die anderen Menschen, die gehen, so scheint es. Was würden sie denken, wenn sie sähen, daß ich mich in ein häßliches, schmutziges Tier Verwandelt hatte? Eine Machacuy-Zikade wird einfach zertreten. Dient sie vielleicht als Nahrung? Zur Heilung von Schäden? (...) Aber meine Verwandten sagten nichts. Sie ließen sich nichts anmerken und kamen und gingen in der Hütte am Fluß, als bemerkten sie das Unglück nicht, das mir widerfahren war. Sie schämten sich wohl auch: Wie man ihn verändert hat! sagten sie, gewiß nannten sie mich deshalb nicht bei meinem Namen. Wer weiß. Und währenddessen sah ich alls. Die Welt schien zufrieden wie zuvor. (...)“ (238f.) Deutet man die hybride Erzählweise als Ausdruck der Suche nach einer Ausdrücksmöglichkeit persönlicher Erfahrungen, so läßt sich dies wiederum auf zwei kontroverse Weisen erklären: Zuratas selbst könnte sich die Geschichten des Tasurinchi und des Gregor Samsa geborgt haben, um Eigenes erzählen. Oder sein Freund könnte sein Romanprojekt entsprechend konzipiert haben. Evident ist nur die Hybridisierung als solche. Ihre Hintergründe bleiben unbeleuchtet bis zuletzt; einer Theoretisierung entzieht sie sich damit. Bezogen auf kulturtheoretische Konzepte hinterläßt der Roman offene Fragen. Kulturessentialistischen Positionen steht er dort nahe, wo der Identitäts- und Kulturverlust der Indianer unter dem Einfluß euroamerikanischer Kolonisatoren beklagt wird. Die sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Handlung macht sinnfällig, wie schnell und restlos Kulturen ausgelöscht werden. Die im Roman ausgedrückte Klage über solches Verschwinden ist ernst zu nehmen - als Trauer über einen substanziellen, durch keine kulturkonservatorischen Bemühungen kompensierbaren Verlust. Kulturrelativistisch nimmt sich die Geschichte des Geschichtenerzählers aus, wenn man die Analogien zwischen der Geschichte Gregor Samsas, der Saul Zuratas’ und der Tasurinchis bedenkt. Es könnte dann nämlich scheinen, als liege die zentrale Botschaft des Romans in der These, daß der deutsch-böhmische Jude Kafka eine Modellgeschichte geschrieben habe, mittels derer sich nicht nur der entstellt geborene Jude Zuratas in Peru artikulieren und interpretieren kann, sondern die zudem im Grundtenor dem mythischen Geschichtenpotenzial eines indianischen Stammes assimilierbar ist. Auch diese These sollte ernst genommen werden: Literatur vom Range der Texte Kafkas erscheint im Sinnhorizont des Romans als Darstellung menschlicher Grundsituationen der Entfremdung, der Isolation, der Stigmatisierung - und als ein Repertoire, an das sich anschließen läßt, um das eigene Leben erzählbar zu machen, ob man nun ein peruanischer Hobbyethnologe oder ein indianischer Geist ist. Bleibt das third space Modell: Tatsächlich finden sich im Bericht der Hablador-Stimme Elemente der indianischen Mythenwelt neben solchen aus der Welt Kafkas, sie vermischen sich, bleiben aber erkennbar und treten in Spannung zueinander. Insofern ließe sich der Text dieser Stimme durchaus als ein ‘dritter Raum’ zwischen der westlichen und der indianischen Kultur beschreiben. Allerdings wissen wir ja nicht, auf welches Sprecher- der Schreiber-Ich wir ihn beziehen sollen: auf Zuratas, der sich möglicherweise selbst einen dritten Raum erschlossen hat, indem er aus der westlich geprägten Zivilisation zu den Indianern ging und mit diesen ihre Lebensweise teilt - oder auf seinen Schriftstellerfreund, der einen raffinierten Roman über Saul und die Machinguengas in Arbeit hat. Man mag erstere These (Saul spricht als Hablador) für reizvoller halten, weil sie der positiven, ja utopischen Semantisierung eines solchen dritten Raumes Vorschub leistet: der Idee des Erzähltextes als eines Refugiums für das kulturell Disparate, das sich hier trifft und in einen Dialog tritt. Aber die zweite These (derzufolge wir auch in der scheinbar authentischen Bekundung des Tasurinchi nur ein literarisches Hybridkonstrukt von fragwürdiger Authentizität lesen) läßt sich nicht von der Hand weisen. Sie versammelt auf der Seite der sie stützenden Argumente vor allem eines: Vargas Llosas Roman demonstriert an und durch sich selbst, daß peruanische Schriftsteller sich Indianerkulturen und ihre Mythen zum Ausgangssubstrat nehmen können, um daraus unter hybridisierender Verbindung mit europäischen Elementen einen Roman zu machen. Ein wichtiges Argument gegen die Identifikation der Hablador-Stimme mit der des (auf intradiegetischer Ebene) ‘wirklichen’ Zuratas ist übrigens, daß gerade dieser vor seinem Verschwinden vehement dafür eingetreten war, die indigenen Kulturen, sofern sie noch existierten, unbehelligt zu lassen. Sollte er tatsächlich selbst gegen dieses Prinzip verstoßen haben, um als Fremder bei den Indianern einzudringen, um deren Geschichten mit Elementen westlicher Literatur zu durchmischen, bloß um seinem Drang zur Erzählung der eigenen Geschichte oder einem ethnologisch motivierten Ehrgeiz zu genügen? Ein weiteres Moment am Diskurs der Hablador-Stimme ist ebenso mehrdeutig: Diese Stimme erzählt nämlich auch von Christus und nimmt eine Überblendung der Figuren Gregor Samsas, Saul Zuratas’ und Tasurinchis vor. Kulturessentialistisch betrachtet, ist das eine massive Form der Kolonisierung der indianischen Mythen- und Glaubenswelt, schlimmer noch als die Übersetzung der Bibel, welche auf Betreiben der linguistischen Übersetzer in die indianische Welt eindringt. Kulturrelativisch gelesen, lautet die Botschaft hingegen anders: Die Mythen aller Vöker erzählen analoge Geschichten, und diese wiederum korrespondieren menschlichen Grunderfahrungen. Der third-space-Theoretiker wird es bei der Feststellung belassen, daß die Hablador-Passagen äußerst kunstvolle Gewebe aus heterogenen Partikeln sind, welche die integrative Macht des Erzählens eindrucksvoll unter Beweis stellen. Nochmals: Vargas Llosas Roman ist hybrid - aber seine Konstruktion sperrt sich gegen eine deutende Vereinnahmung für bestimmte Kulturtheorien. Immerhin helfen diese dabei, die Problematik und die Ambiguitäten des Romans besser wahrzunehmen und zu explizieren.

Reflexionen über kulturelle Hybridisierungsprozesse im Medium hybridisierenden Schreibens II: Yoko Tawada[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Yoko Tawada ist eine Autorin, die zwischen der westlichen und der östlichen Kultur lebt und schreibt. Anders als Vargas Llosa, in deren Roman die indianische Kultur als fremde, die westlich geprägte (euroamerikanische) Kultur als die eigene reflektiert wird, ist sie Grenzgängerin zwischen zwei kulturellen Sphären, die ihr zum einen beide vertraut sind (die hat in Japan und im Westen gelebt, ist in der einen wie in der anderen Literatur zuhause), die sie andererseits aber aus dieser Situation heraus beide als fremd wahrnimmt. Die für ihre Texte vielfach typische Durchmischung kultureller Elemente japanischer und westlicher Provenienz - einer Provenienz, die als solche erkennbar bleibt - legt es nahe, diese Texte selbst mit der Metapher des „dritten Raumes“ zu charakterisieren - und zwar sowohl bezogen auf deren Inhalte (die intradiegetischen Welten, die dargestellt werden) als auch vielfach bezogen auf die Ebene der sprachlichen Darstellung als solche. Hier gibt es wiederum verschiedene Strategien der hybridisierenden Durchmischung zu unterscheiden: So werden etwa japanische Wörter und Silben in deutschsprachigen Texten zitiert, um Klangverwandtschaften und Assoziationen zur Sprache zu bringen. Oder deutsche Texte enthalten asiatische Schriftzeichen. Oder die deutsche Sprache wird dazu verwendet, Eigenschaften des Japanischen und des Chinesischen zu beschreiben. In dem intradiegetischen kulturell durchmischten „dritten“ Raum, wo Tawada ihre Geschichten spielen läßt, vollziehen sich mancherlei Verwandlungen an Körpern, Körperorganen und Stimmen. Dadurch bringt sich nicht zuletzt die Herkunft des kulturtheoretischen Hybriditätskonzepts aus dem Bereich des Physiologisch-Soimatischen in Erinnerung. Tawadas Tübinger Poetik-Vorlesungen stehen unter dem Titel „Verwandlungen“. Hier erörterte Gegenstände sind unter anderem die Sprache der Vögel und die Neigung der Erzählerin selbst, fremdsprachiger Artikulationen als die Stimmen von Vögeln wahrzunehmen, in ihrer Imagination also zu hybridisieren, hörend Tiermenschen zu kreieren. Dies gilt auch für die eigene Stimme. In eine fremde Sprachsphäre versetzt, wird diese zum flatternden Vogel (Tawada: Verwandlungen, S. 10). In Tawadas Beschreibung werden die Vertreter differenter Sprachräume zu allerlei Vogelarten, die allesamt unterschiedlich zwitschern. Wer sich beim Zwitschern selbst beobachtet - wie vor allem die reflektiert mit Sprache umgehende Schriftstellerin - ist ein doppelt hybrides Wesen: „Wer mit fremder Zunge spricht, ist ein Ornithologe und ein Vogel in einer Person.“ Ebenso prägend wie der Motivkomplex um körperliche Metamorphosen ist für Tawadas literarisches Werk das Interesse an Sprachlichem; oft verknüpft sich beides miteinander. Die metamorphotischen Körper in Tawadas Welt sind Hybridwesen unterschiedlicher Art, Hybridwesen auch bezogen auf verschiedene sprachliche Prägungen: Miteinander gekreuzt werden menschliche und animalische Erscheinungen, organische und anorganische Objekte, Alltags- und Fabelwesen, Figuren westlicher und östlicher Provenienz - und Wörter, Silben, Sätze, Zeichen. Ein Typus des Hybridwesens, der in den Märchen und Mythen Asiens wie Europa auftaucht, ist die Wasserfrau. Tawadas Kollektion an Gestalten des Übergangs und der Durchmischung enthält mehrere Nachfahrinnen dieser Wasserfrauen. Deren Geschichten sind unter anderem deshalb typisch für das Werk der Autorin, als gerade in ihnen die Überblendung verschiedener Dimensionen der Hybridisierung - eine körperbezogene und eine kulturelle - sichtbar wird. In der an ein angeblich überliefertes, tatsächlich von der Autorin verfaßtes japanisches Märchen anknüpfenden Erzählung „Das Bad“ wird an den Ursprung aller Dinge aus dem Flüssigen erinnert - ein Ursprungsmythos, zu dem es in der westlichen Welt Pendants gibt. Auf stofflicher Ebene ließe sich die hier erzählte Geschichte als Kreuzung einer japanischen Geschichte um eine Fischfrau mit der europäischen Melusinenfabel beschreiben. (An die Erzählung schließt sich ein japanisches Verwandlungsmärchen um eine geschuppte Frau an - wie zur Bekräftigung der Analogien zwischen westlichen und östlichen Legendenwelten. ) Auf semantischer Ebene finden noch weitere Kreuzungen statt; so wird - ähnlich wie in „Opium für Ovid“ - das mythische Substrat zum Anlaß, alltägliche Erfahrungen mit der eigenen Leiblichkeit - konkret: Prozesse des Alterns als einer so trivialen wie schmerzlichen Metamorphose - zu thematisieren. Tawadas Texte lassen kulturessentialistische und kulturrelativistische Thesen hinter sich und erzegen zwischen diesen selbst einen ‘dritten’ Zustand - zwischen der Idee einer Nicht-Vermittelbarkeit des kulturell Fremden auf der einen Seite und der Idee kulturübergreifender Konstanten auf der anderen Seite. Die Erfahrung der Fremdheit des Selbst und die Wahrnehmung des eigenen Körpers sind transkulturell - allerdings artikulieren sie sich auf kultuspezifische Weisen. Raum und Medium der Hybridisierung ist die Sprache - dies vor allem hebt Tawada immer wieder hervor; Vokabeln wie „Schuppen“ schließen die zunächst hetereogenen Vorstellungswelten von alltäglicher Körperpflege und mythischen Fischmenschen aneinander, und Fabelwesen, die in überliegferten Erzählungen ihren Ort haben, fungieren als Scharniere zwischen den kulturellen Welten, deren Eleemente miteinandre verknüpft werden. Tawadas Geschichten um hybridisierende Metamorphosen sind Geschichten über Sprache. Daß Hybridisierungsvorgänge bei Tawada an Sprache geknüpft sind, sich im medium der Sprache vollziehen und sich vielfach in polysemen Vokabeln kondensieren, illustriert exemplarisch das Spiel mit dem Wort „Seezunge“, also dem Namen eines Fischs, der zugleich aber die Vokabel für „Sprache“ in seinem Namen trägt, wenn man sich daran ereinnert, daß Zunge und Sprache im Griechischen, im Lateinischen sowie in den neueren romanischen Sprachen einen und denselben Namen tragen. Die Dolmetscherin liebt Seezungen und scheint sie als ihresgleichen zu betrachten. Als ein weißer Fisch aufgetragen und zerlegt wird, identifiziert sie sich auch mit diesem, verwandelt sich in ihrer Imagination in das vom Koch entschuppte Tier - und erinnert sich an Erfahrungen aus der Schulzeit, die mit einerm für ihr japanisches Heimatland offenbar typischen Sprachverhalten zusammenhängen: Bis zum Schulalter hat sie über sich selbst immer nur in der dritten Person gesprichen, doch mit einemmal sollte sie in in die erste Person wechseln. Aus einer „Yoko“ wurde ein „Ich“ - aus grammatikalischen Gründen übersetzt in etwas Anderes - eine irritierende grammatische Metamorphose. Die Erfahrung, sich selbst unterschiedlich benennen zu können und von diesen unterschiedlichen Benennungen auf jeweils andere Wese in der Selbstwahrnehmung geprägt zu sein, führt bei der Erzählerin auch schon innerhalb der japanischen Welt zur Wahrnehmung des eigenen Ichs als hybrides Wesen; ein Teil ihres Ichs ist ja offenbar immer ein Sprach-Ich. Weiterre Transformations- und Hybridisierungsprozesse vollziehen sich, induziert durch Wörter, beim Eintritt in fremde Sprachräume. Das Märchenmotiv des Zungenraubs leitet in „Das Bad“ eine Sequenz phantastischer Ereignisse ein, die sich als verschlüsselte Hinweise auf die labile psychische Verfassung der Ich-Erzählerin deuten lassen, für die sich Alltagswelt und Märchenwelten offenbar durchmischen - und als Elemente einer Traumerzählung, allerdings ohne daß sich die Polysemie des Berichts durch solch psychologische Deutungen auflösen ließe. Offenbar scheitern mehrfach die Versuche der Erzählerin, sich selbst gegen anderes und andere abzugrenzen; sie wird zu einem ‘schwimmenden’ Wesen - und es ist nur konsequent, wenn sie sich in ihren Phantasien oder Träumen zunächst bei einem Zirkus, dem gerade der Fischmensch weggestorben ist, um Anstellung als Schuppenfrau bewirbt und sich dann als Fisch auf einem Teller wiederfindet. Ein Koch entfernt ihre Schuppen und sie erwacht. Die Erzählerin reist heim zu ihrer Mutter in Japan, also dorthin, wo die Identitätskrise ihren Ausgang nahm. Behoben wird die Krise dadurch nicht. Nach Deutschland zurückgekehrt, bleibt die Zunge verloren. Unfähig zum Sprechen, kann die Erzählerin nicht mehr als Dolmetscherin arbeiten, sondern nur noch als Typistin, wobei sie meint, Geisterstimmen in Buchstaben zu übersetzen. Schrift ist sichtbar gemachte Sprache (lingua/Zunge) - und so mag es passend zu Tawadas Spiel mit Phonemen in der Geschichte auch um eine Seh-Zunge gehen. Ein Fazit: Vargas Llosa und Tawada konkretisieren das Konzept des ‘dritten Raumes’ als eines Raumes, in dem sich Hybridisierungsprozesse vollziehen, in einer verglechbaren Weise: Der Text-Raum wird zum dritten Raum. Die Werke beider handeln von Hybridisierungsprozessen und vollziehen selbst Hybridisierungen - jeweils mittels spezifischer unterschiedliche Schreibstrategien. Prägend für Vargas Llosas ‘hybrides’ Erzählen ist erstens die ostentative Kreuzung von stofflichen Substraten unterschiedlicher kultureller Provenienz: Mythischen Elementen aus der kollektiven Phantasie der Amazonas-Indianer werden Elemente aus kafkas „Verwandlung“ sowie Motive aus der christlichen Passions- und Heilsgeschichte an die Seite gestellt. Eine zweite Strategie der Hybridisierung entfaltet sich auf kompositorischer Ebene, nämlich durch die Konzeption des Romans als polyphon. Es läßt sich zwar nicht eindeutig kläreen, wessen Stimme zu hören ist, wenn von Saul Zuratas, Gregor samsa und Tasurinchi erzählt wird; sicher ist aber, daß es sich um verschiedene Stimmen handelt - seien diese nun auf derselben Ebene intradiegetischer Wirklichkeit lokalisiert oder nicht. Tawadas Hybridisierungsstrategien nehmen in stärkerem Maße ihren Ausgang von Vokabeln. Vokabeln wie „Seezunge“ katalysieren phantastische Hybridisierungsprozesse und werden selbst auf hybridierende Weise verfremdet. Beide Autoren beschreiben und verwenden Sprache in einer Weise, die diese als Medium und Katalysator verschiedener (auch somatischer) Hybridisierungen erscheinen läßt. Zugleich erinnern beide daran, daß wir alle immer schon in einer hybriden Welt - in einem ‘dritten Raum’ leben. Eine Schlüsselrolle spielen bei beiden die Übersetzer, die mit der babylonischen Verfaßtheit der Welt aus naheliegenden Gründen in besonderem Maße konfrontiert sind - ohne sie dabei aus souveräner Überschau beobachten zu können. Vargas Llosa wie Tawada bringen in ihren Texten die verschiedenen semantischen Dimensionen des Hybriditätskonzepts zum Verschmelzen, insbesondere die kulturtheoretisch-kulturreflexive und die somatische Dimension. Die Selbstwahrnehmung von Protagonistenfiguren als hybride Körperwesen sensibilisiert sie für Hybriditätserfahrungen anderer Art - für die Hybridität des kulturellen Raumes in dem sie sich bewegen. Die Verknüpfung somatischer und kultureller Hybriditätserfahrung erfolgt über die Sprache als ein in mehrfachem Sinne hybrides Medium. Bei Vargas Llosa führt möglicher die monströse Gestalt der Hauptfigur Zuratas dazu, daß dieser in die ihm fremde Mythen- und Sprachwelt der Machinguengas eintaucht, um dort als Geschichtenerzähler kulturell hybride Texte zu produzieren. Der Selbstentwurf als ‘maskierter’ Erzähler hat - folgt man dieser Lesart der Geschichte - einen kompensatorischen und zugleich einen sublimierenden Zug: Aus der entstellenden Gesichts-Maske wird die Maske eines Erzählers, in dessen Geschichten das Heterogene miteinander verknüpft erscheint. Ob ein solch hybrides Erzählen eine praktikable Alternative zum Übersetzen und Missionieren des euroamerikanischen Kolonisatoren darstellt, bleibt allerdings offen. Bei Tawada bildet die Wahrnehmung des eigenen Körpers als hybrid vielfach die Ausgangserfahrung der Geschichten. Sie verknüpft sich mit der Reflexion über doppelte kulturelle prägungen und die bis zum Somatischen reichende macht der diversen Sprachräume über das Ich und seine Selbstentwürfe. Vokabeln lassen Entzweiungen sichtbar werden, ja sie können sie auslösen; Vokabeln sind aber auch mögliche Brücken zwischen den verschiedenen Kulturräumen, auch und gerade, wenn sie gegen den Strich der Konvention gelesen und geschrieben werden.

Thema des 4. Tages: Hybridität von Sprachen und hybrides Schreiben > Hybride Sprachexperimente[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

zum Beispiel: Ernst Jandel > Neundlinger [1]

(1) Einleitung In seinem Roman „Il nome della rosa“ läßt Umberto Eco 1980 eine Figur auftreten, deren äußeres Erscheinungsbild mittelalterlichen Monstren gleicht. Durch ihre Häßlichkeit erscheint das Normalbild des Menschen auf groteske Weise verfremdet, und zugleich ist sie durch eine hybride Redeweise charakterisiert. Dabei trägt die so groteske wie tragische Gestalt des ehemaligen Ketzers, der schließlich auf dem Scheiterhaufen der Inquistion landet, den schönen Namen „Salvatore“ (Erlöser). Salvatore begrüßte die Hauptfiguren des Romans mit einem Kauderwelsch, in dem sich Elemente verschiedener europäischer Volkssprachen mit dem Lateinischen durchmengen. Der deutsche Übersetzer des Romans, Burkhardt Kroeber, hat die Passage sorgfältig umgeschrieben und um deutsche Elemente erweitert. „‘Penitenziagite! Vide quando draco venturus est a rodegarla l’anima tua! La mortz est super nos! Prega che vene lo papa santo a liberar nos a malo de todas la peccata. Ah ah, ve piase ista negromanzia de Domini Nostri Jesu Christi! Et anco jois m’es dols e plazer m’es dolors... Cave el diabolo! Semper m’aguaita in qualche canto per adentarme la carcagna. Ma Salvatore non est insipiens! Bonum monasterium, et aqui se magna et se priega dominum nostrum. Et el resto valet un figo seco. Et amen. No?’“ (Umbert Eco: Il Nome della Rosa, S. 54) „'Penitenziagite! Siehe, draco venturus est am Fressen anima tua! La mortz est super nos! Prego, daß Vater unser komm, a liberar nos vom Übel de todas la peccata. Ah, ah, hihihi, Euch gfallt wohl ista negromanzia de Domini Nostri Jesu Christi! Et anco jois m'es dols e plazer m'es dolors... Cave el diabolo! Semper m'aguaita, immer piekster und stichter, el diabolo, per adentarme le carcagna. Aber Salvatore non est insipiens, no no, Salvatore weiß Bescheid. Et aqui bonum monasterium, hier lebstu gut, se tu priega dominum nostrum. Et el resto valet un figo secco. Amen. Oder?'“ (Der Name der Rose, S. 64) Salvatores Redeweise erinnert an das späte Mittelalter (der Roman spielt im 14. Jahrhundert) als an eine historische Epoche, als in Europa ‘babylonische’ Zustände herrschten, die Volkssprachen sich gegenüber dem Lateinischen allmählich emanzipierten und gegeneinander ausdifferenzierten, ohne daß sie bereits durch schriftliche Fixierung eine endgültige Codifizierung erfahren hätten. Zudem gab es insofern keine homgenen Sprachräume, als das Latein und die Volkssprachen schichtenspezifisch gesprochen wurden und in der gesellschaftlichen Kommunikation unterschiedliche Funktionen innehatten. Über seinen Status als Repräsentant einer Epoche der Sprachenmischung hinaus ist Salvatore zugleich eine Reflexionsfigur, welche auf die Geschichte der philosophischen und theologischen Spekulationenen über Sprache und Sprachenvielfalt, deren Ursachen und deren Kompensierbarkeit verweist. Als Ursache der Sprachzersplitterung galt dem christlichen europäischen Mittelalter die Katastrophe von Babel (die allerdings durchaus unterschiedliche Kommentierungen und Auslegungen erfuhr). Ecos an der Romanhandlung teilhabender und insofern selbst in ‘mittelalterlichen’ charakterisiertenVorstellungen befangener Ich-Erzähler erwägt, ob Salvatores Idiom womöglich einen Stand sprachlicher Entwicklung repräsentiere, der genau dem Moment der biblischen Katastrophe von Babel, also dem Moment der Verwirrung bereits von der einstigen allgemeinen Sprache abgefallener und zersplitterter Sprachen entspreche. Gerade das wirre Idiom des Laienbruders wäre dann ein Abbild der Sprachlichen Situation der gesamten Menschheit. Die aus mittelalterlicher Sicht noch leitende Vorstellung, es habe einst eine ursprüngliche, wahre und universelle Sprache gegeben, die in Babel verlorengegangen sei und die es wiederzufinden gelte, erscheint aus der Perspektive der historisch denkenden und vom Glauben an das sprachliche Relativitätsprinzip durchdrungenen Neuzeit obsolet. Allerdings verliert sich mit der Anerkennung der Vielheit der Sprachen als einem historischen Faktum nicht automatisch das Bedürfnis nach einem Medium universaler Kommunikation. Sprachlich hybrides Kauderwelsch verweist insofern auf ein Defizit, das noch immer als solches empfunden wird, auch wenn eine Behebuneg des Defiezits kaum mehr denkbar erscheint - es sei denn um den Preis einer Reduktion der Komplexität sprachlicher Ausdrucksmittel durch den Gebrauch einer allgemeinen Verkehrssprache oder einer codifizierten Kunstsprache wie Esperanto. Salvatore steht als Repräsentant einer Zeit der Durchmischung von Latein und Volkssprache schließlich auch für einen Nebenzweig der Dichtungsgeschichte, der Lieder wie „in dulci jubilo“ (15. Jahrhundert) hervor gebracht hat (das übrigens noch bei Thomas Pynchon zitiert wird). Die Verschmelzung von Volkssprache und Gelehrtensprache suggeriert eine Überschreitung der Grenze zwischen einfachem Volk und Angehörigen höherer Bildung. „In dulci jubilo Nun singet und seid froh! Unsers Herzens Wonne Leit in praesepio Und leuchtet vor die Sonne Matris in gremio. Alpha es et O!

O Jesu parvule, nach dir ist mir so weh. tröst mir mein Gemüte, o puer optime, durch alle deine Güte, o princeps gloriae. Trahe me post te! Trahe me post te! (...)“

Ecos Salvatore - dessen Beschreibung im Roman und dessen Darstellung in Annauds Romanverfilmung sich an die Plastiken mittelalterlicher hybrider Fratzen anlehnt - ignoriert ebenfalls auf ‘ketzerische’ Weise die für die mittelalterliche Sprachwelt noch wichtige Grenze zwischen dem Latein der Kirche und den Volkssprachen der Laien. Sein an an mehrsprachige mittelalterliche Dichtungen erinnerndes Gestammel ist aber zugleich Zitat aus einem literarur- und texttheoretischen Diskurs der Moderne, nämlich eine Reminiszenz an die Poetik Michail Bachtins (auf die noch kurz zurückzukommen sein wird).

Spielformen der Sprachenmischung und ihre Funktionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Tradition eines Dichtens, bei dem Elemente mehrerer Sprachen innerhalb eines Textes eingesetzt werden, reicht bis in die Antike zurück. Allerdings galt, wie Alfons Knauth, zu Recht konstatiert hat, diese ‘polyglotte Poesie’ normalerweise als „unseriös“ (als verspielt, als unernst, als bestenfalls volkstümlich). Knauth: „Erst als man merkte, daß der Mensch an sich nicht seriös ist, erkannte man ihren Ernst“ (poethik polyglott 43). Für die frühesten uns überlieferten Beispiele poetische Sprachmischung ist zugleich ihre besondere visuelle Gestalt konstitutiv, also die Hybrisdisierung der bildlichen und der sprachlichen Dimension der Texte. Ulrich Ernst hat die älteren Forschungen zur mehrsprachigen Dichtung um den wichtigen Hinweis auf die Visualdichtung als ein besonders wichtiges Feld der Sprachenmischung ergänzt, das lange Zeit nicht berücksichtigt worden ist. Schon in der Antike entstehen Bildgedichte. Um 300 v. Chr. schaffen Simias von Rhodos, Theokrit und Dosiadas von Kreta Umrißgedichte; im 4. Jh. n. Chr. entstehen die Gittergedichte des Optatianus Porfyrius. Diese sind dadurch charakterisiert, daß einem Basistext ein Intext eingeschrieben ist. Porfyrius verwendet diese Form u.a. dazu, Sprachen miteinander zu ‘kreuzen’: Carmen XVI seiner Sammlung besteht aus einem lateinischen Text (in Hexametern), innerhalb dessen durch Umrahmung vier Buchstabensäulen markiert sind; drei dieser Säulen sind als lateinische Transkriptionen griechischer Sätze zu lesen (Ernst 51). Gedicht XIX enthält ebenfalls sowohl lateinische als auch griechische Intexte. Auch der spätantike gallische Dichter Decimus Magnus Ausonius hat neben anederen Textformen Visualgedichte geschaffen, und bei ihm gibt es wiederum Beispiele für Sprachenmischungen (lateinische und griechische Verse finden sich in seinen Epigrammata 31, 35 und 41 kombiniert). In einer Epistel (Nr. VI) des Ausonius an seinen Schüler Meropius Pontius Paulinus werden innerhalb der Einzelverse griehische und lateinische Wörter (in jeweils entsprechender Schrift) verwendet (dazu Ernst 53f.). Im Mittelalter bieten Visualtexte (carmina figurata) ebenfalls Anlaß zur Sprachenmischung (Beispiele bei Ernst 55ff.). Unter anderem wird die Form des Akrostichons zur Integration heteroglosser Sprachelemente in poetische Texte genutzt. Otfrid von Weißenburg hebt in volkssprachlichen (althochdeutschen) Basistexten lateinische Intexte heraus. Ein anonym überlieferter mittelhochdeutscher theologischer Text aus dem frühen 14. Jahrhundert weist ein griechisches Akrostichon auf. Gelehrte Theologen und Laien erweitern das Spektrum der Formen poetischer Mehrsprachigkeit. Der Troubadour Raimbaut de Vaqueiras mischte in den Strophen seiner Dichtungen Elemente des provenzalischen, Italienischen, Französischen Gascognischen und Galizisch-Poertugiesischen. Der sogenannte „Bruder Hans“ verfaßt Gedichte, die zeilenweise zwischen dem Französischen, Englischen, Lateinischen und Deutschen wechseln (Ernst 61). Im ausgehenden 15. Jahrhundert bringen italienische Dichter einige Texte hervor, die unter Anspielung auf die Rivalität zwischen Volks- und Gelehrtensprache gescmischtsprachig verfaßt sind. Die witzig wirkende Verknüpfung von lateinischen und volkssprachlichen Elementen diente der scherzhaft-parodistischen Verspottung der Gelehrtenkultur. Das nicht vollendete komische Epos „Maccaronea“ des paduanischen Humanisten Tifi degli Odasi gab der Schreibweise ihren Namen: Man sprach fortan von ‘maccaronischer’ Dichtung; was heute als Name einer italienischen Nudelsorte bekannt ist (Maccaroni), bezeichnete einst Gerichte, die aus allerlei verschiedenen Bestandteilen zusammengerührt waren. Bekannt wurde vor allem Teofileo Folengo mit seinem im 16. Jahrhundert in diversen Fassungen geschriebenen Epos „Baldus“. François Rabelais ließ sich für seinen „Gargantua“ maccaronisch inspirieren; Johann Fischart schuf mit seiner deutschen Rabelais-Nachdichtung ein weiteres Paradestück maccaronischer Poesie. In der frühen Neuzeit werden auch weiterhin Figurengedichte (also Visualtexte) zum Anlaß und Rahmen der Sprachenmischung. Man imitiert wiederentdeckte Spielformen des antiken Umrißgedichts. In teils aufwendig gestalteten Einblattdrucken mischen die Verfasser von Gelegenheitsgedichten manchmal zwei oder mehrere Sprachen und die entsprechenden Schriftsysteme. Ulrich Ernst führt unter anderem ein Beispiel für einen barocken deutsch-lateinischen Text an, der zwei verschiedene Autoren hat. Die Kombination von Latein und Volkssprache (etwa durch Verwendung volks- und regionalsprachiger Wörter mit lateinischen Endungen oder auf der Basis der lateinischen Grammatik und Syntax) dient im vielfach der Karikierung prätenziöser Gelehrsamkeit und inhaltsleeren sprachlichen Bombasts - und damit der Parodie auf eine spezifischen Figurentypus; dies gilt etwa für Molière. Im Lauf der Zeit verknüpften sich mit der Kombination differenter sprachlicher Elemente innerhalb literarischer Texte weitere Funktionen; die einzelnen Sprachen werden zur Profilierung von ganz unterschiedlichen Figuren eingesetzt; Standeszugehörigkeit und Bildung, regionale und kulturelle Herkunft von Figuren lassen sich über sprachliche Markierungen ausdrücken. „Exotische“ verbale Einsprengsel weisen auf exotische Figuren hin. Figuren, die sich mühselig radebrechend auf dem Territorium einer Sprache bewegen, um gelegentlich in die eigene Sprache zurückzufallen, sind durch dieses Sprechverhalten charakterisierbar. Vor allem die Erzählliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts macht davon gern Gebrauch, aber auch auf dem Theater läßt sie sich effektvoll einsetzen. Luigi Pirandellos „Madama Pace“ sticht in „Sei personaggi in cerca d’autore“ durch ihre groteske Mischung aus Italienisch und Spanisch von den übrigen Figuren des Schauspiels ab. Noch ein weiteres mit der Idee der Figurencharakteristik verwandtes Motiv konnte es nahelegen, fremdsprachige Elemente in Texte aufzunehmen. Die Vorstellung, bestimmte Themen, Diskurse und Beschäftigungen unterhielten spezifische Afffinitäten zu einzelnen Sprachen, war in 18. und 19. nicht ungeläufig. „Zum Singen ist die italienische Sprache, / etwas zu sagen: die deutsche, / darzustellen: die griechische, / zu reden: die lateinische, / zu schwatzen: die französische, / für Verliebte: die spanische / und für Grobiane: die englische“. (Grillparzer) Das Fremdwort ist in der klassizistischen Poetik verpönt. Dementsprechend besitzen Texte, in dem Maße, als sie Fremdsprachiges integrieren, Sprachen mischen und hybridisieren, einen antiklassizistischen Zug. Als von konventionellem Sprachgebrauch abweichende Texte besitzen gemischtsprachtige Textgebilde einen zumindest implizit sprachreflexiven Zug, machen sie doch auf ihre Sprache aufmerksam, sensibilisieren den Hörer oder Leser für deren Eigentümlichkeit und provozieren damit zur Auseinandersetzung mit sprachteoretischen und sprachästhetischen Fragen. Im Horizont einer Poetik der Verfremdung, die poetischen Sprachgebrauch grundsätzlich über seine Abweichungsqualität zu verstehen sucht, können Texte, die auf der Ebene von Vokabular oder Grammatik durch so ostentative Verfremdungen geprägt sind, als meta-poetische Texte gelesen werden. Kunstidiome wie „Kanaksprak“ provozieren zu sprachpsychologischen und sprachsoziologischen Reflexionen, wenn auch nicht nur. Viele Autoren haben die Möglichkeit genutzt, in ihre Texte fremdsprachige Elemente zu integrieren. Berichte über Reisen in fremde Länder können durch fremdsprachige Vokabeln an Plastizität gewinnen. Mit fremdsprachigen Wortelementen kann sich aber nicht nur die Suggestion reizvoller Exotik verbinden (die Sprache der Werbung und des Tourismus zehrt bis heute davon) sondern auch die Erfahrung der Unverständlichkeit. Von Texten, die einzelne fremdsprachige Elemente in einen ansonsten sprachlich homogenen Text integrieren, sind andere Schreibweisen zu unterscheiden, bei denen die Durchmischung sprachlich heterogener Elemente einen höheren Grad besitzt - wobei diese Unterscheiung sich nicht auf klar gegeneinander abgrenzbare Textklassen, sondern nur auf allgemeine Schreibstrategien bezieht: Da sind (1) erstens solche, bei denen sich Elemente zweier oder mehrerer Sprachen zu etwa gleichen Anteilen oder doch in breiterem Rahmen miteinander verbunden finden - (2) zweitens solche, bei denen eine von zwei oder mehreren Ausgangssprachen durch die andere bzw. die anderen so überformt und umgestaltet worden ist, daß man sie zwar wiederekennt, sie aber deutlich verwandelt und verfremdet erscheint, sowie (3) drittens schließlich Texte, die sich keiner konventionellen Sprache mehr zuordnen lassen, sondern in einem textspezifischen Idiom verfaßt sind, das man versuchsweise mit bekannten Sprachen in Verbindung bringen, aber nicht auf diese reduzieren kann. Einige Beispiele: (1) Kombination zweier Sprachen: In Raymond Federmans Roman „Double or Nothing“ wird das Französische nicht nur zur Chrakterisierung einzelner Figuren eingesetzt; der weitenteils englische Roman enthält auch ganze französische Abschnitte. (2) Überformung einer Sprache durch die andere. Feridun Zaimoglu gehört zu den Autoren, die vor dem Hintergrund einer doppelten kulturellen Prägung (durch die türkische und die deutsche Kultur) eine literarische Hybridsprache kreiert haben, die sich zwar an eine bestimmte codifizierte Sprache anlehnt, diese aber fremdsprachlich überformt. Feridun Zaimoglus „Kanaksprach“ ist für deutsche Leser verständlich, auf der Ebene der Vokabeln und im Sprahgestus aber stark durch türkische Einflüsse bestimmt. (3) Radikal gemischtsprachige Texte, bei denen sich die Einzelwörter nicht mehr ohne weiteres als Vokabeln einer bestimmten Sprache identifizieren lassen, finden sich vor allem im Bereich experimenteller und avantgardistischer Lyrik. Wiederum hat vor allem die Visualdichtung interessante Beispiele hervorgebracht; hier wird mit sprachenmischungen auf vielfältige Weisen gespielt und experimentiert. Futuristen, Dadaisten, Konstruktivisten sowie deren neoavantgardistische Nachfolger erproben Strategien der Grenzeüberschreitung. Die Motive des Interesses von Autoren und Lesern an gemischtsprachiger Dichtung sind entsprechend vielfältig: Sie können persönlich (etwa biographisch) motiviert oder durch Theorien induziert sein, sie können mit der Aufmerksamkeit auf Prozesse des Kulturtransfers, der Kulturvermischung und der Globalisierung verknüpft sein, aber auch dem ästhetischen Interesse am Spiel mit sprachlichen Formen, die sich aus ihren geläufigen Funktionen lösen. Insbesondere bestehen enge Korrespondenzen zu Erfahrungen des Sprachwechsels, der Migration und des Exils. Dies illustrieren etwa die Texte von Emone Sevgi Özdamar, die, auf deutsch verfaßt, türkische Einsprengsel enthalten, auf diese aufmerksam machen und die Begegnung der Protagonistin mit den sprachlichen „Fremdkörpern“ zum Anlaß nehmen, Erfahrungen der Entfremdung vom Herkunftsland zu artkulieren. „Ich lief einmal in Stuttgart um dieses Gefängnis da (...), ein Gefangener im blauen Trainingsanzug hing am Fenstergitter, (...) er sprach in derselben Mutterzunge, sagte laut zu jemandem: Bruder Yashar, hast du es gesehen?’ Der andere, den ich nicht sehen konnte, sagte: ‘Ja, ich hab gesehn.’ / Sehen: Görmek. / (...) Ich erinnere mich an ein anderes Wort in meiner Mutterzunge, es war im Traum. Ich war in Istanbul in einem Holzhaus, dort sah ich einen Freund, einen Kommunisten, (...) ich erzähle ihm von jemandem, der die Geschichte mit seinem Mundwinkel erzählt, oberflächlich. Kommunist-Freund sagt: ‘Alle erzählen so.’ Ich sagte: ‘Was muß man machen, Tiefe zu erzählen?’ Er sagte: ‘Kaza gecirmek, Lebensunfälle erleben’. / Görmek und Kaza gecirmek.” (Özdamar, Mutterzunge, 11-12) Autorinnen und Autoren, die aufgrund ihrer Biographie ‘zwischen’ den Sprachen leben, verbinden das Schreiben in mehreren Sprachen vielfach mit expliziten Reflexionen über die eigene sprachliche Hybridität. Raymond Federman hat in seinen „Hamburger Poetik-Lektionen“ von seiner inneren Zweisprachigkeit gesprochen. „In mir spricht eine Stimme in einer Stimme, widerspricht sich zweisprachig, auf Französisch und Englisch, einzeln, aber manchmal auch gleichzeitig. Diese Stimme spricht ständig Verstecken mit ihrem Schatten. Daran ist nichts Ungewöhnliches. Viele Menschen an vielen Orten dieser Welt sprechen zwei, drei oder noch mehr Sprachen. Ob ich diese beiden Sprachen (Französisch und Englisch) beherrsche, ist eine Frage, die zu beantworten mir nicht ansteht. Doch bleibt die Tatsache, daß ich ein zweisprachiges Wesen bin, ein doppelköpfiger Murmler, also auch ein bikulturelles Wesen. Die ersten zwanzig Jahre meines Lebens habe ich in Frankreich verbracht, also innerhalb der französischen Sprache und Kultur, und die letzten fünfunddreißig Jahre (mehr oder weniger) in Amerika, also innerhalb der amerikanischen Sprache und Kultur.“ (R. Federman: Surfiction: Der Weg der Literatur,. Hamburger Poetik-Lektionen. 1990. FfM 1991. Aus d. Amerik. v. Peter Torberg. S. 115) Federmann registriert an sich selbst eine Tendenz zur literarischen Zweisprachigkeit, die sich u.a. in einem Dreang zur Selbstübersetzung äußert. Seine beiden Sprachen (Englisch und Französisch) beschreibt er wie selbständige Wesen, die in seinem eigenen hybriden Innern miteinander kommunizieren, streiten und spielen. Pionierarbeit auf dem Gebiet der Erforschung gemischtsprachiger Dichtung leitete ein belesener Dilettant: In den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts verfaßte Friedrich Wilhelm Genthe eine Studie zur Geschichte der Macaronischen Poesie (1836), ergänzt um eine Sammlung wichtiger Beispiele macaronischer Dichtung. Genthes Sprachdenken ist romantisch- humboldtianisch. Er orientiert sich an der Idee einer das Denken und Dichten des Menschen prägenden Muttersprache, es gelingt ihm aber gleichwohl, die ästhetischen Valenzen eines Dichtens zu entdecken und herauszustellen, das nicht mehr auf muttersprachlicher Basis stattfindet, sondern diese gerade hinter sich läßt. (Freilich eignet sich die kategorie der Muttersprachlichkeit auch nicht recht, um sprachmischende Texte mittelalterlicher Gelehrter oder frühneuzeitlicher Humanisten zu beschreiben, aber der Literaturhstoriker Genthe ist hier selbst in einem zeitspezifischen Diskurshorizont befangen.) Obwohl er die ‘maccaronische’ Dichtung nicht generell abwertet, wirkt sich der generelle Konsens über die enge Bindung seriöser Dichtung an ihre muttersprachliche Grundalge doch dahin aus, daß er den Maccaronismus als eine nicht-ernste Dichtung versteht; er reduziert sie auf eine ludistische Schreibweise, setzt sie in Beziehung zum Scherzhaften, Komischen, Grotesken. Die These von der eprägenden Kraft der Muttersprache auf den Sprecher hallt noch in den Diskursen nach, die man unter dem Stichwort ‘linguistic turn’ zusammengefaßt hat und die in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren das nachdenken über Sprache und Dichtung bestimmten. Vor diesem Hintergrund verfaßte Alfred Liedes seine umfang- und materialreiceh Monographie über „Sprache als Spiel“ (1963). Liede subsumiert gemischtsprachige Schreibweisen dem ludistischen Schreiben, macht dabei jedoch auf die ernsthaften Anliegen aufmerksam, die sich mit Sprach-Spielereien verbinden können. Für ihn besteht eein innerer Zusammenhang zwischen sprachkritisch-sprachskeptischen Tendenzen in der neueren Literatur und sprachspielerischen Experimenten. Er erinnert an sprachpessimistische Äußerungen von Dichter und Philosophen um 1900 und setzt sie in Bezug zur ‘Babylonischen’ Dimension gemischtsprachiger Texte. An den Mythos vom Pfingstwunder - bei dem die Sprachverwirrung der Menschen momentan durch einen Akt göttlicher Gnade zurückgenommen wurde - erinnert der Titel von Leonard Forsters wichtiger Studie zur literarischen Mehrsprachigkeit: „The Poet’s Tongues“ (1970). Der Dichter erscheint hier als einer, der in Zungen redet und damit die Grenzen hinter sich läßt, die der Horizont einer einzelnen Sprache dem Sprachbenutzer zieht. Forster betont die Kontinuität der Tradition mehr- oder gemischtsprachigen Dichtens. Er macht deutlich, wie sich in den verschiedenen poetischen Zeugnissen differente, dem historischen Wandel unterliegende Haltungen zur Sprache artikulieren und mit poetologischen Fragen verbinden. Dabei unterscheidet Forster verschiedene Ebenen bzw. Dimensionen mehrsprachiger Dichtung, die er kapitelweise abhandelt.Zu seinen Gegenständen gehören nicht nur gemischtsprachige Texte, sondern auch mehrsprachige Autoren, deren Oeuvre aus in verschiedenen Sprachen verfaßten Werken besteht. Daß Mittelalter, Renaissance, Barock und Moderne unterschiedlichen Sprachkonzepten verpflichtet sind, die sich gerade in so stark sprachreflexiven Texten wie den gemischtsprachigen zum Ausdruck bringen, hebt Forster klar hervor. Früher habe man als einzelner Sprecher leichter und häufiger anlaßbezogen die Sprache gewechselt, so Forster, während seit der romantischen Modellierung einer „Muttersprache“ die Bindung des Einzelnen an seine Erstsprache an Bedeutung gewonnen habe. Rezent haben Karl Alfons Knauth und Ulrich Ernst signifikante Beiträge zur Erforschung literarischer Mehr- und Mischsprachigkeit in diachroner wie synchron-vergleichender Perspektive geleistet. Ihre Arbeiten wie auch die anderer Literaturwissenschaftler verdeutlichen, daß es zum einen wichtig ist, die Tradition mehrsprachigen Dichtens im Blick zu behalten, wo es um neuere Formen sprachlicher Hybridisierung geht, daß zum anderen in hybridsprachigen Texten aber auch genuin modernespezifische Impulse und Ideen zum Ausdruck kommen, so daß eine differenzierende Betrachtung älterer und neuerer Beispiele geboten ist. Das Interesse der Avantgarden am sprachlichen Experiment mit Ausdrucksmitteln und -effekten, an der Kombination von Heterogenem, an Normverletzung und Regelverstoß, hat auch der gemischtsprachigen Dichtung neue Anstöße gegeben. Analoges gilt für die Auseinandersetzung mit Erfahrungen kultureller Hybridisierung, Erfahrungen in einer vielsprachigen und kulturell heterogenen Welt, welcher der hybridsprachige Text gerade einen Spiegel vorhält, statt aus den sprachlichen Ordnungssystemen als Bastard herauszufallen. Insgesamt verschmelzen in einem Schreiben, das auf Prozessen sprachlicher Hybridisierung beruht bzw. diese selbst betreibt, ludistische und experimentelle mit kulturreflexiven und politischen Interessen.

Sprach- und texttheoretische Konzepte: Einsprachigkeit als Ausnahme oder bloße Abstraktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Genthe, Liede und Forster haben maßgeblich zur ästhetischen Aufwerteung gemischtsprachiger Dichtung beigetragen eindem sie deren Einbetetung in eine Tradition untersuchten. Sie gingen dabei von der Vorstellung prinzipiell klar gegeneinander abgegrenzter Sprachen aus, auch wenn Forster bereits hervorhebt, welche bedeutung die Überschreitung von Sprachgrenzen für wichtige vertreter der literarischen moderne besitzt. Die jüngere Auseinandersetzung mit Phänomenen der Mischsprachigkeit und der sprachlichen Hybridisierung orientiert sich an neueren Konzepten von Sprache und Text. Das 19. Jahrhundert hatte sich an der Idee verschiedener, jeweils von eigenem Geist und Charakter geprägter Nationalsprachen orientiert; diese galten als gegeneinander abgegrenzte und in sich homogene Systeme (welche allem, was verbalisiert wurde ihre Prägung aufdrückten). Im Laufe des 20. Jahrhunderts wird diese romantische, dem Denken in nationalen Kategorien korrespondierende Sprachauffassung obsolet. In Figuren wie Ecos „Salvator“ personifiziert finden sich demgegenüber neuartige Vorstellungen, die einerseits in der Auseinandersetzung mit Texten entwickelt wurdene, um diese auf eine asdäquate Wise zu beschreiben, andererseits aber auf die produktion literarischer Texte auch stimulierend zurückwirkten. Stark schematisierend, gehen Sprach- und Texttheoretiker von drei Leitideen aus:

  • Texte sind nicht einsprachig, sondern vielsprachig.
  • Es gibt keine klar gegeneinander abgegrenzten Sprachräume.
  • Sprachbenutzer sind nicht einsprachig, sondern mehrsprachig.

(a) Texte sind nicht einsprachig, sondern vielsprachig. Michail Bachtins Ästhetik der Polyphonie hat die jüngere Geschichte der Texttheorie maßgeblich geprägt und bietet füreine Auseinandersetzung mit gemischtsprachigen Texten einen wichtigen Ansatzpunkt. Bachtin, der sich im wesentlichen mit dem Roman (und hier mit dem europäisch-neuzeitlichen Roman) auseinandergesetzt hat, vertritt im wesentlichen folgende Thesen: Der Roman ist eine poetische Gattung, die eine spezifische Form der Sprachverwendung zuläßt und sogar nahelegt, nämlich eine differenzierende Charakteristik verschiedener Figuren und der Erzählinstanz selbst durch ihre jeweilige Sprechweise. Der Roman ist also (zumindest virtuell) ‘vielsprachig’. Die Sprachen, die ein Romancier in seinem Roman verwendet, sind niemals ‘frisch’, sondern sie tragen vielfältige Gebrauchsspruren, verweisen auf die Kontexte, in denen sie üblicherweise gebraucht wurden oder werden, auf gesellschaftliche Gruppen und Stände, auf Berufsgruppen, auf Teilkulturen mit Sondersprachen oder eigenen Sprachstilen, teilweise sogar auf fremdsprachige Kulturen etc. Durch seine Sprachen steht der Roman in einer Beziehung zu den ‘Sprachräumen’, von welchen das Sprachmaterial gebraucht und geprägt wurde. Insofern endet ein Roman nicht an seinen Buchdeckeln, sondern steht in vielfältigen Korrespondenzen zu Textwelten außerhalb seiner selbst. Diese werden durch die romanimmanenten Sprachen mehr oder auch weniger explizit in den Roman hereinzitiert. Der Romanautor arrangiert diese Beziehungen durch bewußte Verwendung der vielfältigen Sprachen. Die Erzählerinstanz im Roman hat eine dem Dirgenten eines Orchesters vergleichbare Rolle inne. Die Vielsprachigkeit des Werks ist gewollt und auf kalkulierte poetische Effekte zu beziehen. Wer literarische Texte liest, liest implizit immer schon die vielfachen Kontexte einer Gesellschaft und Kultur mit, und er sollte dies bewußt tun. Bachtin betonte - einem noch lange dominierenden ‘klassizistischen’ Werkbegriff entgegenwirkend - die Ideen der Vielheit, der Widersprüchlichkeit und der für das Werk konstitutiven inneren Spannungen. Neben dem Begriff des „Karnevalistischen“ ist der des „Dialogs“ für Bachtins Theorie prägend. Die vielen Stimmen, die im ‘polyphonen’ Text zur geltung kommen, werden von ihm als Teilnehmer eines ‘Dialogs’ verstanden. Das heißt, sie reden nicht nebeneinander, sondern miteinander, und das literarische Gebilde ist Schauplatz eines Prozesses, in dem mehrere Stimmen miteinander verhandeln (und z.B. aushandeln, was ihr Gegenstand ist). Sprache und Literatur sind für Bachtin dialogisch, und sie zu verstehen bzw. zu lesen, bedeutet für ihn, in einen Dialog mit einem Gegenüber einzutreten (vgl. Michail Bachtin: Die Ästhetik des Wortes. Hg. v. Rainer Grübel. Frankfurt./M. 1979, S. 156/157). ‚Das Wort der Sprache ist ein halbfremdes Wort’, so Bachtins Kernthese. Seine Texttheorie hat in den Werken wie in den Poetieken vieler Autoren Widerhall gefunden, nicht nur bei Eco. „Wir müssen vielsprachig werden, das heißt unsere Texte vielsprachig machen (...)”, so fordert etwa auch Michel Butor (Improvisationen über Michel Butor. Schreibweisen im Wandel. Übers. v. Helmut Scheffel. Graz/Wien 1996, S. 189). (b) Es gibt keine klar gegeneinander abgegrenzten Sprachräume Die Geschichte aller Kulturen ist eine Geschichte unablässiger Vermischungen, Überlagerungen, Hybridisierungen. Die europäischen Sprachen entstanden aus älteren Volkssprachen, die keineswegs klar gegeneinander abgegrenzt waren, und sie unterlagen regionalen Ausprägungen ebenso wie Einflüssen des Lateinischen. Die Etablierung der christlichen Kultur in der Spätantike vollzog sich unter Einbeziehung regional-kultureller Traditionen, und die Entwicklung der europäischen Nationalliteraturen erfolgte sich in spannungsvoller Auseinandersetzung mit dem lange Zeit die gelehrte Kultur dominierenden Latein. Europas kolonialistische Expansionsbestrebungen in der Neuzeit haben dann vielfältige weitere Prozesse kultureller und sprachlicher Hybridisierung ausgelöst. In Kulturen, die durch die Kolonialgeschichte geprägt sind, sind gerade literarische Texte vielfach ein wichtiger Ort zur Darstellung kultureller Hybridität. Unter anderer, aber vergleichbarer Akzentuierung erörtert George Steiner die „Vielheit“ innerhalb jeder einzelnen Sprache. Ältere Texte seien, so Steiner, für die Gegenwart in einer „Fremdsprache“ geschrieben und fordern daher zur „Übersetzung“ heraus. (Diese Übersetzung stellt für Steiner einen Sonderfall desjenigen Übersetzungsprozesses dar, der mit aller Interpretation verbunden ist. Interpretieren heißt für Steiner, die ‘fremde’ Rede des zu interpretierenden Textes in den eigenen (sprachlichen) Verständnishorizont zu ‘übersetzen’.) Interessante Beispiele gemischtsprachigen Schreibens finden sich bei Autoren, die in mehrsprachigen Ländern oder Regionen leben. Selbst wenn sie nicht versuchen, die Sprachen ihres Landes in ihre Texte hineinzunehmen, sind sie doch vielfach durch eine besondere Sensibilität für Sprachliche Differenzen charakterisiert. Dies gilt etwa für Friedrich Dürrenmatt, der sich über die eigene Bilingualität (Berndeutsch als mündliche und Hochdeutsch als Schreib-Sprache) geäußert hat. (c) Sprachbenutzer sind nicht einsprachig, sondern mehrsprachig. Der Linguist Mario Wandruszka vertritt die These, eine jede Sprache sei eigentlich „viele Sprachen“; jede Sprache sei unter dem Aspekt ihrer regionalen, soziologischen, kulturellen und stilistischen Ausdifferenzierung mehrsprachig. ‘Einsprachigkeit’ sei bezogen auf Sprachgemeinschaften wie auch auf den einzelnen Sprachbenutzer nur eine Hilfskonstruktion. Auch der Philosoph Bernhard Waldenfels stellt die konventionelle Vorstellung vom Besitz einer bestimmten homogenen Muttersprache ebenfalls in Frage. Kritisch fragt er, was denn überhaupt gemeint sei, wenn man von ‘seiner’ Sprache spreche, als handle es sich um einen Besitz, und hiervon ausgehend zu kontstatieren, es gebe „einen „Schnitt zwischen Eigenem und Fremdem, der sowohl innerhalb einer Sprache wie zwischen verschiedenen Sprachen anzutreffen“ sei (311). Sprache, Alltagssprache ist kein geschlossenes System, und dies gilt in mehrerlei Hinsicht. Waldenfels spricht davon, daß Sprache sich an ihren Rändern immer schon mit Ausdrucksformen vermische, die dem sprachlichen Code im engeren Sinn nicht unterliegen; sprachliches Verhalten ist nsofern immer schon ein hybrides Verhalten, angesiedelt in einer Übergangszone zwischen Natur und Kultur. (Vgl. Waldenfels, Idiome des Denkens, 314) Sprache ist immer schon hybrid - dies gilt nicht nur für die alle Sprachpraxis bestimmende Verschmelzung von Sprachlichem, Gestischem, Mimischem, Ruituellem und Situativem, sondern auch insofern, als unsere eigene Rede stets das Echo der Rede anderer ist. In allem, was ein Sprecher artikuliert, indem man ‘seine’ Sprache benutzt, klingt nach, was andere in dieser Sprache gesagt haben; darum beginnt - so Waldenfels - „generell (...) die Mehrsprachigkeit schon mit der Fremdheit in der eigenen Sprache“ (IdD 325). Sprache läßt sich nie ganz aneignen, und um die eigene Beziehung zu ihr zu beobachten bedarf es der Distanzierung - so wie der Blick in den Spiegel nur aus der Distanz möglich ist. Mehrsprachigkeit ist für Waldenfels schließlich auch in dem Sinn der Normalfall, den Bachtin mit seinem Konzept sprachlicher Polyphonie expliziert hat: Wo mehrere Sprecher zum Dialog zusammentreffen, da sind entsprechend verschiedene Sprachen im Spiel, und jeder einzelne Sprecher ist mit seinen Artikulationen durch diverse sprachlicher Register gesprägt. Es gibt also nicht das Haus der Sprache, in dem man als Besitzer wohnen könnte; es gibt nur Hotels mit verschiedenen Zimmern. Man kann sich an diese gewöhnen und sich tenporär einrichten, aber andere könnten das auch. Im Hotelzimmer haben zudem allerlei Vorbewohner ihre Spuren hinterlassen, einmal abgesehen davon, daß die Einrichtung auf die Nutzung durch viele Personen abgestimmt ist. Die „genuine Fremdheit“ zwischen dem Sprechenden und seinen sprachlichen Registern verurteile. so Waldenfels mit Bachtin, Aneignungsversuche zum Scheitern. Und wie Bachtin sieht er gerade in literarischen Texten prägnante Demonstrationen textinterner Vielstimmigkeit; zumal im Roman entstünden als Folge einer kompexen Zitierpraxis „Formen hybrider Rede“, welche der Vorstellung eines individuellen Sprach-Besitzes den Boden entzögen. „Dieses Ineinander zeigt sich in der versteckten indirekten Rede vieler Romanpassagen, in der die stimme des Autors in die des Helden hinübergleitet, oder in der Zitierpraxis, die nicht nur fremde Äußerungen wiedergibt, sondern im Zitieren fremde Stimmen laut werden läßt. Dies führt zu Formen einer hybriden Rede, die jeder individuellen Besitznahme spottet.“ (326)

Das weite Feld der sprachlich hybriden Dichtung zu kartieren, ist schon deshalb ein Problem, weil Kartierungen (Klassifizierungen, Typisierungen) auf Grenzziehungen beruhen und man es hier doch mit einer Spielform der Literatur zu tun hat, die gerade auf Grenzüberschreitung setzt. Darum seien im folgen nur einige - allerdings m.E. typische - Experimentalanordnungen vorgestellt. Was sie verbindet, ist die Sensibilität für die somatische Dimension von Sprache: Ihre Hörbarkeit, ihre Sichtbarkeit, ihre Sprechbarkeit, ihre Lesbarkeit. Die Betonung des Somatischen erfolgt zum einen durch die besondere Hervorhebung der auditiven respektive der visuellen Ebene des verwendeten Sprachmaterials, zum anderen macht sie sich teilweise auch auf inhaltlicher Ebene geltend. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß gemischtsprachiges Dichten seit jeher eine besondere Beziehung zum Somatischen unterhalten hat. K. Alfons Knauth hat daran erinnert, welche Bedeutung das gastronomische Paradigma für die Geschichte und des Selbstverständnis einer Dichtung hat, die ihren ersten Namen von einer Mahlzeit (Maccaroni) erhielt. Das aus gemischten Zutaten gekochte Gericht ist eine Kernmetapher, mittels derer sich gemischtsprachige Dichtung immer wieder bespiegelt hat - bis in jüngste Zeit: Federmanns zweisprachiger (englisch-französischer) Roman „Double or Nothing“ handelt von jemandem, der sich mit einer Jahresration Nudeln zum Überleben in ein Zimmer zurückzieht, um eine Geschichte zu schreiben; die Nudeln sind im Roman auch als Umrißtexte gegenwärtig. Im Zeichen des Interesses am Somatischen stehen in der jüngeren sprach(en)experimentellen Dichtung neben Anspielungen auf Nahrungsmittel und Eßvorgänge auch Hinweise auf Prozesse der körperlichen Verwandlung (z.B. des Verfalls) sowie auf Tiersprachliches. Der Text, in dem sich Menschen- und ‘Tier’-Sprache kreuzen, ist das Pendant zum Hybridwesen. Erinnert sei an Ernst Jandls onomatopoetisches Tierstimmen-gedicht „auf dem lande“: „(...) vögögögögögögögögögEL / zwitschitschitschitschitschitschitschitschERN (...)“

Versuchsweise - und ohne Anspruch auf systematische Vollständigkeit - eine Typologie der poetischen Hybridisierungen:

Poetische Experimentalanordnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Hybridisierendes Hören[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

(a) Ernst Jandl: „oberflächenübersetzung“

my heart leaps up when i behold
a rainbow in the sky
so was it when my life began
so is it now i am a man
so be it when i shall grow old
or let me die!
the child is father of the man
and i could wish my days to be
bound each to each by natural piety

(william wordsworth)

mai hart lieb zapfen eibe hold
er renn bohr in sees kai
so was sieht wenn mai läuft begehen
so es sieht nahe emma mähen
so biet wenn ärschel grollt
ohr leck mit ei!
seht steil dies fader rosse mähen
in teig kurt wisch mai desto bier
baum deutsche deutsch bajonett schur alp eiertier“ (Ernst Jandl)

Jandls Gedicht „oberflächenübersetzung“ simuliert, es bestehe aus einem Originaltext und dem Versuch einer Übersetzung. Als „Originaltext“ fungieren Versen von William Wordsworth, den „Übersetzungsversuch“ hat Jandl verfaßt. Er beruht offenbar auf Höreindrücken. Suggeriert wird ‘oberflächlich’, jemand, der des Englischen entweder nicht mächtig oder so naiv sei, daß er an die Differenz Englisch/Deutsch nicht denkt, habe einen gehörten englischen Text mit eigenen deutschen Worten so gut es ging wiedergegeben und dabei ähnlich klingende Wörter als Repräsentanten oder Pendants der Wörter des Ausgangstextes verwendet. Eine solche „Übersetzung“ bleibt insofern an der Oberfläche, als sie in ihrer auschließlich phonetischen Orientierung keine Bedeutung des Auisgangstextes erschließt; der Klang ist die Oberfläche, auf die allein sich der Text bezieht. Statt von einer „Übersetzung“ könnte man auch von einer Hybridisierung sprachen, und zwar von einer zweifachen. Zum einen synthetisiert das Gedicht einen (sprachlich unauffälligen, wenngleich poetischen) englischen Teil mit einem (sprachlich auffälligen) deutschen Teil. Zum anderen wird das Englische gehört, als sei es deutsch; der „Übersetzer“ hat also das ‘Deutsche im Englischen’ gehört. Er hat eine Sprache gehört, die Deutsch und Englisch zugleich ist, obwohl Deutsch und Englisch nicht gleich sind; er hat hörend hybridisiert. Das Gedicht macht aufmerksam auf die somatische Dimension unserer Beziehung zu Texten als etwas, das das Hören muttersprachlicher mit dem fremdsprachlicher Texte verbindet. Wir verstehen hier wie dort das, was wir hören. In unserem Ohr bildet sich ein Echo des Gehörten, das als Echo einer fremden Simme, die im eigenen Körper widerhallt, allemal etwa Hybrides ist.


(b) Schuldt/Kelly: „Am Quell der Donau / Unquell the Dawn now“ (1998) Ein entschieden aufwendigeres, der Grundidee nach aber analoges „Übersetzungs“-Experiment haben der deutsche Autor und Künstler Schuldt und sein amerikanischer Kollege Robert Kelly angestellt, und zwar im Ausgang von Hölderlins Gedichtfragment „Am Quell der Donau“, einem der „Vaterländischen Gesänge“, von dem 117 Verse überliefert sind (StA 2,1, S. 126-129). Schuldt las Kelly zunächst Zeile für Zeile den Hölderlinschen Ausgangstext vor. Kelly, der nicht deutsch spricht, ‘übersetzte’ daraufhin das Gehörte in sein englisches Sprachverstehen und reformulierte seinen akustischen Eindruck in einer klanglich verwandten, dem Englischen assimilierten Zeile. Aus „Am Quell der Donau“ wurde so „Unquell the Dawn Now“. Daraufhin übersetzte Schuldt Kellys Vers erneut, und zwar im konventionellen Sinn: Aus „Unquell the Dawn Now“ wurde: „Ent-ersticke das Morgengrauen jetzt“. Kelly transponierte diese Zeile dann wieder ins Englische: „Ain’t’er Shtick the Morgue and Growing’ Shadow“. Und Schuldt übersetzte erneut: „Ist nicht ihr Dreh das Leichenschauhaus und ‘s Schatten-Pflanzen?“ Der ganze (allerdings gragmentarische) Hölderlintext wurde dieser Transformation unterzogen - wobei Englisch und Deutsch einander immer wieder durchdrangen. Neben dem Text entstand ein auf ihm basierendes Hörspiel mit dem programmatischen Titel Schallgeschwister. Das zweisprachige Nachwort Schuldts bietet mehr als nur eine Projektbeschreibung, sondern erschließt mögliche Perspektiven der Interpretation. „Der Ursprung der Sprachen liegt im Sich-Entfalten und Sich-Verwinden von Klang und Sinn, in dem siamesischen Ineinander dieser beiden halben Welten. Dort balgen sich Gleichsetzung, Karikatur, Trennung, Versteckspiel, Spiegelung, Hohn und Resonanz. Mitten in ihrem Lärmen träumen wir Hörer von tautologischer Gewißheit.“ „Die Grundsituation dieses Werkes ist: Was Einer in der einen Sprache sagt, auf Deutsch, hört ein Anderer in einer andern Sprache, auf Englisch. Er hört also etwas ganz Anderes, als gesprochen worden ist. Man kann nicht einmal sagen, ob er den verkehrten Text gehört hat. Aber jedenfalls hat er die verkehrte Sprache gehört. Sie ist allerdings die einzige Sprache, die er kennt oder bemerkt. In dieser Sprache macht er sich nun aus dem Gehörten einen Text zurecht - er kann ja gar nicht anders. Er muß sich diesen Text vollständig erfinden, in sei(76)ner Sprache, in seinem Sinn. Er spricht. Er spricht sich den Text, den er da gehört hat, und der ihm ewig unbekannt bleiben wird.“ „Dann die Umkehrung dieser Situation: der Überschwang wird zusammengestaucht. Das geschieht in einer haargenauen (einer semanto-pedantischen) Übersetzung des Sinnes, nur des Sinnes, zurück in die erste Sprache, das Deutsche. Sie nimmt die freie Suada der Erfindung in die Zange, treibt sie in die Enge, fordert Rechenschaft, nagelt sie auf den genauen Sinn fest, Zipfel für Zipfel. Das englische Echo wird also zurückgeworfen und steht dann übersetzt neben seinem Ursprung, zwar in derselben Sprache, aber nun als ein rätselhafter anderer Text. (...) Jede der fünf Stimmen von Am Quell der Donau bildet eine Ebene für sich: eine je andere Sprache mit ihrer eigenen Körnung und ihrem Rhythmus, mit einem anderen Wortschatz und einem spezifischen Horizont von Themen, Obsessionen und Hoffnungen. Es ist eine allmähliche Vergröberung, eine Brutalisierung Hölderlins, der Abstieg seines Textes in die Niederungen, wo dieser sich selbst als eine heitere, böse, verschlissene Dichtung gegenübersteht. Nach allen Metamorphosen findet sich Hölderlins Schluß gespiegelt. Doch alles geht so lautet in der letzten Stimme Alle Sünde zerrissen so.“ (Nachwort, Schuldt 1997)

Hybridisierendes Lesen (Yoko Tawada)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine ausgeprägte Sensibilität für Hybridsprachigkeit besitzt Yoko Tawada, die als Autorin ja dem japanischen wie dem westlichen Sprach- und Kulturraum verbunden ist. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht im Bereich der Abdassung gemischtsprachiger Texte, sondern im Beobachten und Beschreiben von Texten als hybrid - und es entspricht Tawadas Wahrnehmungsweise, solche Hybridität der Texte nicht als Ausnahme, sondern als Normalfall zu sehen. Sie wiederholt stellt Beobachtungen an Formen der Rede, des Schreibens und des Verhaltens dar, welche die beobachteten Gegenstände auf mehrere Sprachen gleichzeitig beziehen, sodaß im Beschreiben selbst tatsächlich die Sprachen miteinander verschmelzen. Als ein Text, der als Folge seiner Lektüre mehreren Sprachen simultan zugeordnet werden kann, erscheint der kommentierte Text polyphon. Gern und eindringlich beschreibt Tawada die visuelle Wahrnehmung fremdsprachlicher Texte und das Vernehmen fremdsprachlicher Reden. Gerade die Unfähigkeit, diese im konventionellen Sinn zu verstehen, sensibilisiert für die konkret-physische Erscheinungsform des Gehörten oder Gelesenen. Auf dieser Ebene betrachtet, lassen sich die Texte und Reden verschiedener Sprachräume durchaus miteinander vergleichen - und im Vollzug eines solchen Vergleichs erfolgt dann bereits eine virtuelle Entgrenzung zwischen den Sprachen. „Eine Sprache, die man nicht versteht, liest man äußerlich. Man nimmt ihr Aussehen ernst. Das Gesicht eines französischen Textes sieht runder aus als das eines deutschen. Es fehlen die eckigen Schultern der großen Buchstaben, die im Deutschen jeder Zeile einen architektonischen Charakter geben.“ (34) Eng mit solchen (bei Tawada immer wieder begegnenden Lese-Strategien) verwandt sind Lektüren von Sprachpartikeln, Ausdrücken und Sätzen, welche diese gleichzeitig auf zwei oder mehrere Bedeutungsrahmen und Sinnhorizonte beziehen, weil die entsprechenden Vokabeln als solche mit diesen verknüpft sind. Auch dies ist ein Verfahren, das es erlaubt, eine zitierte und beschriebene Wendung durch ihr Zitieren und Beschreiben selbst polyphon werden zu lassen - sei es, daß wort- und sprachgeschichtliche Zusammenhänge aufgespürt, sei es auch, daß sie konstruiert werden. Mit konventioneller Etymologie haben Tawadas Lektüren wenig zu tun; entscheidend ist ihr Modellcharakter, der an gelesenen Texten deren latente Hybridität darlegt, welche sich bei einer fremdkulturell inspirierten Lektüre entfaltet. Ein Beispiel dafür sind ihre Bemerkungen zur Lyrik Paul Celans, die sie auf den Horizont der japanischen Sprache und Schrift bezieht (Talisman: „Das Tor des Übersetzers oder Celan liest japanisch, S. 121ff.). Sie betont die gute Übersetzbarkeit Celanscher Gedichte ins Japanische; japanische Celan-Übersetzungen seien ihr nämlich unabhägig von jeder Bekanntschaft mit den Originalen schon selbst als Gedichte erschienen. Offenbar ‘blicken’ Celans Gedichte ins Japanische hinein. Nach dem Erlernen des Deutschen habe sich dieser Eindruck bestätigt: Celans Gedichte haben etwas „Japanische“ oder doch dem Japanischen Affines, auch wenn Celan diese Sprache nicht beherrschte und nicht auf eine entsprechende Übersetzbarkeit hin gedichtet hat. Die im folgenden erörterten Korrespondenzen zwischen Celanschen Gedichten, ihrer japanischen Übersetzung und den dabei verwendeten (chinesischen) Schriftzeichen mögen konstruiert erscheinen oder auf Zufällen beruhen. Entscheidend ist, daß durch die Lektüre und Kommentierung der Celan-Texte aus dem Horizont des Japanischen und der chinesischen Schriftzeichen heraus diese Texte eine zusätzliche fremdkulturelle Sinndimension zugeschtrieben bekommen. Sie erscheinen mit einem Mal als Gedichte, die sowhl auf Deutsch als auch auf Japanisch zu lesen sind. ‘Entdeckt’, tatsächlich aber eher konstruiert werden seltsame Korrespondenzen zwischen chinesischer Schrift und deutscher Aussprache von Wörtern, die Celan intuitiv genutzt zu haben scheint: Im Zeichen für „Leuchten“ findet sich das Radikal für Tor mit dem Radikal für Mensch kombiniert: Man sieht einen Menschen in der Mitte unter einem Tor stehen. Als jemand, der mit der japanischen Schrift vertraut ist, macht Tawada eine Beobachtung, die dem deutschen Celan-Leser wohl sonst entginge: Im deutschen Wort „Leuchten“ erklingt, wenn man es ausspricht, in der Mitte kurz der Laut „ich“ (127). Das Ich blitzt einmal auf - in der Leuchte - das einzige Ich in Celans Gedicht. awada unterzieht die Texte verschedener Autoren solch hybridisierenden Lektüren, bei denen sie im Gelesenen Elemente entdeckt, die bezogen auf den Text fremdsprachig sind, wie Fremdsprachenpartikel wirken. Nicht nur westliche und östliche Sprachen durchmischen sich bei ihr, sondern auch westliche untereinander, wie das Deutsche und das Französische. So entdeckt Tawada in einem Gedicht Else Lasker-Schülers französische Sprachpartikel, wobei die dabei eingesetzte Lesestrategie - der Text wir silbenweise gelesen - von der Prägung durch ostasiatische Sprachen indiziert sein dürfte.

Links: Jap. Literatur Medienbeobachtungen

Hybridisierendes Sprechen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

(a)Oskar Pastior: Krimgotische Kontaminationen Oskar Pastiors „Kontaminoplum“ suggeriert zwar, ein bedeutungsvoller Text zu sein, läßt sich ohne weiteres aber nicht mehr entziffern. „KONTAMINOPLUM Wo ghost Profum in Wirklichkeit? Lebehda? Gangatroph? Wes gergel schlum want Urgel barm - ‘Arom, ein Gepolter des Abends’?

Kalfater phai hoch Ninipleh es Whab im Dimp schloi Jezzelbug schloi Kokel-Vloos gem Zezzel - Kolx...

Wo ghost Porfan es Ninipleh? Was ghaist es Mell? Schmeeraldan?

Jenun schpitz-phölkn Bladdn? Jenun mauschel Girom? Jenen egelbarm Anstunk gem schtierchern Gihör - jenun Schlapscholuh?

Embiddere zonkts widero Aiz-Krim („Fleize Gepreiz slätze Giföjr aing raing faing zunggischpitztir Foltr-Abnd“ Auffällig ist die Suggestion des Dialogischen. Hier scheint eine Unterhaltung stattzufinden - ein Dialog, der keine Sprachgrenzen mehr kennt. (das ‘Sprechen’ über Grenzen hinweg ist natürlich ebenso eine Suggestion wie das ‘Dialogische’ als solches; es kommt Pastior offenbar darauf an, den Leser zum Zeugen eines solchen Gesprächs zu machen, dessen Titel sowohl an „Konstantinopel“ als eine Stadt zwischen Orient und Okzident verweist als auch an Prozesse der „Kontamination“ erinnert. „Warum nicht einmal - genauer gesagt: Anfang bis Mitte der Siebziger Jahre - die Schiene der Einsprachigkeit durchbrechen? Warum eigentlich nicht bedenkenlos und ohne Rücksicht auf die Philologen diese eingefahrene und, weil man doch mehr im Kopf hat, immer auch zensierende literarische Gewohnheit lyrisch beiseiteschieben und alle biographisch angeschwemmten Brocken und Kenntnisse anderer Sprachen, und seien es auch nur Spurenelemente, einmal quasi gleichzeitig herauslassen? (67) Konkret (...): die siebenbürgisch-sächsische Mundart der Großeltern; das leicht archaische Neuhochdeutsch der Eltern; das Rumänisch der Straße und der Behörden; ein bissel Ungarisch; primitives Lagerrussisch; Reste von Schullatein, Pharmagrieschich, Uni-Mittel- und Althochdeutsch, angelesenes Französisch, Englisch... alles vor einem mittleren indoeuropäischen Ohr... und, alles in allem, ein mich mitausmachendes Randphänomen.“ (Oskar Pastior: Das Unding an sich, S. 66-67) „Krimgotisch - sprachgenetisch manipuliert (siehe Pullmann)? Oder dialektologisch inspiriert (siehe Fächer)? Ost-west-gemendelte Parodie? Hopi-Seelenverwandtschaft? Diwan-Hommage, knapp vorbeigezielt am Reich der Pyramiden? Idiom der beiden Pampelmusen Jacob und Wilhelm? Ballade vom Paradieschen?“ (Pastior: Das Unding ..., S. 67) Zwei Beobachtungen zu dieser Passage aus der Poetik-Vorlesung Pastiors: (1) Pastior betont die Gemischtsprachigkeit als - zumindest seinen eigenen - Normalzustand. Er erinnert damit indirekt daran, daß die Idee einer ‘reinen’ Sprache gegenstandlos ist. (2) Pastiors „Erläuterungen“ zu seinen krimgotischen Gedichten setzen das ‘babylonische’ Experiment fort; auch sie bedienen sich eines eigentümlich hybriden Wortreservoirs. Aber das ist ja auch nur konsequent. Wenn Sprache grundsätzlich ‘gemischt’ ist, dann natürlich auch die des Theoretikers. (b) Ernst Jandl: „fortschreitende räude“ Ernst Jandl hat für Hunde viel Sympathie gehegt; erinnert sei an „ottos mops“. In der „hundeshymne“ (Jandl 2/ 136-137) erfolgt eine sprachliche eine Kreuzung von Institutionellem mit Tierischem erfolgt; eine ganze Familie verbaler Hybridwesen entsteht; Österreich erscheint als ein Hunde(s)-Staat. (Jandl bildet Komposita mit „Hundes-“ statt mit „Bundes-“ - so wird aus dem Bundesheer ein „hundesheer“; es gibt ein „hundessportheim“, eine „hundesvereinigung der tapferkeitsmedaillenbesitzer“, einen „hundesverlag“.) Ein Hundegedicht ist auch „fortschreitende räude“. „FORTSCHREITENDE RÄUDE him hanfang war das wort hund das wort war bei gott hund gott war das wort hund das wort hist fleisch geworden hund hat hunter huns gewohnt him hanflang war das wort hund das wort war blei flott hund flott war das wort hund das wort hist fleisch gewlorden hund hat hunter huns gewlohnt schim schanflang war das wort schund das wort war blei flott schund flott war das wort schund das wort schist fleisch gewlorden schund schat schunter schuns gewlohnt schim schanfang schar das wort schlund schasch wort schar schlei schlott schund flott war das wort schund schasch fort schist schleisch schleschorden schund schat schlunter schluns scheschlohnt s----------c----------h s----------c----------h schllls----------c----------h flottsch“ (Jandl, Das Öffnen und Schließen 22) Der dem Johannesevangelium entnommene Ausgangssatz „Im Anfang war das Wort“ (Joh. 1,1ff.) zerfällt vor den Augen des Lesers. Zugleich erfolgt eine Hybridisierung des Bildfelds um Sprache und Rede mit dem um Hunde, Aas und Verwesung. Dies betrifft die inhaltliche wie die spragestalterisch-artikulatorische Ebene. Die Sprache ‘kommt auf den Hund’. Eben dabei gewinnt sie aber eine neue Plastizität, die sie jedem konventionellen Sprachgebrauch voraushat. Wie Umberto Ecos Salvatore ist diese Hundesprache ketzerisch; wie er ist sie mitleiderregend und zugleich utopisch: Auch und gerade im Verfallsprozeß erneuert sich Sprache, wird körperlich erfahrbar - und teilt das Schicksal der gebrechlichen Menschen, treu wie ein alter Hund. Jandl hat auf den affektiven Effekt gesetzt, den die Suggestion des Miterlebens auslöst. "Dieses Gedicht (...) stellt in fünf Pha¬sen, über fünf Stufen hinun¬ter, einen Verfallsprozeß dar; darüber wird nicht gesprochen, da¬von wird nicht erzählt, son¬dern er wird gezeigt." (PV 21) "Jeder Text hätte (...) benützt werden können, doch es mußte einer sein, an dem es uns betroffen und bestürzt macht, ihn Stufe um Stufe verrotten zu sehen. Den Beginn des Johannes-Evangeliums, seit Kindheit in meinem Denken, plötzlich vor mir zu ha¬ben, als das einzig mögliche Material für dieses Gedicht, war der Einfall, ohne den ein Ge¬dicht nicht entsteht." (PV 21)

Hybridierendes Schreiben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

(a) Ernst Jandl: „chanson“ „chanson l'amour / die tür / the chair / der bauch the chair / die tür / l'amour / der bauch der bauch / die tür / the chair / l'amour l'amour / die tür / the chair le tür / d'amour / der chair / the bauch le chair / der tür / die bauch / th'amour le bauch / th'amour / die chair / der tür l'amour / die tür / the chair am'lour / tie dür / che chair / ber dauch tie dair / che lair / am thür / ber'dour che dauch / am'thour / ber dür / tie lair l'amour / die tür / the chair“ Ernst Jandl hat hier die Wörter mobilisiert - hat sie sich paaren lassen, bis aus ihrer Begegnung Neologismen entstanden. Und er hat sie über Sprachgrenzen geschickt. Kommentierend erinnert er an die Vokabelhefte von Schülern, wo Wörter kolonnenweise anzutreten pflegen, wobei sie sich hier verschieben und nicht mehr einer bestimmten Seite - ein erster Akt der Befreiung aus einem festen Gefüge, dem als zweiter Akt die Befreiung der Artikel von ihren Substantiven oder umgekehrt folgt. Die Sprachbestandteile, so heißt es dabei ausdrücklich, „setzen sich (...) über Sprachgrenzen hinweg“, was den dritten Akt vorbereitet: die Vermischung der Laute. Wenn von „Kolonnen“ die rede ist, so assoziiert man Soldaten. das gedicht steht auch für ein antimilitaristische Gedankenexperiment: Was, wenn die diesseits und jenseits einer Grenze aufgereihten Soldaten die Grenzen überschreiten und sich durchmischen? Jandls Kommentar zum „chanson“ beschreibt dieses explizit als ein Geschehen, das auf dem Papier, beim Schreiben stattfindet - wenngleich der Titel „chanson“ eher ein Singen assoziieren läßt. Das Papier wird zum Spielraum der Hybridisierung erklärt. "Es hängt auch ein Erinnern an Schule daran, eine wohl nicht mehr ganz zeitgemäße Art des Vokabellernens, ein Heftchen mit linierten, in der Mitte durch einen senkrechten Strich in zwei Hälften geteilten Seiten; darin waren in zwei Kolonnen die zu lernenden Wörter einzutragen, links das Wort aus der Fremdsprache, rechts seine deutsche Entsprechung, l'amour - die Liebe; la porte - die Tür; the chair - der Stuhl; the belly - der Bauch. Und nun, unverse¬hens, geraten die beiden Kolon¬nen in Bewegung, verschieben sich gegeneinander, und sind nicht mehr zu stabili¬sieren: l'amour - die tür; the chair - der bauch; the chair - die tür; l'amour - der bauch. Das ist die erste Phase. In der zweiten, die nichts mehr mit Vokabellernen zu tun hat, befreien sich die Artikel von ihren Substan¬tiven, oder die Substantive von ihren Artikeln, es ist nicht zu entscheiden, und setzen sich gleichzeitig über Sprachgrenzen hinweg (...)." (PV 18) (8) Die utopistische Komponente hybridsprachiger Literatur Die Gestalt des eingangs zitierten Salvatore kann in mehr als einer Hinsicht als Inkorporation sprachlich-hybriden Dichtens gelten. Salvatore ist einerseits ein einfacher Laienbruder, der ins Volkssprachliche Ausgleitet, wo seine gelehrten Konfratres Latein sprechen, gerade damit aber gehört seinesgleichen sprachgeschichtlich gesehen die Zukunft. Wenn er auch als Ketzer auf dem Scheiterhaufen endet, so verkörpert sich in ihm doch gerade wegen seines (harmlosen) Ketzertums die subversive Macht abweichender Sprache - die in Ecos Roman einer pluralen interpretationsabhängigen Wahrheit korrespondiert, welche gegen den Dogmatismus der einen Wahrheit ausgespielt wird. Sprachverfremdungen und die damit suggerierten Prozesse der Grenzüberschreitung scheinen neue Horizonte und Gestaltungsmöglichkeiten zu eröffnen. „ich was not yet / in brasilien / nach brasilien / wulld ich laik du go wer de wimen / arr so ander / so quait ander / denn anderwo (ich was not yet / in brasilien / nach brasilien / wulld ich laik du go) als ich anderschdehn / mange lanquidsch / will ich anderstehn / auch lanquidsch in rioo (ich was not yet / in brasilien / nach brasilien / wulld ich laik du go) wenn de senden / mi across de meer / wai mi not senden wer / ich wulld laik du go yes yes de senden / mi across de meer / wer ich was not yet / ich laik du go sehr ich was not yet / in brasilien / yes nach brasilien / wulld ich laik du go (calypso, 2. 11. 57)“

Einige abschließende, aber nicht vollständige Thesen zu den Hybridisierungsexperimenten mit Sprache:[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

(1) Diese sind zum einen in der Tradition ‘maccaronischer’ Dichtung zu sehen - wobei manchmal neue Techniken zur Anwendung kommen. Zum anderen wachsen ihnen in der Moderne neue Bedeutungsdimensionen zu, verbunden damit, daß die Vorstellung einer homogenen, für den Einzelnen horizontbildenden Muttersprache durch Konzepte sprachlicher Polyphonie abgelöst wird. Das Konzept der Glossolalie wird säkularisiert und zur poetologischen Metapher. Ossip Mandelstam schreibt 1921: „Heutzutage haben wir es mit einem Phänomen von Glossolalie zu tun. Wie in heiliger Ekstase reden die Dichter in der Sprache aller Zeiten, aller Kulturen. Nichts, was unmöglich wäre... Das Wort ist zu einer Schalmei nicht mit sieben, sondern mit tausend Röhren geworden, die der Atem aller Jahrhunderte auf einmal zum Klingeln bringt. Das Verblüffendste an der Glossolalie ist, daß der Sprecher die Sprache, die er spricht, nicht kennt.“ (2) Vielfach haben sie zudem eine ‘kulturhybride’ Bedeutungsdimension: Die Sprache bzw. das Gedicht erscheint als Ort, an dem sich Fremdes trifft und miteinander verschmilzt. Dieses Spiel mit kulturell heterogenem kann scherzhaft und komisch, es kann auch kritisch und anklagend sein. (3) Es bestehen zudem Anschlußstellen an die anthropologische Fragestellung nach dem spezifisch Menschlichen, nach der Menschensprache (und ihrer Unterscheidbarkeit von der Tiersprache; das erklärt die Bedeutung der ‘Tiersprachen’). Womit sich der Themenkreis schließt.

Literatur und (weitere) Verweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

/ Theoriemix: Integrale Theorie

  • Metaphysik (Kategorie durchsuchen)
  • Bedeutungstheorien von Sprache
  • veraltete Theorie

Shōnen Ai, Moto Hagio, Animexx,

Sprache/Übersetzung/Neukombination Hybridität bei Sprache und Übersetzung

Literatur: Bhabha, Homi, K. Die Verortung der Kultur, Tübingen 2000