Amylnitrit

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Strukturformel
Struktur von Amylnitrit
Allgemeines
Name Amylnitrit
Andere Namen
  • 3-Methyl-1-nitrosooxybutan
  • Isopentylnitrit
  • Isoamylnitrit
  • Nitramyl
  • (3-Methylbutyl)-nitrit
  • Pentyl Alkohol-nitrit (mehrdeutig)
  • Poppers
Summenformel C5H11NO2
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 110-46-3
PubChem 8053
Wikidata Q54086381
Arzneistoffangaben
ATC-Code

V03AB22

Eigenschaften
Molare Masse 117,15 g·mol−1
Dichte

0,87 g·cm−3 (20 °C)[1]

Siedepunkt

97–99 °C[1]

Brechungsindex

1,3918 (20 °C)[2]

Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[4] ggf. erweitert[3]

Gefahr

H- und P-Sätze H: 225​‐​302​‐​331
P: 210​‐​261​‐​311[3]
Toxikologische Daten

505 mg·kg−1 (LD50Ratteoral)[1]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Amylnitrit (genauer Isoamylnitrit) ist der Ester des aliphatischen Alkohols Isoamylalkohol mit Salpetriger Säure. Er gehört chemisch zur Gruppe der Alkylester der Salpetrigen Säure (Alkylnitrite) wie auch 1-Pentylnitrit, 1-Butylnitrit, Isobutylnitrit, Isopropylnitrit und Ethylnitrit.

Wirkung und Verwendung

Amylnitrit wurde ursprünglich zur temporären Erweiterung der Herzkranzgefäße bei der Angina pectoris und zur Senkung des Blutdrucks medizinisch genutzt. Wegen seiner kurzen Wirkdauer wird heute dafür verdünntes Nitroglycerin (Handelsname Nitrolingual) genutzt. Eine durch Amylnitrit herbeigeführte Methämoglobinämie hilft bei der Behandlung einer Cyanid-Intoxikation, da das Methämoglobin dabei zu verträglicherem Cyanomethämoglobin reagiert; heute ist diese Methode aber nicht mehr das Mittel der Wahl.

Aufgrund einer nach Inhalation rasch einsetzenden psychotropen und aphrodisierenden Wirkung wird Amylnitrit missbräuchlich in Form sogenannter „Poppers“ verwendet (siehe Abschnitt Rechtslage).

Organische Nitrite sind NO-Donatoren. In den Endothelzellen von Blutgefäßen wirkt das Stickstoffmonoxid NO durch Second-Messenger-Mechanismen muskelrelaxierend und somit gefäßerweiternd. Da die venösen Blutgefäße durch bessere enzymatische Ausstattung stärker auf NO-Donatoren reagieren, kommt es im normalen Dosisbereich zunächst zu verstärkter Durchblutung und verbesserter Sauerstoffversorgung (Rötung im Gesichtsbereich, medizinisch „Flush“). Überdosierung kann zu akutem Blutdruckabfall, im Extremfall zum Schock führen, wenn durch die Gefäßerweiterung im Körper die Blutversorgung des Gehirns nicht mehr gewährleistet werden kann.

Mutagene, toxische oder immunsuppressive Eigenschaften wurden nicht nachgewiesen. Nitrithaltige Medikamente sind grundsätzlich verschreibungspflichtig. Bei niedrigem Blutdruck ist die Verwendung von Amylnitrit kontraindiziert. Durch Kontakt von flüssigem Amylnitrit mit Schleimhäuten und Augen kann es zu Reizungen und Verätzungen kommen.

In der präparativen organischen Chemie wird Amylnitrit als Nitrosierungsmittel gebraucht. Davon zu unterscheiden ist Amylnitrat, welches wie auch andere Nitrate beispielsweise als Zündbeschleuniger für Dieselkraftstoffe verwendet wird.

Kontraindikation

Die gleichzeitige Einnahme von nitrathaltigen Medikamenten wie Nitrolingual-Spray oder NO-Donatoren mit PDE-5-Hemmern (z. B. Sildenafil, Tadalafil oder Vardenafil) ist kontraindiziert. Durch die kombinierte Wirkung auf den Blutdruck droht ein akuter lebensbedrohlicher Blutdruckabfall.

Nebenwirkungen

Unerwünschte Wirkungen können Schwindel, Benommenheit, Herzrasen, Blutdruckabfall bis zum lebensbedrohlichen Kreislaufkollaps, eingeschränkte Artikulationsfähigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, Orientierungslosigkeit, Hautrötung und Hitzewallungen sein. Es kann zu Steigerungen des Hirndruckes und des Augeninnendruckes kommen. Es wird weiterhin von gelb eingefärbter visueller Wahrnehmung direkt nach dem Konsum berichtet.

Gegenmaßnahmen bei Überdosierung

Symptomorientierte Notfallbehandlung wegen der Herz-Kreislauf-bezogenen Symptome: Bewegen der Extremitäten, Kopf tief lagern, tief ein- und ausatmen (Ziel: Venenrückfluss fördern). Adrenalin ist nicht das Mittel der Wahl, da es die Schocksymptome (Schwäche, Ruhelosigkeit, Schwitzen, Blässe, Übelkeit und Erbrechen, Harn- und Stuhlinkontinenz) verschärft.

Bezüglich einer möglichen Dyspnoe (Atemnot) ist das Antidot Methylenblau als Injektion das Mittel der Wahl, da hierdurch der Abbau des Methämoglobins, das die Dyspnoe verursacht und durch das die Nitrit-Intoxikation entsteht, beschleunigt wird. Bei gleichzeitiger Behandlung von Cyanidintoxikation ist vor dem Verabreichen des Methylenblau eine iatrogene Methämoglobinämie, die wiederum die gefährliche Cyanid-Verstoffwechselung umgehen soll, zu beachten.

Eigenschaften

3-Methylbutyl-1-nitrit (Isoamylnitrit; im Alltagsgebrauch oft einfach aber unzutreffend Amylnitrit genannt) ist eine blassgelbe, leichtbewegliche Flüssigkeit mit einer Dichte von 0,87 g·cm−3 (20 °C)[1] und einem Siedepunkt von 98–99 °C. Die Verbindung ist unbegrenzt mischbar mit den meisten organischen Lösungsmitteln, aber wenig löslich in Wasser, wird aber (besonders in Gegenwart von Basen oder Säuren) leicht verseift. Sie besitzt einen charakteristischen, süßlich-dumpfen Geruch.

Sucht

Eine physische Sucht ist nicht bekannt; die Ausbildung einer psychischen Sucht wird für möglich gehalten und soll sich in Unlust an Sex ohne Amylnitrit äußern.

Rechtslage

Amylnitrit unterliegt keinen betäubungsmittelrechtlichen Regelungen, so dass der Besitz legal ist. Jedoch sind Herstellung und Inverkehrbringen ohne Erlaubnis für die Anwendung an Mensch oder Tier in vielen Ländern verboten, da Amylnitrit als pharmakologisch wirksame Substanz unter die Definition arzneimittelrechtlicher Vorschriften (in der EU etwa der Richtlinien 2001/82/EG und 2001/83/EG[5]) fällt und durch solche geregelt wird.[6]

Einzelnachweise

  1. a b c d Datenblatt Amylnitrit bei Merck
  2. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Physical Constants of Organic Compounds, S. 3-312.
  3. a b Eintrag zu 3-Methylbutylnitrit in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA (JavaScript erforderlich).
  4. Eintrag zu „amyl nitrite“, mixed isomers im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  5. Artikel 1 Nr. 2 (b) der Richtlinien 2001/82/EG und 2001/83/EG, umgesetzt in Deutschland in § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes.
  6. Für Deutschland siehe auch: Erwin Deutsch, Rudolf Ratzel, Hans-Dieter Lippert: Kommentar zum Arzneimittelgesetz (AMG). 3. Auflage, Gabler Wissenschaftsverlage, 2010, ISBN 978-3-6420-1454-3, S. 64–66 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).