Hyperbolische Paraboloidschale

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Hyperbolisches Paraboloid mit Parabeln (schwarz) und Geraden (rot, blau). Bei horizontalen Schnitten entstehen Hyperbeln (nicht gezeichnet)

Die hyperbolische Paraboloidschale, auch HP-Schale (Herbert Müller) oder Hyparschale (Ulrich Müther) genannt, ist eine Sonderform im modernen Dachbau. Es handelt sich um eine regelmäßig doppelt-gekrümmte Fläche, die sowohl Hyperbeln und Parabeln als auch Geraden enthält. Diese Schalenform wird auch „Sattelfläche“ genannt und ist nicht mit einem konventionellen Satteldach zu verwechseln. Als Baustoff für das Tragwerk werden Stahlseile eingesetzt, da erst damit die erforderlichen Zugkräfte bei großen Gebäuden geschaffen werden können. Für die Dachdeckung kommen die unterschiedlichsten Materialien zum Einsatz.

Geschichte

1928 meldete die Ingenieurin Tatjana M. Markova ein sowjetisches Patent über Dächer an, deren Geometrie den Regeln des hyperbolischen Paraboloids folgten.[1] [2]

Das erste Schalentragwerk aus Stahlbeton in der Form eines hyperbolischen Paraboloids entwickelte und realisierte in den 1930er Jahren Fernand Aimond (1902–1984). Aimond entwickelte schon 1932 eine Theorie der HP-Schale und entwarf von 1934 bis 1939 mehrere HP-Schalen aus Stahlbeton für Flugzeughangare und Werkstattdächer für Flugplätze.[3] Neben Aimond sind als weitere Pioniere Giorgio Baroni, Konrád Hruban (1893–1977), Félix Candela und Herbert Müller zu nennen.[4]

Dachkonstruktionen

In der modernen Architektur wird das hyperbolische Paraboloid nahezu vollständig als Dachtragwerk eingesetzt. Eine (runde oder eckige) Fläche wird von zwei gegenüberliegenden Tiefpunkten symmetrisch nach unten gekrümmt, während zwei Hochpunkte diese gebogene Fläche gegenläufig nach oben krümmen.

Bei dieser Dachform wird die Dachlast (First und Sparren) nicht mehr von Wänden getragen, hier kann die Last auch von der Schale selbst getragen werden - das Dach trägt sich selbst durch Spannbetonseile. Es wird auch Schalentragwerk genannt. Werden die beiden Tiefpunkte durch ein Stahlseil unterhalb des Bauwerks zusammengespannt, so erhält das Dach noch einmal eine höhere Standfestigkeit. Das Regenwasser fließt nicht mehr in einer Traufe ab, sondern sammelt sich an den Tiefpunkten des Daches.

Bautypen

Im Bereich der HP-Schalen lassen sich mehrere Bautypen unterscheiden. Vorwiegend sind es rechteckige Dächer wie die von Ulrich Müther (Hyparschale in Magdeburg oder das Restaurant Ostseeperle in Glowe). In West-Deutschland sind es zum Beispiel die Friedrich-Ebert-Halle in Ludwigshafen am Rhein, die Kirche St. Hildegard in Limburg an der Lahn und die Alsterschwimmhalle in Hamburg.

An Bauwerken mit runden Dächern aus HP-Schalen ist in der Baugeschichte zuerst die Dorton Arena zu nennen, deren Dach aus einem Stahlseilnetz besteht, das wiederum an zwei halbrunden Spannbetonträgern eingehängt und getragen wird. Weitere Beispiele sind die Kongresshalle (Berlin), der Teepott in Rostock und die Ice Aréna in Prešov.

Herbert Müller arbeitete mit langen Stahlbetonfertigteilen aus Halbröhren, die in vertikaler Richtung nur ganz leicht gekrümmt waren. Diese Halbröhren legte er nebeneinander zusammen, so dass seine Dächer eine Wellenform bildeten. Im Unterschied zu ebenen Stahlbetonträgern wird hier durch die leichte vertikale und starke horizontale Krümmung eine höhere Knick- und Biegesteifigkeit erreicht und erfordert daher weniger Material. Müller konnte damit viele Sonderbauten in der DDR ausstatten wie etwa den Pavillon am Petersberg bei Halle.[5] Eine seltene Verwendung von Müllers nur leicht doppelt gekrümmten Betonfertigteilen ist eine 45 Meter lange Fußgängerbrücke („Blaue Brücke“) in Halle (Saale) nahe am Riebeckplatz (1971), deren Brückenteil aus drei Halbröhren aus Stahlbeton getragen wird.[6]

Das Hallenbad Faulerbad in Freiburg im Breisgau hat als Variante mehrere Paraboloidschalen mit einer Dachdeckung aus Holz.

Literatur

Weblinks

Commons: Hyperbolic roofs – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Karl-Eugen Kurrer: Geschichte der Baustatik. Auf der Suche nach dem Gleichgewicht. 2., stark erweiterte Auflage. John Wiley & Sons, Berlin 2016, ISBN 978-3-433-03134-6, Belegstelle.
  2. Anke Zalivako: Die Bauten des Russischen Konstruktivismus Moskau 1919–32. Baumaterialien – Baukonstruktion – Erhaltung. In: Johannes Cramer und Dorothée Sack (Hrsg.): Berliner Beiträge zur Bauforschung und Denkmalpflege. Band 9. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2012, ISBN 978-3-86568-716-6, S. 326.
  3. Bernard Espion: Pioneering hypar thin shell concrete roofs in the 1930s. In: Beton- und Stahlbetonbau. 111. Jahrgang, Nr. 3. Ernst & Sohn, Berlin 2016, S. 159–165.
  4. Jürgen Joedicke: Schalenbau. Konstruktion und Gestaltung. Karl-Krämer-Verlag, Stuttgart 1962, S. 11.
  5. Geschichtliches über den Pavillon Petersberg. In: pavillon-petersberg.de, aufgerufen am 9. September 2016.
  6. Enrico Seppelt: Blaue Brücke: Ampel über die Merseburger Straße soll kommen. In: hallespektrum.de, 28. Januar 2013, aufgerufen am 4. Oktober 2016.
      Fotoserie: Fußgängerbrücke am Riebeckplatz. In: mapio.net, aufgerufen am 4. Oktober 2016.
      Fotoserie: Blaue Brücke. In: halle-im-bild.de, 31. März 2015, aufgerufen am 4. Oktober 2016.