Pleistocene Rewilding

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Rekonstruierte Mammutsteppe von Mauricio Anton

Pleistocene Rewilding, oder nur Rewilding, ist ein Begriff, der vor allem im Englischen verwendet wird und die Renaturierung von Naturgebieten mittels der Wiedereinführung der in der jeweiligen Region ehemals vertretenen Megafauna bezeichnet. Dies geschieht basierend auf der Annahme, dass vom Menschen ausgerottete oder aus der Wildnis verdrängte Arten, insbesondere Großtiere, einen wichtigen Beitrag zu der Funktionalität ihres Ökosystems leisteten und deren Wiedereinführung daher essentiell für eine authentische Dynamik in den jeweiligen Arealen sei. Dies wird als sogenannte Megaherbivorenhypothese bezeichnet. Teilweise abhängig ist die argumentative Legitimation der Wiedereinführung von im Pleistozän lokal ausgestorbenen Arten bzw. deren Ersatz vom Zutreffen der Overkill-Hypothese, welche den Menschen als die Hauptursache für die Pleistozäne Aussterbewelle sieht[1].

Hintergrund

Im Dovrefjell-Sunndalsfjella-Nationalpark wieder eingeführter Moschusochse

Die heutige Landwirbeltier-Fauna entstand unter dem Einfluss einer einst auf beinahe allen Kontinenten präsenten Megafauna, dem Großwild. Nicht nur standen Räuber und Beute in einer Dynamik zueinander, sondern auch große Herbivoren zu den von ihnen laut Megaherbivorenhypothese geprägten oder beeinflussten Landschaftstypen. Sofern die Overkill-Hypothese allgemein zutrifft, wären der Wegfall der Megafauna und die damit entstandenen ökologischen Veränderungen ein unnatürlicher Zustand, welcher die bereits reduzierte Biodiversität bedroht [2][3][4]. Die Wiedereinführung oder teilweise Ersetzung der Megafauna hätte folgende Vorteile:

  • Praktische Testung der Megaherbivorenhypothese. Bislang ist es offen, ob Beweidung durch große Pflanzenfresser Gebiete langfristig offenhalten oder Wälder öffnen kann [5].
  • Artenschutz: Die Wiedereinführung von eventuell bedrohten Arten in Gebieten, in denen sie einst ausstarben oder ausgerottet wurden, ist seit jeher ein Ziel des Artenschutzes.
  • Natürliche Dynamik von Fauna und Flora. Kleinere und mittelgroße Tiere sind von der Megafauna direkt oder indirekt abhängig. Große Pflanzenfresser stellen etwa die Beute für in Europa sporadisch wieder vordringende Raubtier-Arten wie Wolf oder Nordluchs dar, welche bislang durch Risse von Nutzvieh Probleme verursachen. Umgekehrt wird die Population von Megaherbivoren durch große Raubtiere reguliert. Dass deren Einführung hierfür vonnöten ist, wird dadurch gezeigt, dass es derzeit in einigen nordamerikanischen Nationalparks, wie dem Yellowstone-Nationalpark notwendig ist, überzählige Tiere zu töten[6]. Vögel wie Kuhreiher und Kiebitze profitieren von Megaherbivoren einerseits dadurch, dass diese Insekten aufscheuchen welche die sich in der Nähe aufhaltenden Kuhreiher anschließend vertilgen, oder durch das Offenhalten von Flächen, die als Nistplatz fungieren. Der Kot von großen Pflanzenfressern trägt als natürlicher Dünger zur Nutrifizierung der Weideflächen bei. Des Weiteren partizipieren Megaherbivoren an der Verbreitung von Samen durch den Verzehr von Früchten[7]. Ein Beispiel hierfür ist etwa der Milchorangenbaum, dessen Früchte möglicherweise auf die Öffnung durch die ursprünglich dort heimische Megafauna angewiesen war [8].
  • touristischer Vorteil für strukturschwache Regionen, welche an solche Wildnisgebiete angrenzen, analog zum Krüger-Nationalpark.
Wilde Exmoor-Ponys nahe Winsford, England

Da am Ende des Pleistozäns und im Laufe des Holozäns es nicht nur zu lokalem Aussterben kam, sondern etliche Arten global ausstarben bzw. ausgerottet wurden, können einige Populationen nicht durch Vertreter derselben Spezies ersetzt werden. Für diese Fälle besteht die Möglichkeit, sie durch ökologisch und morphologisch ähnliche Verwandte zu ersetzen. So wurden Große Emus vor einiger Zeit anstelle der ausgerotteten Känguru-Insel-Emus auf der Känguru-Insel ausgewildert. Bei Wildtieren, die einst domestiziert wurden, kann man auf geeignete domestizierte Nachfahren zurückgreifen. Eine Möglichkeit ist, eine geeignete Rasse unverändert auszuwildern, so werden etwa das Konik[9] oder das Exmoor-Pferd als Ersatz für das europäische Wildpferd vorgeschlagen[10], von welchen ersteres etwa in Oostvaardersplassen, letzteres im Exmoor-Nationalpark noch in wilden Beständen vorkommt. Des Weiteren wurden einige Rassen mit der Maßgabe gezüchtet, ihrer Wildform nahezukommen (Abbildzüchtung). Eine weitere Möglichkeit ist, Haustierrassen zu verwenden, welche durch Dedomestikation bereits wieder zu Wildtieren wurden, etwa Mustangs[3].

Kritik

Es wird angemerkt, dass 10.000 Jahre eine ausreichende Zeitspanne darstellen, zwischen den verbleibenden Arten in terrestrischen Ökosystemen eine neue Klimaxgesellschaft entstehen zu lassen[11]. Auch wird von manchen an der Fähigkeit von Großpflanzenfressern, Parklandschaften offen zu halten oder Wälder zu öffnen, d.h. an der Megaherbivorenhypothese, gezweifelt[12] (siehe Hauptartikel). Es wird unter anderem entgegnet, dass durch die Jahrtausende der reduzierten Großtierdiversität sich Normen entwickelten, welche diesen Zustand als naturgegeben erachten[13].

Rewilding-Initiativen

Wisente wurden im Pleistozän-Park, Sibirien, angesiedelt
Die Gelbrand-Gopherschildkröte war das erste Tier, welches bewusst in einem ehemaligen pleistozänen Verbreitungsgebiet wieder eingeführt wurde

Das erste Beispiel dafür, dass eine am Ende des Pleistozäns auf einem bestimmten Kontinent ausgestorbenes Großsäugetier von einer anderen Region wieder eingeführt wurde, war der Fall der Mustangs. Diese sind keineswegs Neozoen, sondern gehören mit Equus ferus einer Spezies an, welche in Nordamerika bereits vor der Ankunft des Menschen vorkam [14]. Diese sind jedoch verwilderte Hauspferde, keine echten Wildpferde. Die bedrohte Gelbrand-Gopherschildkröte wurde vom Turner Endangered Species Fund in New Mexico wieder eingeführt, welche im Pleistozän in Nordamerika vorkam[3]. Donlan et al. postulieren, dass mit diesen Arten ein Pleistocene Rewilding-Projekt begonnen werden könnte, welches schließlich bei holarktischen Löwen enden könnte[3].

Moschusochsen waren während der letzten Eiszeit über einen großen Teil Eurasiens und Nordamerikas verbreitet, welche damals durch Tundren geprägt waren. Im Laufe des späten Pleistozäns und Holozäns schrumpfte ihre Zahl jedoch, bis sie nur noch auf den Norden Kanadas und Grönlands beschränkt waren. Sie wurden jedoch in Regionen Norwegens, Schwedens, Sibiriens und Alaskas (wo sie erst im 20. Jahrhundert ausgerottet wurden) erfolgreich wieder eingeführt.

Der Pleistozän-Park ist ein Projekt, welcher durch die Wiedereinführung von großen Tundrenbewohnern ein Wiederentstehen der Mammutsteppe anstrebt. Es wurden in einem Reservat im Süden von Sacha Yakutenpferde, Wisente und Moschusochsen eingeführt, welche sich zu den bereits vorhandenen Wildbeständen von Schneeschaf, Altai-Maral und Elch gesellten[15].

Um eine Verbuschung des Naturentwicklungsgebiets Oostvaardersplassen zu verhindern, wurden 1992 Rothirsche, Koniks und Heckrinder ausgewildert. Diese bilden nun große Herden und zählen insgesamt etwa 2200 Tiere. Die hohen Bestandszahlen ohne Regulierung durch Raubtiere führen zu Hungertod bei vielen Tieren im Winter[5].

Rewilding Europe ist eine Organisation, welche eine möglichst umfangreiche Wiedereinführung des europäischen Großwildes auf einer erhofften Fläche von etwa einer Million Hektar durchzuführen anstrebt. Festgelegt wurden fünf Kerngebiete: West-Iberien, die östlichen Karpaten, das Donau-Delta, die südlichen Karpaten und Velebit in Kroatien[16]. Rewilding Europe kooperiert unter anderem mit TaurOs Project, ein multidisziplinäres Projekt, welches eine dem Auerochsen so nahe wie möglich kommen sollende Rinderzuchtlinie anstrebt.[17] Die Gründer- und Kreuzungstiere des Projektes leben bereits u.a. frei im Naturreservat Keent.[18]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Megafauna: First victims of the Human-Caused Extinction
  2. M. Galetti: Parks of the Pleistocene: Recreating the cerrado and the Pantanal with megafauna. In: Natureza e Conservação. 2. Jahrgang, Nr. 1, 2004, S. 93–100.
  3. a b c d C.J. Donlan, et al.: Pleistocene Rewilding: An Optimistic Agenda for Twenty-First Century Conservation. In: The American Naturalist. 2006, S. 1–22 (arizona.edu [PDF]).
  4. C.I. Donatti, M. Galetti, M.A. Pizo, P.R. Guimarães Jr., and P. Jordano: Frugivory and seed dispersal: theory and applications in a changing world. Hrsg.: A. Dennis. Commonwealth Agricultural Bureau International, 2007, S. 104–123.
  5. a b Bunzel-Drüke, Finck, Kämmer, Luick, Reisinger, Riecken, Riedl, Scharf & Zimball: Wilde Weiden: Praxisleitfaden für Ganzjahresbeweidung in Naturschutz und Landschaftsentwicklung
  6. Tim Flannery (2001): The Eternal Frontier: An Ecological History of North America and its Peoples, ISBN 1-876485-72-8, pp. 344--346
  7. Bunzel-Drüke, Drüke & Vierhaus: Überlegungen zu Wald, Mensch und Megafauna.
  8. Connie Barlow and Paul Martin, 2002. The Ghosts of Evolution: Nonsensical Fruit, Missing Partners, and Other Ecological Anachronisms, which covers the now-extinct large herbivores which fruits like the Osage-orange and Avocado co-evolved with in the Western Hemisphere.
  9. Konik horse - Equus ferus f. caballus - Large Herbivore Network
  10. Wildlife Extra News zum Exmoorpferd
  11. Rubenstein et al.: Pleistocene Park: Does re-wilding North America represent sound conservation for the 21st century? 2006.
  12. Cis van Vuure: Retracing the Aurochs - History, Morphology and Ecology of an extinct wild Ox. 2005, ISBN 954-642-235-5.
  13. Franz Vera: Large-Scale Nature development – the Oostvaardersplassen.
  14. Kirkpatrick & Fazio: Wild Horses as Native American Wildlife. 2005.
  15. Offizielle Webseite des Pleistocene Park
  16. Offizielle Seite von Rewilding Europe
  17. Aurochs Project aims to breed back extinct cattle
  18. Brabants Landschap: Het Taurus-rund op Keent. 2010.