Schwedische Kriminalliteratur

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die Geschichte, Autoren, Werke, Einflüsse und Besonderheiten der schwedischen Kriminalliteratur, angefangen von ihren Ursprüngen Ende des 19. Jahrhunderts bis hin zu ihren modernen Vertretern mit Werken, die – vor allem ausgelöst durch die Krimis des Autorenduos Maj Sjöwall und Per Wahlöö Mitte der 1960er Jahre – oft von Gesellschaftskritik geprägt sind und auch bei der Leserschaft anderer Länder großen Erfolg hatten. Im Deutschen ist etwa seit den 1990er Jahren als Synonym für die neuere schwedische Kriminalliteratur der Begriff Schwedenkrimi gängig.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als erster schwedischer Kriminalroman gilt der 1893 von Fredrik Lindholm unter dem Pseudonym Prins Pierre veröffentlichte Roman Stockholms-detektiven („Der Detektiv von Stockholm“). Die Kriminalliteratur genoss jedoch um 1900 in Schweden noch kein hohes Ansehen, weshalb damals auch andere Autoren ihre Krimis unter einem Pseudonym herausgaben. Erster erfolgreicher Krimiautor aus Schweden war ab den 1910er-Jahren Frank Heller (Pseudonym für Martin Gunnar Serner), der selbst wegen eines Bankbetrugs verurteilt worden war. Seine Krimis spielen jedoch nicht in Schweden, sondern in England und in den Niederlanden. In einem schwedischen Milieu angesiedelt sind die Kriminalromane, die Stieg Trenter ab den 1940er-Jahren veröffentlichte. Die ersten 22 Bücher schrieb er allein, die folgenden unter Mitwirkung seiner Frau Ulla. Die zweite wichtige Exponentin der schwedischen Kriminalliteratur in der Zeit nach 1945 war Maria Lang, deren Werke vielfach durch schwedische Naturromantik, komplexe Intrigen und ein Mordmotiv mit sexuellem Hintergrund charakterisiert sind. Ihr Erstling Mördaren ljuger inte ensam rief einige Kontroversen hervor, weil zwei der Hauptfiguren in einer homosexuellen Beziehung lebten. Zusammen mit Sune Lundquist alias Vic Suneson und Hans-Krister Rönbolm galten Trenter und Lang eine Zeitlang als die Großen Vier (De Fyra Stora) der schwedischen Kriminalliteratur.[1]

Als Begründer der sozialkritischen schwedischen Krimis, für die heute vielfach auch der Begriff Schwedenkrimi verwendet wird, gilt das schwedische Autorenpaar Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Mit ihrer Kriminalromanreihe Roman über ein Verbrechen um den Ermittler Martin Beck aus den Jahren 1965 bis 1975 wurden sie zum Vorbild für spätere schwedische Kriminalautoren.[2] Sie waren seit Frank Heller die ersten Vertreter dieses Genres aus Schweden, die auch im Ausland sehr erfolgreich waren und in mehrere Sprachen übersetzt wurden. Damit lösten sie in Schweden einen eigentlichen Boom aus: Die Zahl der schwedischen Kriminalromane stieg in den 1960er- und 1970er-Jahren stark an; gleichzeitig gewann das Genre auch bei der Literaturkritik allmählich an Ansehen. Die Vorbildhaftigkeit von Sjöwall und Wahlöö zeigt sich auch daran, dass verschiedene bekannte Krimiautoren (Mankell, Nesser, Stieg Larsson, Arne Dahl) ihre Krimiserien wie den Roman über ein Verbrechen auf zehn Folgen anlegten.[3]

Zu den Vätern der neueren schwedischen Kriminalliteratur gehört auch der hauptberuflich als Sportreporter tätige Björn Hellberg mit seiner 1981 begründeten, auf 23 Folgen angewachsenen Serie um den Kriminalkommissar Sten Wall, wovon einzelne Folgen auch ins Deutsche übersetzt wurden. Hellberg widmet sich wie Mankell auch Alltäglichem, pflegt aber einen spielerischeren Umgang mit dem Genre als dieser.

Im deutschsprachigen Raum haben die Schwedenkrimis vor allem durch die Bücher des Autors Henning Mankell Bekanntheit erlangt. Die 1991–2010 erschienenen Romane um Kommissar Wallander gehören zu den bekanntesten Schwedenkrimis. Dank der detaillierten Ortsbeschreibungen wurden sie in Schonen, wo sie angesiedelt sind, auch zu einem touristischen Faktor.[4] In den Jahren 2005 bis 2007 sorgte die postum veröffentlichte Millennium-Trilogie des Autors Stieg Larsson international für Begeisterung bei den Lesern schwedischer Kriminalromane. Internationalen Erfolg hatte auch Arne Dahl (Pseudonym für Jan Lennart Arnald) mit seiner A-Gruppe-Reihe; er wurde auch zweimal mit dem (Internationalen) Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Zu den auch im Ausland sehr erfolgreichen schwedischen Krimiautoren gehören auch der ehemalige Gymnasiallehrer Håkan Nesser, der vor allem durch seine Romane um die Figuren der Inspektoren Van Veeteren und Barbarotti bekannt wurde, und das Ehepaar Alexandra Coelho Ahndoril und Alexander Ahndoril, die seit 2009 unter dem Pseudonym Lars Kepler Kriminalromane veröffentlichen. Auch dem Autorenduo Erik Axl Sund gelang mit der Trilogie Kråkflickan ein internationaler Bestseller, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Sehr bekannt – auch außerhalb von Schweden – wurden einige Krimischriftstellerinnen, namentlich Camilla Läckberg, Åsa Larsson, Liza Marklund und Viveca Sten. Nach 2000 stieg die Zahl der schwedischen Krimiautoren, von denen ins Deutsche übersetzte Werke greifbar sind, auf über 100. Zur internationalen Bekanntheit der Schwedenkrimis beigetragen hat auch der Umstand, dass viele Werke verfilmt wurden, zum Teil sogar – wie die Wallander-Romane von Mankell – mehrfach.

Ein Grund für den besonderen Erfolg der Kriminalliteratur in Schweden liegt wohl darin, dass dieses Anfang des 20. Jahrhunderts noch verfemte Genre in der schwedischen Literaturszene schon relativ früh Anerkennung erhielt. Bereits 1957 erschien ein erstes Übersichtswerk über die schwedische Kriminalliteratur. 1971 gründeten einige Krimischriftsteller und Kritiker die Svenska Deckarakademin (Schwedische Krimiakademie) mit dem Ziel, die Qualität der Kriminalliteratur des Landes zu heben. Sie vergibt seither den renommierten Schwedischen Krimipreis in verschiedenen Kategorien. 1972 kam erstmals das Krimimagazin Jury heraus, das sich in literarischen Kreisen bald großer Beliebtheit erfreute. Der kommerzielle Erfolg vieler Schwedenkrimis dank Übersetzungen, häufig zuerst ins Deutsche, trug sicher auch dazu bei, dass sich begabte und angesehene Schriftsteller dem Genre Krimi zuwandten.

Der Begriff Schwedenkrimi[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Ausdruck Schwedenkrimi (auch Schweden-Krimi) wird im deutschsprachigen Raum seit den 1990er-Jahren von Verlagen für schwedische Kriminalromane im Bereich der Werbung eingesetzt und in deutschen Übersetzungen verschiedentlich als Untertitel verwendet;[5] einige Bibliotheken verwenden ihn als Schlagwort zur Katalogisierung von Kriminalromanen, ebenso das Online-Kulturmagazin Perlentaucher.[6] Seit 2001 besteht das Literaturportal www.schwedenkrimi.de.[7] Nach 2000 setzte sich die Bezeichnung auch für die Verfilmungen schwedischer Kriminalromane, aber auch allgemein für in Schweden angesiedelte Kriminalfilme durch. Die Bezeichnung Schwedenkrimi wird auch in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft regelmäßig verwendet.

Neben dem geografischen Bezug, sind es auch inhaltliche Merkmale, die den Schwedenkrimi ausmachen: Sie beschränken sich nicht nur auf die Schilderung eines Verbrechens und dessen Aufklärung, sondern stellen die Tat auf dem Hintergrund eines eher düsteren, kritisch gefärbten Bildes der schwedischen Gesellschaft dar. Viele schwedische Krimis, namentlich die bekanntesten Autoren wie Henning Mankell und Stieg Larsson, geizen nicht mit Schilderungen bestialischer Gewaltakte. Und oft neigen die Ermittler zur Schwermut, doch gibt es da auch etliche Ausnahmen, wie etwa Inspektor Barbarotti bei Håkan Nesser. Vereinzelt erscheint der Begriff Schwedenkrimi daher auch für Krimis, die keinen Bezug zu Schweden aufweisen, im Sinne eines bestimmten Genres.[8]

Bekannte schwedische Krimiautoren[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Skandinavienkrimi[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von der gesteigerten Nachfrage nach Krimis aus Schweden profitierten auch Autoren aus anderen skandinavischen Ländern, namentlich aus Dänemark, Norwegen und Island, weshalb heute ebenso der Begriff Skandinavienkrimi vorkommt und auch im Buchhandel verwendet wird (wenn auch seltener als Skandinavischer Krimi und Krimis aus Skandinavien). Häufig werden im deutschen Sprachraum unter dem Begriff Schwedenkrimi auch Werke von Autoren aus anderen skandinavischen Ländern subsumiert, wie etwa auf der Website www.schwedenkrimi.ch.

Seit 1992 wird jährlich für den besten Kriminalroman Skandinaviens der Glasnyckel genannte Skandinavische Krimipreis vergeben.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Elisabeth Böker: Skandinavische Bestseller auf dem deutschen Buchmarkt. Analyse des gegenwärtigen Literaturbooms. Königshausen & Neumann, Würzburg 2018. ISBN 978-3-8260-6464-7 (Dissertation, Georg-August-Universität Göttingen)
  • Christine Farhan: Interkulturelle Rollenbilder: Der Schwedenkrimi als Identifikationsangebot für Frauen in Deutschland, in: Ernest W.B. Hess-Lüttich et al. (Hrsg.): Kommunikation und Konflikt. Kulturkonzepte der interkulturellen Germanistik, Frankfurt a. M. 2009, S. 439ff. ISBN 978-3-631-58342-5
  • Jost Hindersmann (Hrsg.): Fjorde, Elche, Mörder: der skandinavische Kriminalroman. NordPark, Wuppertal 2006, ISBN 978-3-935421-16-4. (Auszüge auf google.books)
  • John-Henri Holmberg (Hrsg.): Kalte Schatten. Erzählungen von Schwedens berühmtesten Spannungsautoren Åke Edwardson, Åsa Larsson, Stieg Larsson, Henning Mankell, Håkan Nesser u. v. a. Goldmann Verlag, München 2014, ISBN 978-3-641-13740-3 (Überblick über die Entwicklung der schwedischen Kriminalliteratur im Nachwort; Auszüge auf google.books)
  • Christine Frisch: Sympathische Gender-Konstruktionen im ’Schwedenkrimi’. Eine Erklärung für den Erfolg, in: Den okände (?) grannen. Tysklandsrelaterad forskning i Sverige, Schwedische Perspektiven. Schriften des Zentrums für Deutschlandstudien 4, Huddinge 2005, S. 125ff. ISBN 91-974662-3-9 (online; abgerufen am 9. März 2020).
  • Jeanette Schröter: Religion im schwedischen Kriminalroman. Die Schwedenkrimis von Larsson, Mankell und Nesser. Tectum-Verlag, Marburg 2015, ISBN 978-3-8288-3528-3 (Dissertation, Hannover 2014)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. John-Henri Holmberg (Hrsg.): Kalte Schatten. Erzählungen von Schwedens berühmtesten Spannungsautoren Åke Edwardson, Åsa Larsson, Stieg Larsson, Henning Mankell, Håkan Nesser u. v. a., Übersetzung aus dem Englischen, München 2014, Nachwort (unpaginiert; Leseprobe; abgerufen am 9. März 2020); Johan Wopenka: Die schwedische Polizei sichert den Tatort: Eine Geschichte der schwedischen Kriminalliteratur. Aus dem Englischen von Joachim Dörr, in: Jost Hindersmann (Hrsg.): Fjorde, Elche, Mörder. Der skandinavische Kriminalroman, Wuppertal 2006, S. 71ff. (Leseprobe; abgerufen am 9. März 2020).
  2. skandinavische-Krimis.com, abgerufen am 9. März 2020.
  3. Hendrik Werner: Wer das Gesetz der Serie bricht, in: Weser-Kurier, 28. Februar 2014, abgerufen am 8. März 2020.
  4. Slogan Wallanders Ystad in der touristischen Werbung, abgerufen am 9. März 2020.
  5. Julia Baaken: Brutal gut: Die besten schwedischen Krimis, in: audible magazin, 21. Oktober 2019, abgerufen am 9. März 2020.
  6. www.perlentaucher.de; abgerufen am 8. April 2020.
  7. Artikel www.schwedenkrimi.de. In: nd, 6. April 2006, abgerufen am 8. März 2020.
  8. Rainer Tittelbach: Fernsehfilm „Eine Frau verschwindet – Van Leeuwens erster Fall“. Geschonneck, Haber, Maranow. Ein Ritualmord & ein Schwedenkrimi aus Amsterdam. Abgerufen am 10. März 2020.