„Schwabinger Kunstfund“ – Versionsunterschied

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Bei dem '''Kunstfund in München''' handelt es sich um die Entdeckung von 121 gerahmten und 1285 ungerahmten Kunstwerken in einer [[München|Münchner]] Privatwohnung am 28. Februar 2012, von denen die meisten seit der [[Zeit des Nationalsozialismus]] als verschollen galten. Darunter befinden sich zwei bisher unbekannte Werke von [[Otto Dix]] und [[Marc Chagall]]. Der Fund wurde von den zuständigen Behörden geheim gehalten und der Öffentlichkeit erst durch einen Bericht des Nachrichtenmagazins ''[[Focus]]'' am 3. November 2013 bekannt.
Bei dem '''Kunstfund in München''' handelt es sich um die Entdeckung von 121 gerahmten und 1285 ungerahmten Kunstwerken in einer [[München|Münchner]] Privatwohnung am 28. Februar 2012, von denen die meisten seit der [[Zeit des Nationalsozialismus]] als verschollen galten. Darunter befinden sich zwei bisher unbekannte Werke von [[Otto Dix]] und [[Marc Chagall]]. Der Fund wurde von den zuständigen Behörden geheim gehalten und der Öffentlichkeit erst durch einen Bericht des Nachrichtenmagazins ''[[Focus]]'' am 3. November 2013 bekannt. tr,a.urb29hallo


== Fund durch den deutschen Zoll ==
== Fund durch den deutschen Zoll ==

Version vom 7. November 2013, 14:14 Uhr

Franz Marc: Pferde in Landschaft, aus dem Münchner Kunstfund

Bei dem Kunstfund in München handelt es sich um die Entdeckung von 121 gerahmten und 1285 ungerahmten Kunstwerken in einer Münchner Privatwohnung am 28. Februar 2012, von denen die meisten seit der Zeit des Nationalsozialismus als verschollen galten. Darunter befinden sich zwei bisher unbekannte Werke von Otto Dix und Marc Chagall. Der Fund wurde von den zuständigen Behörden geheim gehalten und der Öffentlichkeit erst durch einen Bericht des Nachrichtenmagazins Focus am 3. November 2013 bekannt. tr,a.urb29hallo

Fund durch den deutschen Zoll

Die Kunstwerke wurden von Zollfahndern in einer 95 m² großen Schwabinger Wohnung am Arthur-Kutscher-Platz 1 im Rahmen von Ermittlungen wegen des Verdachts eines Steuervergehens gefunden, so dass der Komplex dem Steuergeheimnis unterliegt.[1] Die Durchsuchung fand vom 28. Februar bis 2. März 2012 statt.[2] Bei dem Wohnungsinhaber handelt es sich um den österreichischen Staatsbürger Rolf Nikolaus Cornelius Gurlitt aus Salzburg, dem Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt.[3] Es wird vermutet, dass es sich zum Teil um NS-Raubkunst handelt, Werke, die ihren ehemaligen jüdischen Eigentümern geraubt oder von ihnen verfolgungsbedingt verkauft wurden, sowie um Kunstwerke, die ab 1937 als „entartet“ diffamiert und konfisziert worden waren. Der Fund wurde von der Staatsanwaltschaft Augsburg beschlagnahmt.[4][5] Der gegenwärtige Aufbewahrungsort des wertvollen Kunstfunds wird laut Auskunft der Zollfahnder nicht bekanntgegeben.[6]

Werke

Laut Angaben der Augsburger Staatsanwaltschaft besteht das Konvolut vor allem aus Werken von Malern der Klassischen Moderne und des 20. Jahrhunderts wie Max Beckmann, Marc Chagall, Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner, Oskar Kokoschka, August Macke, Franz Marc, Henri Matisse, Emil Nolde, Pablo Picasso und Karl Schmidt-Rottluff. Doch auch Bilder früherer Epochen, Maler des 19. Jahrhunderts bis hin zu Arbeiten aus dem 16. Jahrhundert wurden gefunden, so zum Beispiel von Canaletto, Gustave Courbet, Max Liebermann, Pierre-Auguste Renoir, Carl Spitzweg oder Henri de Toulouse-Lautrec. Kunsthistorisch besonders wertvoll seien insbesondere zwei bisher völlig unbekannte Werke von Dix und Chagall.[7]

Medien gaben in ersten Schätzungen einen heutigen Marktwert von ungefähr einer Milliarde Euro an, dies allerdings in Unkenntnis der gefundenen Werke.[8] Mit der Bestimmung der Bilder und ihrer Provenienz wurde die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann von der Forschungsstelle Entartete Kunst an der Berliner Freien Universität betraut.[9] Laut unbestätigten Angaben sollen mindestens 300 der aufgetauchten Werke zu den 1937 im Rahmen der Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ konfiszierten Exponaten gehören. Für einige Werke sollen Suchmeldungen von ehemaligen Eigentümern bzw. deren Erben in der Datenbank der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste vorliegen.[5]

Liste bekanntgegebener Werke

Elf Werke wurden während einer Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft Augsburg beispielhaft vorgestellt.[10][11][12] Dabei handelt es sich um:

  • eine Radierung von Canaletto mit der Ansicht Paduas ohne Hinweis auf die Herkunft;
  • eine Vorzeichnung zu einem Gemälde von Carl Spitzweg: Musizierendes Paar;
  • ein handkolorierter Farbholzschnitt von Ernst Ludwig Kirchner: Melancholisches Mädchen, der vermutlich einmal Eigentum der Kunsthalle Mannheim war;
  • ein Gemälde von Max Beckmann aus Zandvoort und im Werkverzeichnis des Künstlers aufgeführt – auf dieses Fundstück wurde in der Pressekonferenz nicht näher eingegangen;
  • eine Gouache von Franz Marc: Pferde in Landschaft, vermutlich einmal Eigentum des Kunst- und Gewerbemuseums Moritzburg in Halle (Saale);
  • ein Gemälde von Gustave Courbet: Mädchen mit Ziege, von dem bekannt ist, dass es 1949 in einer Auktion verkauft wurde;
  • eine Gouache von Marc Chagall: Allegorische Szene, die bislang unbekannt war und nicht im Werkverzeichnis des Malers aufgeführt ist;
  • von Henri Matisse das Porträt einer sitzenden Frau, das 1942 durch den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg aus dem Banktresor des Kunsthändlers Paul Rosenberg in Libourne beschlagnahmt wurde; seine Enkeltochter Anne Sinclair kämpft seit Jahrzehnten um die Rückgabe der von den Nationalsozialisten gestohlenen Bilder;[13][14][15]
  • ein Gemälde von Max Liebermann: Zwei Reiter am Strand, vermutlich bis 1939 im Besitz der Sammlung Friedmann in Breslau, sowie weitere Zeichnungen und Skizzen;
  • eine Farblithographie mit einem Frauenporträt von Otto Dix;
  • ein Gemälde mit einem Selbstporträt von Otto Dix, das bislang unbekannt war und nicht im Werkverzeichnis des Malers aufgeführt ist.

Herkunft der Werke

Liste der 1945 beschlagnahmten Werke Hildebrand Gurlitts, Seite 1; Central Collecting Point Wiesbaden

Hildebrand Gurlitt war einer von vier Kunsthändlern, die während der Zeit des Nationalsozialismus mit der Verwertung beschlagnahmter Kunstwerke beauftragt waren. Während der deutschen Besetzung Frankreichs 1940 bis 1945 war er zudem eine Schlüsselfigur für Kunstwerke, die im besetzten Frankreich gekauft, erpresst und geraubt wurden. Für den Kunsthändler Ferdinand Möller ist belegt, dass er entgegen den Vorgaben der Nationalsozialisten etliche als „entartet“ verunglimpfte und beschlagnahmte Kunstwerke nicht aus dem Reichsgebiet brachte, sondern an Inländer verkaufte oder selbst erwarb. Die kunstrechtliche Literatur unterstellte den anderen beteiligten Kunsthändlern, also auch Gurlitt, schon seit längerem entsprechende Handlungsweisen.[16]

Nach dem Krieg soll Hildebrand Gurlitt behauptet haben, die Meisterwerke seien nach einem Bombenangriff im Februar 1945 in seiner Dresdner Wohnung in der Kaitzer Straße 26 verbrannt.[17] In den 1960er Jahren fragten die Wiedergutmachungsämter Berlin bei der Familie Gurlitt nach und seine Witwe soll ausgesagt haben, alle Werke und alle Unterlagen seien bei dem Bombardement in Dresden verbrannt.[18] Auch Wolfgang Gurlitt, ein Cousin von Hildebrand, ebenfalls Kunsthändler und nach dem Krieg Gründer der Neuen Galerie Linz (heute Lentos Kunstmuseum Linz), soll damit stets die Frage nach dem Verbleib von Kunstwerken beantwortet haben.[19]

Bekannt gewordene Verkäufe

Im Spätsommer 2011 ließ Cornelius Gurlitt die Gouache-Arbeit Löwenbändiger von Max Beckmann durch das Auktionshaus Lempertz in Köln für 864.000 Euro versteigern.[20][14] Vor der Auktion wurde ermittelt, dass das Gemälde aus dem Nachlass des jüdischen Kunsthändlers und -sammlers Alfred Flechtheim stammte. Cornelius Gurlitt soll sich mit den Erben Flechtheims geeinigt haben.[18] Im Lempertz-Katalog wurde in den Angaben zur Herkunft des Bildes auf die Berliner Galerie Alfred Flechtheim verwiesen. Flechtheim hatte 1933 vor den Nationalsozialisten fliehen müssen.

Sammlung Gurlitt

Die private Sammlung von Hildebrand Gurlitt enthielt überwiegend Werke der klassischen Moderne.[21] Teile der Sammlung wurden 1945 von den Alliierten beschlagnahmt und im Wiesbaden Central Collecting Point verwahrt und 1950 zurückgegeben. Auf einer Liste mit ungefähr hundert Werken befinden sich auch das Gemälde Zwei Reiter am Strand von Max Liebermann, das bislang unbekannte Selbstbildnis von Otto Dix und die Gouache von Marc Chagall.[22][23] 1956 wurden Stücke der Sammlung von Hildebrand Gurlitt in New York und in San Francisco mit Förderung durch die Bundesrepublik Deutschland ausgestellt.[24] Der österreichische Kunsthistoriker Alfred Weidinger zeigte sich über die angebliche Entdeckung dieser Sammlung verwundert, ihre Existenz und Ausmaße sei allen Kunsthistorikern im süddeutschen Raum bekannt gewesen.[25]

Kritik an der Geheimhaltung durch die Behörden

Laut dem Focus-Artikel vom 3. November 2013 soll der Fall von den zuständigen Behörden und Ministerien in Bayern und Berlin als „hochpolitische Geheimsache“ eingestuft worden sein.[26] Die zuständige Staatsanwaltschaft Augsburg verwies auf das Steuergeheimnis und nahm zunächst keine Stellung. Nach Ansicht des Rechtsanwalts und Kunstrechtlers Peter Raue ist die lange dauernde Geheimhaltung durch die Behörden der wahrscheinlich größte Kunst-Skandal der deutschen Nachkriegszeit.[27]

Anne Webber, Gründerin und Vorstandsmitglied der in London ansässigen Commission for Looted Art in Europe, forderte die sofortige Veröffentlichung einer Liste der Bilder. Ihre Kommission vertrete Hunderte von Familien auf der ganzen Welt und suche Tausende von Gemälden. „Wir brauchen eine Kultur der Transparenz und die Kunstwerke so schnell wie möglich zurück.“[28]

Rüdiger Mahlo, der Deutschland-Repräsentant der 1951 gegründeten Jewish Claims Conference, der die Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer des Nationalsozialismus vertritt, erklärte, der Fall und der behördliche Umgang mit den aufgefundenen Kunstwerken schienen „symptomatisch für den Umgang mit NS-Raubkunst zu sein“.[29]

Siehe auch

Weblinks

Commons: Münchner Kunstfund – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ingeborg Ruthe: Handlanger der Nazis, Frankfurter Rundschau, 4. November 2013
  2. Daniel Boese: Sensationsfund. Pressekonferenz, art – Das Kunstmagazin, 5. November 2013
  3. Apa: Raubkunst: Sammler besitzt ein Haus in Salzburg. In: Salzburger Nachrichten. 5. November 2013
  4. Sensationeller Kunstschatz in München. Focus, 3. November 2013, abgerufen am 3. November 2013.
  5. a b Peter Dittmar: Wie Picassos in einer vermüllten Wohnung landeten. Die Welt, 3. November 2013, abgerufen am 4. November 2013.
  6. Kunstfund in München: Was wird aus dem Bilderschatz?, spiegel.de, 6. November 2013, abgerufen am 6. November 2013
  7. Bislang unbekannte Meisterwerke von Dix und Chagall entdeckt. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. November 2013, abgerufen am 5. November 2013.
  8. Nazi-Raubkunst: 1.500 Kunstwerke lagen Jahrzehnte in Wohnung. Bayrischer Rundfunk: B5 aktuell, 3. November 2013, abgerufen am 3. November 2013.
  9. Rentner hortete 1500 geraubte Meisterwerke. Der Tagesspiegel, 3. November 2013, abgerufen am 3. November 2013.
  10. Art Magazin: Sensationsfund. Pressekonferenz, abgerufen am 5. November 2013
  11. Diese Werke versteckte der Kunst-Messie in seiner Wohnung In: Focus, 5. November 2013 
  12. In pictures: Long-lost art unveiled in Germany In: BBC News, 5. November 2013 
  13. Münchner Kunstfund von ausserordentlicher Qualität. Wenig Klarheit über Eigentumsverhältnisse, Neue Zürcher Zeitung vom 6. November 2013
  14. a b Ira Mazzoni: Der Verwerter und sein Sohn (mit Foto von Beckmanns Löwenbändiger aus dem Auktionshaus-Katalog). Süddeutsche.de, 3. November 2013, abgerufen am 3. November 2013.
  15. Philippe Dagen: 1 500 trésors pillés par les nazis retrouvés à Munich, Le Monde 4. November 2013
  16. Hans Henning Kunze: Restitution "Entarteter Kunst": Sachenrecht und Internationales Privatrecht. Walter de Gruyter, 2000, S. 46.
  17. Spuren des Nazi-Schatzes führen nach Sachsen., Sächsische Zeitung, 5. November 2013
  18. a b Wem gehören die teuren Kunstwerke? In: Die Zeit. 4. November 2013, abgerufen am 4. November 2013.
  19. Weitere Verkäufe nach Razzia. orf.de, 3. November 2013, abgerufen am 5. November 2013.
  20. Max Beckmann, Lempertz.com, abgerufen am 4. November 2013
  21. Vanessa-Maria Voigt: Kunsthändler und Sammler der Moderne im Nationalsozialismus. Die Sammlung Sprengel 1934 bis 1945. Reimer, Berlin 2007, ISBN 978-3-496-01369-3, S. 138-139 mit Details.
  22. Alliierte beschlagnahmten Gurlitt-Werke nach Kriegsende In: Süddeutsche Zeitung. 5. November 2013, abgerufen am 5. November 2013.
  23. Gurlitts Liste. [Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6. November 2013, abgerufen am 6. November 2013.
  24. German watercolors, drawings and prints [1905-1955]. A midcentury review, with loans from German museums and galleries and from the collection Dr. H. Gurlitt. American Federation of Arts, New York 1956.
  25. Kunstfund: Alliierte hatten nach Krieg Werke beschlagnahmt. Kurier, 6. November 2013, abgerufen am 6. November 2013.
  26. 1500 verschollene Kunstwerke in Wohnung entdeckt, Süddeutsche Zeitung, 3. November 2013
  27. Bedeutendster Kunstfund der Nachkriegszeit. n24.de, 4. November 2013, abgerufen am 4. November 2013
  28. Harriet Alexander, Louise Barnett, Nick Squires: Art experts demand Germany releases list of €1bn Nazi art trove. In: The Telegraph. 4. November 2013, abgerufen am 4. November 2013
  29. Ein Fall von Massenraubmord. In: Jüdische Allgemeine. 4. November 2013, abgerufen am 5. November 2013

Koordinaten: 48° 9′ 50,4″ N, 11° 35′ 25,7″ O