Diphenylketen

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Strukturformel
Strukturformel von Diphenylketen
Allgemeines
Name Diphenylketen
Andere Namen

2,2-Diphenylethenon

Summenformel C14H10O
Kurzbeschreibung

oranges Öl[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 525-06-4
PubChem 123069
ChemSpider 109691
Wikidata Q3028874
Eigenschaften
Molare Masse 194,23 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig

Dichte

1,1107 g·cm−3 bei 14 °C[2]

Schmelzpunkt

8–9 °C[3]

Siedepunkt
Löslichkeit

löslich in Benzol und Tetrahydrofuran[6]

Brechungsindex

1,615 (20 °C, 589 nm)[2]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung
keine Einstufung verfügbar[7]
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen. Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Diphenylketen wurde 1905 zuerst von Hermann Staudinger isoliert und als erster Vertreter der außerordentlich reaktiven Stoffklasse der Ketene[5] mit der allgemeinen Formel R1R2C=C=O (R1=R2=Phenylgruppe) identifiziert.[8] Mit den kumulierten Doppelbindungen in der Ketenstruktur R1R2C=C=O stellt Diphenylketen ein Heterokumulen dar. Die wichtigste Reaktion des Diphenylketens ist die [2+2]-Cycloaddition an C-C-, C-N-, C-O-, C-S-Mehrfachbindungen.[9]

Vorkommen und Darstellung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die erste Synthese von H. Staudinger ging aus von Chlor-diphenyl-acetylchlorid (aus Benzilsäure und Thionylchlorid[10]), aus dem mit Zink in einer Dehalogenierungsreaktion zwei Chloratome abgespalten werden.[5]

Synthese von Diphenylketen nach Staudinger
Synthese von Diphenylketen nach Staudinger

Eine frühe Synthese nutzt Benzilmonohydrazon (aus Benzil und Hydrazinhydrat[11]), das mit Quecksilber(II)-oxid und Calciumsulfat zum Mono-diazoketon oxidiert und anschließend bei 100 °C unter Stickstoffabspaltung in 58%iger Ausbeute in das Diphenylketen umgelagert wird.[12]

Synthese von Diphenylketen aus Benzilmonohydrazon
Synthese von Diphenylketen aus Benzilmonohydrazon

Eine weitere frühe Diphenylketen-Synthese stammt von Eduard Wedekind, der bereits 1901 bei der Dehydrohalogenierung von Diphenylacetylchlorid mit Triethylamin Diphenylketen erhielt, ohne es jedoch zu isolieren und zu charakterisieren.[13] Diese Variante wurde auch 1911 von H. Staudinger beschrieben.[14]

Synthese von Diphenylketen Diphenylessigsäure
Synthese von Diphenylketen Diphenylessigsäure

Eine Laborstandardvorschrift[1] basiert auf dem Staudinger-Verfahren und liefert Diphenylketen als orangefarbenes Öl in Ausbeuten von 53 bis 57 %.

In einem jüngeren Verfahren wird 2-Brom-2,2-diphenylacetylbromid mit Triphenylphosphin in Ausbeuten bis 81 % zu Diphenylketen umgesetzt.[3]

Synthese von Diphenylketen durch Debromierung
Synthese von Diphenylketen durch Debromierung

Unlängst wurde eine Synthese von Diphenylketen aus Diphenylessigsäure und dem Hendrickson-Reagenz (Triphenylphosphoniumanhydrid-Triflat, aus Triphenylphosphinoxid und Trifluormethansulfonsäureanhydrid)[15][16] unter Wasserabspaltung in 72%iger Ausbeute berichtet.[17]

Synthese von Diphenylketen Hendrickson-Reagenz
Synthese von Diphenylketen Hendrickson-Reagenz

Eigenschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Diphenylketen ist bei Raumtemperatur ein orangefarbenes bis rotes Öl – mit der Farbe konzentrierter Kaliumdichromat-Lösung[5] –, das sich mit unpolaren organischen Lösungsmitteln wie z. B. Diethylether, Aceton, Benzol, Tetrahydrofuran, Chloroform mischt[6] und in der Kälte zu gelben Kristallen erstarrt.[5] Die Verbindung wird durch Luft leicht oxidiert, kann aber in dicht verschlossenen Behältnissen bei 0 °C mehrere Wochen ohne Zersetzung[1] bzw. in einer Stickstoffatmosphäre unter Zusatz einer kleinen Menge Hydrochinon als Polymerisationsinhibitor[12] aufbewahrt werden.

Die hohe Reaktivität des Diphenylketens manifestiert sich auch in der Bildung von drei definierten Dimeren:[18]

  • das cyclische Diketon 2,2,4,4-Tetraphenylcyclobutan-1,3-dion (I) durch Erhitzen mit Chinolin
  • das β-Lacton 4-(Diphenylmethylen)-3,3-diphenyloxetan-2-on (II) durch Erhitzen mit Natriummethanolat und
  • das Tetralin-derivat 2,2,4-Triphenylnaphthalin-1,3-(2H,4H)-dion (III) durch Erhitzen mit Benzoylchlorid
Dimere von Diphenylketen
Dimere von Diphenylketen

und daraus abgeleiteten höheren Oligomeren.

Anwendungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In ihrer Konstitution wie in ihrer Reaktivität zeigen Ketene der allgemeinen Formel R1R2C=C=O viele Parallelen zu Isocyanaten der allgemeinen Formel R-N=C=O.

Diphenylketen addiert Wasser unter Bildung von Diphenylessigsäure, Ethanol zum Diphenylessigsäureethylester oder Ammoniak zum entsprechenden Amid.[5] Mit Carbonsäuren entstehen gemischte Anhydride der Diphenylessigsäure, die zur Aktivierung von geschützten Aminosäuren für die Peptidverknüpfung herangezogen werden können.

Gemischtes Anhydrid mit Diphenylketen zur Dipeptidverknüpfung
Gemischtes Anhydrid mit Diphenylketen zur Dipeptidverknüpfung

So entsteht bei der Aktivierung von Z-Leucin mit Diphenylketen und anschließender Umsetzung mit Phenylalanin-ethylester in 59%iger Ausbeute das geschützte Dipeptid Z-Leu-Phe-OEt (N-Benzyloxycarbonyl-L-leucyl-L-phenylalanin-ethylester).[19]

Diphenylketen neigt zur Autoxidation, bei der sich über ein intermediär entstehendes Diphenyl-Acetolacton bei Temperaturen über 60 °C der entsprechende Polyester bildet.[20]

Autoxidation und Polymerisation von Diphenylketen
Autoxidation und Polymerisation von Diphenylketen

In einer Wittig-Reaktion können aus Diphenylketen Allene dargestellt werden.[21]

Bildung von Tetrapehnylallen aus Diphenylketen
Bildung von Tetrapehnylallen aus Diphenylketen

Mit Triphenylphosphindiphenylmethylen und Diphenylketen entsteht z. B. bei 140 °C unter Druck Tetraphenylallen in 70%iger Ausbeute.[22]

Die synthetisch interessantesten Reaktionen des Diphenylketens sind [2+2]-Cycloadditionen, wie z. B. die Reaktion mit Cyclopentadien zu einem Diels-Alder-Addukt.[23]

Addition von Diphenylketen an Cyclopentadien
Addition von Diphenylketen an Cyclopentadien

Imine wie z. B. Benzalanilin bilden mit Diphenylketen β-Lactame

beta-Lactambildung mit Diphenylketen
beta-Lactambildung mit Diphenylketen

und mit Carbonylverbindungen entstehen analog β-Lactone.[23]

Die [2+2]-Cycloaddition von Diphenylketen mit Phenylacetylen führt zunächst zu einem Cyclobutenon, das thermisch zu einem Phenylvinylketen aromatisiert und in einer [4+2]-Cycloaddition in 81%iger Ausbeute zu 3,4-Diphenyl-1-naphthol cyclisiert.[24]

Cycloaddition von Diphenylketen zu Diphenylnaphthol
Cycloaddition von Diphenylketen zu Diphenylnaphthol

Aus dieser so genannten Smith-Hoehn-Reaktion hat sich eine allgemeine Synthesemethode für substituierte Phenole und Chinone entwickelt.[8]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c E.C. Taylor, A. McKillop, G.H. Hawks: Diphenylketene In: Organic Syntheses. 52, 1972, S. 36, doi:10.15227/orgsyn.052.0036; Coll. Vol. 6, 1988, S. 549 (PDF).
  2. a b E. Lax: D'Ans-Lax, Taschenbuch für Chemiker und Physiker, 3. Aufl. Springer, Berlin 1964, ISBN 978-3-642-49526-7, S. 2–418.
  3. a b S.D. Darling, R.L. Kidwell: Diphenylketene. Triphenylphosphine dehalogenation of .alpha.-bromodiphenylacetyl bromide. In: J. Org. Chem. Band 33, Nr. 10, 1968, S. 3974–3975, doi:10.1021/jo01274a074.
  4. William M. Haynes: CRC Handbook of Chemistry and Physics, 97th Edition. CRC Press, 2016, ISBN 978-1-4987-5429-3, S. 230 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  5. a b c d e f H. Staudinger: Ketene, eine neue Körperklasse. In: Ber. Dtsch. Chem. Ges. Band 38, Nr. 2, 1905, S. 1735–1739, doi:10.1002/cber.19050380283.
  6. a b c J.W. Leahy: Diphenylketene. In: e-EROS Encyclopedia of Reagents for Organic Synthesis. 2001, doi:10.1002/047084289X.rd421.
  7. Dieser Stoff wurde in Bezug auf seine Gefährlichkeit entweder noch nicht eingestuft oder eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  8. a b T.T. Tidwell: The first century of ketenes (1905–2005): The birth of a versatile family of reactive intermediates. In: Angew. Chem. Band 44, Nr. 36, 2005, S. 5778–5785, doi:10.1002/anie.200500098.
  9. H. Ulrich: Cycloaddition Reactions of Heterocumulenes. Academic Press, New York 1967, S. 374.
  10. F.E. King, D. Holmes: Synthetic mydriatics. Diphenylchloroacetyl chloride as a reagent for the preparation of benzylic esters of tertiary amino-alcohols. In: J. Chem. Soc. 1947, S. 164–168, doi:10.1039/JR9470000164.
  11. T. Curtius, K. Thun: Einwirkung von Hydrazinhydrat auf Monoketone und Orthodiketone. In: J. Prakt. Chem. Band 44, Nr. 2, 1891, S. 161–186, doi:10.1002/prac.18910440121.
  12. a b L.I. Smith, H.H. Hoehn: Diphenylketene In: Organic Syntheses. 20, 1940, S. 47, doi:10.15227/orgsyn.020.0047; Coll. Vol. 3, 1955, S. 356 (PDF).
  13. E. Wedekind: Ueber die Gewinnung von Säureanhydriden mit Hülfe von tertiären Aminen. In: Ber. Dtsch. Chem. Ges. Band 34, Nr. 2, 1901, S. 2070–2077, doi:10.1002/cber.190103402122.
  14. H. Staudinger: Über Ketene.XIX. Über Bildung und Darstellung des Diphenylketens. In: Ber. Dtsch. Chem. Ges. Band 44, Nr. 2, 1911, S. 1619–1623, doi:10.1002/cber.19110440258.
  15. Simon Nuß: Synthese neuer Ring-A-modifizierter Derivate des Alkaloids Luotonin A. (PDF; 2,9 MB) Universität Wien, 2012, S. 16, abgerufen am 2. April 2019 (Diplomarbeit).
  16. J.I. McCauley: Hendrickson reagent (triphenylphosphonium anhydride trifluormethane sulfonate). In: Synlett. Band 23, Nr. 20, 2012, S. 2999–3000, doi:10.1055/s-0032-1317486.
  17. Z. Moussa: The Hendrickson ‘POP’ reagent and analogues thereof: synthesis, structure, and application in organic synthesis. In: ARKIVOC. i, 2012, S. 432–490 (arkat-usa.org).
  18. H. Das, E.C. Kooyman: Oligomers of diphenylketene. In: Recl. Trav. Chim. Pays-Bas. Band 84, Nr. 8, 1965, S. 965–978, doi:10.1002/rec.19650840802.
  19. G. Losse, E. Demuth: Diphenylketen als Reagens zur Knüpfung von Peptidbindungen. In: Ber. Dtsch. Chem. Ges. Band 94, Nr. 7, 1961, S. 1762–1766, doi:10.1002/cber.19610940713.
  20. H. Staudinger, K. Dyckerhoff, H.W. Klever, L. Ruzicka: Über Autoxidation organischer Verbindungen. IV.: Über Autoxidation der Ketene. In: Ber. Dtsch. Chem. Ges. Band 58, Nr. 6, 1925, S. 1079–1087, doi:10.1002/cber.19250580618.
  21. G. Wittig, A. Haag: Über Phosphin-alkylene als olefinbildende Reagenzien, VIII. Allelderivate aus Ketenen. In: Ber. Dtsch. Chem. Ges. Band 96, Nr. 6, 1963, S. 1535–1543, doi:10.1002/cber.19630960609.
  22. G. Lüscher: Beitrag zur Konstitution der aliphatischen Diazokörper und Hydrazone. Neue organische Phosphorverbindungen. Hrsg.: Eidgenössische Technische Hochschule. Zürich 1922, doi:10.3929/ethz-a-000096667 (e-collection.library.ethz.ch [PDF]).
  23. a b H. Staudinger: Zur Kenntnis der Ketene. Diphenylketen. In: Liebigs Ann. Chem. Band 356, Nr. 1–2, 1907, S. 51–123, doi:10.1002/jlac.19073560106.
  24. L.I. Smith, H.H. Hoehn: The reaction of diphenylketene and phenylacetylene. In: J. Am. Chem. Soc. Band 61, Nr. 10, 1939, S. 2619–2624, doi:10.1021/ja01265a015.