Eisenbahnunfall von Santiago de Compostela

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Aufnahme der Unglücksstelle von der Autobahn AP-9
Rettungsarbeiten in der Nacht

Der Eisenbahnunfall von Santiago de Compostela ereignete sich am 24. Juli 2013 nahe der spanischen Stadt Santiago de Compostela. Ein Schnellzug der Gattung Alvia der spanischen Eisenbahngesellschaft Renfe entgleiste auf seiner Fahrt von Madrid[1] nach Ferrol[1] in einem Gleisbogen etwa 3 Kilometer vor der Einfahrt in den Bahnhof von Santiago de Compostela. Es starben 79 Menschen, über 140 Menschen wurden verletzt. Es ist der schwerste Eisenbahnunfall in Spanien seit dem Eisenbahnunfall von El Cuervo von 1972[2] und der erste Unfall eines Reisezuges[3] auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in Spanien. Als Ursache gilt überhöhte Geschwindigkeit[4].

Unfallhergang

Der Unfall ereignete sich um 20:41 Uhr[1] MESZ im Vorort Angrois. Kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof von Santiago de Compostela entgleisten alle Wagen des Zugs Alvia 01455[1] (Triebzug der Baureihe 730), als er in den A-Grandeira-Bogen[1] einfuhr, einen Linksbogen mit rund 400 m Kurvenradius, in dem 80 km/h erlaubt sind.

Vier der Personenwagen überschlugen sich, ein Wagen wurde dabei völlig zerstört, einer wurde auseinandergerissen, ein weiterer fing durch auslaufenden Dieselkraftstoff Feuer. Zum Zeitpunkt des Unglücks befanden sich 218 Reisende sowie vier Bahnangestellte im Zug,[5][6] nach anderen Angaben 247 Reisende.[7] Eine Überwachungskamera zeichnete den Unfall auf.[8][9][10]

74 Menschen starben direkt am Unfallort, mindestens 140 Personen wurden teils schwer verletzt. Fünf Verletzte erlagen (Stand 28. Juli) im Krankenhaus ihren Verletzungen.[11]

Laut einem Bericht der spanischen Zeitung El País fuhr der Zug mit 190 km/h in den Bogen. Der 52-jährige Triebfahrzeugführer arbeitete bereits seit über dreißig Jahren für Renfe und befuhr die Schnellfahrstrecke seit einem Jahr.[12][13][9][14] Laut manchen Quellen war er seit über 30 Jahren Triebfahrzeugführer.[15]

Er wurde bei dem Unfall im Führerraum eingeklemmt und leicht verletzt. Per Zugfunk sagte er: „Ich hoffe, es gibt keine Toten, denn ich hätte sie auf dem Gewissen.“[15] Nachdem sich der Unfall bereits ereignet hatte, sagte er auch „Ich sollte 80 fahren, aber ich fahre 190 Stundenkilometer.“ Er soll auch gesagt haben: „Ich habe es verbockt. Ich möchte sterben.“[4] Der Triebfahrzeugführer half später bei den Rettungsarbeiten.[15] Wenige Tage nach dem Unfall wurde er verhaftet.[4] Er hatte den Zug allein geführt.[16]

Die Kurve, in der sich der Unfall ereignete, ist der erste engeren Bogen nach der ungefähr halbstündigen Fahrt über die zum LAV Corredor Galicia gehörende 82 Kilometer lange breitspurige[17] Hochgeschwindigkeitsstrecke von Ourense.[18] Züge von der Schnellfahrstrecke gehen in diesem Bereich in das seit langem bestehende Bestandsnetz über. Bei der Eröffnung der Strecke Ende 2011 brachte eine starke Bremsung in diesem Bereich Reisende aus dem Gleichgewicht.[15] Die Gleisanlage im betroffenen Bogen wurde im Rahmen der Neubaustrecke aufgeweitet. Laut einem Bericht von El Pais sei auf eine Aufweitung (um höhere Geschwindigkeiten zu ermöglichen) jedoch verzichtet worden, um Enteignungen zu vermeiden.[1]

Laut Angaben eines an den Untersuchungen beauftragten Eisenbahners seien Infrastruktur und Zug in Ordnung gewesen. Nach derzeitigem Erkenntnisstand hat der Triebfahrzeugführer zu spät gebremst.[4]

Technische Hintergründe

Die Schnellfahrstrecke ist durch das Zugsicherungssystem ETCS Level 1[16] gesichert, welches noch vor der Kurve durch das punktförmige Zugbeeinflussungssystem ASFA abgelöst wird.[19][20] Die letzte ETCS-Balise, welche dem Lokführer das Ende des mit ETCS gesicherten Streckenabschnittes signalisiert, befindet sich vier Kilometer vor der Unfallstelle. An diesem Übergang von ETCS zu ASFA findet keine Überwachung der Geschwindigkeit oder der Bremsung des Zuges statt. Der Zug passierte ein Vorsignal 4 km und ein Hauptsignal 150 m vor der Unfallstelle, die beide mit ASFA-Balisen ausgerüstet sind.[16]

Während das installierte ETCS-Level-1-System die Geschwindigkeit des Zuges dauernd überwacht, ist dies bei ASFA nicht der Fall. Das System gibt es in zwei Varianten.[16] Während die herkömmliche ASFA eine Zwangsbremsung nur beim Überfahren eines Halt zeigenden Hauptsignals einleitet, ermöglicht die neuere ASFA Digital die Geschwindigkeitsüberwachung bei Anfahrt auf Hauptsignale.[21] Eine Überwachung von festen Geschwindigkeitswechseln an der Strecke findet bei beiden ASFA-Varianten nicht statt, so dass es möglich ist, ohne Eingriff der Zugsicherung mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h in den betroffenen Abschnitt zu gelangen.[16]

Im Gegensatz zu den Zügen der Baureihe 121 und anderer Reisezüge, welche auf der Schnellfahrstrecke verkehren, benutzen die Züge der Baureihe 730 das ETCS-System der Strecke nicht, sondern verkehren mit dem als Rückfallebene auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke installierten ASFA-System. Auch wenn der Zug die vorhandene ETCS-Ausrüstung der Strecke benutzt hätte, wäre der Unfall durch das System nicht verhindert worden, weil die Bremsung nicht mehr im mit ETCS ausgerüsteten Streckenabschnitt stattfindet.[16]

Die spanische Lokführergewerkschaft Semaf kritisierte, dass das Unglück hätte vermieden werden können, wenn die Strecke auch bei der Unfallstelle mit ETCS ausgerüstet gewesen wäre.[4][16]

Nach dem Unglück

Viele der Reisenden waren auf der Fahrt zu Veranstaltungen des Jakobstages in der Region Galicien.[22]

Am Morgen nach dem Unfall nahmen spanische Behörden, unter anderem die Comisión de Investigación de Accidentes Ferroviarios (CIAF), Ermittlungen gegen den Lokführer wegen fahrlässiger Tötung auf.[23] Es gab keine Anhaltspunkte für einen terroristischen Anschlag oder Sabotage.[15]

Am Tag nach dem Unfall besuchte die spanische Ministerin für Bau und Verkehr Ana Pastor Julián die Unfallstelle, unter anderem begleitet von Rafael Catalá, Staatssekretär für Infrastruktur, Verkehr und Wohnungswesen.[24] Auch der aus Santiago de Compostela gebürtige Ministerpräsident Mariano Rajoy besuchte am 25. Juli 2013 den Unfallort und rief eine dreitägige Staatstrauer aus.[25]

Galerie

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d e f Ute Müller: Unfall bei Tempo 200. In: Die Welt. Nr. 172, 26. Juli 2013, ISSN 0173-8437, S. 24.
  2. Casi todos los muertos viajaban en ‘La Cochinita’, In: El País, 25. Juli 2013
  3. bereits 2004 hat sich ein Unfall mit einem Testzug auf der Schnellfahrstrecke Madrid–Sevilla ereignet. El Pais, 14. Februar, 2004
  4. a b c d e Haftbefehl gegen Lokführer. In: Die Welt. Nr. 173, 27. Juli 2013, ISSN 0173-8437, S. 32 (online).
  5. Zug fuhr doppelt so schnell wie erlaubt. Die Zeit, 25. Juli 2013, abgerufen am 26. Juli 2013.
  6. Schweres Zugunglück in Spanien. Yahoo Nachrichten, 26. Juli 2013, abgerufen am 26. Juli 2013.
  7. Zugunglück in Nordspanien - Endlose Trauer in Santiago Sueddeutsche.de, 25. Juli 2013, abgerufen am 26. Juli 2013
  8. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen El Pais 392391.
  9. a b Video zeigt Crash: Mit Tempo 190 in den Tod (ksta.de)
  10. Position der Kamera: http://www.openstreetmap.org/browse/node/2401025902
  11. http://www.dradio.de/nachrichten/ Nachrichten vom 28.07.2013 17 00 - dradio.de
  12. spon.de: Mehr als 30 Tote bei Zugunglück in Spanien vom 25. Juli 2013
  13. Tragedia ferroviaria en Santiago (gesichtet 25. Juli 8:33 Uhr)
  14. Lokführer muss in U-Haft. Blick.ch, 26. Juli 2013, abgerufen am 26. Juli 2013.
  15. a b c d e "Ich fahre 190 Stundenkilometer". In: Handelsblatt. Nr. 142, 26. Juli 2013, ISSN 0017-7296, S. 11.
  16. a b c d e f g Fernando Puente: ETCS not operable on Santiago crash train. IRJ, 26. Juli 2013, abgerufen am 26. Juli 2013.
  17. Línea de alta velocidad Olmedo-Zamora-Galicia auf der spanischen Wikipedia.
  18. LAV Ourense-Santiago-A Coruña. ADIF, abgerufen am 26. Juli 2013.
  19. Zugunglück mit 80 Toten: Polizei verhört Lokführer. Spiegel online, 26. Juli 2013, abgerufen am 26. Juli 2013.
  20. Ourense_Entrada de Santiago_S-121. In: Youtube. Abgerufen am 26. Juli 2013 (Führerstandsmitfahrt auf einem Triebzug der RENFE-Baureihe 121 von Ourense nach Santiago de Compostela).
  21. Digital ASFA for RENFE. Dimetronic, abgerufen am 29. Juli 2013.
  22. Katastrophe zum Jakobstag – Yahoo! Nachrichten Deutschland, abgerufen am 25. Juli 2013
  23. Stimme Russlands: Spanien: Strafverfahren gegen Lokführer des Alvia-Zugs eingeleitet vom 25. Juli 2013
  24. Rajoy está pendiente del accidente del tren en Santiago y la ministra de Fomento se desplaza a Galicia. Tribuna Valladolid, 26. Juli 2013, abgerufen am 26. Juli 2013 (spanisch).
  25. Mindestens 80 Tote bei Zugunglück: Spanien ruft Staatstrauer aus. tagesschau.de, 25. Juli 2013, abgerufen am 26. Juli 2013.

Koordinaten: 42° 51′ 34,2″ N, 8° 31′ 39,7″ W