Tyrothricin

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 14. Oktober 2016 um 22:38 Uhr durch Bildungsbürger (Diskussion | Beiträge) (Wikilinks mit AWB). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Strukturformel
Strukturformel von Tyrocidin A
Strukturformel der Komponente Tyrocidin A
Allgemeines
Freiname Tyrothricin
Summenformel vgl. Tabelle
Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 1404-88-2
PubChem 452550
Wikidata Q419421
Arzneistoffangaben
ATC-Code
Wirkstoffklasse

Antibiotika

Eigenschaften
Molare Masse vgl. Tabelle
Sicherheitshinweise
Bitte die Befreiung von der Kennzeichnungspflicht für Arzneimittel, Medizinprodukte, Kosmetika, Lebensmittel und Futtermittel beachten
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung[1]
keine GHS-Piktogramme

H- und P-Sätze H: keine H-Sätze
P: keine P-Sätze
Toxikologische Daten

> 3000 mg·kg−1 (LD50Mausoral)[2]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Tyrothricin ist ein Gemisch verschiedener antibakteriell wirksamer linearer und cyclischer Polypeptide aus den Gruppen der Gramicidine und Tyrocidine. Sie werden endotoxinartig durch den anaeroben sporenbildenden Bacillus aneurinolyticus (Syn. Bacillus brevis) gebildet. Der Wirkungsbereich umfasst vorwiegend grampositive Bakterien, aber auch einige gramnegative Bakterien und verschiedene Pilzarten, wie beispielsweise Candida albicans.

Tyrothricin wird den Polypeptid-Antibiotika zugeordnet, der unter anderem auch Actinomycin, Bacitracin, und die Polymyxine angehören.

Zusammensetzung

Tyrothricin enthält 50 bis 70 % Tyrocidine und 25 bis 50 % Gramicidine, die insgesamt mindestens 85 % des Wirkstoffs ausmachen.[3] Daneben kommen in kleinen Mengen weitere strukturverwandte Polypeptide vor.

Struktur der Tyrocidine in Tyrothricin
Grundgerüst
D-PheL-ProXYL-AsnL-GlnZL-ValL-OrnL-Leu
└────────────────────────────────────────────┘
Tyrocidin Summenformel Molmasse CAS Nr. X Y Z
A C66H88N13O13 1271 1481-70-5 L-Phe D-Phe L-Tyr
B C68H89N14O13 1311 865-28-1 L-Trp D-Phe L-Tyr
C C70H90N15O13 1350 3252-29-7 L-Trp D-Trp L-Tyr
D C72H91N16O12 1373 19716-16-6 L-Trp D-Trp L-Trp
E C66H88N13O12 1255 19659-41-7 L-Phe D-Phe L-Phe
Struktur der Gramicidine in Tyrothricin
Grundgerüst
HCO–XGlyL-AlaD-LeuL-AlaD-ValL-ValD-ValL-Trp–
D-LeuYD-LeuL-TrpD-LeuL-Trp-NH-CH2-CH2-OH
Gramicidin Summenformel Molmasse X Y
A1 C99H140N20O17 1882 L-Val L-Trp
A2 C100H142N20O17 1896 L-Ile L-Trp
C1 C97H139N19O18 1859 L-Val L-Tyr
C2 C98H141N19O18 1873 L-Ile L-Tyr

Wirkung

Tyrothricin ist ein antimikrobielles Polypeptid, das die Zellmembran verschiedener Mikroorganismen irreversibel schädigt.[4] Es ähnelt in seiner Wirkweise sehr den antimikrobiellen Peptiden (oder host defense peptides), wie sie aus Eukaryoten bekannt sind (z. B. Defensin und Cathelicidin). Aufgrund dieser Ähnlichkeit werden sie heute vermehrt auch dieser Gruppe zugeordnet (nicht-ribosomal synthetisierte antimikrobielle Polypeptide).[5]

Als Gemisch zweier aktiver Substanzgruppen wirkt Tyrothricin auf zwei Wegen auf die mikrobielle Zellwand:

Tyrocidine lagern sich in die Zellmembran von Mikroorganismen ein und zerstören damit deren Funktion. Der genaue Ort und Mechanismus sind bisher unbekannt.

Gramicidine bilden kationenselektive Kanäle in der Zellmembran, durch die monovalent geladene Kationen (wie z. B. Kalium, Natrium) die Membran passieren können. Hierbei wird unter anderem der Ionengradient zwischen Cytoplasma und extrazellulärem Medium aufgehoben.

Tyrothricin wirkt dosisabhängig bakteriostatisch oder bakterizid auf folgende Keime:

Hemmwerte in μg/ml
Staphylococcus aureus MSSA 4
Staphylococcus aureus MRSA 4
Staphylococcus haemolyticus 4
Streptococcus pyogenes 0,5
Streptococcus viridans 1–5
Enterococcus faecalis 2
Diplococcus pneumonia 1
Corynebakterium spp. 2
Clostridia 0,1 – 10
Candida albicans 16
Candida parapsilosis 32

Die Resistenzentwicklungen zeigen, dass Tyrothricin trotz des jahrzehntelangen Einsatzes eine ungebrochen hohe Wirksamkeit selbst gegen Staphylococcus aureus-Stämme mit multipler Antibiotikaresistenz (MRSA) zeigt.[6][7][8] Es bestehen zudem keine Kreuzresistenzen mit Polymyxin B und Colistin.

Der Grund dieser anhaltenden Wirksamkeit und ausbleibenden Resistenzentwicklung wird in dem direkten und doppelten Angriff auf die Zellmembran von Mikroorganismen vermutet. Um Resistenzen auszubilden, müssten Pathogene die Beschaffenheit und Zusammensetzung ihrer Zellmembranen ändern. Ein komplizierter und (im Blick der Evolution) sehr aufwendiger Prozess.[7]

Aufgrund dieser gleichbleibend hohen Wirkung ist Tyrothricin mit seinen aktiven Bestandteilen Gramicidin und Tyrocidin in den letzten Jahren wieder verstärkt in den Blick der Forschung gelangt.[7][5]

In verschiedenen Experimenten wurden dabei auch andere Eigenschaften von Tyrothricin entdeckt, bspw. die Aktivierung des angeborenen, unspezifischen Immunsystems oder die Hemmung der Ausschüttung des Tumornekrosefaktors TNF.[9]

Anwendung

Tyrothricin wird ausschließlich lokal eingesetzt. In diesem Zusammenhang wird das Antibiotikum in Form von Halstabletten bei Halsentzündungen und -schmerzen mit Schluckbeschwerden, bei Rachen- und Kehlkopfentzündungen sowie bei Entzündungen der Mundschleimhaut und des Zahnfleisches eingesetzt.[10] Das Peptid wird im Magen-Darm-Trakt zerstört und es findet keine messbare Resorption bei lokaler Anwendung auf der Haut oder den Schleimhäuten statt.[11]

Darüber hinaus wird Tyrothricin zur lindernden Behandlung von kleinflächigen, oberflächlichen, wenig nässenden Wunden der Haut mit bakterieller Superinfektion mit Tyrothricin-empfindlichen Erregern wie z. B. Riss-, Kratz-, Schürfwunden, eingesetzt.[12]

Nebenwirkungen

Bei lokalem Einsatz sind im Allgemeinen Überempfindlichkeitsreaktionen gegenüber dem Wirkstoff wie Brennen oder Jucken der Haut oder Schleimhaut beobachtet worden. Es liegen bislang keine Langzeitstudien über die Wirkung bei Schwangerschaft und Stillzeit vor.

Bei systemischer Aufnahme kann es zu starken nephro- und neurotoxischen Nebenwirkungen kommen.

Geschichte

Tyrothricin wurde 1939 von dem Franzosen René Jules Dubos bei Brutversuchen mit Bodenproben und Pneumokokken entdeckt.[13]

Handelsnamen

Monopräparate

Tyrosur (D)

Kombinationspräparate

zahlreiche Generika (A, CH)

Einzelnachweise

  1. a b Datenblatt Tyrothricin from Bacillus aneurinolyticus (Bacillus brevis) bei Sigma-Aldrich (PDF).Vorlage:Sigma-Aldrich/Abruf nicht angegeben
  2. Eintrag in der ChemIDplus-Datenbank der United States National Library of Medicine (NLM) (Seite nicht mehr abrufbarVorlage:ChemID/temp-PubChem)
  3. European Pharmacopoeia, Edition 8.0 (2015), Seite 3502.
  4. Tyrothricin bei doccheck (PDF; 159 kB).
  5. a b B. M. Spathelf: Qualitative structure-activity relationships of the major tyrocidines, cyclic decapeptides from Bacillus aneurinolyticus. Dissertation, University of Stellenbosch, 2010, (Kapitel 1.4).
  6. M. Kretschmar, W. Witte, H. Hof: Bactericidal activity of tyrothricin against methicillin-resistant Staphylococcus aureus with reduced susceptibility to mupirocin. In: European journal of clinical microbiology & infectious diseases : official publication of the European Society of Clinical Microbiology. Band 15, Nummer 3, März 1996, S. 261–263, PMID 8740868.
  7. a b c M. A. Marques, D. M. Citron, C. C. Wang: Development of Tyrocidine A analogues with improved antibacterial activity. In: Bioorganic & Medicinal Chemistry. Band 15, Nummer 21, November 2007, S. 6667–6677, doi:10.1016/j.bmc.2007.08.007. PMID 17728134. PMC 2706120 (freier Volltext).
  8. Stauss-Grabo M, Atiye S, Le T, Kretschmar M: Decade-long use of the antimicrobial peptide combination tyrothricin does not pose a major risk of acquired resistance with gram-positive bacteria and Candida spp In: Pharmazie. 2014 Nov;69(11):838-41. PMID 25985581.
  9. Flügel M: Kationische Peptide – mehr als Antibiotika. DAZ 2013, Nr. 48, S. 26
  10. Beipackzettel Dorithricin Halstabletten.
  11. Voigt HE, Ehlers G: Tyrothricin: Renaissance eines Lokalantibiotikums Teil I. Dtsch Derm 1989;37(6):647-50.
  12. Beipackzettel Tyrosur Gel (PDF; 112 kB).
  13. Alfons Metzner: "Weltproblem Gesundheit", Imhausen International Company mbh, Lahr (Schwarzwald) 1961, S. 237.