Meron Mendel
Meron Mendel (geboren 1976 in Ramat Gan im Bezirk Tel Aviv) ist ein israelisch-deutscher Pädagoge, Publizist und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank.
Leben und Wirken
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach seiner Jugend im Kibbuz Maschʾabbe Sade und dem Wehrdienst in den Israelischen Verteidigungsstreitkräften studierte Mendel an der Universität Haifa. Er schloss im Jahr 2000 mit einem Bachelor in Geschichte und Erziehungswissenschaften und 2002 mit einem Master in Jüdischer Geschichte ab.
Mendel engagierte sich in zahlreichen Friedensprojekten und ist bis heute im Freundeskreis von Givat Haviva aktiv. Im Jahr 2001 setzte er sein Studium in Deutschland an der LMU München fort und wurde 2010 in Frankfurt am Main mit einer erziehungswissenschaftlichen Arbeit zu jüdischen Jugendlichen in Deutschland bei Micha Brumlik promoviert. Er arbeitete am erziehungswissenschaftlichen Institut der Universität Frankfurt und beim Jüdischen Museum.
Seit 2010 ist Mendel Direktor der Bildungsstätte Anne Frank.[1] Das Angebot der Einrichtung erweiterte er in dieser Zeit mit einem multimedialen Lernlabor für Jugendliche,[2] zwei Beratungsstellen für die Betroffenen von Diskriminierung[3] sowie bundesweit beachteten Ausstellungen (zuletzt Holocaust im Comic[4]) und Konferenzen.[5] Unter seiner Leitung wurde aus der „lokalen Einrichtung eine überregional und sogar international agierende Institution“.[6] Er ist Begründer des Frankfurter Anne-Frank-Tags.[7]
Seit August 2021 hat Mendel eine auf drei Jahre befristete, kooperative W2-Professur (50 %) für transnationale Soziale Arbeit an der Frankfurt University of Applied Sciences.[8]
Buchveröffentlichungen von Mendel befassen sich unter anderem mit Migrationsgesellschaft, Integration, Erinnerungskultur und Antisemitismus[9] sowie Identitätspolitik[10] und politische Bildung.[11] Er schreibt außerdem für den Spiegel, die Süddeutsche Zeitung und die Die Zeit. 2020 und 2021 hatte er eine regelmäßige Kolumne in der taz.[12]
Er ist mit der Politologin Saba-Nur Cheema verheiratet. Das Paar publiziert gemeinsam und schreibt die Kolumne Muslimisch-jüdisches Abendbrot im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.[13][14] Eine Sammlung der Kolumnen wurde 2024 bei Kiepenheuer & Witsch als Buch veröffentlicht.[15]
Positionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mendel positioniert sich immer wieder streitbar in der Öffentlichkeit; unter anderem war er an Protestaktionen gegen die Präsenz rechtsgerichteter und rechtsextremer Verlage bei der Frankfurter Buchmesse 2017 beteiligt.[16] Besonders beim Thema Antisemitismus unter Jugendlichen, wie etwa bei der Kollegah-Debatte, finden seine Forderungen nach einer verbesserten Bildungsarbeit Aufmerksamkeit.[17][18]
Aufsehen erregte auch seine öffentliche Auseinandersetzung mit Erika Steinbach, die 2021 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt mit einem Vergleich endete.[19] Mendel ist scharfer Kritiker der von Steinbach geleiteten Desiderius-Erasmus-Stiftung.[20]
Die Entscheidung des Magistrats der Stadt Frankfurt im Jahr 2017, der BDS-Bewegung künftig keine städtischen Räume zur Verfügung zu stellen, bezeichnete Mendel als „starkes Signal gegen Judenhass und israelbezogenen Antisemitismus“.[21][22]
In der Kontroverse um Antisemitismus-Vorwürfe bei der Kunstschau documenta fifteen 2022 wurde Mendel zur Klärung und Aufarbeitung als externer Experte hinzugezogen. Er legte das Mandat jedoch etwa zwei Wochen später nieder, weil seiner Meinung nach weder die Direktion der Documenta noch die künstlerische Leitung zu Dialog und Aufarbeitung bereit seien.[23]
Nach Absetzung von Wajdi Mouawads Stück Vögel am Metropoltheater München im Jahr 2022 infolge von Antisemitismus-Vorwürfen nannte Mendel diese in einem Interview grundfalsch und warf den Kritikern ein bedenkliches Kunstverständnis vor. Er verwies darauf, dass die französische Uraufführung bei einem Gastspiel in Tel Aviv überwiegend positiv aufgenommen worden war. Die Geschichte von der Liebe eines jüdischen Mannes und einer Muslima könne bei manchen Menschen Irritationen hervorrufen. Doch darin liege auch „eine Chance, voneinander zu lernen und den anderen zumindest besser zu verstehen, … Gerade durch die Irritation profitiert man von einer Begegnung.“ Auch davon handle das Stück. Darüber hinaus fand Mendel, dass Netanjahu, wenn er Ehen zwischen einem Juden und einer Muslima als „stillen Holocaust“ bezeichne, einen obszönen Holocaust-Vergleich anstelle.[24]
Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Im März 2023 erschien beim Verlag Kiepenheuer & Witsch Mendels Buch Über Israel reden. Eine deutsche Debatte.[25] Das Buch kam in der Sachbuch-Bestenliste von Deutschlandfunk Kultur, dem ZDF und Die Zeit für April 2023 auf Anhieb auf Platz 1[26] und wurde für den Deutschen Sachbuchpreis 2023 nominiert.[27] In der Süddeutschen Zeitung schrieb Ronen Steinke, es sei „ein großes, in großer geistiger Unabhängigkeit geschriebenes Essay eines Autors, der an billigem Applaus und muffigem Zugehörigkeitsgefühl offenbar so fantastisch desinteressiert ist, wie es auf diesem Gebiet leider sehr, sehr selten geworden ist.“[28]
Im Oktober 2024 wurde Meron Mendel gemeinsam mit seiner Ehefrau Saba-Nur Cheema das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.[29]
Schriften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- mit Saba-Nur Cheema: Muslimisch-jüdisches Abendbrot. Das Miteinander in Zeiten der Polarisierung. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2024, ISBN 978-3-462-00742-8
- als Hrsg.: Singularität im Plural. Kolonialismus, Holocaust und der zweite Historikerstreit, Beltz Juventa, Weinheim 2023, ISBN 978-3-7799-7329-4.
- Über Israel reden: Eine deutsche Debatte. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2023, ISBN 978-3-462-00351-2
- mit Heide von Felden, Dieter Nittel (Hrsg.): Handbuch Erziehungswissenschaftliche Biographieforschung und Biographiearbeit. Beltz Juventa, Weinheim 2023, ISBN 978-3-7799-5407-1.
- mit Saba-Nur Cheema, Sina Arnold (Hrsg.): Frenemies. Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen. Verbrecher Verlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-95732-538-9.
- mit Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema (Hrsg.): Trigger-Warnung: Identitätspolitik zwischen Abwehr, Abschottung und Allianzen. Verbrecher Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-95732-380-4.
- mit Astrid Messerschmidt (Hrsg.): Fragiler Konsens. Antisemitismuskritische Bildung in der Migrationsgesellschaft. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2017, ISBN 978-3-593-50781-1.
- mit Katharina Kunter, Oliver Fassing (Hrsg.): 100 Jahre Leugnung. Der Völkermord an den ArmenierInnen – Beitrag zu einer multiperspektivischen Erinnerungskultur in Deutschland. Aschendorff Verlag, 2017, ISBN 978-3-402-13188-6.
- mit Friedman-Sokuler (Hrsg.): Menschenrechte in Erziehung. Ansätze und Arbeitsinstrumente. Bildungsstätte Anne Frank, 2016.
- mit Susanne Heyn (Hrsg.): Deutscher Kolonialismus – Ein vergessenes Erbe? Postkolonialität in der rassismuskritischen Bildungsarbeit. Bildungsstätte Anne Frank, 2015.
- Zur Identität jüdischer Jugendlicher in der gegenwärtigen Bundesrepublik Deutschland. Dissertation, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M., BoD, Norderstedt 2010, ISBN 978-3-9813388-1-2.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Literatur von und über Meron Mendel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Kurzbiografie und Rezensionen zu Werken von Meron Mendel bei Perlentaucher
- Website von Meron Mendel
- Porträt von Meron Mendel in der Frankfurter Rundschau
- Biografie bei der Bildungsstätte Anne Frank
- Kolumne „Muslimisch jüdisches Abendbrot“ auf der Webseite von Meron Mendel
- Interview zu Zusammenhängen von Antisemitismus, Rassismus und Abstiegsängsten in der taz 30. November 2017
- Meron Mendel über Israel – „Es ist ein Staat der starken Gegensätze“ ( vom 19. April 2018 im Internet Archive), ZDF, 19. April 2018
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Thomas Kaspar, Georg Leppert: Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt: Solidarität muss öffentlich möglich sein, Frankfurter Rundschau, 10. Oktober 2021
- ↑ Bildungsstätte Anne Frank richtet „Lernlabor“ ein. In: Badische Zeitung. 5. Juni 2018, abgerufen am 13. Juni 2018.
- ↑ Kriminalität in Hessen: Hilfe für Opfer rechter Gewalt in Hessen. In: Frankfurter Rundschau. 25. Januar 2018 (fr.de [abgerufen am 13. Juni 2018]).
- ↑ Art Spiegelmans Erben. In: Der Tagesspiegel Online. 28. Januar 2017, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 13. Juni 2018]).
- ↑ Volker Breidecker: Von „Heuschrecken“ und dem „Judenknacks“. In: sueddeutsche.de. 2018, ISSN 0174-4917 (sueddeutsche.de [abgerufen am 13. Juni 2018]).
- ↑ Hans Riebsamen, Frankfurt: Bildungsstätte Anne Frank: Hilfe für Opfer rassistischer Gewalt. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 15. April 2021]).
- ↑ Inga Janovic: Montags-Interview: „An Anne Frank kommt keiner vorbei“. In: Frankfurter Neue Presse. 12. Juni 2017 (fnp.de [abgerufen am 12. Juni 2018]).
- ↑ Frankfurt University of Applied Sciences: Frankfurt UAS besetzt mit Prof. Dr. Meron Mendel die erste kooperative Professur. 1. August 2022, abgerufen am 18. Dezember 2023.
- ↑ Meron Mendel: Vorstellung übers Deutschsein: Ausgezeichnet integriert. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 15. April 2021]).
- ↑ Verbrecher Verlag - gute Bücher. Abgerufen am 15. April 2021.
- ↑ „Im Zweifel links“ - Vorurteile gegenüber der politischen Bildung. 22. Februar 2021, abgerufen am 15. April 2021.
- ↑ Kolumne Die Mendel’schen Regeln. In: Die Tageszeitung: taz. ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 21. Januar 2021]).
- ↑ Saba-Nur Cheema, Meron Mendel: Woher kommst du? In: FAZ.net. 27. August 2021, abgerufen am 28. Januar 2024.
- ↑ Saba-Nur Cheema, Meron Mendel: Koscher oder halal. In: FAZ.NET. 28. Juli 2021, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 6. September 2023]).
- ↑ Rezension von Martina Läubli, in: NZZ, 29. September 2024(paywall)
- ↑ Marie-Sophie Adeoso: Buchmesse Frankfurt: Den Rechten die Zähne zeigen. In: Frankfurter Rundschau. 11. Oktober 2017 (fr.de [abgerufen am 12. Juni 2018]).
- ↑ „Verheerendes Zeichen“: Kritik an Echo für Farid Bang und Kollegah. In: ZEIT ONLINE. (zeit.de [abgerufen am 13. Juni 2018]).
- ↑ Annette Jensen: Meron Mendel über Antisemitismus: „Gefahr einer Gewaltspirale“. In: Die Tageszeitung: taz. 30. November 2017, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 13. Juni 2018]).
- ↑ Hanning Voigts: Erika Steinbach verliert vor Gericht. In: Frankfurter Rundschau. 11. Mai 2019, abgerufen am 21. Januar 2021.
- ↑ Ernüchtert von deutscher Erinnerungspolitik: Leiter der Bildungsstätte Anne Frank warnt vor Tabubruch. In: Frankfurter Neue Presse. 22. Januar 2019, abgerufen am 21. Januar 2021.
- ↑ „Antisemitismus ist keine Meinung“, Pressemitteilung der Bildungsstätte Anne Frank, 28. September 2017
- ↑ Marie-Sophie Adeoso: Keine antisemitische Gruppen in Saalbauten. Frankfurter Rundschau, 1. Oktober 2017.
- ↑ Antisemitismus-Eklat: Meron Mendel nicht länger Berater der documenta. In: hessenschau.de. 8. Juli 2022, abgerufen am 8. Juli 2022.
- ↑ "Gefühle sind keine Argumente". Interview Peter Lauterbach mit Meron Mendel in Süddeutsche Zeitung vom 2. Dezember 2022, S. 33.
- ↑ Über Israel reden. Abgerufen am 11. April 2023.
- ↑ Leseempfehlungen: Die Sachbuch-Bestenliste für April 2023. Abgerufen am 11. April 2023.
- ↑ Aktuelles Jahr. Abgerufen am 7. Juli 2023 (deutsch).
- ↑ Ronen Steinke: Meron Mendels neuer Essay: Gebrauchsanweisung zur Israel-Debatte. Abgerufen am 11. April 2023.
- ↑ Ordensverleihung zum Tag der Deutschen Einheit. In: bundespraesident.de. 1. Oktober 2024, abgerufen am 4. Oktober 2024.
Personendaten | |
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NAME | Mendel, Meron |
KURZBESCHREIBUNG | israelisch-deutscher Pädagoge und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank |
GEBURTSDATUM | 1976 |
GEBURTSORT | Ramat Gan |