Großdeutsche Lösung

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Als großdeutsche Lösung der deutschen Frage wurde das in der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 diskutierte, aber verworfene Modell eines deutschen Nationalstaats unter Einschluss und Führung des Kaisertums Österreich bezeichnet. Sie stand im Gegensatz zur schließlich verabschiedeten kleindeutschen Lösung, die alle Mitglieder des Deutschen Bundes, außer Österreich, unter preußischer Hegemonie vorsah.

Von den Großdeutschen unterschieden sich die Alldeutschen. Sie sammelten sich im Deutschen Kaiserreich in dem extrem nationalistischen und antisemitischen Alldeutschen Verband.

Im 20. Jahrhundert wurde der ursprünglich von Nationalliberalen und Demokraten aufgebrachte Begriff großdeutsch zu einem Kampfbegriff gegen den Vertrag von Versailles und den Vertrag von Saint-Germain, den vor allem die rechten Parteien in Deutschland und Deutsch-Österreich verwendeten. Ihr Ziel war ein Reich, das alle Gebiete mit einer mehrheitlich deutschsprachigen Bevölkerung umfassen sollte, auch gegen den Widerstand des Auslands wie Italiens oder Frankreichs. Die Nationalsozialisten strebten hingegen nach einer imperialistischen Lösung der deutschen Frage: Unter dem NS-Regime sollten einem zu erschaffenden „Großgermanischen Reich“ zur dauerhaften Vorherrschaft über den europäischen Kontinent verholfen und dafür die betroffenen Gebiete mit „Angehörigen nichtgermanischer[1], vor allem slawischer Völker“[2] germanisiert werden.[3]

Die großdeutsche Lösung als Teil der Nationalbewegung

Jubelnde Revolutionäre nach Straßenkämpfen am 19. März 1848 in Berlin

Das Wort großdeutsch wurde erstmals vom Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung, Eduard von Simson, verwendet. Diese großdeutsche Bewegung war vor allem in den süddeutschen Ländern Baden, Württemberg, Bayern und Österreich verbreitet; ihre Anhänger waren meist liberal bis nationalliberal. Im Zusammenhang mit der Märzrevolution 1848 wurde darunter die Gründung eines deutschen Nationalstaates verstanden, der alle deutschsprachigen Gebiete des Deutschen Bundes und aus historischen Gründen (Königreich Böhmen, österreichische Kronländer Krain und Küstenland) auch Gebiete umfassen sollte, in denen Tschechen bzw. Slowenen die Mehrheit der Bevölkerung stellten. Allerdings wäre diese Vorstellung politisch nur durch eine Teilung des Kaisertums Österreich zu verwirklichen gewesen, was ohne eine gleichzeitige Revolution der Ungarn undenkbar war. Durch den negativen Verlauf der Revolution setzte sich jedoch die kleindeutsche Lösung durch, die in der Hoffnung gründete, über den König von Preußen mittels der Kaiserdeputation den Nationalstaat als Konstitutionelle Monarchie durchsetzen zu können.

Die großdeutsche Lösung der Habsburger

Deutscher Bund 1815–1866

Unter der Regierung des Habsburger Kaisers Franz Joseph I. unternahm vor allem Felix Fürst zu Schwarzenberg für Österreich einige Versuche, den Deutschen Bund bundesstaatlicher zu machen. Hauptziel war ein Großösterreich, also eine Erweiterung des Deutschen Bundes um alle Gebiete Österreichs.

Im Jahr 1863 legte Österreich die Frankfurter Reformakte vor. Die bundesstaatlichere Verfassung hätte Österreichs Führung über den Deutschen Bund bestätigt und bestärkt und es zum Führungsstaat eines großdeutschen, monarchischen, föderalen Staatenbundes in Mitteleuropa gemacht.[4]

Hätte Österreich mit seinen Verbündeten Sachsen, Bayern, Baden, Württemberg, Hannover, Hessen-Darmstadt, Kurhessen und Nassau 1866 im Deutschen Krieg gesiegt, wäre eine andere Lösung wahrscheinlich möglich geworden.

Zwischen den Weltkriegen

Das deutsche Sprachgebiet um 1910

Durch den Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie infolge des Ersten Weltkrieges war eine Vereinigung der deutschsprachigen Gebiete ihrer österreichischen Reichshälfte mit dem nun republikanischen Deutschen Reich (Weimarer Republik) möglich geworden. Sie wurde von der deutschösterreichischen provisorischen Nationalversammlung am 12. November 1918 beschlossen.

Diese Lösung wurde allerdings von den Siegermächten des Weltkrieges verhindert, die zudem Österreich verboten, sich Deutschösterreich zu nennen (→ Vertrag von Saint-Germain). Vor allem die Großdeutsche Volkspartei verfolgte im Österreich der Zwischenkriegszeit weiter den Zusammenschluss mit dem Deutschen Reich.

Nach dem im März 1938 erfolgten „Anschluss“ Österreichs an Deutschland ließ sich Adolf Hitler als Verwirklicher der großdeutschen Lösung feiern. 1943 wurde die amtliche Staatsbezeichnung des Deutschen Reiches in Großdeutsches Reich geändert.

Gegenwart

Mit der Niederlage NS-Deutschlands beschlossen die Siegermächte, Österreich wiederherzustellen. Seit 1945 gilt der Begriff „großdeutsch“ aufgrund seiner Verbindung mit dem nationalsozialistischen Deutschland als diskreditiert. Die von der Bundesrepublik Deutschland und zeitweise auch von der DDR vertretene Idee eines „Gesamtdeutschland“ entspricht heute der früheren kleindeutschen Lösung unter Verzicht auf die ehemaligen deutschen Ostgebiete.

In Österreich war die Angliederung an Deutschland seit 1945 kein politisch relevantes Thema mehr; die Moskauer Deklaration der Alliierten von 1943, der zufolge Österreich „Hitlers erstes Opfer“ war und wieder selbstständig werden sollte, entsprach voll der Stimmungslage der Bevölkerung bei Kriegsende. Im Staatsvertrag von 1955 wurde der Anschluss (wie schon 1919 im Vertrag von St. Germain) verboten. Bei der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit festigte sich seither ein eigenes österreichisches Nationalbewusstsein. Eine Minderheit (ideologische Nachfolger der Deutschliberalen und Deutschnationalen) ist weiterhin im klassischen Sinne großdeutsch orientiert.

Sowohl in Deutschland als auch in Österreich wird die Idee meist mit Rechtsextremismus bzw. Neonazismus in Verbindung gebracht, da sie u. a. von rechtsextremen Parteien wie der NPD vertreten wird. Es besteht jedoch auch eine Minderheit innerhalb der FPÖ und einigen kleineren Parteien, welche die ursprünglichen Gedanken der großdeutschen Lösung des 19. Jahrhunderts weiterverfolgen. Diese Minderheit befürwortet eine Union mit Deutschland auf der Basis des Grundgesetzes, vermeidet daher auch den belasteten Begriff „Anschluss“. In Deutschland gibt es neben rechtsextremen Gruppen auch unter freiheitlich-demokratisch gesinnten Monarchisten Befürworter der großdeutschen Lösung.

Die Existenz einer eigenständigen österreichischen Nation wird mittlerweile jedoch allgemein angenommen.

Literatur

  • Rudolf Lill: Großdeutsch und Kleindeutsch im Spannungsfeld der Konfessionen. In: Anton Rauscher (Hrsg.): Probleme des Konfessionalismus in Deutschland seit 1800, Paderborn 1984, S. 29–47.
  • Adam Wandruszka: Großdeutsche und kleindeutsche Ideologie 1840–1871. In: Robert Kann; Friedrich Prinz (Hrsg.): Deutschland und Österreich. Ein bilaterales Geschichtsbuch, Wien 1980, S. 110–142.

Einzelnachweise

  1. Zur Bedeutung siehe die Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Bd. 1, Teil 1, RKF 15680 – K 101 13763 f. (722), hrsg. von Helmut Heiber, Institut für Zeitgeschichte, Oldenbourg, München 1983, S. 671.
  2. Nach der im Sinne der NS-Rassenideologie letztgenannten Gruppe, s. Gertraud Eva Schrage in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands, Bd. 54, De Gruyter Saur, München 2008, 210 f.
  3. Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, Bd. 2, C.H. Beck, München, 4., durchgesehene Auflage 2002, S. 77 f., 87; Der Spiegel 45/2008 vom 3. November 2008.
  4. Fritz Molden: Die Österreicher oder Die Macht der Geschichte, 2. Auflage, Langen Müller, München 1987, S. 154.

Weblinks