Schuldenbremse (Deutschland)

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Als Schuldenbremse wird in Deutschland eine verfassungsrechtliche Regelung bezeichnet, die die Föderalismuskommission Anfang 2009 beschlossen hat, um die Staatsverschuldung Deutschlands zu begrenzen, und die Bund und Ländern seit 2011 verbindliche Vorgaben zur Reduzierung des Haushaltsdefizits macht.

Staatsverschuldung in Deutschland

Die Staatsverschuldung in Deutschland betrug am 30. September 2013 gut 2 Billionen Euro, größter Schuldner mit 63 % ist dabei der Bund, 31 % entfallen auf die Länder, gut 6 % auf die Gemeinden.[1] Die Staatsschuldenquote in Deutschland geht seit dem Höchststand von 82,5 % im Jahr 2010 wieder tendenziell zurück und betrug zum Ende des 3. Quartals 2014 gemäß Eurostat noch 74,8 %[2] – bei einem Schuldenstand von 2.155,2 Mrd. Euro. Der Internationale Währungsfonds geht davon aus, dass die Staatsschuldenquote Deutschlands bis Ende 2019 bei einem Schuldenstand von dann nur noch 1.995,8 Mrd. Euro deutlich auf 60,5 % zurückgeht.[3] Damit würde Deutschland fast wieder das Maastricht-Kriterium von höchstens 60 % erreichen.

Historische Staatsschuldenquote Deutschlands von 2002 bis 2015 inkl. Schätzung bis 2021 des IWF

Einführung einer Schuldenbremse

Angesichts dieser Schuldenlage hat sich die Bundesregierung zur Einführung einer Schuldenbremse entschlossen; 2009 wurde die Schuldenbremse sowohl im Bundesrat als auch im Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit gebilligt. Diese Entscheidung soll dafür sorgen, dass die öffentlichen Haushalte ohne strukturelles Defizit (Länder) bzw. mit sehr geringem strukturellem Defizit (0,35 % des BIP, Bund) finanziert sind. Zur Einführung dieser Schuldenbremse war eine Verfassungsänderung nötig: Die Schuldenbremse wurde in Art. 109 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geregelt. Inzwischen haben einige Bundesländer die Schuldenbremse in ihre Landesverfassung übernommen, als erstes Bundesland Schleswig-Holstein. Durch die staatliche Schuldenbremse soll die strukturelle, also nicht konjunkturbedingte, jährliche Nettokreditaufnahme des Bundes maximal 0,35 % des Bruttoinlandsproduktes betragen. Für die Länder wird die Nettokreditaufnahme ganz verboten. Ausnahmen sind bei Naturkatastrophen oder schweren Rezessionen gestattet. Eine Übergangsregelung in Art. 143d Abs. 1 GG sieht die erstmalige Anwendung der Neuregelungen in Art. 109 und Art. 115 GG für das Haushaltsjahr 2011 vor. Die Einhaltung der 0,35 Prozent-Grenze ist für den Bund ab dem Jahr 2016 zwingend vorgesehen, das Verbot der Nettokreditaufnahme der Länder tritt ab dem Jahr 2020 in Kraft.

Der Bundestag hat der Regelung zugestimmt und am 29. Mai 2009 mehrere dafür notwendige Verfassungsänderungen in die Wege geleitet. Für die Verfassungsänderung votierte am 12. Juni 2009 auch der Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit. Die Länder Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein stimmten der Regelung nicht zu.[4] Das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 91c, Art. 91d, Art. 104b, Art. 109, Art. 109a, Art. 115, Art. 143d) ist am 1. August 2009 in Kraft getreten (BGBl. I S. 2248).[5]

Schuldenregel für Bund und Länder

Grundsätzlich sind die Haushalte von Bund und Ländern ohne Kredite auszugleichen (Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG). Diese Vorgabe orientiert sich am mittelfristigen Ziel des strukturell ausgeglichenen Haushalts aus dem Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Ausnahmen vom Kreditaufnahmeverbot

Ausnahmen vom Kreditaufnahmeverbot sind bei der Aufstellung der Haushalte von Bund und Ländern vorgesehen

  • zur symmetrischen Berücksichtigung einer von der Normallage abweichenden Konjunkturentwicklung (konjunkturelle Komponente), wodurch antizyklisch Kreditaufnahmen im Abschwung ermöglicht werden (antizyklische Finanzpolitik, Art. 109 Abs. 3 Satz 2 GG). Die Berechnung der Abweichung von der Normallage ist umstritten. In der Diskussion ist eine Formel, in welche u.a. eine zu schätzende Produktionslücke eingeht.[6]
  • für Bund und Länder in Fällen von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, wozu auch die Finanzkrise ab 2007 zählen soll, mit gleichzeitiger Festlegung entsprechender Tilgungsregelungen (Art. 109 Abs. 3 Satz 3 und 4 GG).
  • In Konkretisierung der grundsätzlichen Vorgabe des mittelfristig ausgeglichenen Haushaltes ist es für den Haushalt des Bundes gemäß Art. 109 Abs. 3 Satz 4 GG noch zulässig, Einnahmen aus Krediten bis zur Höhe von 0,35 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) jährlich in Anspruch zu nehmen (strukturelle Komponente).

Näheres für den Bund regeln Art. 115 GG und ein Ausführungsgesetz. Für die Länder ist eine strukturelle Komponente nicht vorgesehen, das heißt die grundsätzliche Vorgabe ist nur dann erfüllt, wenn im Haushalt keine Einnahmen aus Krediten eingestellt sind. Eine antizyklische Kreditaufnahme zur Steuerung konjunktureller Schwankungen ist zulässig.

Konkretisierung für den Bund

Weicht die tatsächliche Kreditaufnahme von der nach Art. 115 GG zulässigen Kreditobergrenze ab, sind Abweichungen auf einem Kontrollkonto festzuhalten. Der negative Saldo des Kontrollkontos soll 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nicht überschreiten, bei einer Überschreitung ist der Saldo des Kontrollkontos konjunkturgerecht zurückzuführen. Für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung im Falle von Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen ist ein Beschluss der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erforderlich.

Übergangsregelung

Eine Übergangsregelung in Art. 143d Abs. 1 GG sieht die erstmalige Anwendung der Neuregelungen in Art. 109 und Art. 115 GG für das Haushaltsjahr 2011 vor, die Einhaltung der Vorgabe des ausgeglichenen Haushalts ist für den Bund ab dem Jahr 2016 zwingend vorgesehen, für die Länder ab dem Jahr 2020.

Konsolidierungshilfen

Als Hilfe zur Einhaltung der o.g. Schuldenregeln erhalten fünf Länder für den Zeitraum 2011 bis 2019 eine finanzielle Unterstützung in Höhe von 800 Millionen Euro jährlich, insgesamt also 7,2 Milliarden Euro (Freie Hansestadt Bremen 300 Millionen Euro, Saarland 260 Millionen Euro, Berlin, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein jeweils 80 Millionen Euro jährlich). Die Finanzierung dieser Hilfen tragen Bund und Länder hälftig. Voraussetzung für die Gewährung der Hilfen ist die Einhaltung eines Konsolidierungspfades, der die betreffenden Länder in die Lage versetzt, ihre Haushalte bis spätestens 2020 auszugleichen und anschließend die neue Schuldenregelung einzuhalten (Art. 143d Abs. 2 und 3 GG). Das Nähere hierzu ist im Konsolidierungshilfengesetz geregelt[7] und durch Verwaltungsvereinbarungen zwischen dem Bund und den einzelnen Empfängerländern konkret vereinbart worden.[8]

Vermeidung von Haushaltsnotlagen

Zusätzlich zur neuen Schuldenregel wird zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen ein Frühwarnsystem eingerichtet (Art. 109a GG). Der 2010 gegründete Stabilitätsrat überwacht die Haushaltsführung von Bund und Ländern, insbesondere auch die Konsolidierungsfortschritte der oben genannten fünf Empfängerländer. Dazu wird jährlich die Finanzlage von Bund und Ländern dargestellt und geprüft. Im Falle von Haushaltsnotlagen soll der Stabilitätsrat Sanierungsprogramme vereinbaren. Die Beschlüsse des Stabilitätsrates und die ihnen zugrunde liegenden Beratungsunterlagen werden veröffentlicht.

Funktionsweise der Schuldenbremse

Im Gegensatz zur Schweizer Schuldenbremse, deren Name für die deutsche Variante Pate stand, ist die deutsche Schuldenbremse keine Budgetregel, die auf einer Rückführung der aufgenommenen Kredite besteht. Es soll lediglich die maximale Höhe der Nettokreditaufnahme reduziert werden.

Die bisher (und auch weiterhin) gültigen Budgetregeln für Deutschland sind im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt des Maastricht-Vertrags festgelegt. Das sogenannte Maastricht-Kriterium erlaubt eine maximale Nettokreditaufnahme in Höhe von 3,0 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Dabei sind Ausnahmen für konjunkturell schwache Zeiten vorgesehen, die bereits mehrfach in Anspruch genommen wurden.

Mit der neuen Schuldenbremse wird die strukturelle, also von der Konjunktur unabhängige staatliche Neuverschuldung auf maximal 0,35 Prozent des BIP beschränkt, die alleine dem Bund zugestanden werden. Ausnahmen (etwa für Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen) sind weiterhin vorgesehen, müssen allerdings im weiteren Verfahren noch konkretisiert werden. Für die Feststellung des Ausnahmefalls wird voraussichtlich eine absolute oder qualifizierte Mehrheit im Deutschen Bundestag nötig sein. Neben der strukturellen Neuverschuldung ist ein konjunktureller Finanzierungssaldo zulässig, der im Aufschwung positiv und im Abschwung negativ ist und über eine bestimmte Formel ermittelt wird. Damit soll die Wirkung der automatischen Stabilisatoren gewährleistet werden.

Das zulässige konjunkturelle Defizit ist nach Vorschriften der Europäischen Kommission zu berechnen. Über den konjunkturellen Zyklus hinweg soll es null sein.

  • Im Aufschwung soll der Staat konjunkturelle Finanzierungsüberschüsse erzielen, die umso größer sein sollen, je stärker die Wirtschaft im Aufschwung ist oder je größer die positive Produktionslücke ist. Das konjunkturelle Defizit kann umso größer sein, je tiefer die Wirtschaft in der Rezession beziehungsweise je größer die negative Produktionslücke ist. Dem Staat wird so ermöglicht, sich in der Rezession stärker zu verschulden (antizyklische Fiskalpolitik). Wo die Wirtschaft sich genau befindet, wird nach Maßgabe eines langfristigen Wachstumspfades ermittelt, dem sog. potentiellen BIP, das aus Daten der Vergangenheit geschätzt wird. Die Differenz zwischen BIP und potentiellen BIP in Prozent wird als Produktionslücke bezeichnet.
  • Das konjunkturelle Defizit ist laut Formel umso kleiner, je stärker die Staatseinnahmen (darunter die Beiträge zur Sozialversicherung) auf die konjunkturellen Schwankungen reagieren – wobei diese Elastizität der Staatseinnahmen aufgrund von Daten der Vergangenheit geschätzt wird. Wenn also im Aufschwung die Staatseinnahmen automatisch steigen (gemäß vergangener Erfahrungswerte), wird dem Staat ein größerer Einnahmenüberschuss abverlangt. Wenn im Abschwung die Staatseinnahmen automatisch zurückgehen, wird dem Staat eine größere Verschuldung zugestanden.
  • Das konjunkturelle Defizit ist laut Formel umso größer, je stärker die Staatsausgaben (z. B. Ausgaben für Arbeitslosigkeit) auf die konjunkturellen Schwankungen reagieren – wobei diese Elastizität der Staatsausgaben aufgrund von Daten der Vergangenheit geschätzt wird. Wenn also im Aufschwung die Staatsausgaben (für Arbeitslosigkeit) automatisch sinken (gemäß vergangener Erfahrungswerte), wird dem Staat ein höherer Einnahmenüberschuss abverlangt. Wenn im Abschwung die Staatsausgaben automatisch steigen, wird dem Staat eine größere Verschuldung zugestanden.

Schuldenbremse und Föderalismus

Stimmzettel zur Volksabstimmung in Hessen

Einige Verfassungsrechtler haben Bedenken bezüglich der Verfassungskonformität einer gesamtstaatlichen Schuldenbremse angemeldet. Nach deren Interpretation höhlt ein strukturelles Neuverschuldungsverbot die in Art. 109 GG festgelegte Haushaltsautonomie der Länder sowie das Bundesstaatsprinzip aus.[9]

Gegen dieses Argument sprechen die Zustimmung des Bundesrates sowie die Bestrebungen nach Verfassungsänderungen in einzelnen Bundesländern. So wurde im März 2011 eine Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassung des Landes Hessen per Volksabstimmung beschlossen. Die Abstimmung fand zusammen mit der Kommunalwahl statt. Bereits am 19. Mai 2010 hatte der Landtag in Schleswig-Holstein eine Schuldenbremse in die Verfassung des Landes Schleswig-Holstein aufgenommen. Der Landtag in Rheinland-Pfalz fügte am 31. Dezember 2010 einen neuen Art. 117 mit einer Schuldenbremse in die Landesverfassung ein. Auch Mecklenburg-Vorpommern[10], Hamburg[11] und Bremen[12][13] haben die Schuldenbremse in ihre Verfassungen eingefügt.

Übersicht über Regelungen zu Schuldenbremsen in den Landesverfassungen
Land Schuldenbremse In-Kraft-Treten Verfassungsbestimmungen
Baden-Württemberg Nein
Bayern Ja seit 15.09.2013 01.01.2020 Art. 82
Berlin Nein
Brandenburg Nein
Bremen Ja seit 29.01.2015 01.01.2020 Art. 131a-c und Art. 146
Hamburg Ja seit 19.06.2012 01.01.2019 Art. 72 und 72a
Hessen Ja seit 10.05.2011 01.01.2020 Art. 141 und 161
Mecklenburg-Vorpommern Ja seit 28.06.2011 01.01.2019 Art. 65 (2) und 79a
Niedersachsen Nein
Nordrhein-Westfalen Nein
Rheinland-Pfalz Ja seit 31.12.2010 01.01.2020 Art. 116 (3-5) und 117
Saarland Nein
Sachsen Ja seit 11.07.2013 01.01.2014 Art. 95
Sachsen-Anhalt Nein
Schleswig-Holstein Ja seit 22.07.2010 01.01.2020 Art. 53 und 59a
Thüringen Nein

Überwachung der Schuldenbremse durch Rechnungshöfe

Der Landesrechnungshof der Freien und Hansestadt Hamburg hat erstmals am 3. September 2014 eine Beratende Äußerung „Monitoring Schuldenbremse 2014“ veröffentlicht[14]. Darin wird in den Kriterien Nettokreditaufnahme, Umgehungsmöglichkeiten, Nachhaltigkeit, Strukturelles Defizit, Risiken und Chancen sowie Strategie des Senats die Haushaltspolitik des Senats der Stadt Hamburg im Hinblick auf die Schuldenbremse bewertet und mit Ampelsymbolen versehen. Dieser Bericht soll jährlich fortgeschrieben werden.[15]

Kommunalschuldenbremse

Neben der zuvor beschriebenen Schuldenbremse für Bund und Länder (Staatsschuldenbremse) existieren im kommunalen Haushaltsrecht der Länder auch Bestimmungen zur Begrenzung der Kommunalschulden (Kommunalschuldenbremsen). Es kann hierbei differenziert werden zwischen Regelungen zur Begrenzung der Aufnahme von Krediten/Investitionskrediten (Investitionskredit-Schuldenbremsen)[16] und Regelungen zur Begrenzung der Kassenkreditaufnahme (Kassenkredit-Schuldenbremsen).[17] Ferner haben einige Kommunen freiwillig Schuldenbegrenzungsregelungen in ihre Hauptsatzung aufgenommen (z. B. Jena,[18] Mannheim[19]) oder hierzu eine eigenständige Satzung verabschiedet (z. B. Hockenheim[20]). In der Wissenschaft sowie auch in einigen Ländern wird darüber hinaus über die Etablierung einer sog. „doppischen Kommunalschuldenbremse“ diskutiert, deren Funktionsweise auf der Kopplung eines sog. „Generationenbeitrags“ an den doppischen Haushaltsausgleich basiert.[21] Per Satzung bereits freiwillig eingeführt haben ein solches Schuldenbremsen-Modell mit Generationenbeitrag z. B. die Kommunen Taunusstein,[22] Freudenberg[23] und Stadtkyll.[24]

Kritik

Es gibt zwei Hauptströmungen der Kritik: Zum einen wird das Ziel der Begrenzung von Staatsverschuldung in Frage gestellt und zum anderen die Eignung der Instrumente.

Kritik am Ziel

Kritik an der konjunkturellen Verträglichkeit von Schuldenbegrenzungsregeln äußerten einzelne Ökonomen,[25] Politiker der Linken,[26] linke Sozialdemokraten,[27] der Deutsche Gewerkschaftsbund[28] sowie das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung.[29][30]

Keynesianische Ökonomen kritisieren die Schuldenbremse und die naive Sicht der Budgetdefizite, wonach die Ausgaben zu kürzen oder die Einnahmen zu erhöhen seien, mit der makroökonomischen Gleichung für das Haushaltsdefizit:

Es handelt sich bei dieser Gleichung um eine triviale Identität, wonach sich der Saldo des Staatshaushalts einer Ökonomie aus dem Leistungsbilanzsaldo (laut VGR, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung) minus dem Überschuss der laufenden Ersparnisse der privaten Haushalte über die Nettoinvestitionen der Ökonomie ergibt. Ein Haushaltsausgleich erfordert demnach einen geringeren Sparüberschuss der Haushalte oder höhere Überschüsse im Außenhandel. Bei einer ausgeglichenen Leistungsbilanz entspricht das Defizit im Staatshaushalt genau dem Sparüberschuss der privaten Haushalte.

Langfristig seien Staatsschulden im reifen Kapitalismus bei einer sinkenden Nettoinvestitionsrate der Unternehmen makroökonomisch zur Stützung der Konjunktur notwendig. Ein ausgewogener Staatshaushalt verbunden mit einer ausgeglichenen Handelsbilanz und unbedeutenden Nettoinvestitionen der Unternehmen würden nach John Maynard Keynes dazu führen, dass das Gemeinwesen so stark verarmen muss, dass entsprechend der Gesamtverschuldung auch die Gesamtersparnis auf Null fällt.[31] Um hingegen eine Politik der Vollbeschäftigung zu ermöglichen, müsse und könne ein Staatsdefizit angestrebt werden.[32]

Die Schuldenbremse teilt die Verschuldung in eine strukturelle und eine konjunkturelle Komponente. Die konjunkturelle Komponente soll es bei Konjunkturabschwüngen möglich machen, die Kreditobergrenze zu erhöhen und weitere Schulden aufzunehmen, bei Aufschwüngen sind diese Schulden dann zurückzuführen. Strukturelle Schulden sind den Bundesländern ab 2020 untersagt, der Bund darf ab 2016 noch maximal 0,35 % des BIP als strukturelle Schulden aufnehmen. Ein Stabilitätsrat soll die Haushalte von Bund und Ländern überwachen und gegebenenfalls Sanierungsverfahren einleiten. Mitglieder im Stabilitätsrat sind die Finanzminister der Länder, der Bundesfinanzminister und der Bundeswirtschaftsminister. Abweichungen von diesen Vorgaben sind für den Bund noch bis 2015 zulässig, für die Länder bis Ende 2019.[6] Finanzschwache Länder sollen bis 2019 mit insgesamt 800 Millionen Euro unterstützt werden, um die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten zu können. Ausnahmeklauseln erlauben es dem Bund in Sonder- und Katastrophenfällen, weitere Finanzmittel aufzunehmen.[7] Die Trennung in strukturelle und konjunkturelle Schulden ist umstritten, da erhebliche methodische Probleme bei der Ermittlung der Normalkonjunktur und bei der Berechnung der Budgetsensitivität bestehen.[8] In Zeiten guter Konjunktur muss der Bund zudem hohe Überschüsse erwirtschaften, was aufgrund finanzpolitischer Asymmetrien als schwierig angesehen wird. Sowohl auf Bundesebene wie auch auf Landesebene ist die Schuldenbremse als Mittel zur Schuldenreduzierung umstritten. CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen sind für die Schuldenbremse und sehen in ihr ein wichtiges Instrument, das Staatsdefizit abzubauen. Innerhalb der SPD und bei Bündnis 90/Die Grünen gibt es allerdings starke Gruppen von Gegnern der Schuldenbremse. Kritik gibt es bei der SPD vor allem an der Festlegung des Abbaupfades, der sich nicht an der realen Neuverschuldung, sondern an der für den Sommer 2009 angenommenen höheren Neuverschuldung orientiere und damit die Verschuldungsgrenze des Bundes erhöhe. Die SPD brachte daher im Juni 2011 einen Gesetzesentwurf in den Bundestag ein, das tatsächliche strukturelle Defizit von 2010 als Ausgangsbasis für den Abbaupfad zu verwenden. Diese Änderung an Art. 115 GG wurde vom Bundestag allerdings abgelehnt[9]. Die Linke lehnt die Schuldenbremse ab. Die Gewerkschaften und viele Sozialverbände stellen sich ebenfalls gegen die Schuldenbremse – in Hessen haben diese eine Kampagne gegen die Schuldenbremse getragen. Ihre Befürchtung: Durch die Schuldenbremse werde es zu einem weiteren Abbau von Investitionen in Bildung und Wirtschaft kommen[10] – eine Position, die so auch von der Partei Die Linke getragen wird[11]. In Hessen machte erst eine Volksabstimmung eine Änderung der hessischen Verfassung möglich und sicherte die Einführung der Schuldenbremse in diesem Bundesland. Zustimmung findet die Schuldenbremse bei den Arbeitgeberverbänden.

Kritik an der Wirkung

Wissenschaftler kritisieren, dass die Schuldenbremse an vielen Stellen weiterhin Einfallstore für eine zunehmende Staatsverschuldung offen lässt:[33] So begrenzt die deutsche Schuldenregel nicht die gesamtstaatliche Verschuldung, sondern nur die Verschuldung von Bund und Ländern. Sie lässt zudem unbegrenzte Kreditaufnahmen für staatliche Unternehmensbeteiligungen zu und sieht keine verbindlichen Tilgungsfristen für Kredite vor, die in Notsituationen aufgenommen wurden. Außerdem verschafft die Berechnung der konjunkturellen Komponente der Regierung Spielraum für die weitere Staatsverschuldung.

Weblinks

Literatur

  • Daniel Buscher: Der Bundesstaat in Zeiten der Finanzkrise. Ein Beitrag zur Reform der deutschen Finanz- und Haushaltsordnung (Föderalismusreform). Duncker & Humblot, Berlin 2010, ISBN 978-3-428-13166-2.
  • Klemens Himpele: Die Umsetzbarkeit der Schuldenbremse in den Ländern. Wien 2010, (PDF).
  • Maxi Koemm: Eine Bremse für die Staatsverschuldung? Verfassungsmäßigkeit und Justitiabilität des neuen Staatsschuldenrechts. Mohr Siebeck, Tübingen 2011, ISBN 978-3-16-150964-3.
  • Marius Thye: Die neue „Schuldenbremse“ – Zur neuen Gestalt der Finanzverfassung nach der Föderalismusreform II. Universitätsverlag Halle-Wittenberg, Halle 2010, ISBN 978-3-86977-021-5.

Einzelnachweise

  1. Bund der Steuerzahler e.V.: Verschuldung
  2. Eurostat: Drittes Quartal 2014 gegenüber dem zweiten Quartal 2014 Öffentlicher Schuldenstand im Euroraum auf 92,1 % des BIP gefallen
  3. Internationaler Währungsfonds: World Economic Outlook Database, Oktober 2014, General government gross debt (National currency, Percent of GDP)
  4. Schuldenbremse erhält Verfassungsrang Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Juni 2009
  5. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d) (GGÄndG) (bei buzer.de)
  6. Volume 5, Issue 12 28. November 2008 ECFIN COUNTRY FOCUS (PDF; 203 kB) „Germany: revisiting the budget rule“ By Carsten Eppendorfer and Karolina Leib.
  7. Konsolidierungshilfengesetz
  8. http://www.stabilitaetsrat.de/DE/Dokumentation/Ueberwachung-Konsolidierungshilfen/Verwaltungsvereinbarungen/VV_node.html
  9. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Februar 2009
  10. http://spd-fraktion-mv.de/index.php/news-aus-dem-landtag/land-tritt-nun-verfassungsgemass-auf-die-schuldenbremse.html
  11. http://www.landesrecht.hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?showdoccase=1&doc.id=jlr-VerfHArahmen&doc.part=X&doc.origin=bs&st=lr
  12. http://www.radiobremen.de/politik/nachrichten/schuldenbremse120.html
  13. http://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/oeffentliches-recht/emeriti/pestalozzac/materialien/AendG-29_-Jan-2015-GBl_-S_-23.pdf?1422522451
  14. http://www.hamburg.de/weitere-veroeffentlichungen/nofl/4366298/beratende-aeusserung-2014-schuldenmonitor
  15. http://schuldenbremse.hamburg
  16. http://www.haushaltssteuerung.de/weblog-doppische-investitionskredit-schuldenbremse.html, 29. März 2011
  17. http://www.haushaltssteuerung.de/weblog-kassenkredit-schuldenbremsen-in-der-kommunalen-doppik.html, 7. März 2011
  18. http://www.jena.de/fm/694/a01.pdf (§ 6a)
  19. http://www.mannheim.de/sites/default/files/page/2835/s01-01-110913.pdf (§ 2 Abs. 3)
  20. http://www.hockenheim.de/main/rathaus_politik/recht/NachhaltigkeitssatzungStand21032012.pdf
  21. http://www.haushaltssteuerung.de/weblog-zur-funktionsweise-einer-doppischen-kommunalschuldenbremse.html
  22. http://www.sitzungsdienst-taunusstein.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=8286
  23. http://www.freudenberg-stadt.de/media/custom/1744_767_1.PDF#page=7
  24. http://www.stadtkyll.de/fileadmin/bilder/Satzungen/Satzung_generationengerechte_Finanzen_Stand_Originalfassung_Ratsbeschluss_26.3.14.pdf
  25. Spiegel Online vom 9. Februar 2009, Spiegel Online vom 11. Februar 2009, Manager Magazin vom 13. Januar 2009 und Handelsblatt vom 13. Februar 2009
  26. Pressemitteilung vom 12. Februar 2009
  27. FOCUS Online vom 7. Februar 2009
  28. Pressemitteilung des DGG vom 5. März 2009
  29. Gustav Horn, Achim Truger und Christian Proaño: Stellungnahme zum Entwurf eines Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform BT Drucksache 16/12400 Und Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes BT Drucksache 16/12410. boeckler.de
  30. Achim Truger, Henner Will, IMK-Working Paper Januar 2012: „Gestaltungsanfällig und pro-zyklisch: Die deutsche Schuldenbremse in der Detailanalyse“
  31. John Maynard Keynes: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, Ducker&Humblot, Berlin 1936/2006, S. 183
    „Der Bestand an Kapital und das Niveau der Beschäftigung werden folglich schrumpfen müssen, bis das Gemeinwesen so verarmt ist, daß die Gesamtersparnis Null geworden ist, so daß die positive Ersparnis einiger Individuen oder Gruppen durch die negative Ersparnis anderer aufgehoben wird. In einer unseren Annahmen entsprechenden Gesellschaft muß das Gleichgewicht somit unter Verhältnissen des laissez-faire eine Lage einnehmen, in der die Beschäftigung niedrig genug und die Lebensbedingung genügend elend ist, um die Ersparnisse auf Null zu bringen.“
  32. Bill Mitchell: Fiscal rules going mad … (online).
  33. Clemens Hetschko, Dominic Quint, Marius Thye: Achtung, Bremsversagen!. Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 274, 23. November 2012, S. 12.