„Geschlechtsdetermination“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Genitalentwicklung bei Säugern.PNG|mini|hochkant=1.7|Schematische Darstellung der Genitalentwicklung bei Säugetieren. Wichtige Faktoren: [[Sex determining region of Y|SRY]], ein Gen auf dem [[Y-Chromosom]]; MIS (engl. Müllerian inhibiting substance), das [[Anti-Müller-Hormon]]; [[Testosteron]].]]
[[Datei:Genitalentwicklung bei Säugern.PNG|mini|hochkant=1.7|Schematische Darstellung der Genitalentwicklung bei Säugetieren. Wichtige Faktoren: [[Sex determining region of Y|SRY]], ein Gen auf dem [[Y-Chromosom]]; MIS (engl. Müllerian inhibiting substance), das [[Anti-Müller-Hormon]]; [[Testosteron]].]]


Unter '''Geschlechtsdetermination''' werden jene Abläufe verstanden, die in der [[Embryogenese]] zur Festlegung des [[Geschlechtsmerkmal|somatischen Geschlechts]] führen und beim Menschen schließlich zur sozial wirkenden Einteilung von Individuen in [[Männliches Geschlecht|männlich]] oder [[Weibliches Geschlecht|weiblich]] genutzt werden.
Unter '''Geschlechtsdetermination''' werden jene Abläufe verstanden, die die Entwicklung des [[Geschlechtsmerkmal|somatischen Geschlechts]] in einem Organismus bestimmen. Diese Abläufe finden bei Säugetieren in der [[Embryogenese]] statt, bei anderen Organismen verändert sich das Geschlecht im Laufe ihres Lebens.


Für die Festlegung des Geschlechts sind zwei verschiedene Mechanismen bekannt.
Für die Festlegung des Geschlechts sind zwei verschiedene Mechanismen bekannt.
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Erstere führt u. a. bei den [[Säugetiere]]n, letztere u. a. bei vielen [[Reptilien]] zu einer somatischen Geschlechtsfestlegung.
Erstere führt u. a. bei den [[Säugetiere]]n, letztere u. a. bei vielen [[Reptilien]] zu einer somatischen Geschlechtsfestlegung.


== Bekannte biologische Geschlechter ==
Nicht bei allen Arten treten zwei Geschlechter auf. [[Hermaphroditismus|Hermaphroditen]] vereinigen männliche und weibliche Merkmale in einem Individuum. Einige Fisch-, Echsen- und Insektenarten sind allesamt weiblich und reproduzieren sich durch [[Parthenogenese]]. Bei einigen [[Arthropoden]] wird das weibliche Geschlecht durch die Infektion mit Bakterien der Gattung ''[[Wolbachia]]'' erzwungen. Bei aus [[Hybride]]n bestimmter Ameisenarten (''[[Pogonomyrmex|Pogonomyrmex barbatus]]'' und ''P. rugosus'') hervorgegangenen Ameisen-Populationen sind die Väter von Arbeiterinnen und Königinnen genetisch voneinander verschieden.<ref>Cahan S. Helms, L. Keller: ''Complex hybrid origin of genetic caste determination in harvester ants.'' In: ''[[Nature]].'' Juli 2003, Band 424, Nr. 6946, S. 306–309, PMID 12867980.</ref><ref>J. Whitfield: ''Everything you always wanted to know about sexes.'' In: ''[[PLoS Biol]].'' Juni 2004, Band 2, Nr. 6:, Artikel e183/ ''Epub.'' 15. Juni 2004, PMID 15208728.</ref>
Die meisten Organismen, die ihre Nachkommen durch sexuelle Fortpflanzung zeugen, kennen zwei biologische Geschlechter: Ihre Individuen werden eingeteilt in [[Männliches Geschlecht|männlich]] oder [[Weibliches Geschlecht|weiblich]]. Bei anderen Arten gibt es [[Hermaphroditismus|Hermaphroditen]], die männliche und weibliche Merkmale in einem Individuum vereinigen. Einige Fisch-, Echsen- und Insektenarten sind allesamt weiblich und reproduzieren sich durch [[Parthenogenese]]. Bei einigen [[Arthropoden]] wird das weibliche Geschlecht durch die Infektion mit Bakterien der Gattung ''[[Wolbachia]]'' erzwungen. Bei aus [[Hybride]]n bestimmter Ameisenarten (''[[Pogonomyrmex|Pogonomyrmex barbatus]]'' und ''P. rugosus'') hervorgegangenen Ameisen-Populationen sind die Väter von Arbeiterinnen und Königinnen genetisch voneinander verschieden.<ref>Cahan S. Helms, L. Keller: ''Complex hybrid origin of genetic caste determination in harvester ants.'' In: ''[[Nature]].'' Juli 2003, Band 424, Nr. 6946, S. 306–309, PMID 12867980.</ref><ref>J. Whitfield: ''Everything you always wanted to know about sexes.'' In: ''[[PLoS Biol]].'' Juni 2004, Band 2, Nr. 6:, Artikel e183/ ''Epub.'' 15. Juni 2004, PMID 15208728.</ref> Pilze haben keine Geschlechter, es gibt bei Schlauchpilzen und Ständerpilzen aber verschiedene [[Kreuzungstyp|Paarungstypen]], die nur bei Verträglichkeit miteinander die Fortpflanzung einleiten können.<ref>{{Literatur |Autor=G. Haase |Titel=Biologie der Pilze |Sammelwerk=Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie |Verlag=Springer Berlin Heidelberg |Ort=Berlin, Heidelberg |Datum=2016 |ISBN=978-3-662-48677-1 |DOI=10.1007/978-3-662-48678-8_76 |Seiten=609–613 |Online=http://link.springer.com/10.1007/978-3-662-48678-8_76 |Abruf=2020-08-03}}</ref> Der [[Gemeiner Spaltblättling|Gemeine Spaltblättling]] hat über 23.000 Paarungstypen, der Einzeller ''[[Tetrahymena]]'' hat sieben verschiedene Paarungstypen.


== Genetische Determinationssysteme ==
== Genetische Determinationssysteme ==
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{{Hauptartikel|Gonosom}}
{{Hauptartikel|Gonosom}}


Wenn Weibchen und Männchen gleich viele Chromosomen haben, sich aber mindestens eins der Chromosomen bei Weibchen und Männchen unterscheidet, spricht man von Geschlechtschromosomen (Gonosomen). Beispielsweise haben bei [[Säugetiere|Säugern]] Weibchen zwei [[X-Chromosom]]en, sie sind also bezüglich der Geschlechtschromosomen [[homozygot]]. Männchen haben ein X- und ein [[Y-Chromosom]] und somit unterschiedliche Geschlechtschromosomen, sie sind [[hemizygot]] (XX/XY-System). Das Y-Chromosom enthält das [[SRY-Gen]], welches für die Ausprägung des männlichen Geschlechts erforderlich ist. Ohne dieses entsteht ein weiblicher Organismus. Ein ZW/ZZ-System kommt beispielsweise bei Vögeln vor. Hier sind die Weibchen hemizygot (ein W- und ein [[Z-Chromosom]]) und die Männchen homozygot (ZZ). Bei einigen Gruppen der Reptilien kommen ebenfalls Geschlechtschromosomen vor. Bei [[Fische]]n und [[Amphibien]] fehlen Geschlechtschromosomen meist.<ref>J. von Hofsten, P. E. Olsson: ''Zebrafish sex determination and differentiation: involvement of FTZ-F1 genes.'' In: ''Reprod Biol Endocrinol.'' 10. November 2005, Band 10, Nr. 3, S. 63, PMID 16281973.</ref><ref>D. M. Green: ''Heteromorphic sex chromosomes in the rare and primitive frog ''Leiopelma hamiltoni'' from New Zealand.'' In: ''J. Hered.'' 1988, Band 79, S. 165–169.</ref><ref>K. M. Reed, R. B. Phillips: ''Polymorphism of the nucleolus organizer region (NOR) on the putative sex chromosomes of Arctic char (''Salvelinus alpinus'') is not sex related.'' In: ''Chromosome Research.'' 1997, Band 5, S. 221–227.</ref>
Wenn Weibchen und Männchen gleich viele Chromosomen haben, sich aber mindestens eins der Chromosomen bei Weibchen und Männchen unterscheidet, spricht man von Geschlechtschromosomen (Gonosomen). Beispielsweise haben bei [[Säugetiere|Säugern]] Weibchen zwei [[X-Chromosom]]en, sie sind also bezüglich der Geschlechtschromosomen [[homozygot]]. Männchen haben ein X- und ein [[Y-Chromosom]] und somit unterschiedliche Geschlechtschromosomen, sie sind [[hemizygot]] (XX/XY-System). Das Y-Chromosom enthält das [[SRY-Gen]], welches Bedeutung bei der Ausprägung des männlichen Genitaltraktes hat. Ist kein SRY-Gen vorhanden, kann dessen Wirkung vollständig oder zum Teil durch [[SOX9-Gen|SOX9]] und andere beteiligte Gene kompensiert werden. Bei Abwesenheit beider Gene wird laut Ergebnissen einer Studie das Gen FOXL2 aktiv und sorgt für die Entwicklung eines weibliches Genitaltraktes.<ref>{{Literatur |Autor=N. Henriette Uhlenhaut, Susanne Jakob, Katrin Anlag, Tobias Eisenberger, Ryohei Sekido |Titel=Somatic Sex Reprogramming of Adult Ovaries to Testes by FOXL2 Ablation |Sammelwerk=Cell |Band=139 |Nummer=6 |Datum=2009-12 |DOI=10.1016/j.cell.2009.11.021 |Seiten=1130–1142 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S0092867409014330 |Abruf=2020-08-03}}</ref> Ein ZW/ZZ-System kommt beispielsweise bei Vögeln vor. Hier sind die Weibchen hemizygot (ein W- und ein [[Z-Chromosom]]) und die Männchen homozygot (ZZ). Bei einigen Gruppen der Reptilien kommen ebenfalls Geschlechtschromosomen vor. Bei [[Fische]]n und [[Amphibien]] fehlen Geschlechtschromosomen meist.<ref>J. von Hofsten, P. E. Olsson: ''Zebrafish sex determination and differentiation: involvement of FTZ-F1 genes.'' In: ''Reprod Biol Endocrinol.'' 10. November 2005, Band 10, Nr. 3, S. 63, PMID 16281973.</ref><ref>D. M. Green: ''Heteromorphic sex chromosomes in the rare and primitive frog ''Leiopelma hamiltoni'' from New Zealand.'' In: ''J. Hered.'' 1988, Band 79, S. 165–169.</ref><ref>K. M. Reed, R. B. Phillips: ''Polymorphism of the nucleolus organizer region (NOR) on the putative sex chromosomes of Arctic char (''Salvelinus alpinus'') is not sex related.'' In: ''Chromosome Research.'' 1997, Band 5, S. 221–227.</ref>


Auch bei getrenntgeschlechtlichen Pflanzenarten (Zweihäusigkeit, siehe [[diözisch]]) gibt es unterscheidbare Geschlechtschromosomen. Die evolutionär sehr jungen zweihäusigen Pflanzenarten stellen eher Ausnahmen dar. Hierunter fallen aus den Reihen der [[Bedecktsamer]] (Angiospermen) z. B. die [[Weiße Lichtnelke]] (''Silene latifolia''), die [[Große Brennnessel]] (''Urtica dioica'', mit Hinweis auf die Diözie im Artnamen), [[Hanf]] (''Cannabis sativa''), die [[Papaya]] (''Carica papaya'') oder auch der Ginkgo (''Ginkgo biloba''), als ein Vertreter der [[Nacktsamer]] (Gymnospermen).
Auch bei getrenntgeschlechtlichen Pflanzenarten (Zweihäusigkeit, siehe [[diözisch]]) gibt es unterscheidbare Geschlechtschromosomen. Die evolutionär sehr jungen zweihäusigen Pflanzenarten stellen eher Ausnahmen dar. Hierunter fallen aus den Reihen der [[Bedecktsamer]] (Angiospermen) z. B. die [[Weiße Lichtnelke]] (''Silene latifolia''), die [[Große Brennnessel]] (''Urtica dioica'', mit Hinweis auf die Diözie im Artnamen), [[Hanf]] (''Cannabis sativa''), die [[Papaya]] (''Carica papaya'') oder auch der Ginkgo (''Ginkgo biloba''), als ein Vertreter der [[Nacktsamer]] (Gymnospermen).
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Die Milbenart ''[[Brevipalpus phoenicis]]'', ein Schädling tropischer Nutzpflanzen, besteht nur aus haploiden Weibchen, die sich [[Parthenogenese|parthenogenetisch]] vermehren. Einer Untersuchung zufolge handelt es sich eigentlich um genetische Männchen, die durch eine [[Infektion]] mit [[Bakterien]] zu Weibchen verändert werden.<ref>Andrew R. Weeks, Frantisek Marec, Johannes A. J. Breeuwer. ''A mite species that consists entirely of haploid females.'' In: ''[[Science]].'' 292, 2001, S. 2479–2482, {{DOI|10.1126/science.1060411}}.</ref> Verweiblichung durch Bakterieninfektion ist auch bei anderen [[Gliederfüßer]]n bekannt, meist durch ''[[Wolbachia]]''.
Die Milbenart ''[[Brevipalpus phoenicis]]'', ein Schädling tropischer Nutzpflanzen, besteht nur aus haploiden Weibchen, die sich [[Parthenogenese|parthenogenetisch]] vermehren. Einer Untersuchung zufolge handelt es sich eigentlich um genetische Männchen, die durch eine [[Infektion]] mit [[Bakterien]] zu Weibchen verändert werden.<ref>Andrew R. Weeks, Frantisek Marec, Johannes A. J. Breeuwer. ''A mite species that consists entirely of haploid females.'' In: ''[[Science]].'' 292, 2001, S. 2479–2482, {{DOI|10.1126/science.1060411}}.</ref> Verweiblichung durch Bakterieninfektion ist auch bei anderen [[Gliederfüßer]]n bekannt, meist durch ''[[Wolbachia]]''.


== Modifikatorische Determinationssysteme ==
== Temperaturabhängige Geschlechtsdetermination bei Reptilien ==
{{Hauptartikel|Temperaturabhängige Geschlechtsdetermination}}
{{Hauptartikel|Temperaturabhängige Geschlechtsdetermination}}
Bei [[Krokodile]]n hängt das Geschlecht von der Temperatur der Eier ab: bis etwa 30&nbsp;°C entstehen Weibchen, ab 34&nbsp;°C entstehen nur noch Männchen. Bei Temperaturen dazwischen schlüpfen Krokodile beiderlei Geschlechts.
Bei [[Krokodile]]n hängt das Geschlecht von der Temperatur der Eier ab: bis etwa 30&nbsp;°C entstehen Weibchen, ab 34&nbsp;°C entstehen nur noch Männchen. Bei Temperaturen dazwischen schlüpfen Krokodile beiderlei Geschlechts.
Bei [[Schildkröte]]n ist es umgekehrt. Höhere Temperaturen führen zu weiblichen Nachkommen, tiefere Temperaturen zu männlichen.
Bei [[Schildkröte]]n ist es umgekehrt. Höhere Temperaturen führen zu weiblichen Nachkommen, tiefere Temperaturen zu männlichen.

Neben der Temperatur können auch andere Elemente des Lebensraums das Geschlecht eines Organismus bestimmen. Der Krebs ''Gammarus duebeni'' etwa produziert zu Beginn der Paarungszeit Männchen und später Weibchen. Der Übergang wird durch die Länge des Tageslichts bestimmt.<ref>{{Literatur |Autor=J. McCabe, A. M. Dunn |Titel=Adaptive significance of environmental sex determination in an amphipod |Sammelwerk=Journal of Evolutionary Biology |Band=10 |Nummer=4 |Datum=1997-07 |ISSN=1010-061X |DOI=10.1046/j.1420-9101.1997.10040515.x |Seiten=515–527 |Online=http://doi.wiley.com/10.1046/j.1420-9101.1997.10040515.x |Abruf=2020-08-03}}</ref> Der [[Großer Wasserfloh|Große Wasserfloh]] produziert bei einer Kombination von Nahrungsknappheit, erhöhter Populationsdichte und verkürzter Tageslänge im Herbst männliche Nachkommen.<ref>{{Literatur |Autor=Yasuhiko Kato, Kaoru Kobayashi, Hajime Watanabe, Taisen Iguchi |Titel=Environmental Sex Determination in the Branchiopod Crustacean Daphnia magna: Deep Conservation of a Doublesex Gene in the Sex-Determining Pathway |Hrsg= |Sammelwerk=PLoS Genetics |Band=7 |Nummer=3 |Auflage= |Verlag= |Ort= |Datum=2011-03-24 |ISBN= |ISSN=1553-7404 |DOI=10.1371/journal.pgen.1001345 |PMC=3063754 |PMID=21455482 |Seiten=e1001345 |Online=https://dx.plos.org/10.1371/journal.pgen.1001345 |Abruf=2020-08-03}}</ref> Beim [[Grüner Igelwurm|Grünen Igelwurm]] hängt das Geschlecht der Larven davon ab, ob sie auf ein erwachsenes Weibchen treffen oder auf unbesetztem Meeresboden landen.<ref>{{Literatur |Autor=Ludek Berec, Patrick J. Schembri, David S. Boukal |Titel=Sex determination in Bonellia viridis (Echiura: Bonelliidae): population dynamics and evolution |Sammelwerk=Oikos |Band=108 |Nummer=3 |Datum=2005-03 |DOI=10.1111/j.0030-1299.2005.13350.x |Seiten=473–484 |Online=http://doi.wiley.com/10.1111/j.0030-1299.2005.13350.x |Abruf=2020-08-03}}</ref>


== Hermaphroditen und sequenzielle Hermaphroditen ==
== Hermaphroditen und sequenzielle Hermaphroditen ==
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=== Männliche Entwicklung ===
=== Männliche Entwicklung ===
Bei männlichen [[Embryo]]nen wird nach der sechsten Woche das sogenannte [[SRY-Gen]] auf dem [[Y-Chromosom]] abgelesen und ein [[Protein]] gebildet, das als [[Hoden-determinierender Faktor]] (HDF) bezeichnet wird. Dieses Eiweiß reguliert als [[Transkriptionsfaktor]] die [[Genexpression|Expression]] des [[DMRT1-Gen]]s und zahlreicher anderer Gene des [[Genom]]s und leitet die [[Geschlechtsdifferenzierung]] ein. Unter dem Einfluss von HDF findet beim männlichen Embryo ein Umbau zu den [[Geschlechtsorgan#Innere Geschlechtsorgane 2|inneren Geschlechtsorganen]] statt (vor allem den paarige [[Hoden]], [[Nebenhoden]], [[Samenleiter]]n sowie der [[Vorsteherdrüse]]).<ref>Deutscher Ethikrat: ''Intersexualität - Stellungnahme.'' Berlin, 23. Februar 2012, ISBN 978-3-941957-27-5, S. 30–31 ({{Webarchiv|url=http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-intersexualitaet.pdf |wayback=20160318005607 |text=Volltext als PDF-Datei |archiv-bot=2019-04-13 18:26:45 InternetArchiveBot }})</ref> Im männlichen Embryo wird die Entwicklung der weiblichen Geschlechtsorgane auch durch das [[Anti-Müller-Hormon]] (AMH) unterdrückt, das in den [[Sertoli-Zelle|Sertolizellen]] des embryonalen Hodens produziert wird.<ref>Serge Nef, Luis F. Parada1: ''Hormones in male sexual development.'' In: ''Genes & Development.'' 2014, Band 14, S. 3075–3086, [[doi:10.1101/gad.843800]].</ref>
Bei männlichen [[Embryo]]nen wird nach der sechsten Woche das sogenannte [[SRY-Gen]] auf dem [[Y-Chromosom]] abgelesen und ein [[Protein]] gebildet, das als [[Hoden-determinierender Faktor]] (HDF) bezeichnet wird. Dieses Eiweiß reguliert als [[Transkriptionsfaktor]] die [[Genexpression|Expression]] des [[DMRT1-Gen]]s und zahlreicher anderer Gene des [[Genom]]s und leitet die [[Geschlechtsdifferenzierung]] ein. Unter dem Einfluss von HDF findet beim männlichen Embryo ein Umbau zu den [[Geschlechtsorgan#Innere Geschlechtsorgane 2|inneren Geschlechtsorganen]] statt (vor allem den paarige [[Hoden]], [[Nebenhoden]], [[Samenleiter]]n sowie der [[Vorsteherdrüse]]).<ref>Deutscher Ethikrat: ''Intersexualität - Stellungnahme.'' Berlin, 23. Februar 2012, ISBN 978-3-941957-27-5, S. 30–31 ({{Webarchiv |url=http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-intersexualitaet.pdf |text=Volltext als PDF-Datei |wayback=20160318005607 |archiv-bot=2019-04-13 18:26:45 InternetArchiveBot}})</ref> Im männlichen Embryo wird die Entwicklung der weiblichen Geschlechtsorgane auch durch das [[Anti-Müller-Hormon]] (AMH) unterdrückt, das in den [[Sertoli-Zelle|Sertolizellen]] des embryonalen Hodens produziert wird.<ref>Serge Nef, Luis F. Parada1: ''Hormones in male sexual development.'' In: ''Genes & Development.'' 2014, Band 14, S. 3075–3086, [[doi:10.1101/gad.843800]].</ref>


Weiterhin regt das HDF bestimmte somatische Zellen dazu an, sich zu [[testosteron]]produzierenden [[Leydig-Zellen]] zu entwickeln. Nach Beginn der Testosteronproduktion in diesen Zellen etwa in der siebten Woche fördert dieses [[Androgen]] die weitere Differenzierung der Wolffschen Gänge und die Entwicklung der [[Nebenhoden]], der [[Samenleiter]] und der [[Samenblase]] wird verstärkt. Außerdem wird mit Hilfe des [[Enzym]]s [[Steroid-5α-Reduktase]] (SRD5) das Testosteron in den Zielzellen zu der biologisch aktivsten Form [[Dihydrotestosteron]] (DHT) umgewandelt. Unter dem Einfluss dieses DHT verlängert sich dann der ''Protophallus'' des Genitalhöckers (''urogenital sinus'' / ''genital tubercle'')<ref>Hey-Joo Kang, Julianne Imperato-McGinley, Yuan-Shan Zhu, Zev Rosenwaks: ''The effect of 5α-reductase-2 deficiency on human fertility.'' In: ''Fertility and sterility.'' Band 101, Nr. 2, Januar 2014, S. 310–316, [[doi:10.1016/j.fertnstert.2013.11.128]] ([http://www.fertstert.org/article/S0015-0282(13)03388-8/fulltext Volltext]).</ref> zu einem Penis (''Phallus''), die Urogenitalrinne schließt sich zur ''Pars spongiosa'' der [[Harnröhre]] und bildet den [[Harnröhrenschwellkörper]]. Aus dem zentralen Teil des Phallus entsteht der [[Penisschwellkörper]] und gegebenenfalls der [[Penisknochen]].<ref name="Androgens and male physiology" >Julianne Imperato-McGinley, Yuan-Shan Zhu: ''Androgens and male physiology—The syndrome of 5 alpha-reductase-2 deficiency.'' In: ''Molecular and Cellular Endocrinology.'' Band 19, Nr. 1, Dezember 2002, S. 51–59, [[DOI:10.1016/S0303-7207(02)00368-4]] ([https://www.researchgate.net/publication/240161409_Androgens_and_male_physiology-The_syndrome_of_5_alpha-reductase-2_deficie Volltext]).</ref><ref name="The effect of 5α-reductase-2 deficiency on human fertility" >Hey-Joo Kang, Julianne Imperato-McGinley, Yuan-Shan Zhu, Zev Rosenwaks: ''The effect of 5α-reductase-2 deficiency on human fertility.'' In: ''Fertility and sterility.'' Band 101, Nr. 2, Januar 2014, S. 310–316, [[DOI:10.1016/j.fertnstert.2013.11.128]] ([http://www.fertstert.org/article/S0015-0282(13)03388-8/fulltext Volltext]).</ref>
Weiterhin regt das HDF bestimmte somatische Zellen dazu an, sich zu [[testosteron]]produzierenden [[Leydig-Zellen]] zu entwickeln. Nach Beginn der Testosteronproduktion in diesen Zellen etwa in der siebten Woche fördert dieses [[Androgen]] die weitere Differenzierung der Wolffschen Gänge und die Entwicklung der [[Nebenhoden]], der [[Samenleiter]] und der [[Samenblase]] wird verstärkt. Außerdem wird mit Hilfe des [[Enzym]]s [[Steroid-5α-Reduktase]] (SRD5) das Testosteron in den Zielzellen zu der biologisch aktivsten Form [[Dihydrotestosteron]] (DHT) umgewandelt. Unter dem Einfluss dieses DHT verlängert sich dann der ''Protophallus'' des Genitalhöckers (''urogenital sinus'' / ''genital tubercle'')<ref>Hey-Joo Kang, Julianne Imperato-McGinley, Yuan-Shan Zhu, Zev Rosenwaks: ''The effect of 5α-reductase-2 deficiency on human fertility.'' In: ''Fertility and sterility.'' Band 101, Nr. 2, Januar 2014, S. 310–316, [[doi:10.1016/j.fertnstert.2013.11.128]] ([http://www.fertstert.org/article/S0015-0282(13)03388-8/fulltext Volltext]).</ref> zu einem Penis (''Phallus''), die Urogenitalrinne schließt sich zur ''Pars spongiosa'' der [[Harnröhre]] und bildet den [[Harnröhrenschwellkörper]]. Aus dem zentralen Teil des Phallus entsteht der [[Penisschwellkörper]] und gegebenenfalls der [[Penisknochen]].<ref name="Androgens and male physiology" >Julianne Imperato-McGinley, Yuan-Shan Zhu: ''Androgens and male physiology—The syndrome of 5 alpha-reductase-2 deficiency.'' In: ''Molecular and Cellular Endocrinology.'' Band 19, Nr. 1, Dezember 2002, S. 51–59, [[DOI:10.1016/S0303-7207(02)00368-4]] ([https://www.researchgate.net/publication/240161409_Androgens_and_male_physiology-The_syndrome_of_5_alpha-reductase-2_deficie Volltext]).</ref><ref name="The effect of 5α-reductase-2 deficiency on human fertility" >Hey-Joo Kang, Julianne Imperato-McGinley, Yuan-Shan Zhu, Zev Rosenwaks: ''The effect of 5α-reductase-2 deficiency on human fertility.'' In: ''Fertility and sterility.'' Band 101, Nr. 2, Januar 2014, S. 310–316, [[DOI:10.1016/j.fertnstert.2013.11.128]] ([http://www.fertstert.org/article/S0015-0282(13)03388-8/fulltext Volltext]).</ref>
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In Abwesenheit des Y-Chromosoms und damit des SRY-Gens wie auch des Hoden-determinierenden Faktors (HDF) und des Anti-Müller-Hormons (AMH) differenziert sich im weiblichen Embryo unter dem Einfluss spezieller weiblicher Gene wie beispielsweise des [[FOXL2-Gen]]s die zunächst indifferente, bipotente [[Gonadenanlage]] zu [[Ovarien]]. Aus den Müllerschen Gängen entwickeln sich die [[Gebärmutter]], die [[Eileiter]] und die oberen zwei Drittel der [[Vagina]].
In Abwesenheit des Y-Chromosoms und damit des SRY-Gens wie auch des Hoden-determinierenden Faktors (HDF) und des Anti-Müller-Hormons (AMH) differenziert sich im weiblichen Embryo unter dem Einfluss spezieller weiblicher Gene wie beispielsweise des [[FOXL2-Gen]]s die zunächst indifferente, bipotente [[Gonadenanlage]] zu [[Ovarien]]. Aus den Müllerschen Gängen entwickeln sich die [[Gebärmutter]], die [[Eileiter]] und die oberen zwei Drittel der [[Vagina]].


== Geschlechtsdeterminierung und Intersexualität beim Menschen ==
== Seltene Fälle bei der Geschlechtsdeterminierung ==


Das beim Menschen für die Geschlechtsdetermination hauptverantwortliche Gen SRY verbleibt während der väterlichen Keimzellreifung normalerweise auf dem Y-Chromosom. In seltenen Fällen (Häufigkeit ca. 1:10.000 Männer) kommt es durch ein [[Crossing-over]] zu einer Übertragung des Gens auf das X-Chromosom. Dadurch entstehen Individuen mit weiblichem Genotyp (XX) und männlichem Phänotyp. Sie haben männliche innere und äußere Genitale, jedoch meist kleine Hoden und sind aufgrund von [[Azoospermie]] infertil. Es wurden auch schon [[XX-Mann|XX-Männer]] beschrieben, bei denen SRY nicht nachweisbar war. In diesen Fällen übernehmen X-chromosomale oder autosomale Gene die Funktion von SRY.
Das beim Menschen für die Geschlechtsdetermination hauptverantwortliche Gen SRY verbleibt während der väterlichen Keimzellreifung normalerweise auf dem Y-Chromosom. In seltenen Fällen (Häufigkeit ca. 1:10.000 Männer) kommt es durch ein [[Crossing-over]] zu einer Übertragung des Gens auf das X-Chromosom. Dadurch entstehen Individuen mit weiblichem Genotyp (XX) und männlichem Phänotyp. Sie haben männliche innere und äußere Genitale, jedoch meist kleine Hoden und sind aufgrund von [[Azoospermie]] infertil. Es wurden auch schon [[XX-Mann|XX-Männer]] beschrieben, bei denen SRY nicht nachweisbar war. In diesen Fällen übernehmen X-chromosomale oder autosomale Gene die Funktion von SRY.

Version vom 3. August 2020, 22:23 Uhr

Übergeordnet
Reproduktions-Entwicklungsprozess
Untergeordnet
Genetische/Somatische/Männliche/Weibliche/Primäre/Paarungstyp-Geschlechtsdetermination
Gene Ontology
QuickGO
Schematische Darstellung der Genitalentwicklung bei Säugetieren. Wichtige Faktoren: SRY, ein Gen auf dem Y-Chromosom; MIS (engl. Müllerian inhibiting substance), das Anti-Müller-Hormon; Testosteron.

Unter Geschlechtsdetermination werden jene Abläufe verstanden, die die Entwicklung des somatischen Geschlechts in einem Organismus bestimmen. Diese Abläufe finden bei Säugetieren in der Embryogenese statt, bei anderen Organismen verändert sich das Geschlecht im Laufe ihres Lebens.

Für die Festlegung des Geschlechts sind zwei verschiedene Mechanismen bekannt.

  • Die genetische oder chromosomale Geschlechtsdetermination, die auf den genetischen Unterschieden der Geschlechter basiert.
  • Die modifikatorische Geschlechtsdetermination, welche von äußeren Faktoren (z. B. Temperatur) abhängt.

Erstere führt u. a. bei den Säugetieren, letztere u. a. bei vielen Reptilien zu einer somatischen Geschlechtsfestlegung.

Bekannte biologische Geschlechter

Die meisten Organismen, die ihre Nachkommen durch sexuelle Fortpflanzung zeugen, kennen zwei biologische Geschlechter: Ihre Individuen werden eingeteilt in männlich oder weiblich. Bei anderen Arten gibt es Hermaphroditen, die männliche und weibliche Merkmale in einem Individuum vereinigen. Einige Fisch-, Echsen- und Insektenarten sind allesamt weiblich und reproduzieren sich durch Parthenogenese. Bei einigen Arthropoden wird das weibliche Geschlecht durch die Infektion mit Bakterien der Gattung Wolbachia erzwungen. Bei aus Hybriden bestimmter Ameisenarten (Pogonomyrmex barbatus und P. rugosus) hervorgegangenen Ameisen-Populationen sind die Väter von Arbeiterinnen und Königinnen genetisch voneinander verschieden.[1][2] Pilze haben keine Geschlechter, es gibt bei Schlauchpilzen und Ständerpilzen aber verschiedene Paarungstypen, die nur bei Verträglichkeit miteinander die Fortpflanzung einleiten können.[3] Der Gemeine Spaltblättling hat über 23.000 Paarungstypen, der Einzeller Tetrahymena hat sieben verschiedene Paarungstypen.

Genetische Determinationssysteme

Von genetischem oder chromosomalem Geschlecht wird gesprochen, wenn die Geschlechtsbestimmung auf der Art oder Anzahl der vorhandenen Chromosomen beruht.

Geschlechtsdetermination durch Geschlechtschromosomen

Wenn Weibchen und Männchen gleich viele Chromosomen haben, sich aber mindestens eins der Chromosomen bei Weibchen und Männchen unterscheidet, spricht man von Geschlechtschromosomen (Gonosomen). Beispielsweise haben bei Säugern Weibchen zwei X-Chromosomen, sie sind also bezüglich der Geschlechtschromosomen homozygot. Männchen haben ein X- und ein Y-Chromosom und somit unterschiedliche Geschlechtschromosomen, sie sind hemizygot (XX/XY-System). Das Y-Chromosom enthält das SRY-Gen, welches Bedeutung bei der Ausprägung des männlichen Genitaltraktes hat. Ist kein SRY-Gen vorhanden, kann dessen Wirkung vollständig oder zum Teil durch SOX9 und andere beteiligte Gene kompensiert werden. Bei Abwesenheit beider Gene wird laut Ergebnissen einer Studie das Gen FOXL2 aktiv und sorgt für die Entwicklung eines weibliches Genitaltraktes.[4] Ein ZW/ZZ-System kommt beispielsweise bei Vögeln vor. Hier sind die Weibchen hemizygot (ein W- und ein Z-Chromosom) und die Männchen homozygot (ZZ). Bei einigen Gruppen der Reptilien kommen ebenfalls Geschlechtschromosomen vor. Bei Fischen und Amphibien fehlen Geschlechtschromosomen meist.[5][6][7]

Auch bei getrenntgeschlechtlichen Pflanzenarten (Zweihäusigkeit, siehe diözisch) gibt es unterscheidbare Geschlechtschromosomen. Die evolutionär sehr jungen zweihäusigen Pflanzenarten stellen eher Ausnahmen dar. Hierunter fallen aus den Reihen der Bedecktsamer (Angiospermen) z. B. die Weiße Lichtnelke (Silene latifolia), die Große Brennnessel (Urtica dioica, mit Hinweis auf die Diözie im Artnamen), Hanf (Cannabis sativa), die Papaya (Carica papaya) oder auch der Ginkgo (Ginkgo biloba), als ein Vertreter der Nacktsamer (Gymnospermen).

Haplodiploidie

Haplodiploidie ist eine Form der genetischen Geschlechtsdetermination, bei der ein Geschlecht nur einen Chromosomensatz trägt (haploid) und das andere Geschlecht einen doppelten Chromosomensatz (diploid). Üblicherweise ist das männliche Geschlecht haploid. Die bekanntesten Beispiele sind Bienen und Ameisen.

Die Milbenart Brevipalpus phoenicis, ein Schädling tropischer Nutzpflanzen, besteht nur aus haploiden Weibchen, die sich parthenogenetisch vermehren. Einer Untersuchung zufolge handelt es sich eigentlich um genetische Männchen, die durch eine Infektion mit Bakterien zu Weibchen verändert werden.[8] Verweiblichung durch Bakterieninfektion ist auch bei anderen Gliederfüßern bekannt, meist durch Wolbachia.

Modifikatorische Determinationssysteme

Bei Krokodilen hängt das Geschlecht von der Temperatur der Eier ab: bis etwa 30 °C entstehen Weibchen, ab 34 °C entstehen nur noch Männchen. Bei Temperaturen dazwischen schlüpfen Krokodile beiderlei Geschlechts. Bei Schildkröten ist es umgekehrt. Höhere Temperaturen führen zu weiblichen Nachkommen, tiefere Temperaturen zu männlichen.

Neben der Temperatur können auch andere Elemente des Lebensraums das Geschlecht eines Organismus bestimmen. Der Krebs Gammarus duebeni etwa produziert zu Beginn der Paarungszeit Männchen und später Weibchen. Der Übergang wird durch die Länge des Tageslichts bestimmt.[9] Der Große Wasserfloh produziert bei einer Kombination von Nahrungsknappheit, erhöhter Populationsdichte und verkürzter Tageslänge im Herbst männliche Nachkommen.[10] Beim Grünen Igelwurm hängt das Geschlecht der Larven davon ab, ob sie auf ein erwachsenes Weibchen treffen oder auf unbesetztem Meeresboden landen.[11]

Hermaphroditen und sequenzielle Hermaphroditen

Sequenzielle Hermaphroditen: Männlicher (im Vordergrund) und weiblicher Anemonenfisch

Manche Tierarten sind Hermaphroditen und haben sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsorgane, andere sind sequenzielle Hermaphroditen. So sind Anemonenfische und manche Würmer (Anneliden) als junge Tiere männlich und erwachsene Tiere weiblich. Hier ist das Geschlecht von der Größe des Individuums abhängig.[12][13]

Die große Mehrzahl der Pflanzenarten ist hermaphroditisch. Die hermaphroditischen Pflanzen werden weiter unterteilt in zwittrige, nämlich solche mit zwittrigen Blüten, und einhäusige (monözische), solche mit getrennten männlichen und weiblichen Blüten an einer Pflanze. Im Gegensatz dazu haben zweihäusige (diözische) Pflanzenarten weibliche und männliche Individuen. Hier gibt es unterscheidbare Geschlechtschromosomen (siehe oben). Es wird angenommen, dass bei Pflanzen die Getrenntgeschlechtlichkeit evolutionär jünger ist als die Hermaphroditie.

Gonadale Geschlechtsdeterminierung

Als gonadales Geschlecht wird die Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht anhand des GeschlechtsmerkmalsKeimdrüse“ (Gonade; Eierstock oder Hoden) bezeichnet. Aufgrund der Hormonproduktion durch die Keimdrüsen wird das gonadale Geschlecht deshalb auch als hormonales oder endokrines Geschlecht bezeichnet.

Ausgangspunkt für die Geschlechtsdifferenzierung bei Säugetieren ist die bipotente Gonadenanlage. In Säugetieren induziert das Y-Chromosom die Entwicklung der Hoden und damit die männliche Sexualentwicklung. Die gonadale Geschlechtsdeterminierung durch das XY-System wurde unabhängig voneinander erstmals 1905 von Dr. Nettie Stevens und Edmund Beecher Wilson beschrieben.

Ein beeindruckender Beweis für diese These stammt aus Versuchen mit Kaninchen. Alfred Jost kastrierte embryonale Kaninchen in utero in einem Entwicklungsstadium, in dem die Differenzierung der inneren und äußeren Geschlechtsorgane noch nicht eingesetzt hat. Die Entnahme der Gonaden zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Embryonalentwicklung führte sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Kaninchen zur Ausbildung weiblicher Geschlechtsorgane[14]. Diese Experimente zeigten, dass die Anwesenheit der Hoden die Ausbildung der weiblichen Geschlechtsorgane unterdrückt, während sie die Entwicklung des männlichen Phänotyps fördern.

Geschlechtsdifferenzierung beim Menschen

Beim Menschen wird das gonadale Geschlecht durch das chromosomale oder genetische Geschlecht bestimmt. Das gonadale Geschlecht führt in der ungestörten weiteren Embryonalentwicklung mit der Produktion der entsprechenden Sexualhormone zur Ausbildung eines männlichen oder weiblichen Phänotyps – dem gonoduktalen Geschlecht, zu dessen Bestimmung die inneren Geschlechtsorgane herangezogen werden, und dem genitalen Geschlecht, das anhand der äußeren Geschlechtsorgane definiert wird. Die Entwicklung der inneren Geschlechtsorgane ist beim männlichen Embryo durch die Entwicklung der Wolffschen Gänge und beim weiblichen Embryo der Müllerschen Gänge gekennzeichnet. Ist beispielsweise der Hoden-determinierende Faktor (HDF) vorhanden, entwickelt sich aus den zunächst indifferenten Gonadenanlagen die Hoden, ansonsten die Eierstöcke.

Männliche Entwicklung

Bei männlichen Embryonen wird nach der sechsten Woche das sogenannte SRY-Gen auf dem Y-Chromosom abgelesen und ein Protein gebildet, das als Hoden-determinierender Faktor (HDF) bezeichnet wird. Dieses Eiweiß reguliert als Transkriptionsfaktor die Expression des DMRT1-Gens und zahlreicher anderer Gene des Genoms und leitet die Geschlechtsdifferenzierung ein. Unter dem Einfluss von HDF findet beim männlichen Embryo ein Umbau zu den inneren Geschlechtsorganen statt (vor allem den paarige Hoden, Nebenhoden, Samenleitern sowie der Vorsteherdrüse).[15] Im männlichen Embryo wird die Entwicklung der weiblichen Geschlechtsorgane auch durch das Anti-Müller-Hormon (AMH) unterdrückt, das in den Sertolizellen des embryonalen Hodens produziert wird.[16]

Weiterhin regt das HDF bestimmte somatische Zellen dazu an, sich zu testosteronproduzierenden Leydig-Zellen zu entwickeln. Nach Beginn der Testosteronproduktion in diesen Zellen etwa in der siebten Woche fördert dieses Androgen die weitere Differenzierung der Wolffschen Gänge und die Entwicklung der Nebenhoden, der Samenleiter und der Samenblase wird verstärkt. Außerdem wird mit Hilfe des Enzyms Steroid-5α-Reduktase (SRD5) das Testosteron in den Zielzellen zu der biologisch aktivsten Form Dihydrotestosteron (DHT) umgewandelt. Unter dem Einfluss dieses DHT verlängert sich dann der Protophallus des Genitalhöckers (urogenital sinus / genital tubercle)[17] zu einem Penis (Phallus), die Urogenitalrinne schließt sich zur Pars spongiosa der Harnröhre und bildet den Harnröhrenschwellkörper. Aus dem zentralen Teil des Phallus entsteht der Penisschwellkörper und gegebenenfalls der Penisknochen.[18][19]

Gehirn

Der Sexualdimorphismus des männlichen Gehirns zB. im SDN-POA wird durch Estrogen ausgelöst. Da Estrogen pränatal im Blutkreislauf durch Proteine größtenteils deaktiviert wird um eine generelle Virilisierung zu verhindern, kann das intrazelluläre vorkommen nur durch enzymatischen Umbau von Testosteron durch Aromatase erfolgen.[20]

Weibliche Entwicklung

In Abwesenheit des Y-Chromosoms und damit des SRY-Gens wie auch des Hoden-determinierenden Faktors (HDF) und des Anti-Müller-Hormons (AMH) differenziert sich im weiblichen Embryo unter dem Einfluss spezieller weiblicher Gene wie beispielsweise des FOXL2-Gens die zunächst indifferente, bipotente Gonadenanlage zu Ovarien. Aus den Müllerschen Gängen entwickeln sich die Gebärmutter, die Eileiter und die oberen zwei Drittel der Vagina.

Geschlechtsdeterminierung und Intersexualität beim Menschen

Das beim Menschen für die Geschlechtsdetermination hauptverantwortliche Gen SRY verbleibt während der väterlichen Keimzellreifung normalerweise auf dem Y-Chromosom. In seltenen Fällen (Häufigkeit ca. 1:10.000 Männer) kommt es durch ein Crossing-over zu einer Übertragung des Gens auf das X-Chromosom. Dadurch entstehen Individuen mit weiblichem Genotyp (XX) und männlichem Phänotyp. Sie haben männliche innere und äußere Genitale, jedoch meist kleine Hoden und sind aufgrund von Azoospermie infertil. Es wurden auch schon XX-Männer beschrieben, bei denen SRY nicht nachweisbar war. In diesen Fällen übernehmen X-chromosomale oder autosomale Gene die Funktion von SRY.

Darüber hinaus gibt es auch XY-Frauen. Dieses durch den Endokrinologen G. Swyer in den 1950er Jahren erstbeschriebene und nach ihm benannte Syndrom zeichnet sich durch fehlende Hodenentwicklung und Genitalentwicklung trotz männlichen Genotyps aus. Es tritt sehr selten auf (Häufigkeit ca. 1:100.000 Frauen). Die primären Geschlechtsorgane (Gebärmutter, Klitoris, Vagina) sind „weiblich“ ausgeprägt, jedoch werden, da XY-Chromosomal, keine Ovarien ausgebildet, sondern sogenannte Stranggonaden, die mehr oder weniger hormonaktiv sein können. Bis zur Pubertät verläuft die Entwicklung „weiblich“. Während der Pubertät tritt eine mehr oder minder ausgeprägte Virilisierung ein, eine „weibliche“ Ausbildung der sekundären Geschlechtsmerkmale (Brustentwicklung, Menstruation) bleibt aus. Die genetische Ursache ist in 30 % der Fälle ein defektes oder fehlendes SRY-Gen. Weiterhin bewirken verschiedene Mutationen des 5α-Reduktase-2-Gens durch den daraus resultierenden 5α-Reduktase-2-Mangel eine Störung der Geschlechtsentwicklung.[18][19]

Die Fokussierung des SRY-Gens ist mittlerweile umstritten. Stattdessen werden aktuell in der Biologie Netzwerkmodelle favorisiert, bei denen zahlreiche genetische sowie umweltbedingte Faktoren zusammenwirken. In Gen-Expressionsanalysen zeigten sich in den relevanten Zellgruppen in der fraglichen Zeit der Geschlechtsdetermination etwa 1000 Gene exprimiert, etwa 80 dieser Gene sind etwas genauer beschrieben (mit durchaus widersprüchlichen Ergebnissen).[21] Ein Beispiel ist der Fall eines Menschen, der den Genotyp XY besitzt, jedoch den Phänotyp einer Frau. Hier wurde eine Mutation im CBX2-Gen festgestellt.[22] Ein anderes Gen, das bei der sogenannten Autosomalen Geschlechtsumkehr beteiligt sein kann, ist SOX9 (Kampomele Dysplasie).[23][24]

Sprachliche Geschlechtsdetermination

Betrachtet man den Begriff Determination als Zuordnung (siehe dazu Determination (Logik)) so werden vor allem für das Tierreich eigene Begriffe für "Männchen" oder "männliches Tier" und "Weibchen" oder "weibliches Tier" und geschlechtsneutral für die Nachkommen verwendet. Beispielsweise

  • Bulle – Kuh – Kalb bei Paarhufern und Walen
  • Hahn – Henne – Küken bei Vögeln (etwa Birkhahn und Birkhenne)
  • Eber – Sau – Ferkel bei Schweinen
  • Rüde – Färse – Welpe bei Hunden und Wölfen

Siehe auch

Literatur

  • Julianne Imperato-Mcginley, Vivian Sobel, Yuan-Shan Zhu: Fetal hormones and sexual differentiation. In: Obstetrics and Gynecology Clinics of North America. Band 31, Nr. 4, Januar 2005, S. 837–856, DOI:10.1016/j.ogc.2004.08.005 (Volltext).

Einzelnachweise

  1. Cahan S. Helms, L. Keller: Complex hybrid origin of genetic caste determination in harvester ants. In: Nature. Juli 2003, Band 424, Nr. 6946, S. 306–309, PMID 12867980.
  2. J. Whitfield: Everything you always wanted to know about sexes. In: PLoS Biol. Juni 2004, Band 2, Nr. 6:, Artikel e183/ Epub. 15. Juni 2004, PMID 15208728.
  3. G. Haase: Biologie der Pilze. In: Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2016, ISBN 978-3-662-48677-1, S. 609–613, doi:10.1007/978-3-662-48678-8_76 (springer.com [abgerufen am 3. August 2020]).
  4. N. Henriette Uhlenhaut, Susanne Jakob, Katrin Anlag, Tobias Eisenberger, Ryohei Sekido: Somatic Sex Reprogramming of Adult Ovaries to Testes by FOXL2 Ablation. In: Cell. Band 139, Nr. 6, Dezember 2009, S. 1130–1142, doi:10.1016/j.cell.2009.11.021 (elsevier.com [abgerufen am 3. August 2020]).
  5. J. von Hofsten, P. E. Olsson: Zebrafish sex determination and differentiation: involvement of FTZ-F1 genes. In: Reprod Biol Endocrinol. 10. November 2005, Band 10, Nr. 3, S. 63, PMID 16281973.
  6. D. M. Green: Heteromorphic sex chromosomes in the rare and primitive frog Leiopelma hamiltoni from New Zealand. In: J. Hered. 1988, Band 79, S. 165–169.
  7. K. M. Reed, R. B. Phillips: Polymorphism of the nucleolus organizer region (NOR) on the putative sex chromosomes of Arctic char (Salvelinus alpinus) is not sex related. In: Chromosome Research. 1997, Band 5, S. 221–227.
  8. Andrew R. Weeks, Frantisek Marec, Johannes A. J. Breeuwer. A mite species that consists entirely of haploid females. In: Science. 292, 2001, S. 2479–2482, doi:10.1126/science.1060411.
  9. J. McCabe, A. M. Dunn: Adaptive significance of environmental sex determination in an amphipod. In: Journal of Evolutionary Biology. Band 10, Nr. 4, Juli 1997, ISSN 1010-061X, S. 515–527, doi:10.1046/j.1420-9101.1997.10040515.x (wiley.com [abgerufen am 3. August 2020]).
  10. Yasuhiko Kato, Kaoru Kobayashi, Hajime Watanabe, Taisen Iguchi: Environmental Sex Determination in the Branchiopod Crustacean Daphnia magna: Deep Conservation of a Doublesex Gene in the Sex-Determining Pathway. In: PLoS Genetics. Band 7, Nr. 3, 24. März 2011, ISSN 1553-7404, S. e1001345, doi:10.1371/journal.pgen.1001345, PMID 21455482, PMC 3063754 (freier Volltext) – (plos.org [abgerufen am 3. August 2020]).
  11. Ludek Berec, Patrick J. Schembri, David S. Boukal: Sex determination in Bonellia viridis (Echiura: Bonelliidae): population dynamics and evolution. In: Oikos. Band 108, Nr. 3, März 2005, S. 473–484, doi:10.1111/j.0030-1299.2005.13350.x (wiley.com [abgerufen am 3. August 2020]).
  12. R. Collin: Sex ratio, life-history invariants, and patterns of sex change in a family of protandrous gastropods. In: Evolution Int J Org Evolution. April 2006, Band 60, Nr. 4, S. 735–745, PMID 16739455.
  13. D. J. Allsop, S. A. West: Sex-ratio evolution in sex changing animals. In: Evolution; international journal of organic evolution. (Evolution Int J Org Evolution.) Mai 2004, Band 58, Nr. 5, S. 1019–1027, PMID 15212382.
  14. Alfred Jost: Problems of fetal endocrinology: the gonadal and hypophyseal hormones. In: Recent Progress in Hormone Research. (Recent Prog. Horm. Res.) 1953, Band 8, S. 379–418.
  15. Deutscher Ethikrat: Intersexualität - Stellungnahme. Berlin, 23. Februar 2012, ISBN 978-3-941957-27-5, S. 30–31 (Volltext als PDF-Datei (Memento des Originals vom 18. März 2016 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ethikrat.org)
  16. Serge Nef, Luis F. Parada1: Hormones in male sexual development. In: Genes & Development. 2014, Band 14, S. 3075–3086, doi:10.1101/gad.843800.
  17. Hey-Joo Kang, Julianne Imperato-McGinley, Yuan-Shan Zhu, Zev Rosenwaks: The effect of 5α-reductase-2 deficiency on human fertility. In: Fertility and sterility. Band 101, Nr. 2, Januar 2014, S. 310–316, doi:10.1016/j.fertnstert.2013.11.128 (Volltext).
  18. a b Julianne Imperato-McGinley, Yuan-Shan Zhu: Androgens and male physiology—The syndrome of 5 alpha-reductase-2 deficiency. In: Molecular and Cellular Endocrinology. Band 19, Nr. 1, Dezember 2002, S. 51–59, DOI:10.1016/S0303-7207(02)00368-4 (Volltext).
  19. a b Hey-Joo Kang, Julianne Imperato-McGinley, Yuan-Shan Zhu, Zev Rosenwaks: The effect of 5α-reductase-2 deficiency on human fertility. In: Fertility and sterility. Band 101, Nr. 2, Januar 2014, S. 310–316, DOI:10.1016/j.fertnstert.2013.11.128 (Volltext).
  20. Robert Sapolsky Human Sexual Behavior Ⅱ
  21. H.-J. Voß: Making Sex Revisited: Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive. Transcript-Verlag, Bielefeld 2010, S. 237ff.
  22. Ewen Callaway: Girl with Y chromosome sheds light on maleness. In: newscientist.com vom 9. April 2009; zuletzt abgerufen am 23. Juni 2016.
  23. Thomas Wagner, Jutta Wirth, Jobst Meyer u. a.: Autosomal sex reversal and campomelic dysplasia are caused by mutations in and around the SRY-related gene SOX9. In: Cell. 16. Dezember 1994, Band 79, Nr. 6, S. 1111–1120, doi:10.1016/0092-8674(94)90041-8.
  24. Gerd Scherer: Analyse von Funktion und Regulation des SOX9-Gens, des Gens für Kampomele Dysplasie und autosomale Geschlechtsumkehr. (Förderung von 1995 bis 2002) Projektbeschreibung bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Auf: gepris.dfg.de; zuletzt abgerufen am 23. Juni 2016.

Weblinks