Glockengiebel
Ein Glockengiebel (französisch: clocher-mur / englisch: bell-gable / spanisch: espadaña / katalanisch: espadanya) ist ein Element der Kirchenarchitektur vor allem in Südeuropa und im spanisch-portugiesischen Kolonialreich. Er dient bei Kirchenbauten als sparsamer Ersatz für einen Glockenturm oder Glockenstuhl, ähnlich wie ein Dachreiter. Im über den Dachfirst hinausgeführten freistehenden Mauerwerk des Giebels befinden sich bogenförmige Öffnungen, in denen die Kirchenglocken aufgehängt sind, die in der Regel von außen und unter Zuhilfenahme von langen Seilen geläutet wurden. Manche Glockengiebel scheinen auch oder hauptsächlich als Ziergiebel fungiert zu haben. Neuzeitliche, in der Funktion vergleichbare – meist freistehende – Gebäudeteile, die nicht über dem Giebel errichtet wurden, werden Glockenträger genannt.
Formen
Sowohl einfache, doppelte als auch mehrgeschossige oder breitgelagerte Glockengiebel kommen vor; im Norden Kataloniens gibt es sogar einige zinnenartige, nach oben offene Glockengiebel (z. B. die Kirchen Sant Vicenç de Vilamalla oder Sant Martí d’Empúries). Während die Innenseiten der Bögen meist undekoriert sind, verfügen die Außenseiten manchmal über – dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechende – Verzierungen in Form von kleinen Obelisken, Kugeln, Voluten etc..
Platzierung
Glockengiebel überragen zumeist die dem Chor einer Kirche gegenüberstehende westliche Giebelwand; in seltenen Fällen (z. B. bei einigen Kirchen im Südwesten Frankreichs oder im Norden Spaniens) befindet sich der Glockengiebel außen über dem Chor- oder Triumphbogen zwischen Langhaus und Apsis (z. B. Iglesia San Salvador in Tirgo). Auch längsgestellte Glockengiebel sind möglich (z. B. Iglesia San Martin in Briviesca oder Ermita Santo Cristo de San Sebastián in Coruña del Conde). Im Barock wurden einige wenige Glockengiebel in den Gesamtbaukörper integriert (siehe Pedro de Ribera); andere stehen frei neben der Kirche (Glockenwand oder Kodonostasion). Einige wenige bedeutende Kirchen verfügen sogar über zwei Glockengiebel.
Geographische Verteilung
Typische Glockengiebel finden sich nahezu ausschließlich auf Kirchen des nördlichen Mittelmeerraums; in Mittel- und Nordeuropa sind sie eher selten bzw. in ihrer Form oft verfremdet. Mit den spanischen Conquistadoren und Missionaren kamen sie auch auf die Kanarischen Inseln sowie nach Nord-, Mittel- und Südamerika und auf die Philippinen. Einer der wenigen Glockengiebel außerhalb des beschriebenen Verbreitungsraumes besitzt die St.-Johannes-Nepomuk-Kirche in Altenberge-Hansell (Nordrhein-Westfalen).
Beispiele
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Prieuré de Marcevol, Roussillon (Mitte 12. Jh.)
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San Salvador de Cantamuda, Kastilien (um 1200)
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Ermita San Miguel, Santo Toribio de Liébana, Kantabrien (13. Jh.)
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Santa María de la Oliva, Villaviciosa, Asturien (urspr. 13. Jh.)
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Notre-Dame-de-l’Assomption in Villefranche-de-Lauragais, Lauragais (um 1360)
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Saint-André in Gotein-Libarrenx, Baskenland (um 1500)
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San Millan in Villamaderne, Baskenland (um 1600)
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Portal der Kapelle des Pfand- und Armenhauses von Madrid (Monte de Piedad; 1733)
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Templo del Calvario in Chiapa de Corzo, Chiapas, Mexiko (17. und 19. Jh.)
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Seitlicher Glockengiebel der L'église Santa-Catalina de Loriani - Korsika
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St. Johannes Nepomuk in Altenberge-Hansell (NRW).
Rathäuser
Auf Profanbauten (z. B. Rathäusern) sind Glockengiebel äußerst selten; in Spanien, Portugal sowie in Mittel- und Südamerika gibt es aber einige wenige historische Beispiele. Das Glockengeläut diente hier dazu, Aufmerksamkeit zu erregen (z. B. bei Bränden, politischen Zusammenkünften, öffentlichen Bekanntmachungen, Empfang von Ehrengästen etc.). Außerdem sahen sich viele weltliche Ratsherren in einer gewissen Konkurrenzsituation zu den kirchlichen Autoritäten.
Häuser
In den Küstenstädten Mitteleuropas (Flandern, Holland, Friesland, Ostseeraum) werden Giebel mit glockenförmiger Silhouette auf repräsentativen städtischen bzw. bürgerlichen Bauten der Barockzeit ebenfalls als ‚Glockengiebel‘ bezeichnet. Sie haben jedoch mit den Glockengiebeln im engeren Sinne nichts gemein.