Tattersall

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Tattersall in London, 1865

Tattersall bezeichnet ein Unternehmen zur Unterbringung und Pflege fremder Pferde, auch den Verleih und Verkauf von Pferden. Häufig wird der Begriff synonym für Reitbahn oder Reithalle benutzt.

Herkunft

Der Name geht zurück auf den britischen Stallmeister, Pferdetrainer, Wettbürobesitzer und schließlich Eigentümer der Londoner Tageszeitung Morning Post, Richard Tattersall (1724–1795), genannt „Old Tatt“. Seine im Jahr 1766 eröffneten Stallungen mit Reithalle und Reitbahnen lagen an der Südostecke des Hyde Park (Hyde Park Corner). Hinzu kamen im Jahr 1779 zwei prächtig ausgestattete Gesellschaftsräume („Subscription Rooms“) für die Vorstandsmitglieder des „Jockey Club“, in denen sich bald aber auch die Londoner Gesellschaft treffen und ihre Wetten abschließen konnte. Seine direkten Nachkommen führten das Unternehmen bis 1865 und bis 1936 blieb die Firma in Privatbesitz. Noch heute gibt es das inzwischen weltweit niedergelassene Auktionshaus „Tattersalls“, das alljährlich etwa 10.000 englische Vollblutpferde versteigert.

Tattersalls Geschäftsidee wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert auch in Deutschland als Treffpunkt des Bildungsbürgertums umgesetzt, weshalb es noch heute in Bad Kissingen, Berlin, Bochum, Mannheim und Wiesbaden Räumlichkeiten mit Namen „Tattersall“ gibt, die inzwischen allerdings auf andere Weise genutzt werden.

Berlin

Berlin, Grolmanstraße Richtung Savignyplatz

Traditionell gab es in Berlin bis zum Ersten Weltkrieg mehrere Tattersalls, besonders in der Nähe des Tiergartens, für den Morgenausritt begüterter Berliner.

So befand sich in der Friedrich-Wilhelm-Stadt (einem ehemaligen Stadtquartier im heutigen Ortsteil Mitte) am Schiffbauerdamm 28, Ecke Luisenstraße 22–24 ein von Blumenberg & Schreiber für die Tattersall AG entworfener neobarocker Backsteinbau für Kutschen und Pferde, der ab den 1920er Jahren von der Berliner Automobilgesellschaft als Kraftwagenhalle benutzt wurde. Das Gebäude wurde 1997 zugunsten einer Vorratsfläche für das Regierungsviertel abgebrochen.[1]

In der Nähe des Berliner Savignyplatzes gibt es das traditionsreiche, in seiner Einrichtung unveränderte, ehemalige Lokal des Schwergewicht-Boxers Franz Diener aus den „Goldenen Zwanziger Jahren“ in der Grolmanstraße, in einem von August Ziechmann und Heinrich Mittag gebauten Tattersall, an dessen Fassaden noch der Schriftzug Tattersall des Westens und Reithalle stehen.[2] Die Stallungen dieser Firma in der Uhlandstraße sind nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen worden. Alle Bahnreisenden von Berlin nach Westen sehen den großen Schriftzug kurz nach dem Ausfahren aus dem Bahnhof Zoologischer Garten auf der linken Seite.

Mannheim

Tattersall in Mannheim, um 1930

Auch in Mannheim gab es einen Tattersall. Zwischen 1884 und 1910 bot ein großes Ziegelsteingebäude der Aktiengesellschaft Tattersall Rössern und Reitern ein Heim. Kutschen konnten gemietet und Pferdesport ausgeübt werden. Aber auch Geschäftskontakte wurden hier geknüpft. Später bot hier die Garage Daimler-Benz AG ihre Dienste an: Autos wurden gereinigt und betankt, Reifen und Öl gewechselt.

Zuvor, zwischen 1840 und 1876, stand in unmittelbarer Nähe der späteren Reithalle der erste Personenbahnhof Mannheims. Durch den gewählten Standort konnte damals zwar der Schlossgarten von Bahnlinien unzerschnitten bleiben, nicht aber der Rhein überquert werden. 1876 wurde der neue Hauptbahnhof eingeweiht, der den alten Bahnhof ersetzte. So ergab sich Platz für die Reithalle.

Heute handelt es sich beim „Tattersall“ um den offiziellen Straßennamen eines kleinen Platzes zwischen Hauptbahnhof und Wasserturm neben dem ehemaligen Standort des Tattersalls mit einer Haltestelle der Stadtbahnlinien 1, 6, 8 und 9. Der Platz gilt als Eingang zum Stadtteil Schwetzingerstadt an dessen nordwestlichem Ende, dem Schnittpunkt mit dem Kaiserring, gelegen.

Der Tattersall war bereits seit 1884 Straßenbahnhaltepunkt. Das heute noch vorhandene Wartehäuschen im Stil der Neuen Sachlichkeit stammt aus dem Jahr 1928 und steht unter Denkmalschutz.[3]

Bochum

Der Tattersall in Bochum steht dort heute noch an der Herner Straße 36. Im Jahr 1906 gründete sich der Bochumer Tattersall-Verein, ein Reitverein. Zunächst residierte er auf „Backwinkels Hof“ im Ehrenfeld mit einer Reitbahn, doch mit der Erschließung des Stadtviertels war man gezwungen, sich nach einer neuen Reitstätte umzusehen. Da bot sich die Nähe zum Stadtpark und seiner Wege für „leichte Personenfuhrwerke“ an. Auf der Herner Straße fand man 1911 ein geeignetes Grundstück und übertrug an August Schlechtweg den Bauauftrag. Der Architekt gestaltete eine repräsentative Reithalle mit einer geschlossenen und einer offenen Tribüne für Zuschauer, einer Musiktribüne und Räumen für die Reitlehrer. Aus der Reithalle führte ein „Ausbau auf rampenförmigem Wege“ zu den unterirdischen Pferdeställen, in denen bis zu 50 Pferde untergebracht werden konnten. Neben der Reitbahn lud ein Clubzimmer zum vornehmen Beisammensein ein. Im ersten Geschoss befanden sich Wasch- und Umkleideräume. Die angeschlossene Gastronomie machte „den Tattersall“ zu einem beliebten Ziel für Reitsportinteressierte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg diente der Tattersall als Kino und als Konzertstätte. 1960 wurde der große Saal zur ersten deutschen Bowlingbahn umgebaut und brachte auch bald mit Olaf Köster den ersten deutschen Meister im Bowling hervor. 1997 wurden das Gebäude und der große Saal restauriert. Es beherbergt heute neben der Bowlingbahn eine Gastronomie im Vorderhaus und eine Diskothek im Keller unter dem großen Saal.

Wiesbaden

Im Jahr 1905 wurde in Wiesbaden ein Tattersall erbaut. Das Gebäude liegt gegenüber der ebenfalls in roten Backsteinen gemauerten und dem ganz Viertel namensgebenden Bergkirche. Heutzutage wird der Wiesbadener Tattersall vor allem als Kultur- und Veranstaltungshaus genutzt.

Bad Kissingen

Tattersall in Bad Kissingen

Auch in Bad Kissingen gibt es seit 1911 den Tattersall, der 1987 vom Stadtrat unter Denkmalschutz gestellt wurde und nach Restaurierung und Umbau seit den 1990er Jahren für kulturelle Veranstaltungen und Kongresse genutzt wird.

Leipzig

Das in der Leipziger Elsterstraße gelegene Gelände des Hauses Leipzig war bis 1927 mit einer in den Jahren 1888/1889 erbauten Reithalle, dem Leipziger Tattersall, bebaut. Nach ihrem Abriss wurde das noch heute bestehende Gebäude auf einer Grundfläche von 1500 m² erbaut.

Brandenburg an der Havel

Ehemaliger Tattersall in Brandenburg an der Havel, 2010

Der in der Packhofstraße von Brandenburg an der Havel gelegene Tattersall wurde etwa um 1890 gebaut und 1939 von der neuapostolischen Gemeinde erworben. Bis 2008 wurde er als Kirche genutzt. Im Jahr 2010 wurde das Gebäude, dem die alte Nutzung noch anzusehen ist, an einen privaten Investor verkauft.

Sonstiges

Das sogenannte „Tattersall-Karo“ (engl.: tattersall check)[4] ist ein englischer Hemdenstoff mit kleinem Farbenkaro auf hellem Fond. Ein Hemden-Hersteller äußert sich dazu:

„Das typische Gitterkaro in Hellblau, Lila, Braun, Anthrazit und Grau auf cremefarbenem Fond sah man schon zu Beginn des 19. Jahrhundert auf dem Pferdemarkt von Richard Tattersall. Damals zierte es die wertvollen Pferdedecken. Heute ist dieses Tattersall-Karo das Symbol des englischen Landlebens. Es wird meist kombiniert zu Kaschmir-Pullovern, Tweedjacken, zu Cordanzügen, zur Moleskinhose und zum blauen Blazer.“

Quelle: Edelight.de[5]

Weblinks

Commons: Tattersalls – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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Einzelnachweise

  1. Tattersall Berlin-Mitte im Bezirkslexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins
  2. Ehem. Tattersall des Westens im Bezirkslexikon bei berlin.de
  3. Rhein-Neckar-Industriekultur: Tattersall Straßenbahn-Wartehalle in Mannheim. Abgerufen am 19. Juni 2015.
  4. Siehe auch: Tattersall (cloth) auf der englischsprachigen Wikipedia
  5. Viyella-Hemd bei Edelight.de