Benutzer:HerbertErwin/Befreiungstheologie

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Die Befreiungstheologie oder auch Theologie der Befreiung ist eine v.a. von katholischen Theologen in Lateinamerika entwickelte Theologie, die die konkreten Lebenssituationen der sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten zugleich theologisch und gesellschaftskritisch reflektiert.

Als Entstehungsdatum der Befreiungstheologie gelten das Jahr 1968, in dem in Medellín die zweite Allgemeine Lateinamerikanische Bischofskonferenz stattfand und 1971, das Erscheinungsjahr des Buches Teología de la liberación (Theologie der Befreiung) von Gustavo Gutiérrez.[1]

Die Befreiungstheologie hat politische Wurzeln und versteht sich selbst als die „Stimme der Armen“. Ihre Anklagen richten sich gegen die Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung eines großen Teils der Menschheit. Eine wichtige Inspirationsquelle war das Zweite Vatikanische Konzil, das 1962-1965 größere Reformen in der Römisch-katholischen Kirche einleitete. Die überwiegend katholische Befreiungstheologie hat über die Ökumene und christliche Basisgruppen auch in den sozialkritischen Protestantismus hineingewirkt.

Die Theologie der Befreiung entstand seit etwa 1960 aus der Selbstorganisation von Basisgemeinden in Lateinamerika. Sie entwickelte sich auch in Südafrika und einigen Ländern Asiens. Sie bezieht sich auf sozialkritische, auf die eigene Lebenswelt hin ausgelegte Bibeltraditionen, sowie auf eine eigenständige Analyse der politökonomischen Abhängigkeit (dependencia: Dependenztheorie) und arbeitet von daher für eine auf die Interessen der Armen ausgerichtetete sozialistische Gesellschaftsordnung.

Entstehung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Etwa seit der Zeit der kubanischen Revolution 1959 bildeten sich in den armen, meist katholisch geprägten Bevölkerungsschichten ehemaliger europäischer Kolonien vermehrt so genannte Basisgemeinden. Deren Mitglieder waren meist landlose Bauern (Campesinos), Landarbeiter, Slumbewohner und Analphabeten, die ihre Alltagsprobleme gemeinsam zu bewältigen versuchten. Hier wurde die biblische Botschaft unmittelbar und eng auf die reale Situation ihrer Leser bezogen, um daraus eine gesellschaftliche Hoffnungsperspektive für sie zu entwickeln. Das besondere Kennzeichen dieser lebensnahen, praktischen Exegese ist, dass sie von den betroffenen Armen selbst vorgenommen wird, die sich als in den Bibeltexten Gemeinte und Angeredete entdecken.

Beginnend 1964 mit einem Militärputsch in Brasilien, installierten sich in fast allen Ländern Lateinamerikas von den USA ökonomisch und militärisch gestützte Militärdiktaturen, die eine für die Bevölkerungsmehrheit katastrophale Innenpolitik betrieben. So kam es seit 1965 dort wie in Argentinien, Chile, Peru, El Salvador, Nicaragua u.a. immer wieder zu Rebellionen, Umstürzen und Revolutionsversuchen.

In deren Kontext stellte sich ein wachsender Teil von Christengemeinden und Kirchenvertretern auf die Seite der um Befreiung kämpfenden Bevölkerung. Die Rolle der Kirche blieb jedoch zwiespältig: Ein Teil der kirchlichen Hierarchie stand stets eng an der Seite der jeweils Herrschenden. Ein anderer Teil jedoch entwickelte aus den konkreten Erfahrungen mit Unterdrückung, Folter, Polizeistaat, Rechtlosigkeit und Elend heraus eine neue und umfassende Solidarität mit armen Bevölkerungsmehrheiten.

Im Jahre 1968 kam es in Medellín zur zweiten Allgemeine Lateinamerikanische Bischofskonferenz. Die dort versammelten Bischöfe versuchten, sich gegenüber den neu aufkommenden sozialen Bewegungen zu positionieren. Unter der Führung des brasilianischen Erzbischofs Dom Helder Camara wurden die „gewaltigen sozialen Ungerechtigkeiten in Lateinamerika“ angeprangert. [2] Anknüpfend an die Enzyklika Populorum progressio von Papst Paul VI. erhob der gesamte lateinamerikanische katholische Episkopat, im Beisein und mit Billigung des Papstes, die Option für die Armen zur Leitlinie der kirchlichen Position. Umstritten ist seither freilich die politische Reichweite dieser Option.

Ähnliche Aufbrüche gab es auch in den USA, wo sich aus der Bürgerrechts- und Protestbewegung der 1960er Jahre eine „schwarze Theologie" gegen den alltäglichen Rassismus entwickelte. Diese wirkte wiederum auf die christlich motivierte Anti-Apartheid-Bewegung Südafrikas ein (siehe z.B. das Kairos-Dokument). Auch auf den Philippinen, in Sri Lanka und Indien entstand seit 1968 eine „Theologie des Kampfes". Diese Bestrebungen werden oft als „Dritte-Welt-Theologie" zusammengefasst, obwohl sie jeweils eigenständig sind und auch europäische sowie nordamerikanische Vertreter beeinflusst haben.

Programm[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Befreiungstheologie ist ursprünglich eine Theologie der Armen selbst. Die Entwicklung der Basisgemeinden mit gemeinsamen, von keinen Amtsträgern geleiteten Gottesdienstformen war weit fortgeschritten, als die ersten "Befreiungstheologen" auf dem internationalen Buchmarkt zu Gehör kamen. Ihre Autoren verstehen sich nicht als "Erfinder" einer neuen Theologie, sondern als Sprachrohr der Unterdrückten. Diese selbst waren es, die in der Bibel ihr ureigenstes Thema, die Befreiung aus jeder Form der Sklaverei, wiederentdeckten und daraus politische Folgerungen für ihre Realität ableiteten.

Die Befreiungstheologie will diese Entdeckung unterstützen und praktisch wirksam werden lassen. Dies wird damit begründet, dass Befreiung das durchgehende Hauptthema der Bibel sei und die Armen und Unterdrückten die zentralen Adressaten dieser Befreiung seien. Dabei kommt der Exodustradition entscheidende Schlüsselbedeutung zu: Hier erscheint der Gott Israels als der, der das Elend seines Volkes sieht und die Schreie über ihre Bedränger hört (Ex 3,7). Dies wird im Neuen Testament ebenfalls gleich zu Anfang bekräftigt, wo Maria als Lobpreis für die ihr zugesagte Geburt des Messias singt: Er stößt die Mächtigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. (Lk 1,53)

Darum wird Erlösung als Zentralbegriff der biblischen Heilsbotschaft nicht wie in der traditionellen Kirchentheologie ausschließlich spirituell verstanden, sondern als eine sozialpolitische und ökonomische revolutionäre Veränderung. Das Heil, das die Bibel verkündet, wird nicht mehr nur auf das Jenseits bezogen, sondern auf die gesellschaftliche Realität im Diesseits. Die Befreiungstheologen betonen, dass sie diese Deutung nicht willkürlich, sondern im Anschluss an den Eigensinn der Bibel gewinnen. Sie folgern daraus eine grundsätzliche Neuorientierung der Kirche an der Zukunft der Armen: nicht nur in ihren Ländern, sondern als Herausforderung an die Gesamtkirche und die Ökumene.

Methodisch vertreten Befreiungstheologen eine Kontextuelle Bibelexegese. Dabei wird zunächst eine aktuelle sozialpolitische Analyse der Gegenwartssituation vorgenommen, um daraus Leitlinien für die Textauslegung zu gewinnen, die sich wiederum auf die eigene Lage zurückbeziehen (Hermeneutischer Zirkel).

Politisch favorisieren befreiungstheologische Entwürfe meist ein sozialistisches Gesellschaftsmodell, wobei sie sich deutlich gegen die Dominanz von sowjetisch gelenkten Parteien und neuen Diktaturen abgrenzen und die basisdemokratischen und genossenschaftlichen Elemente betonen. Bezugspunkt ihrer Sozialkritik ist die so genannte Dependenztheorie, welche die Mechanismen der Ausbeutung aus einer doppelten Interessenidentität erklärt: zum einen aus der engen Verflechtung der eigenen nationalen Eliten mit den Eliten der reichen Industrienationen (Klassen-Antagonismus), zum anderen aber auch der Einbindung großer Teile der Lohnabhängigen in das Wohlstandsgefälle in den reichen Ländern.

Rezeption und Wirkung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wirkungen im katholischen Raum[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Besonders die lateinamerikanischen Befreiungsgemeinden und -theologen haben die Kirchenhierarchie in den eigenen Ländern, aber auch die Religionsausübung in den reichen Industriestaaten angegriffen. Zur Analyse der eigenen Lage gehörte zwangsläufig die Kritik am Missbrauch der Religion als wesentlichen Stützpfeiler der Unterdrückung, zur Durchsetzung von Ausbeutungsinteressen und Verdummung der Armen. Befreiungstheologen kritisieren die traditionelle Verbindung von „Thron und Altar“, das heißt die politische Allianz von katholischer Hierarchie und rechtsgerichteten Parteien und Regimen in Lateinamerika, als eine Art von Klerikalfaschismus. Die Kirche dürfe nicht die Menschen zum Werkzeug ihrer institutionellen Selbsterhaltung machen, sondern die Menschen müssten die Kirche zum Werkzeug zur Erhaltung der Schöpfung machen. In diesem Sinne ist die Kirche auch in Kuba zu einem (gemäßigt) oppositionellen Faktor geworden.

Politische und kirchliche Reaktionen folgten unvermeidbar. Das Verständnis von Erlösung als Befreiung und dessen soziale Folgerungen für die politischen Systeme in Lateinamerika führten in der katholischen Kirche zu heftigen Kontroversen.

Die Katholische Kirche hat die Befreiungstheologie in den 1970er Jahren offiziell abgelehnt und einigen prominenten Vertretern die Lehrbefugnis entzogen. Papst Johannes Paul II. setzte sich - etwa durch Versetzung von Priestern, die ihr anhingen, oder durch Ernennung von Gegnern zu Bischöfen - gegen die Befreiungstheologie ein. Andererseits hat dieser Papst die Kapitalismuskritik seit dem Ende des Kalten Krieges 1990 enorm verstärkt.

In Deutschland lehnte insbesondere Joseph Höffner die Befreiungstheologie mit soziologischen und wirtschaftswissenschaftlichen Argumenten strikt ab und empfahl stattdessen eine Besinnung auf die katholische Soziallehre. Kardinal Joseph Ratzinger - der heutige Papst Benedikt XVI. - argumentierte seit langem gegen jede politische Theologie und kritisierte, dass eine bloß soziologische Sicht der Kirche als Machtfaktor das eigentliche Ziel der Kirche verfehle, nämlich die Menschen vom Vertrauen zur Wahrheit Jesu Christi zu überzeugen. Auch mache die Befreiungstheologie sich zum Steigbügelhalter von künftigen Diktatoren. Ratzinger war als Vorsitzender der katholischen Glaubenskongregation maßgeblich für den Entzug der Lehrerlaubnis und das Redeverbot gegen Leonardo Boff verantwortlich. Er erhob u.a. den Vorwurf, die Befreiungstheologie sei eigentlich ein Marxismus im christlichen Gewand und strebe ein sozialistisches Gesellschaftsmodell an, das nicht mit der Schöpfungsordnung vereinbar sei.

Die lateinamerikanischen Bischöfe haben jedoch durch ihre Parteinahme für die Armen - nicht für den Marxismus - in Medellin einen offenen Bruch mit den Befreiungstheologen verhindert. Bei der Bischofstagung von Aparecida in Brasilien haben sie gemeinsam mit dem Papst religiöse und sozialreformerische Fragen in gemeinsamer Perspektive mit den der Befreiungstheologie zuneigenden Bischöfen erörtert. Während die Neomarxisten in der Befreiungstheologie an Bedeutung verlieren, wird das ursprüngliche Anliegen von Medellin heute stärker von der katholischen Kirche insgesamt verfolgt.

Wirkungen im Protestantismus[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Besonders die Friedenskirchen haben manche Anregungen der Befreiungstheologen aufgegriffen, gleichwohl an ihrer strikten Gewaltlosigkeit festgehalten und die Beteiligung von Christen an revolutionärer Gewalt abgelehnt und kritisiert.

Viele Evangelikale und die Charismatische Bewegung bekämpfen die Befreiungstheologie und andere gesellschaftskritische Strömungen im Christentum seit Jahrzehnten. Sie setzen bewusst einen religiösen Individualismus und „Heilsegoismus“ gegen Gesellschaftsveränderung und Sozialreformen. Neuere spirituelle Richtungen rücken den christlichen Sinn der menschlichen Arbeit im Rahmen der bestehenden Gesellschaftsstrukturen in den Mittelpunkt.

Zur Bekämpfung der Basisgemeindenbewegung und linksgerichteter lateinamerikanischer Politik haben sich in den USA auch mit den Militärs verflochtene Organisationen gebildet.

Der Anspruch, Theologie von den Armen und Unterdrückten für die Armen und Unterdrückten zu machen, wurde praktisch nicht immer durchgehalten. Manche Befreiungstheologen lehnten die Volksfrömmigkeit als antiaufklärerisch ab und verkannten dabei deren große trost- und hoffnungsstiftende Bedeutung für das einfache Volk. Sie wurden so erneut zu einer akademischen Angelegenheit, die nur wenige Eingeweihte erreichte. So entwickelte sich die Befreiungstheologie nur begrenzt zu einer Massenbewegung und verlor Teilbereiche Lateinamerikas an die gegenmissionarisch auftretende charismatische Bewegung. Dies lag auch an politischen Enttäuschungen: Das Ausbleiben einer wirklich gerechten Sozialordnung, die die Massen am politischen Entscheidungs- und Gestaltungsprozess beteiligt, hatte vielerorts eine Rückwendung zu rein innerlich-individuellen Glücks- und Heilserwartungen zur Folge.

Das Darmstädter Wort von 1947 benannte bereits eine „Option für die Armen“ als notwendige Folge des Evangeliums und benannte von da aus den Antimarxismus des deutschen Protestantismus als historische Schuld:

Wir sind in die Irre gegangen, als wir übersahen, dass der ökonomische Materialismus der marxistischen Lehre die Kirche an den Auftrag und die Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im Diesseits hätte gemahnen müssen. Wir haben es unterlassen, die Sache der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem Reich zur Sache der Christenheit zu machen.

Doch erst 1997 griffen die EKD und die Deutsche Bischofskonferenz diese Herausforderung ansatzweise auf und formulierten in ihrer gemeinsamen Denkschrift Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit:

Die christliche Nächstenliebe wendet sich vorrangig den Armen, Schwachen und Benachteiligten zu. So wird die Option für die Armen zum verpflichtenden Kriterium des Handelns.

Sie erklärt soziale Gerechtigkeit zum Zentralbegriff christlicher Sozialethik, folgert daraus jedoch keine Strukturveränderungen im Produktionsbereich und Umverteilung von Kapitalmacht, sondern „Chancengleichheit“ und „gleichwertige Lebensbedingungen“ (3.3.3.), also Begriffe, die auch in fast allen Programmen politischer Parteien vorkommen.[3]

Soziale und ökumenische Wirkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Befreiungstheologie wirkte auf die Basisgemeinden zurück und begründete viele neue soziale Initiativen in Lateinamerika, Südafrika und Südasien, aber auch zu deren Unterstützung in der westlichen Welt. Das zeigte sich etwa an zunehmender Aufmerksamkeit für Themen der „einen Welt", die die Ökumene in drei Hauptbereiche einteilt:

Die Befreiungstheologie hat innerhalb der Kirchen der westlichen Welt ein etwas größeres Bewusstsein für die soziale Not der Menschen in den ärmeren Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens geschaffen. Heute führen Befreiungstheologen stärker als früher auch einen Dialog mit jüdischen und muslimischen Theologen und Soziologen.[4]

Verhältnis zu den Gesellschaftswissenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die lateinamerikanische Befreiungstheologie orientiert sich seit ihrer Entstehung an der lateinamerikanischen Soziologie der 1960er Jahre, die von der Dependenztheorie bestimmt war. Diese reagierte auf die damalige Krise des Entwicklungsmodells der Importsubstitution, das sich von stärkerer Industrialisierung eine geringere Abhängigkeit von Importen und damit vom Markt der hochindustrialisierten Länder versprochen hatte. Dieses Konzept vertraten damals die Allianz für den Fortschritt, die Christdemokratie Chiles bis 1965 sowie Ökonomen der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika wie Raúl Prebisch. Sie grenzten sich wie die Befreiungstheologen vom Neoliberalismus und Neokonservativismus ab, wurden aber dennoch von den Dependenztheoretikern als „Desarrollisten“ kritisiert.

Nach Steffen Flechsig scheiterten die an sich richtigen Entwicklungsmodelle der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika an der Politik rechtsgerichteter Regimes seit dem Putsch 1964 in Brasilien, dann in Bolivien, seit 1973 in Chile und in Argentinien. Diese hätten den Kontinent zum machtpolitischen Exerzierfeld einer gewaltbereiten neoliberalen Elite gemacht, um die Reformerfolge der 1960er Jahre zurückzudrehen.[5]

Der russische Ökonom Victor Krasilshchikov beschreibt den Übergang zum Neoliberalismus als globalen, nicht auf Lateinamerika begrenzten Prozess.[6] Als Alternative zu diesem globalen Kapitalismus hatte der Soziologe und religiöse Sozialist Karl Polanyi schon in den 1930er Jahren den Weltsystem-Ansatz mitbegründet. Demgegenüber wird die Dependenztheorie als zu sehr an der lateinamerikanischen Situation orientiert kritisiert, die die Situation der muslimischen Welt und Asiens wie auch die wachsende Ungleichheit und Verarmung in Europa und Nordamerika zu wenig erfasse.

Ivan Petrella zufolge muss sich die Befreiungstheologie stärker Fragen wie Gender, Umwelt, Formen der Geschlechtlichkeit etc. stellen, um sich mit anderen sozialen Bewegungen zu verbünden.[7]

Vertreter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lateinamerikanische Befreiungstheologen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gustavo Gutiérrez, peruanischer Theologe, prägte den Begriff der Theologie der Befreiung im Jahr 1971 in seiner Schrift Teología de la liberación. Weitere bekannte Befreiungstheologen vertreten zwar unterschiedliche theologische Ansätze, denen aber die unverbrüchliche Verbindung von Kirche und Volk gemeinsam ist.
  • Leonardo Boff: katholischer Theologe und Menschenrechtsaktivist. Er wurde 1985 von der römischen Kongregation für die Glaubenslehre unter der Leitung von Kardinal Joseph Ratzinger – heute Papst Benedikt XVI. – wegen seiner Schriften zur Befreiungstheologie zu einem Jahr Lehr- und Predigtverbot verurteilt. Nach seiner Heirat verlor er alle kirchlichen Funktionen.
  • Clódovis Boff, sein Bruder
  • Jon Sobrino

Vertreter der lateinamerikanischen Befreiungstheologie sind außerdem:

Deutschsprachige Befreiungstheologen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gerade im deutschsprachigen Raum haben einige prominente TheologInnen versucht, ähnliche Grundideen auch für die reichen Kirchen Europas geltend zu machen. Darunter sind:

  • Ulrich Duchrow: Lutheraner, der im Gefolge Dietrich Bonhoeffers die gerechte Weltwirtschaftsordnung zur vorrangigen Bekenntnisfrage für die Ökumene erklärt hat
  • Rául Fornet-Betancourt: Leiter des Lateinamerika-Referats am Missionswiss. Institut Missio in Aachen, geborener Kubaner, sowohl der deutschsprachigen als auch der lateinamerikanischen Befreiungstheologie zuzurechnen
  • Kuno Füssel
  • Hans-Peter Gensichen: vertritt eine Nördliche Befreiungstheologie, die die Befreiung aus dem Reichtum des Nordens anstrebt.
  • Horst Goldstein
  • Helmut Gollwitzer: lutherischer Theologe, wichtigster deutscher Schüler Karl Barths und Freund Rudi Dutschkes, der seit 1970 die These Christen müssen Sozialisten sein vertrat.
  • Norbert Greinacher
  • Franz-Josef Hinkelammert: Katholik, der eine Analyse der Gesetze des Weltmarkts für das ökumenische Programm gegen transnationale Konzerne (TNCs) vorgelegt hat.
  • Elmar Klinger: Würzburger katholischer Fundamentaltheologe, zeigt auf, dass die Theologie der Befreiung weltweit die einzige theologische Strömung ist, welche die Anliegen des 2. Vatikanischen Konzils tatsächlich verwirklicht hat.
  • Willi Knecht: katholischer Theologe, der am Beispiel einer Diözese in Peru die Entstehung der ersten nicht kolonialen Theologie aus befreiender Praxis und deren Aktualität dokumentiert.
  • Erwin Kräutler Österreichischer Bischof
  • Johann Baptist Metz: moderner katholischer Vertreter des ökumenischen Dialogs mit dem Judentum
  • Jürgen Moltmann: lutherischer Theologe mit linkshegelianischem Ansatz, vertritt den jüdisch-christlichen Dialog als wesentlichen Beitrag zu einer ökumenischen Befreiungstheologie.
  • Dorothee Sölle: deutsche Schülerin Rudolf Bultmanns, vertrat eine radikal kirchenkritische existenziale Interpretation des Evangeliums; feministische Sozialistin, die lange auch in den USA lehrte.

Der lateinamerikanischen Befreiungstheologie nahestehende Theologen anderer Länder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vertreter der Befreiungstheologie mit kirchlichem oder politischem Amt[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Vereinigungen von Befreiungstheologen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Seit 1985 tauschen sich die Vertreterinnen und Vertreter der Theologie der Befreiung auf den Südkontinenten in der Ökumenischen Vereinigung der Drittwelt-TheologInnen aus (EATWOT: Ecumenical Association of Third World Theologians).[8]
  • Eine weitere Vereinigung vor allem katholischer Theologinnen und Theologen nennt sich Amerindia

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Vgl. Artikel „Theologie der Befreiung“ in TRE und „Befreiungstheologie“ in RGG, 4. Aufl.
  2. Vgl. Die Kirche Lateinamerikas. Dokumente der II. und III. Generalversammlung des Lateinamerikanischen Episkopates in Medellín und Puebla (Stimmen der Weltkirche 8), Bonn 1985, Dok. 15 „Die Armut der Kirche“, S. 115.
  3. EKD und Dt. Bischofskonferenz: Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit
  4. siehe Sammelband Global Capitalism, Liberation Theology and the Social Sciences, a.a.O.
  5. Aufsatz von Steffen Flechsig in: Global Capitalism, Liberation Theology and the Social Sciences, Nova Science Publishers, NY
  6. The Rise and Decline of Catching Up Development. An Experience of Russia and Latin America with Implications for Asian 'Tigers'
  7. Ivan Petrella: The Future of Liberation Theology: An Argument and Manifesto, Aldershot, Ashgate, 2004, ISBN 0-7546-4051-5 und 978-0-7546-4051-6
  8. EATWOT-Homepage

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einführungen und Überblicksdarstellungen
  • Ignacio Ellacuría, Jon Sobrino (Hrsg.): Mysterium Liberationis. Grundbegriffe der Theologie der Befreiung. 2 Bände, Edition Exodus, Luzern 1995-1996, ISBN 3-905575-98-1
  • Raúl Fornet-Betancourt: Befreiungstheologie: Kritischer Rückblick und Perspektiven für die Zukunft. Grünewald, Mainz 1997
Lateinamerikanische Autorinnen und Autoren
  • Clodovis Boff, Jorge Pixley: Die Option für die Armen. Gotteserfahrung und Gerechtigkeit. Patmos, Düsseldorf 1991, ISBN 3-491-77713-5
  • Leonardo Boff: Die Neuentdeckung der Kirche. Basisgemeinden in Lateinamerika. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1980, ISBN 3-7867-0802-9
  • Leonardo Boff: Kirche, Charisma und Macht. Studien zu einer streitbaren Ekklesiologie. Patmos, Düsseldorf 1985, ISBN 3-492-11078-9
  • Leonardo Boff: Jesus Christus, der Befreier. Herder, Freiburg im Breisgau 1986, ISBN 3-451-08782-0
  • Ernesto Cardenal (Hrsg.): Das Evangelium der Bauern von Solentiname. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1991 (3. Auflage, Gesamtausgabe), ISBN 3-87294-163-1
  • Enrique Dussel: Herrschaft und Befreiung. Ansatz, Stationen und Themen einer lateinamerikanischen Theologie der Befreiung. Fribourg 1985, ISBN 3-905575-11-6
  • Gustavo Gutiérrez: Die historische Macht der Armen. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1984, ISBN 3-459-01567-5
  • Gustavo Gutiérrez: An der Seite der Armen. Theologie der Befreiung. Sankt Ulrich Verlag, 2004, ISBN 3-936484-40-6
  • Maricel Mena López: Unser Körper ist die Erlösung. Schwarze feministische Befreiungstheologie. In: ila 256 (2002) S. 17-18 (S. 3-34: Dossier zur Theologie der Befreiung)
  • Jon Sobrino: Christologie der Befreiung. Bd. 1, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1998, ISBN 3-7867-2130-0
  • Luis Zambrano: "Entstehung und theologisches Verständnis der Kirche des Volkes (Iglesia Popular) in Lateinamerika" Peter Lang Verlag, Frankfurt (Dissertation bei Norbert Greinacher)
  • Luis Zambrano: "The Church of the Southern Andes in Peru: Its Commitment in Favor of the Poor" in Andreas Müller, Arno Tausch und Paul Zulehner: "Global Capitalism, Liberation Theology and the Social Sciences", Nova Science Publishers, New York, ISBN 1-56072-679-2

Deutschsprachige Autoren

  • Ulrich Duchrow, Franz J. Hinkelammert: Leben ist mehr als Kapital. Alternativen zur globalen Diktatur des Eigentums. Publik-Forum 2002, ISBN 3-88095-117-9
  • Josef Estermann: Neuer Wein in alte Schläuche? Transformationen der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. in: Norbert Kößmeier, Richard Brosse (Hrsg.): Gesichter einer fremden Theologie. Sprechen von Gott jenseits von Europa. In: Theologie der Dritten Welt 34, Herder, Freiburg 2006, ISBN 3-451-28956-3
  • Kuno Füssel, Franz Segbers (Hrsg.): „... so lernen die Völker des Erdkreises Gerechtigkeit.“ Ein Arbeitsbuch zu Bibel und Ökonomie. Pustet Anton Verlag, 1995, ISBN 3-7025-0324-2
  • Guido Heinen: „Mit Christus und der Revolution". Zu Geschichte und Wirken der 'iglesia popular' im sandinistischen Nicaragua. Münchener Kirchenhistorische Studien, Bd.7, Kohlhammer, Stuttgart 1997, ISBN 3-17-013778-6
  • Franz-Josef Hinkelammert: Die ideologischen Waffen des Todes. Zur Metaphysik des Kapitalismus. Exodus, Freiburg/Münster 1985
  • Franz-Josef Hinkelammert: Kritik der utopischen Vernunft. Eine Auseinandersetzung mit den Hauptströmungen der modernen Gesellschaftstheorie. Grünewald, Mainz 1994
  • Franz-Josef Hinkelammert: Kultur der Hoffnung. Für eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung und Naturzerstörung. Grünewald, Mainz 1999
  • Elmar Klinger: Armut - Eine Herausforderung Gottes. Der Glaube des Konzils und die Befreiung des Menschen. Benziger, Zürich 1990, ISBN 3-545-24077-0
  • Elmar Klinger; Rolf Zerfaß (Hrsg.): Die Basisgemeinden - ein Schritt auf dem Weg zur Kirche des Konzils. Echter, Würzburg 1984
  • Willi Knecht: "Die Kirche von Cajamarca - die Herausforderung einer Option für die Armen", Lit-Verlag, 2005
  • Michael Löwy (Hrsg.): Theologie der Befreiung und Sozialismus. Internationale Sozialistische Publikationen GmbH, Frankfurt/Main 1987, ISBN 3-88332-130-3
  • Missionszentrale der Franziskaner (Hrsg.): Wenn Leben, Glauben und Denken eins sind: Befreiungstheologie aktuell. (Berichte, Dokumente, Kommentare 89), Bonn: MZF 2002
  • Sabine Plonz: Der Kampf um die Hoffnung. Aktuelle Trends in der lateinamerikanischen Theologie. In: ila 296 (2006) S. 24-26
  • Sabine Plonz: Die herrenlosen Gewalten. Matthias Grünewald, Mainz 1999, ISBN 3-7867-1880-6
  • Stefan Silber: Theologie der Befreiung im Religionsdialog. Eine neue Entwicklung in Lateinamerika. In: Stimmen der Zeit 130 (2005) 7, S. 484-488
  • Stefan Silber: Vielschichtig und lebendig. Neuere Entwicklungen in der Theologie der Befreiung, in: Herder-Korrespondenz 60 (2006) 10, 523-528 und in: www.con-spiration.de
  • Freddy Dutz, Bärbel Fünfsinn, Sabine Plonz (Hrsg.): Wir tragen die Farbe der Erde. Neue theologische Beiträge aus Lateinamerika. Blaue Reihe 10, Evangelisches Missionswerk, Hamburg 2004
  • Norbert Greinacher (Hrsg.): Konflikt um die Theologie der Befreiung - Diskussion und Dokumentation; Einsiedeln 1985.
  • Norbert Ahrens: Gott ist Brasilianer, doch der Papst ist Pole - Hintergründe der Theologie der Befreiung; Göttingen 1986.
  • Achim Pfeiffer: Der Konflikt um die Theologie der Befreiung; in: Religion und Politik in den Schriften Papst Benedikt XVI.; Marburg 2007; ISBN 978-3-8288-9227-9.
Andere
Kritik an der Befreiungstheologie aus der Perspektive der Christlichen Gesellschaftslehre
  • Franz Hengsbach/ Alfonso Lopez Trujillo (Hrsg.): Kirche und Befreiung. Aschaffenburg: Pattloch 1975.
  • Franz Hengsbach/Alfonso Lopez Trujillo (Hrsg.): Angriff und Abwehr, Berichte, Kommentare, Dokumente zum Streit um ADVENIAT und die "Theologie der Befreiung". Achaffenburg: Pattloch 1978.
  • Joseph Höffner: Soziallehre der Kirche oder Theologie der Befreiung. In: Ders.: In der Kraft des Glaubens. Bd. II Kirche -Gesellschaft. Freiburg et al.: Herder 1986, S. 453-4479. ISBN 3-451-20878-4.
  • Manfred Hermanns: Katholische Soziallehre und/oder Theologie der Befreiung? Menschenbild und Wirtschaftsethik. In: Karl Hugo Breuer (Hrsg.), Jahrbuch für Jugendsozialarbeit. Bd. XII. Köln: Die Heimstatt 1991, S. 193-217. ISSN 0721-6084.
  • Manfred Hermanns: Sozialethik im Wandel der Zeit. Geschichte des Lehrstuhls für Christliche Gesellschaftslehre in Münster 1893-1997. Paderborn: Schöning 2006, insbesondere S. 347-359, ISBN 978-3-506-72989-7.
Neoliberale Kritik der Befreiungstheologien
  • Will it liberate? : questions about liberation theology / Author: Novak, Michael. Publication: New York : Paulist Press, 1986
  • Liberation theology and the liberal society / Author: Novak, Michael. Publication: Washington, D.C. : American Enterprise Institute for Public Policy Research, 1987

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

zur Gesellschaftsanalyse