Gewöhnlicher Tüpfelfarn

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Gewöhnlicher Tüpfelfarn

Gewöhnlicher Tüpfelfarn (Polypodium vulgare)

Systematik
Farne
Klasse: Echte Farne (Polypodiopsida)
Ordnung: Tüpfelfarnartige (Polypodiales)
Familie: Tüpfelfarngewächse (Polypodiaceae)
Gattung: Tüpfelfarne (Polypodium)
Art: Gewöhnlicher Tüpfelfarn
Wissenschaftlicher Name
Polypodium vulgare
L.

Der Gewöhnliche Tüpfelfarn[1] (Polypodium vulgare), kurz Tüpfelfarn oder auch Engelsüß und Steinfarn genannt, ist eine Pflanzenart aus der Gattung Tüpfelfarne (Polypodium) innerhalb der Familie der Tüpfelfarngewächse (Polypodiaceae).

Illustration aus Billeder af nordens flora, 1917

Der Gewöhnliche Tüpfelfarn ist eine wintergrüne, ausdauernde krautige Pflanze und erreicht Wuchshöhen von 10 bis 35 Zentimetern.[2] Durch oberirdische oder flache Rhizome bildet er häufig dichte Bestände. Sein Rhizom ist dicht mit braunen, bei einer Länge von 3,5 bis 4 Millimetern lanzettlichen oder borstenförmigen Spreuschuppen besetzt.[2] Die ganzjährig grün bleibenden Blattwedel sind in Stiel sowie Spreite gegliedert und bis zu 60 Zentimeter lang.[2] Der stroh-gelbe oder grünliche Blattstiel ist meist kürzer als die Spreite.[2] Die Blattspreite ist im Umriss linealisch bis linealisch-lanzettlich, zweizeilig wechselständig gefiedert und ganzrandig. Die Blattspreite ist vom Grund bis zur Mitte ziemlich gleich breit und dann plötzlich zugespitzt sowie tief fiederteilig.[2] Die Blattspreite hat auf jeder Seite 7 bis 28 Blattabschnitte, die linealisch-länglich sind, klein gesägt und stumpf bis gerundet.[2] Zur Sporenreife von Juli bis Oktober sind an den Unterseiten der ledrigen, zumeist dunkelgrünen Blätter die namensgebenden, kreisrunden „tüpfelartigen“ Sori besonders auffällig. Sie stehen pro Blattabschnitt in zwei Reihen zwischen der Mittelrippe und dem Rand.[2]

Die Sporenreife ist von Juli bis August.[2]

Chromosomensatz

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Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 148.[3] Sie ist allotetraploid, aber keiner seiner beiden Vorfahren lebt in Europa. Sie ist höchstwahrscheinlich entstanden durch Chromosomenverdoppelung aus der diploide Hybride von Polypodium virginianum L. × Polypodium glycyrrhiza D.C.Eaton. Beide dieser Vorfahren wachsen im nordwestlichen Nordamerika.[2]

Der Gewöhnliche Tüpfelfarn ist ein wintergrüner Rhizom-Geophyt oder ein kriechender Chamaephyt. Die vegetative Vermehrung erfolgt durch die bis 340 Zentimeter langen Rhizome. Bei hoher Luftfeuchtigkeit ist es die einzige heimische Sprosspflanze, die als echter Epiphyt an Borke wächst. Die Pflanze ist poikilohydrisch und kann ganz oder teilweise austrocknen, ohne Schaden zu nehmen. Die Wedel sind ziemlich frostresistent und entspringen jeweils aus kleinen Vorsprüngen, den sogenannten Phyllopodien, des Rhizoms. Die Wedel sind wintergrün und sterben im Frühjahr ab. im Frühsommer entwickelt das Pflanzenexemplar neue Blätter.[2] Das kriechende Rhizom ist dicht mit trockenen Spreuschuppen besetzt, die als Licht- und Wärmeschutz, sowie der kapillaren Wasserleitung dienen. Der Gewöhnliche Tüpfelfarn bildet eine VA-Mykorrhiza aus.

Die Sori sind groß und rund, ein Indusium fehlt. Die Sporen werden als Körnchenflieger ausgebreitet.

Wedel von unten

Polypodium vulgare (älter auch Polypodium quercini[4]) gilt als Halbschattenpflanze, die wintermilde, mäßig trockene, zumeist kalkfreie und etwas humose Standorte bevorzugt. Sie kommt natürlich in lichten Eichen- und Birkenwäldern sowie an schattigen Mauern und Gebüschen, in luftfeuchten Bereichen aber auch auf Sand, Fels und flachgründig-steinigen Lehmböden vor. An entsprechenden Standorten im atlantischen Europa kommt sie häufig vor. Seltener, bei hoher Luftfeuchtigkeit, wächst der Farn auch – in Mitteleuropa als eine der wenigen heimischen Sprosspflanzen – als echter Epiphyt in der Borke von Bäumen (als Baumfarn[5]), die dann zumeist bemoost sind. Sonst kommt die Art in Gesellschaften des Unterverbands Quercenion roboris oder der Klasse Asplenietea trichomanis vor.[3] In Belgien und in den Niederlanden kommt sie auch im Hippophaeto-Salicetum arenariae aus dem Verband Salicion arenariae vor.[2]

Die ökologischen Zeigerwerte nach Landolt et al. 2010 sind in der Schweiz: Feuchtezahl F = 2+ (frisch), Lichtzahl L = 3 (halbschattig), Reaktionszahl R = 2 (sauer), Temperaturzahl T = 3 (montan), Nährstoffzahl N = 2 (nährstoffarm), Kontinentalitätszahl K = 2 (subozeanisch).[6]

In den Allgäuer Alpen steigt der Gewöhnliche Tüpfelfarn (genannt auch Steinfarn)[7] in Vorarlberg am Südwesthang des Elferkopfs auf Hornstein bis zu 2100 m Meereshöhe auf.[8] Er erreicht am Bützistock im Kanton Glarus 2700 Meter und am Zinkenhorn im Berner Oberland 2780 Meter.[2]

Der Gewöhnliche Tüpfelfarn ist entgegen früheren Annahmen nicht zirkumpolar verbreitet, jedoch im Großteil Europas heimisch.[9] In Europa kommt er in fast allen Ländern vor und fehlt nur in Belarus.[10] Zudem ist der Farn in Nordafrika, in Südafrika, auf den Kerguelen, im westlichen Asien, in Kasachstan, Kirgisistan, in Xinjiang, in Korea und im fernöstlichen Russland heimisch.[11] Auf Neuseelands Nord- und Südinsel ist die Art ein Neophyt.[11]

Taxonomie und Systematik

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Die Erstveröffentlichung von Polypodium vulgare erfolgte 1753 durch Carl von Linné in Species Plantarum, Tomus II, S. 1085.[10]

Je nach Autor gibt es etwa zwei Varietäten:[11]

  • Polypodium vulgare L. var. vulgare
  • Polypodium vulgare var. eatonii Baker: Sie kommt auf den Kerguelen im südlichen Indischen Ozean vor.

Polypodium vulgare subsp. melitense Peroni, G.Peroni & Mifsud wurde 2013 von der zu Malta gehörenden Insel Gozo erstbeschrieben.[12][10] Dieses Pflanzenmaterial gehört nach Mifsud et al. 2020 aber zu Polypodium cambricum L.[13]

Die mit langen Spreuschuppen besetzten und manchmal dick-knolligen Rhizome des Gewöhnlichen Tüpfelfarn haben durch hohe Anteile an Glycyrrhizin und verschiedenen Zuckern einen süßen Geschmack, worauf auch der alte deutsche Name „(das) Engelsüß“[14] hindeutet. Vor allem Osladin (von tschech. osladič „Tüpfelfarn“, zu osladit „süßen“), ein Steroidsaponin, trägt zum süßlichen Geschmack bei.

Medizinisch verwendet wurden die auch Schleimstoffe enthaltenden Rhizome früher unter anderem gegen Husten und Heiserkeit. Ferner wurde der Gewöhnliche Tüpfelfarn in der Volksmedizin gegen Gicht und Leberkrankheiten verwendet.[2] Ein enthaltener Bitterstoff ist für Darmwürmer giftig.

Rhizome und Wurzeln werden in Gartenbaubetrieben als Pflanzstoff für Orchideen benutzt.[2]

Tüpfelfarn wurde zudem als irreal magnetisches Attraktivum zum Entfernen von eingedrungenen Geschossen eingesetzt.[15][16]

Die antike Medizin bezeichnete den bei Kopfschmerzen als Einreibung mit Meerzwiebelessig verwendeten Tüpfelfarn auch als Radiolum und Felicina.[17] Ein gebräuchlicher lateinischer Name war polipodium.[18] Die mittelalterliche Medizin verwendete diesen „Steinfarn“ auch zur Auflösung der Harnsteine bei Urolithiasis.[19]

Polypodium vulgare enthält auch die zu den Ecdysteroiden gehörenden Hormone Ecdyson und Ecdysteron.[20]

  • Rainer Neuroth: Biosystematik und Evolution des Polypodium vulgare-Komplexes (Polypodiaceae; Pteridophyta) (= Dissertationes Botanicae. Band 256). Gebr. Bornträger, E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 2005, ISBN 3-443-64168-7.
  • Ruprecht Düll, Herfried Kutzelnigg: Botanisch-ökologisches Exkursionstaschenbuch. Das Wichtigste zur Biologie ausgewählter wildwachsender und kultivierter Farn- und Blütenpflanzen Deutschlands. 5., überarbeitete und ergänzte Auflage. Quelle & Meyer, Wiesbaden 1994, ISBN 3-494-01229-6, S. 375 f.
  • Ruprecht Düll, Herfried Kutzelnigg: Taschenlexikon der Pflanzen Deutschlands und angrenzender Länder. Die häufigsten mitteleuropäischen Arten im Portrait. 7., korrigierte und erweiterte Auflage. Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2011, ISBN 978-3-494-01424-1.
  • Georg August Pritzel, Carl Jessen: Die deutschen Volksnamen der Pflanzen. Neuer Beitrag zum deutschen Sprachschatze. Philipp Cohen, Hannover 1882; Neudruck in 2 Bänden, Amsterdam 1967, S. 299.

Einzelnachweise

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  1. Polypodium vulgare L., Gewöhnlicher Tüpfelfarn. auf FloraWeb.de
  2. a b c d e f g h i j k l m n Josef Dostál, Tadeus Reichstein: Polypodium. In: Gustav Hegi: Illustrierte Flora von Mitteleuropa. 3. Auflage, Band I, Teil 1. Verlag Paul Parey, Berlin und Hamburg 1984, ISBN 3-489-50020-2. S. 279–283.
  3. a b Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. 8. Auflage. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart 2001, ISBN 3-8001-3131-5, S. 86–87.
  4. Vgl. etwa Otto Zekert (Hrsg.): Dispensatorium pro pharmacopoeis Viennensibus in Austria 1570. Hrsg. vom österreichischen Apothekerverein und der Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie. Deutscher Apotheker-Verlag Hans Hösel, Berlin 1938, S. 152.
  5. Vgl. Wouter S. van den Berg (Hrsg.): Eene Middelnederlandsche vertaling van het Antidotarium Nicolaï (Ms. 15624–15641, Kon. Bibl. te Brussel) met den latijnschen tekst der eerste gedrukte uitgave van het Antidotarium Nicolaï. Hrsg. von Sophie J. van den Berg, N. V. Boekhandel en Drukkerij E. J. Brill, Leiden 1917, S. 254 (Polipodium, boomvaren; Polypodium vulgare L.)
  6. Polypodium vulgare L. In: Info Flora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora. Abgerufen am 4. März 2022.
  7. Dieter Lehmann: Zwei wundärztliche Rezeptbücher des 15. Jahrhunderts vom Oberrhein. Teil I: Text und Glossar. Horst Wellm, Pattensen/Han. 1985, jetzt bei Königshausen & Neumann, Würzburg (= Würzburger medizinhistorische Forschungen, 34), ISBN 3-921456-63-0, S. 263.
  8. Erhard Dörr, Wolfgang Lippert: Flora des Allgäus und seiner Umgebung. Band 1, IHW-Verlag, Eching bei München 2001, ISBN 3-930167-50-6, S. 91.
  9. Christopher H. Haufler, Michael D. Windham, Eric W. Rabe: Reticulate Evolution in the Polypodium vulgare Complex. In: Systematic Botany. 20. Jahrgang, Nr. 2, 1995, S. 89–109, doi:10.2307/2419442 (englisch).
  10. a b c Maarten J. M. Christenhusz, E. von Raab-Straube: Polypodiopsida. Datenblatt Polypodium vulgare. In: Euro+Med Plantbase – the information resource for Euro-Mediterranean plant diversity.
  11. a b c Michael Hassler: Taxon in Suchmaske eintragen bei World Ferns.Synonymic Checklist and Distribution of Ferns and Lycophytes of the World. Version 19.2 vom März 2024.
  12. Adalberto Peroni, Gabriele Peroni, Stephen Mifsud: Polypodium vulgare subsp. Melitense new subspecies from Gozo, Maltese Islands (Pteridophyta: Polypodiaceae). In: Botanica Complutensis, Volume 37, 2013, S. 41–46. {{doi:0.5209/rev_BOCM.2013.v37.42267}}
  13. Stephen Mifsud, Angelo Troia, H. Wilfried Bennert, Jörg Fuchs: Reviewing the identity of the Maltese Polypodium (Polypodiaceae) – new evidence from morphology and flow cytometry. In: Nova Hedwigia, Band 110 Heft 3–4, 2020, S. 395–405. {{doi:10.1127/nova_hedwigia/2020/0582}}
  14. Vgl. auch Berzelius: Ueber das Engelsüß oder den Zucker aus der Engelsüßwurzel, Polypodium vulgare. 1828, (doi:10.1002/ardp.18280260321).
  15. Matthias Kreienkamp: Das St. Georgener Rezeptar. Ein alemannisches Arzneibuch des 14. Jahrhunderts aus dem Karlsruher Kodex St. Georgen 73, Teil II: Kommentar (A) und textkritischer Vergleich, Medizinische Dissertation Würzburg 1992, S. 109.
  16. Andrea Lehmann: Zwei wundärztliche Rezeptbücher des 15. Jahrhunderts vom Oberrhein. Teil II: Kommentar. Pattensen 1986 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 35), S. 47–49.
  17. Hans Zotter: Antike Medizin. Die medizinische Sammelhandschrift Cod. Vindobonensis 93 in lateinischer und deutscher Sprache. Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, Graz 1980 (= Interpretationes ad codices. Band 2); 2., verbesserte Auflage ebenda 1986, ISBN 3-201-01310-2, S. 150 f. (zu Pflanze Radiolum: „[…]. Sie ist dem Farnkraut ähnlich […] und hat auf den Blättern eine doppelte Reihe goldener Punkte. […]“).
  18. Wouter S. van den Berg (Hrsg.): Eene Middelnederlandsche vertaling van het Antidotarium Nicolaï (Ms. 15624–15641, Kon. Bibl. te Brussel) met den latijnschen tekst der eerste gedrukte uitgave van het Antidotarium Nicolaï. Hrsg. von Sophie J. van den Berg, N. V. Boekhandel en Drukkerij E. J. Brill, Leiden 1917, S. 234.
  19. Hans Wölfel: Das Arzneidrogenbuch Circa Instans in einer Fassung des XIII. Jahrhunderts aus der Universitätsbibliothek Erlangen: Text und Kommentar als Beitrag zur Pflanzen- und Drogenkunde des Mittelalters. Mathematisch-naturwissenschaftliche Dissertation, Berlin 1939 (A. Preilipper, Hamburg 1939), S. 95.
  20. G. Heinrich, H. Hoffmeister: Ecdysone as companion substance of ecdysterone in Polypodium vulgare L. In: Experientia. Volume 23, Issue 12, 15. Dezember 1967, S. 995. German. PMID 6077902