Lahn (Stadt)

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Wappen der Stadt Lahn
Tagesstempel Hauptpost in Wetzlar (6300 Lahn 2)

Lahn[1] war eine Stadt in Hessen, die von 1977 bis 1979 (31 Monate lang) Bestand hatte. Wichtigste Teilgemeinden der Großgemeinde waren die Städte Gießen und Wetzlar. Zur Unterscheidung vom namensgebenden Fluss, der Lahn, wurde sie auch als Stadt Lahn bezeichnet.[2] Die Stadt Lahn hatte 1977 etwa 156.600 Einwohner.

Entstehung und Auflösung

Die Stadt wurde zum 1. Januar 1977 im Zuge der Gebietsreform in Hessen als kreisfreie Stadt gebildet.[3] Sie hatte rund 156.000 Einwohner und war gleichzeitig Verwaltungssitz des damals durch Vereinigung des Dillkreises mit den Landkreisen Gießen und Wetzlar neu gegründeten Lahn-Dill-Kreises. Die Stadt umfasste die frühere kreisfreie Stadt Gießen, die Stadt Wetzlar sowie die Gemeinden Atzbach, Dutenhofen, Garbenheim, Hermannstein, Heuchelheim (Landkreis Gießen), Krofdorf-Gleiberg, Launsbach, Lützellinden, Münchholzhausen, Nauborn, Naunheim, Steindorf, Waldgirmes und Wißmar. Nach Bürgerprotesten löste man die Großgemeinde mit Wirkung vom 1. August 1979 wieder auf.[4] Bleibendes Resultat war für Gießen der Verlust der einstigen Kreisfreiheit.

Gliederung

Bei der inneren Gliederung des Stadtgebietes war man von den Regelungen der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) abgewichen. Stattdessen teilte man in Anlehnung an die nordrhein-westfälische Kommunalverfassung das Gebiet in Stadtbezirke ein.

Lahn besaß 23 Stadtteile in sechs Stadtbezirken:

Widerstand und Auflösung

Hessens damaliger Ministerpräsident, der Gießener Albert Osswald (SPD), hatte die neue Großstadt zunächst noch als „Jahrhundertwerk“ bezeichnet: Sie sollte die mittelhessische Region gegenüber den beiden Zentren Frankfurt und Kassel stärken. Doch wegen des heftigen Widerstands der Bevölkerung gegen den Zusammenschluss wurde die Stadt zum 31. Juli 1979 wieder aufgelöst. Seither besteht das ehemalige Stadtgebiet aus den wieder entstandenen Städten Gießen und Wetzlar sowie den drei Gemeinden Heuchelheim, Lahnau und Wettenberg. Der Lahn-Dill-Kreis blieb erhalten (Kreisstadt wurde Wetzlar), verlor aber das Gebiet des Landkreises Gießen, der wieder errichtet wurde. Das ehemals kreisfreie Gießen wurde Kreisstadt dieses Landkreises.

Nicht nur die Abneigung der Bevölkerung vor allem im Stadtteil Wetzlar gegen die Stadt Lahn war ein Grund für die kurze Lebensdauer der künstlichen Großstadt. Im Gegensatz zu vielen anderen vereinten Städten bestand keine eindeutige zentrale Funktionsorientierung. Lahn hatte zwei Stadtkerne, die nebeneinander existierten und konkurrierten. Lahn-Gießen war Verwaltungs-, Universitäts- und Einkaufszentrum, während Lahn-Wetzlar industrielles Zentrum (im Stadtteil nördlich der Lahn), Einkaufszentrum und die Altstadt – südlich der Lahn – touristisches Ziel war. Die beiden Kerne lagen etwa 15 Kilometer auseinander, dazwischen (heutige Gemeinden Heuchelheim und Lahnau) lagen eher dünn besiedelte Bereiche mit dörflich geprägten Ortsteilen. Dies machte eine Vernetzung und Differenzierung der Funktionen sehr schwierig.

Die Einwohner Wetzlars befürchteten vom größeren Gießen strukturell erdrückt zu werden und zu einer „Schlafstadt“ zu verkommen. Schon die Postanschrift bestärkte dieses Gefühl: Die Stadt Lahn erhielt die Gießener Postleitzahl 6300. Briefe nach Gießen wurden mit „ 6300 Lahn 1“ adressiert, Briefe nach Wetzlar mit „6300 Lahn 2“. In der Bevölkerung wurde befürchtet, dass die Stadtteile zwischen Gießen und Wetzlar durch eine starke Ausweitung der Bauflächen ihres Charakters beraubt werden könnten und die Verkehrsbelastung zwischen beiden Städten steigen würde.

Auch der Stadtname „Lahn“ wurde rückblickend als unglücklich empfunden: Zunächst war die Kombination „Gießen-Wetzlar“ geplant gewesen, später fiel die Wahl auf „Lahn“, damit die beteiligten Dörfer ihren Namen anhängen konnten. Viele Bürger empfanden den Namen jedoch als geschichtslos. Auf vielen Autos klebte der Spruch „Wenn ich Lahn seh, krieg ich Zahnweh“. „Unter einer Lotte in Lahn kann ich mir nichts vorstellen“, sagte der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, auf Goethes Lotte und Thomas MannsLotte in Weimar“ anspielend.

Bei der Deutschen Bundesbahn war es nicht möglich, eine Fahrkarte nach Lahn zu erwerben, da die bestehenden Bahnhöfe ihre alten Namen behielten und der neue Stadtname damit nicht im Streckennetzplan aufgeführt war.

Vor allem für die SPD, die die Reform maßgeblich vorangetrieben hatte, blieben die Auseinandersetzungen um die Lahnstadt nicht ohne Folgen: Bei der Kommunalwahl im März 1977 wurden viele SPD-Politiker nicht mehr gewählt, sondern durch Christdemokraten, die als erklärte Gegner der Lahn-Stadt zur Wahl antraten, ersetzt. In Lahn gelang der Union bei den Kommunalwahlen in Hessen 1977 ein Erdrutschsieg. Die CDU erzielte einen Zuwachs von 30,2 Prozentpunkten und kam auf insgesamt 50,7 Prozent.[5] 1977 wurde Wilhelm Runtsch (CDU) zum Oberbürgermeister von Lahn gewählt. Dieser starb bereits am 20. August. Sein Nachfolger wurde Hans Görnert[6], der nach Auflösung der Stadt Lahn bis 1986 Oberbürgermeister von Gießen blieb.

Bereits 31 Monate nach ihrer Gründung wurde die Stadt Lahn wieder aufgelöst.

Verlierer war am Ende vor allem die Stadt Gießen: Sie büßte ihre Kreisfreiheit ein und erhielt lediglich die ehemals selbständige Gemeinde Lützellinden hinzu, da die Stadt bereits vorher Eingemeindungen hatte vornehmen können. Zum Ausgleich siedelte die Regierung 1981 das Regierungspräsidium für Mittelhessen in Gießen an. Wetzlar dagegen ging mit der Eingemeindung von acht Umlandgemeinden, die ohnehin bereits bis auf drei (Dutenhofen, Münchholzhausen und Blasbach) fest mit der Stadt verwachsen waren, gestärkt aus der gescheiterten Fusion hervor.

Vergleich mit anderen Fusionen

In Baden-Württemberg wurden im Zuge der Gemeinde- und Kreisreform die beiden Mittelstädte Villingen im Schwarzwald (früher badisch) und Schwenningen am Neckar (früher württembergisch) zu Villingen-Schwenningen vereinigt. Diese Doppelstadt besteht weiterhin, der Prozess des Zusammenwachsens dauert aber noch an.

Kraftfahrzeug-Kennzeichen seit 1990

Lahn erhielt den Buchstaben „L“ als Kfz-Kennzeichen. Dieser Buchstabe war ursprünglich für den Fall einer Wiedervereinigung für die Stadt Leipzig reserviert worden (siehe: Ostzonenverzeichnis der deutschen Kfz-Kennzeichen). Das Vorgehen wurde von manchen Kritikern als Provokation seitens der sozialliberalen Bundesregierung aufgefasst. Manche sahen darin gar eine De-facto-Anerkennung der deutschen Teilung.

Nach der Auflösung Lahns behielt der neu entstandene Lahn-Dill-Kreis zunächst das „L“-Kennzeichen. Als die deutsche Wiedervereinigung 1990 aber doch Wirklichkeit wurde, wurde das Kennzeichen, wie ursprünglich geplant, an Leipzig abgegeben. Der Lahn-Dill-Kreis vergibt seit Herbst 1990 das Kennzeichen „LDK“. 2012 erhielt die Stadt Wetzlar wieder die Kfz-Kennzeichnung „WZ“. Seit dem 1. Mai 2014 können Bewohner des Lahn-Dill-Kreises (mit Ausnahme solcher, die im Stadtgebiet Wetzlar wohnen) auch wieder das alte „DIL“-Kennzeichen anmelden; „LDK“ bleibt weiterhin.[7]

Alte Kraftfahrzeuge aus Lahn und dem Lahn-Dill-Kreis behielten das „L“-Kennzeichen, sodass diese nur anhand der Erkennungsnummern von solchen aus Leipzig zu unterscheiden sind. Um sich insbesondere gegenüber Außenstehenden, bei denen keine Kenntnis der Erkennungsnummern vorausgesetzt werden konnte, von Leipzigern abzuheben, verwendeten einige Fahrzeughalter einen Aufkleber mit dem Text „L – aber nicht aus Leipzig!“[8]

Kuriosum

Obwohl bereits 1979 wieder aufgelöst, lebte der Begriff der Stadt Lahn in – auch offiziellen – Kartenwerken noch geraume Zeit fort, so ist beispielsweise in der „Karte der Hessischen Forstämter“ mit dem Stand 1. Januar 1985 noch der Forstamtsbezirk Lahn verzeichnet.

Persönlichkeiten

Literatur

  • Johannes Koenig: Verwaltungsreform in Hessen (1945–1981). Ziele – Strategien – Akteure. Darmstadt, Marburg 2006 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 151). Zur Stadt Lahn v. a. S. 350–475.

Einzelnachweise

  1. Gesetz zur Bildung der Stadt Lahn
  2. Artikel im Gießener Anzeiger, abgerufen 2. Februar 2014
  3. Gesetz zur Neugliederung des Dillkreises, der Landkreise Gießen und Wetzlar und der Stadt Gießen, vom 13. Mai 1974, GVBl. I S. 237
  4. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Historisches Gemeindeverzeichnis für die Bundesrepublik Deutschland. Namens-, Grenz- und Schlüsselnummernänderungen bei Gemeinden, Kreisen und Regierungsbezirken vom 27. 5. 1970 bis 31. 12. 1982. W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart und Mainz 1983, ISBN 3-17-003263-1, S. 346.
  5. Werner Wolf: Neubeginn und Kampf um die Mehrheit. Die CDU Hessen unter Alfred Dregger 1967–1982; in: Bernd Heidenreich und Werner Wolf: Der Weg zur stärksten Partei 1945–1995 / 50 Jahre CDU Hessen, Wiesbaden 1995, ISBN 3-8046-8827-6, Seite 59-93
  6. Auflösung der Lahn-Stadt vor 30 Jahren, Frankfurter Rundschau online vom 30. Juli 2009, abgerufen am 6. April 2011
  7. JÖRGEN LINKER: "DIL liegt mir am Herzen". VERKEHR Hundert warten vor der Zulassungsstelle auf das neue Kennzeichen. In: Dill-Post. 2. Mai 2014, abgerufen am 15. Mai 2014.
  8. Ramona Vogel, Enrico Dix: Wie Lahn das „L“ von Leipzig nahm. Rückblick: Ein Autokennzeichen schrieb ein Kapitel deutsch-deutscher Geschichte. In: Das Parlament, Nr. 51, 20. Dezember 2010, abgerufen 27. August 2013.

Koordinaten: 50° 34′ N, 8° 35′ O