Lorenz Jäger

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Lorenz Jäger (* 6. Juni 1951 in Bad Homburg vor der Höhe) ist ein deutscher Soziologe, Germanist und Journalist.

Leben

Lorenz Jäger studierte nach dem Abitur Soziologie und Germanistik an der Philipps-Universität Marburg und der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. In Marburg habe zu seiner Studienzeit, so Jäger 2009, ein heute kaum noch vorstellbares „Klima des dogmatischen Marxismus“ geherrscht, in dem lediglich vier Professoren „Inseln der Seligen“ bildeten: der Soziologe Heinz Maus, der Germanist Heinz Schlaffer, der Kunsthistoriker Martin Warnke und der Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott.[1] Jäger legte bei dem Horkheimer-Schüler Maus 1978 die Prüfung zum Diplomsoziologen in Marburg ab.

1985 wurde er in Germanistik an der Universität Frankfurt am Main mit der Dissertation Messianische Kritik: Studien zu Leben und Werk von Florens Christian Rang zum Dr. phil. promoviert. Im Anschluss war er an der Kent State University in Ohio tätig. Von 1985 bis 1988 lehrte er an der Hokkaido University in Sapporo (Japan). 2002 war er Gastwissenschaftler am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) in Berlin[2] und 2008 Visiting Fellow am German Studies Department der Division of Literatures, Cultures, and Languages der Stanford University in Kalifornien[3].

1997 wurde er Redakteur im Ressort Geisteswissenschaften der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit 2009 schreibt er auch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung eine Kolumne über religiöse Themen, die 2010 in einem Buch erschienen. Seit dem 1. April 2015 leitet er das Ressort Geisteswissenschaften.[4]

Er war Juror u.a. beim Geschwister-Scholl-Preis und beim Theodor-W.-Adorno-Preis.

Lorenz Jäger ist mit einer Japanerin verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Frankfurt am Main.

Werk

Seine 2003 erschienene Biographie Theodor W. Adornos wurde sehr unterschiedlich beurteilt. Hilal Sezgin kritisierte, die Biografie sei „gehässig“ geschrieben und enthalte kaum ein freundliches Wort über Adorno.[5] Die 3sat-Kulturredakteurin Katharina Kleppe bemerkte, Jäger versammle „allerlei Despektierlichkeiten“ über Adorno. „Ein wenig mehr Empathie hätte Lorenz’ Biographie gut zu Gesicht gestanden – der idealerweise um Neutralität bemühten Ausgewogenheit des Biographen zuliebe.“[6] Der Berichterstatter der dpa stellte fest: „Jägers kritische Darstellung führt letztlich dazu, dass er kaum ein gutes Haar an Adorno lässt. Nicht nur, dass der Verfasser ausgiebig Adorno-Kritiker wie Bertolt Brecht zu Wort kommen lässt, er hält auch die Aktualität des Vordenkers der Kritischen Theorie spätestens mit dessen Todesjahr für gänzlich erloschen. ... Bei soviel Distanz mag man sich am Ende fragen, warum Jäger überhaupt ein Buch über Adorno geschrieben hat.“[7] Jägers Biographie stehe „dem Projekt einer kritischen Gesellschaftstheorie ... nicht sehr freundlich gegenüber“, konstatierte der Philosoph Johan Frederik Hartle. „Von Solidarität mit der Kritischen Theorie Adornos finden sich in seinem Buch nur sehr wenige Spuren.“[8] Jörg Lau nannte das Buch hingegen eine „meisterliche Biographie“.[9] Daneben beschäftigt sich Jäger auch immer wieder mit Leben und Werk Walter Benjamins.

Jäger steht nach Ansicht des Germanisten Mario Scalla in geistiger Nähe zu dem „konservativen Anti-Modernisten“[10] Martin Mosebach,[11] dessen Buch Häresie der Formlosigkeit er 2002 lobte.[12] Er äußerte Verständnis für Marcel Lefebvre, dessen Weg er aus der Erfahrung mit dem militanten Laizismus Frankreichs erklärt.[13] und urteilte über die Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe der Piusbruderschaft: „Der Weg der Kirche zum Frieden mit ihrer eigenen Tradition ist jedenfalls eingeschlagen, das neue Dekret ist ein zweiter Schritt nach dem ersten des ‚Motu proprio‘ zur alten Messe.“[14] Die rechtskonservative Wochenzeitung Junge Freiheit lobte Jägers Haltung zur Piusbruderschaft.[15] Jägers Katholizismus-Bild ist streng dualistisch: „Es gibt einen Katholizismus, der von seinen Traditionen nicht lassen will, und einen der mehr oder weniger militanten Modernisierung.“[16] Für die Piusbruderschaft schrieb er einen Artikel zur Geschichte der Freimaurer, der er auch das Buch Hinter dem Großen Orient. Freimaurerei und Revolutionsbewegungen widmete.[17]

Jäger rezensierte das Buch Die Holocaust-Industrie von Norman Finkelstein positiv[18] und ist ein Gegner des EU-Beitritts der Türkei.[19]

Der Philosoph Jürgen Habermas warf Jäger in einem Beitrag für die FAZ vor, „als Rechtsaußen der Feuilleton-Redaktion einschlägig bekannt“ zu sein.[20] Thorsten Thaler, stellvertretender Chefredakteur der Jungen Freiheit, schrieb über Jäger: „Lorenz Jäger gehört in der deutschen Journalistenzunft zum kleinen Häuflein derer, die kaum je ein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es darum geht, Sachverhalte zu beschreiben oder die eigene Haltung zu markieren; seine Texte zählen zu den interessantesten und besten, die das Feuilleton der FAZ nach diversen personellen Aderlässen noch zu bieten hat.“[21]

2006 veröffentlichte Jäger eine Kulturgeschichte des Hakenkreuzes. Der Historiker Bernd Buchner, ein Schüler von Helmut Berding, zeigte sich entsetzt: „Jägers Buch ist eine Hakenkreuz-Apologie. Er macht sich darin nicht einmal die Mühe, das völkische und von den Nationalsozialisten freudig aufgegriffene Gegensatzpaar ‚Arier‘ – ‚Jude‘ als das zu bezeichnen, was es ist, nämlich als historisch und wissenschaftlich unhaltbar.“ Jäger erwecke „den Eindruck, als bedauere er die Tabuisierung des Symbols nach dem Zweiten Weltkrieg und wünsche sich eine Art Revival.“[22]

2009 kritisierte Jäger auf der Titelseite der FAZ die Entscheidung, den Hessischen Kulturpreis nicht an den Schriftsteller und Islamwissenschaftler Navid Kermani zu verleihen, bzw. diese Verleihung zu widerrufen.[23] Er ist Kritiker der amerikanischen Neokonservativen und des islamfeindlichen deutschen Blogs Politically Incorrect, dem er einen "Extremismus der Mitte" vorwirft.[24]

2012 erschien sein Buch Signaturen des Schicksals im Verlag Matthes & Seitz.[25]

Zu den Thesen des Historikers Ernst Nolte, der 1986 den Historikerstreit auslöste, sagte Jäger in einem Focus-Interview, dieser habe „sich mit dem Kern seines Arguments auf stille Weise durchgesetzt“.[26] Im Januar 2013 erschien von Jäger in der FAZ ein Artikel zu Noltes 90. Geburtstag.[27]

Kontroverse

Am 5. Oktober 2011 erschien in der FAZ Jägers Artikel Adieu, Kameraden, ich bin Gutmensch, mit dem er sich klar von den Neuen Rechten distanziert: „Nein, ich bin nicht mehr dabei, please count me out. Es war eine schöne Zeit, diese vergangenen zehn Jahre unter Rechten, ich gestehe es. Vor allem aber war sie bequem.“[28] Dieser Artikel wurde von verschiedener Seite sehr unterschiedlich bewertet. So schreibt ihn der Autor Rudolf Maresch des Online-Magazin Telepolis weiterhin dem Konservatismus zu, differenziert diesen aber von rechtem Gedankengut.[29] Götz Kubitschek von der rechten Zeitschrift Sezession hingegen kommentiert: „Jäger hat den Ernst der Lage nie begriffen, er hat unseren Ernst nie begriffen und hat die weiße, zähe Wurzel der Orange nie freigelegt: jene Überzeugung, daß es für uns Deutsche ein „Wir“ und ein „Nicht-Wir“ gebe (…).“[30] Weiter äußert sich die Junge Freiheit: „'(…) Adieu, Kameraden, ich bin ein Gutmensch', ruft er scheinbar lässig und versucht, sich die selbstgefällig-ironische Haltung abzuquälen, die in seinem linksliberalen Umfeld zum guten Ton gehört (…).“[31] Die dem linken Spektrum zugeordnete tageszeitung diagnostiziert dagegen: „Bei Lorenz Jäger (…) darf man seriöse Motive vermuten“, kritisiert aber dessen Annahme, der Konservatismus sei „zu einer Ideologie (...) der Kriegsverkäufer geworden“, was dieser immer gewesen sei.[32][28]

Veröffentlichungen

Monografien

Herausgeberschaften

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Lorenz Jäger: Geheimes Marburg. Zum Tode des Literaturwissenschaftlers Gert Mattenklott. In: FAZ. 6. Oktober 2009, S. 27.
  2. Dr. Lorenz Jäger, zfl-berlin.org, abgerufen am 16. August 2016.
  3. Lorenz Jäger of the Frankfurter Allgemeine Zeitung to teach at Stanford, dlcl.stanford.edu, abgerufen am 16. August 2016.
  4. FAZ, 12. März 2015, Seite 11.
  5. Hilal Sezgin: Ein Wunderkind wird erwachsen. Zu seinem 100. Geburtstag versuchen drei ganz unterschiedliche Temperamente, ein Bild von Adornos Leben, Intellekt und Persönlichkeit zu zeichnen. In: Frankfurter Rundschau. 20. August 2003.
  6. 3sat.de
  7. Biografien konkurrieren um das „richtige“ Adorno-Bild. In: Südkurier. 11. September 2003.
  8. Der allgegenwärtige Teddie. Theodor W. Adorno zum Hundertsten. In: literaturkritik.de. Nr. 9, September 2003.
  9. dradio.de
  10. Der Titel stammt von dem Germanisten Mario Scalla. Vgl. M. Scalla: Mitleid. Martin Mosebach rettet den König. In: Freitag. 2. November 2007.
  11. Vgl. z.B. Lorenz Jäger: Die Würde eines deutschen Revolutionärs. In: FAZ. Nr. 251, 29. Oktober 2007, S. 33; L. Jäger: Die Modernität des Martin Mosebach. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 24. November 2007, S. 1.
  12. perlentaucher.de
  13. Kirche, Kampf und Laizismus.
  14. Pius-Bruderschaft: Messe und Maße. Die Pius-Bruderschaft gehört zu den traditionalistischen Kräften innerhalb der katholischen Kirche. Ihr Widerspruch gegen die Entwicklung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatte zu ihrer Exkommunikation geführt. Jetzt hat Papst Benedikt XVI. sie aufgehoben, obwohl ein Bischof in ihren Reihen den Holocaust geleugnet hatte. In: faz.net. 26. Januar 2009.
  15. Ohne Scheuklappen. In: Junge Freiheit. 20. Februar 2009.
  16. Lorenz Jäger: Passionen. In: FAZ. Nr. 178, 4. August 2003.
  17. Lorenz Jäger: Hintergründe zur Freimaurerei in der Politik. In: pius.info. 2. November 2012.
  18. Lorenz Jäger: Der Verdacht. Finkelsteins Moment: Streit um „Holocaust Industry“. In: FAZ. 19. August 2000; L. Jäger: Die Antwort. Norman G. Finkelstein und die Jewish Claims Conference. In: FAZ. 26. August 2000; L. Jäger: Finkelstein II. Auch „Commentary“ kritisiert die Entschädigungspolitik. In: FAZ. 31. August 2000; L. Jäger: Falsche Leser. Der Schwarze Peter geht um: Finkelstein, für die anderen. In: FAZ. 13. September 2000.
  19. Vgl. L. Jäger: Auf allen Karten abseits. Europa und die Türkei: Die Unlogik der Beitrittsverhandlungen. In: Claus Leggewie (Hrsg.): Die Türkei und Europa. Die Positionen. Frankfurt am Main 2004; L. Jäger: Recht auf Klarheit. Wer zieht die Notbremse? Angela Merkel in der Türkei. In: FAZ. 17. Februar 2004, S. 33. In dem letzten Artikel warnt Jäger: „Ein Beitritt der Türkei, der ihren Bürgern die freie Wahl des Wohnsitzes in Europa ermöglichte, wäre nichts Geringeres als eine kulturelle Katastrophe“.
  20. J. Habermas: In unverkennbar aggressiver Tonlage. Aus aktuellem Anlaß: Erinnerungen an die „Szondi-Affäre“ in Frankfurt. In: FAZ. 12. Juli 2005.
  21. Thorsten Thaler: Kaltgestellt. Unrühmliche Rolle: Ernst Nolte und die „FAZ“. In: Junge Freiheit. 18. Januar 2008.
  22. hsozkult.geschichte.hu-berlin.de
  23. Lorenz Jäger: Lammert: Fall Kermani eine Staatsposse. In: FAZ. Nr. 113, 16. Mai 2009, S. 1.
  24. Lorenz Jäger: Der militärisch-ideologische Komplex. In: Internationale Politik. 5, Mai 2008, S. 52–61.
  25. Artikel-Ansicht zu Signaturen des Schicksals auf den von Matthes & Seitz, abgerufen am 9. Januar 2013.
  26. Lorenz Jäger: „Eine frivole Frage“. Der Sachbuchautor Lorenz Jäger beschreibt das historische Schicksal (und den ästhetischen Wert) des Hakenkreuzes. In: Focus. Nr. 7, 2007. Vgl. auch L. Jäger: Vom Stil historischer Erkenntnis. Zur Frage, auf die der Faschismus eine Antwort geben wollte: Ernst Nolte zum 85. Geburtstag. In: FAZ. 11. Januar 2008; L. Jäger: 1923 – Entscheidungsjahr einer Epoche (Deutschlandradio, 1. September 2006).
  27. Lorenz Jäger: Ernst Nolte. Vernichtung denken. Ein philosophierender Historiker im Widerstreit. In: FAZ. 7. Januar 2013, S. 32.
  28. a b Lorenz Jäger: Adieu, Kameraden, ich bin Gutmensch. In: FAZ. Nr. 231, 5. Oktober 2011, S. 29.
  29. Ein Gutmensch mehr! In: Telepolis. auf heise.de, 18. Oktober 2011, abgerufen am 9. Januar 2013.
  30. Götz Kubitschek: Waren wir mal „Kameraden“, Lorenz Jäger? auf: sezession.de, 10. Oktober 2011, abgerufen am 9. Januar 2013.
  31. Der Aussteiger (Memento vom 16. November 2011 im Internet Archive). In: Junge Freiheit. 13. Oktober 2011.
  32. Konservative schaffen sich ab. tageszeitung, taz.de, veröffentlicht am 6. Oktober 2011, abgerufen am 9. Januar 2013.